Der Bosporus

Der Bosporus, (d. i. Ochsenfurth) jene schon oben erwähnte Meerenge, trennt ziemlich drei deutsche Meilen entlang Asien und Europa von einander und bildet auf dieser Strecke eine der interessantesten und romantischsten Wasserstraßen. In ihr werden die fast neun Monate lang von der Nordküste des schwarzen Meeres nach dem Eingang des Bosporus zuflutenden Strömungen, die sich in der Meerenge selbst fortsetzen, dem Marmorameer und den Dardanellen, und durch diese dem Mittelmeer zugedrängt. Die Stärke dieser Strömung schwankt zwischen 3/5 und 1 3/5 deutschen Meilen in der Stunde, was von Wind und andern Umständen abhängt, welche die mit der Örtlichkeit Bekannten leicht berechnen können, so dass man durchschnittlich die Schnelligkeit der Bewegung eine deutsche Meile auf die Stunde annehmen kann. Unterhalb des Badeortes Sultanieh, wo der Kanal sich plötzlich verengert, schiebt die Strömung am schnellsten vorwärts, noch weiter unten wird der Lauf, durch die aus dem „goldnen Horn,“ dem Hafen von Konstantinopel, entgegenströmenden Fluten aufgehalten, langsamer. Über die Entstehung dieser Wasserstraße ist schon Vieles aufgestellt worden und es erscheint mehr als wahrscheinlich, dass einer der griechischen Sagen von Weltfluten ein wirkliches historisches Ereignis, nämlich der Durchbruch des schwarzen Meeres durch die Landenge, die jetzt vom Bosporus und von den Dardanellen durchschnitten wird, zu Grunde liege. Dem Schiffer, der vom Pontus dieser Meerenge naht, macht sich der Eingang durch die beiden Leuchttürme bemerkbar, die auf asiatischer und europäischer Seite gewissermaßen eine Einfassung bilden, hinter denen sich die Berghöhen Thrakiens und Anatoliens so dicht an einander drängen, dass der Weg wie gesperrt erscheint. Diese Gebirge bilden auch durch ihr wechselseitiges Vordringen die sonderbare schlangenförmige Bewegung der Meerenge, deren Krümmungen dem Auge sich wie Seen darstellen. Siebenmal werden die Fluten durch die asiatischen Ausläufer des Aalem Dagh und Bulgurlu nach Europa herübergedrängt, und müssen ebenso oft den Felsenvorsprüngen des Hämus nach dem asiatischen Gestade zu ausweichen. Die Entfernung der Ufer von einander wechselt daher oft, ist an den engsten Stellen ungefähr 1.500 Schritte, an den weitesten etwa dreifach so breit. Die wohl anderthalb tausend Fuß hohen Bergwände beider Ufer fallen oft schroff ab, bald machen sie, zurücktretend, anmutigen Wiesen Platz. Reizende Taleinschnitte ziehen sich nach den Gipfeln empor mit Pinien, Platanen und schlanken Zypressen besetzt, welche die still unter ihnen dahin fließenden Quellenabflüsse und kleinen Giesbäche bergen, so dass das Ganze die lieblichsten Landschaften für das Auge bietet. Fast ununterbrochen, namentlich am rumelischen Ufer, reiht sich eine Ortschaft an die andere, über denen Landhäuser und Kioske aus dem saftigen Grün der Wäldchen, Gärten und Weinpflanzungen hervorschauen, während auf den höchsten Punkten Burgen und Ruinen aus der byzantinischen und genuesischen Vorzeit thronen. Am Leuchtturm des rumelischen Ufers zeigen sich zunächst die Inseln der Symplegaden, die den Kolchisfahrern Jasons schon gefährlich waren, niedrige Basaltklippen, welche von jeder hochgehenden Flut überdeckt werden. Hier verengt sich nun die Straße durch die östlichen Vorgebirge Pillaw-Burnu und Fil-Burnu und durch den westlichen Bergvorsprung Karibdsche. Das europäische Ufer von Karibdsche-Burnu (Gypopolis) ist kahl und öde, und nach vorn treten die Berge von Rumili und Anatoli Kawak so nahe zusammen, dass man in einen Hafen einzulaufen glaubt. Diese Bucht sah schon im früheren Mittelalter viele Seekämpfe zwischen den slawischen Völkern des Nordens und den Byzantinern, später zwischen den Genuesern und Venezianern, die sich lange Zeit um das Recht stritten, einen Zoll im Bosporus zu erheben. Noch deuten die auf den letzten Abhängen des Ufers in Ruinen fallenden genuesischen Burgen auf diese Kämpfe hin, indes die Ahornschlösser Rumeliens und Anatoliens, die aus den Zeiten Sultan Mahmuds stammen, noch wohl erhalten sind. Die jetzt folgende „geheiligte Öffnung“ trägt zu beiden Seiten, bei Deli Talian und Juscha, neuere Befestigungen, die von französischen Ingenieuren unter dem Großadmiral Hassan Pascha angelegt wurden. Hinter dem asiatischen Vorgebirge Madschar erweitert sich der Bosporus abermals zu einer seeähnlichen Bucht, deren Grenzen auf der anatolischen Seite die Vorgebirge Madschar und Selw, auf der europäischen die Caps Mesar und Jeniköi bilden. Dies ist die Bucht von Bujukdere (Großtal), wo sich die Lieblingssitze der europäischen Diplomaten befinden. Hier und in Terapia (Heildorf) bringen fast alle Gesandten der verschiedenen Mächte bei der Pforte ihre Sommermonate zu, um die Reize dieser wundervoll schönen, üppigen Landschaft, welche auch die Ansicht des dichtbelaubten Riesenberges, des höchsten Gipfels der Umgegend, bietet, zu genießen. Dabei hat Bujukdere, welches etwa eine Meile vom pontischen Eingange entfernt liegt, einen der besten Untergründe der Meerenge. Hinter dem Vorgebirge Selw beginnt von diesem und dem ebenfalls asiatischen Cap Komlidsche und dem östlich stark vorspringenden europäischen Jeniköi-Burnu gebildet, die dritte Bucht des Bosporus. An letzterem Cap branden die Wogen stark, weshalb die Schiffe einen Bogen nach Osten beschreiben, der sie zu der Kaiserreede führt. Diese ist das berühmte Chunkiar-Iskelessi, wo 1833 jener Vertrag geschlossen wurde, der den Kriegsflotten der europäischen Mächte den Zugang zu dem Marmorameere und dem Pontus versperrt. Das schwarze Meer war in Folge dieses Vertrages förmlich ein russischer Binnensee geworden, dessen Schlüssel die hohe Pforte als russischer Vasall zu verwahren hatte. Dem asiatischen Cap Komlidsche gegenüber dehnt sich die vierte Bucht des Bosporus aus, und bildet den berühmten Hafen von Stenia, der ebenfalls zu verschiedenen Zeiten Zeuge mehrerer Seekämpfe war. Die berüchtigten Engen der nun folgenden fünften Krümmung des Bosporus haben eine so reißende Strömung, von den Türken Scheitan Akindissi (Teufelsströmung) genannt, dass die dagegen anstrebenden Kähne mit Ruderkraft nicht vorwärts gebracht werden können, sondern vom Lande aus stromauf gezogen werden müssen. Diesen Pass bewachen die festen Schlösser in Asien und Europa Anatoli und Rumili Hissari, deren weiße Mauern weithin leuchten. Bei dem von Mahomed I. erbauten Schlosse in Asien öffnet sich das Tal des frischen Wassers, das freundlichste der Bosporustäler, ein beliebter Spaziergang türkischer Damen. Das gegenüber liegende Schloss von Europa, welches Mohamed II. zwei Jahre vor der Einnahme Konstantinopels baute, erhebt sich als ein gewaltiges Werk mit schweren Türmen und fremdartigen Mauern neben dem mit vielen Palästen und Kiosken geschmückten Tale von Bebeck. Die beiden letzten Windungen des Bosporus entstehen durch die auf der europäischen Seite vortretenden Gebirge Akindi und Defterdar. Von hier an bietet die Meerenge einen sehr belebten Anblick dar. Auf dem Wasser, segeln zahlreiche Schiffe und Kähne auf und ab, am Ufer stehen zahlreiche Lusthäuser und Paläste des kaiserlichen Hofes, welche die Uferorte zu einer fortlaufenden Reihe von Gebäuden verbinden. Diese meist neuen Bauten haben die Kirchen des heil. Michael, des Schutzpatrons von Konstantinopel, die von den Byzantinern gerade in dieser Gegend der Engen aufgeführt worden waren, verdrängt. Am gegenüberliegenden Gestade befinden sich die kaiserlichen Lustgärten von Kula Bagdscheffi, wo Soliman der Große drei Jahre lang vor dem Zorne seines Vaters Selim I. eine Zuflucht fand. In der Nähe liegt Beilerbei, das asiatische Sommerserai des Sultans, weniger durch seine zweistöckigen Gebäude, als durch die Ausdehnung und Schönheit seiner Gärten, ausgezeichnet. Auf dem europäischen Ufer bauten die Sultane die Serais von Beschiktasch und Dolmabagdsche, an welch letzterem Orte der jetzige Sultan Abdul Medschid den europäischen Diplomaten Sommerfeste zu geben und dabei Musterung über seine Truppen zu halten pflegt. Bei der nun folgenden Öffnung des Kanals ist dem Reisenden der erste Anblick auf das reizend liegende Konstantinopel gestattet.

Außer den Naturschönheiten und Lustorten sind es aber die vielen und starken Befestigungen, welche den Bosporus berühmt machen und ihm eine besondere strategische Wichtigkeit verleihen, denn diese Befestigungen sind so stark armiert und so richtig angelegt, dass es einer Flotte geradezu unmöglich gemacht worden ist, vom schwarzen Meere aus in feindlicher Absicht der Hauptstadt zu nahen. Die zahlreichen Trümmer gescheiterter Schiffe, welche das ganze Jahr hindurch die beiderseitigen Ufer vor dem Eingange bedecken, zeigen, dass schon, die Natur die Einfahrt erschwert. Der Eingang ist wegen der Untiefen und Klippen so gefährlich, dass er nur bei ganz günstigem Winde gewonnen werden kann. Um diesen Eintritt, wenn er in feindseliger Absicht geschehe, noch zu erschweren, strecken schon vor dem Eingange auf den beiden Küsten je zwei wohlbesetzte Batterien dem Feinde ihre Feuerschlünde entgegen. An jedem der beiden obenerwähnten Leuchttürme Rumili und Anatoli Fanar ist wiederum eine Batterie anzutreffen. Im Bosporus selbst, gleich nahe am Eingange, zeigen sich hierauf an der schmalsten, kaum 1.500 Ellen breiten Stelle acht Batterien und zwar auf asiatischer Seite Boiras, Filburnu, Anatol-Hissar und Madschar-Tabia, auf dem europäischen Ufer Garibtsche, Bujnk-Liman, Rumili-Hissar und Telli-Tabia dicht hinter einander. Die beiden letztgenannten jedes Ufers, als die wichtigsten, haben 165 Geschütze vom schwersten Kaliber. Die stärkste dieser vier Befestigungen ist Madschjar-Tabia, Bujukdere gegenüber, und deshalb am gefährlichsten, weil die Untiefe am europäischen Ufer alle größeren Schiffe zwingt, sich bis auf 200 Schritt den Batterien des letztgenannten Forts, welches allein 70 Geschütze zählt, zu nähern und ein jedenfalls verderbliches Feuer auszuhalten, so dass eine Flotte, die den Durchgang erzwingen wollte, buchstäblich mit Kugeln gesiebt würde. Unterhalb dieser Fortifikationen setzt sich dieses System in weiteren vier Batterien auf dem europäischen Ufer fort. Im Ganzen zählt man auf beiden Seiten der Meerenge 21 Batterien mit 451 Stück schwerem Geschütz, welches von einer trefflich geübten Artillerie-Mannschaft bedient wird, die unter dem Namen „Brigade vom schwarzen Meere“ aus zwei Regimentern von je 6 Kompanien zu 150 Mann, also aus 1.800 Kanonieren besteht. Sie sind gut eingeübt und wurden durch den preußischen Obersten Kuckowsky, der eine Anzahl Unteroffiziere mitbrachte, so trefflich organisiert, dass Kaiser Nikolaus zum General Wrangel geäußert hat, es würde harter Zähne bedürfen, diese Nuss zu knacken. Einige der erwähnten Batterien oder Forts sind auf plattem Grunde angelegt, so dass sie die Fläche des Wassers bestreichen, andere, auf Felsen errichtet, beschießen die Schiffe von oben. Die Kanonen stehen auf einer steinernen Plattform, um den Temperaturwechseln weniger ausgesetzt zu sein; über jeder Batterie ist ein symmetrisch gebautes Holzdach angebracht, aus dem eine lange Flaggenstange hervorragt. Diese Stangen dienen als Telegraphen zur Beförderung von Ordren und Signalen längs der ganzen Bosporuslinie. Wenn ein türkisches Kriegsschiff vorüberfährt, salutieren die Batterien durch Aufziehung einer Fahne mit dem Halbmond und dem Stern. Der Sultan kommt manchmal, um in einem seiner Sommerpaläste am Bosporus die Seeluft zu genießen, dann hissen sämtliche Batterien ein großes Banner auf mit einer weißen Sonne auf hochrotem Grunde. Zu obigen Verteidigungsmitteln ist noch die Aufstellung der türkischen Flotte zu rechnen. Sie hat in Kriegsfällen ihren vorgeschriebenen Standpunkt vor Bujukdere, am Rande der Strömung, so dass sie ihre Schiffe in jede beliebige Stellung werfen und mit vollen Breitseiten jedes große Fahrzeug bestreichen kann, das, den Bosporus herabkommend, dicht an ihr vorbei muss, um den Untiefen am asiatischen Gestade auszuweichen. Gegenüber und unterhalb dieser Sandbank liegt dann eine 60 Kanonen führende Fregatte mit zwei kleinern vor Anker, um die Schiffe in Empfang zu nehmen, die Terapia passiert haben. Man hat an den Forts des Bosporus die Ausstellung gemacht, dass sie auf der Rückseite nicht gehörig gedeckt seien, so dass jede beliebige Truppenmacht, von den vorausgesegelten Schiffen in Booten ans Land gesetzt werden, die Bosporusforts von hinten angreifen und das Feuer derselben von der feindlichen Flotte abziehen könnte. Andere Sachverständige aber behaupten, dem entgegen, dass die Forts allerdings Rückendeckungen haben und zwar eine doppelte, einmal durch fliegende Batterien und Feldschanzen, die sich auf hinter ihnen liegenden Höhen befänden, und dann auch durch ihre eigne Bauart, die so kombiniert sei, dass die Rückseite jedes Forts durch ein anderes Fort mit Vollkugeln und Kartätschen bestrichen werden könne.


In neuester Zeit hat der Bosporus keinen wirklichen Angriff zu erfahren gehabt, denn die russische Flotte unter General Greigh machte in dem Kriege 1828—29 nur Demonstrationen, um die Türken durch einen scheinbaren Angriff zu zwingen, Konstantinopel mit starker Truppenzahl zu decken, da der eigentliche Stoß indessen auf den Balkan geführt wurde. Hieraus ist aber noch nicht mit Gewissheit zu folgern, dass die Russen damals den Bosporus für unangreifbar gehalten hätten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das schwarze Meer und die Ostsee