Das Schwarze Meer

Dieses durch seine oft wechselnde Witterung und plötzlich eintretenden Stürme bei den Seefahrern verrufene und gefurchtere Binnenmeer, der Pontus Euxinus der Alten, dessen weiter Spiegel die verschiedenartigsten Uferbildungen, von der niedern Schlammdüne bis zur sonnigen rebengekrönten Felsenwand, ja im Osten hochgetürmte Schneegipfel zurückstrahlt, dessen Wellen, zwei Weltteile scheidend, nördlich und östlich russische Besitzungen, südlich und westlich aber Teile des türkischen Reiches bespülen, erstreckt sich vom 40° bis zum 46° 37' nördl. Breite und von 45° bis zum 59° 15“ östl. Länge von Ferro. Bei einer von West nach Ost gerichteten Länge von 140 Meilen und einer Breite von 60 Meilen, beträgt die Ausdehnung der es umgebenden Ufer ungefähr 400 Meilen und seine Oberfläche etwa 8 bis 9.000 Q.-M. Es erhält seine meisten Zuströmungen aus Europa, von wo mehrere der größten Flüsse, wie die Donau, der Dniester, der Dniepr, der Don u. s. w., in sein Bett sich ergießen, und nimmt somit den Niederschlag von 32.000 Q.-M. in sich auf. Das Wasser dieser Flüsse ist meist brackig. Die Tiefe des schwarzen Meeres ist im Allgemeinen sehr bedeutend; an vielen Orten findet man bei 140 Faden Tiefe noch keinen Grund. An einigen Stellen nur, wie in der Nähe der Meerenge von Jenikaleh, steigt der Boden bis zu 10 Faden herauf, während an der Mündung der Donau das Wasser vom Gestade ab sich so schnell vertieft, dass man es nur etwa eine Achtelmeile weit durch Sondieren messen kann. Es sind auch, jedenfalls in Folge dessen, nur sehr wenige Klippen anzutreffen und fast überall vortreffliche Ankerplätze.

Eine Haupteigenschaft dieses Binnenmeeres, welche es unvorteilhaft vor allen andern eingeschlossenen Wasserflächen auszeichnet und ihm schon vor alter Zeiten die Beinamen des sturmvollen Pontus und des ungastlichen Meeres erwarb, sind die häufigen und plötzlichen Stürme. Es ist viel über die Ursachen dieser Luftströmungen nachgeforscht und debattiert worden, aber noch immer ist man zu keiner ganz genauen Lösung der Aufgabe gelangt und Vieles dabei bleibt noch Hypothese. Kohl ist der Ansicht, dass die langgedehnten Ebenen und Steppen nördlich und nordöstlich vom schwarzen Meere, welche sich über ganz Nordasien bis Kamtschatka erstrecken, ohne dass ein schlitzender Gebirgszug sie unterbräche, eine der Hauptursachen seien. Wenn der Kaukasus, meint er, so wie er sich um die östliche Spitze des Pontus windet, auch eben so im Nordosten und Norden die ganze Hauptmasse mit seinen schützenden Armen umfasste, so würde er ein großer Wohltäter desselben geworden, und der ganze Zustand, das Klima und die Geschichte dieses Meeres eine andre sein. Diese Ansicht nun, dass die physikalische Beschaffenheit der nördlichen Küstengegenden, dass die große Lücke zwischen dem Kaukasus und dem Uralgebirge, durch welche die sibirischen Stürme freien Zugang erhalten, die Ursache von dem stürmischen Charakter dieses Meeres seien, wäre wohl anzunehmen, wenn diese nördlichen und nordöstlichen Stürme die herrschendsten und die gefährlichsten wären. Aber wohl alle pontischen Schiffer sind darin einig, dass die gefürchtetsten und schrecklichsten Orkane nicht aus dem Norden, sondern von Osten, von den Schneegebirgen Kaukasiens, und von Südosten von den armenischen Höhenzügen herunterkommen, weshalb sich die meisten Unglücksfälle an der West- und Südwestküste, die wenigsten an der Nord- und Südküste ereignen. Ritter meint, dass durch das Zusammentreten der Nordwinde, die aus den sarmatischen Ebenen kommend, ungehinderten Zutritt bis an die asiatische Küste haben und der auf dem armenischen Plateau häufig herrschenden Süd- und Ostwinde sich die gefürchtete Zone der heftigsten, zahlreichsten pontischen Stürme bilde, die schon von jeher die Schiffer des schwarzen Meeres in Schrecken gesetzt habe. Wenn nun auch anzunehmen ist, dass in keinem Meere die Winde und Strömungen so häufig wechseln und die tobenden Wellen so gefährlich sind, so scheint doch auch diese Ansicht nicht unbedingt maßgebend zu sein, denn man hat auch heftige Stürme aus Südosten ohne das Entgegentreten anderer Luftströmungen beobachtet und viele, ja die meisten Stürme scheinen ihre Entstehung im Pontus selbst zu haben. Es ist eine bekannte physikalische Tatsache, dass zweierlei Lufttemperatur Wind erzeugt und wir finden diese Erscheinung selbst in Gegenden, die rings von Bergen umgeben sind. Nun sind die schneebedeckten Spitzen des Kaukasus und auch das armenische Plateau, wo im Winter eine Kälte bis zu 20 Grad nichts Ungewöhnliches ist, von den Ufergestaden des schwarzen Meeres, wo wie bei Trapezunt der Olivenbaum kräftig gedeiht und wie bei Wigse der Orangenbaum im Freien ausdauert, so verschieden, dass diese Verschiedenheit der Temperatur dem Entstehen der Winde sehr gewiss günstig ist, wenn man gleich die eigentümlich wilde, gefährliche Natur dieses Meeres hierdurch noch nicht genügend erklären kann. Die Stürme selbst sind meist von kurzer Dauer und währen ohne sichtliche Abnahme selten länger als zwölf Stunden, und vom Frühjahr bis zum Sommer herrschen die Nordwinde vor, beim Beginn des Herbstes und Frühlings die Südwinde. Noch immer ist die Zahl der Schiffe, welche der Pontus jährlich verschlingt, eine bedeutende zu nennen, obgleich in neuester Zeit von der russischen Regierung durch eine genaue Entwerfung von Seekarten und Erbauung von Leuchttürmen viel getan worden ist. Selbst die Griechen, welche man zu den kühnsten und unerschrockensten Seeleuten zählen kann, werden ängstlich und kleinmütig, wenn sie in der stürmischen Jahreszeit den Thrakischen Bosporus verlassen und sich den aufgeregten Wellen des Pontus übergeben sollen, und oft weigerten sich die Matrosen, diese Fahrt zu beginnen, wenn sie erst im November den Bosporus erreichten. Hier ist nun auch die Anwendung der Dampfkraft der Schifffahrt sehr günstig gewesen, denn die Dampfschiffe, die den Winden weniger Segel wie die Segelschiffe oder auch gar keine entgegenstellen und sich durch innere Kraft vorwärts bewegen, durchschneiden dann noch die Wogen, um Reisende und Handelsgüter nach den verschiedenen Häfen zu bringen, wenn es Segelschiffen unmöglich geworden und nur, wenn die Wassermasse zu tief aufgeregt die Wellen zu Bergen auftürmt, zwischen welchen sich Abgründe in die Tiefe wühlen und das Rad nicht greifen kann und nutzlos wird, beugt sich diese großartigste Erfindung des Menschengeistes der Naturgewalt.


Im Frühjahr entstehen bedeutende Strömungen im schwarzen Meere von Norden nach Süden, welche bis zum Beginn des Sommers anhalten und durch die ungeheueren Wassermassen erzeugt werden, welche die großen Flüsse des Nordens beim Schmelzen des Schnees dem Meere zuführen. Die beständigste und stärkste dieser Strömungen ist die, welche von der Mündung des Dnieprs längs der Westküste bis zum Bosporus fließt. Diese Wasserbewegungen sind nun der Schifffahrt von der Krim und Odessa nach Konstantinopel sehr günstig, würden es aber noch mehr sein, wenn die südlichen Fallwinde nicht zu oft hinderlich wären, wogegen sie der Schifffahrt von Süden nach Norden und Nordosten selbst bei dem günstigsten Winde hemmend entgegentreten.

Eigentliche Ebbe und Flut kennt der Pontus nicht, denn die fast beständige leichte Bewegung des Wassers wird nur durch Winde und Strömungen erzeugt.

Die Gestade sind sehr verschieden. Von der Donaumündung im Nordwesten, längs dem Norden bis zum Fuße des Kaukasus im Nordosten, sind die Ufer, mit Ausnahme der großen weit und breit in das Meer vortretenden Halbinsel Krim, flach und oft, vorzüglich im Nordwest, so niedrig, dass sie für die Schifffahrt gefährlich werden können, da man sie oft nur in sehr kurzer Entfernung erkennen kann. Um so höher steigen die Küsten im Osten an und dehnen sich erhöht, oft sehr steil von Ost nach West, längs der anatolischen Küsten fort. Die Südküste der Krim, die Küsten von Kaukasien und Anatolien, wo der Boden oft vom Ufer zu hohen Gebirgen aufsteigt, haben ausgezeichnete Landmarken.

Häfen und Buchten sind zahlreich und viele davon sehr gut und tief, aber die meisten von geringer Ausdehnung. Die am tiefsten in das Land eindringenden sind der Golf von Kerkinet im Norden zwischen der Krim und dem Festlande, von dem Asowschen Meere nur durch einen schmalen Isthmus getrennt, die Meerbusen von Ramsin und Burgas im Westen und die von Samsun und Sinope im Süden. Geringer sind die Buchten des Dniepr, des Bug, des Dniester und der der Stadt Sebastopol im Norden, die Busen von Kerpeni, von Vona und Batum im Süden und der östlich von der Halbinsel Taman in das Land hineintretende Busen des Kuban in Nordosten.

So hat das schwarze Meer auch keine bemerkenswerten Landvorsprünge oder Vorgebirge, außer denen, welche die westlichen und südlichen Ausläufer der Krim bilden, wozu noch das Cap Indieh und das Cap Bozdebeh in Anatolien kommen. Eine Eigenheit dieses Meeres ist ferner, dass es nur eine einzige Insel, die Schlangeninsel, besitzt, auf welche wir später zurückkommen werden:

Berühmt und wegen seiner schönen Ufer allgemein gekannt ist die Meerenge, welche den Pontus vermittelst des Marmorameeres und der Dardanellen mit dem griechischen Archipel und dem Mittelmeere verbindet und auch unter den Namen Bosporus und Kanal von Konstantinopel bekannt ist. Eine andere enge Straße, die Meerenge von Jenikaleh, verbindet das schwarze Meer im Norden mit dem Asowschen Meere, einen seichten vielgebuchteten Binnensee, der eine Oberfläche von ungefähr 1.000 Q.-Meilen hat.

Der Fischfang wird wenig im Großen betrieben, obgleich dies Meer fast in allen Gegenden einen Überfluss von Fischen der verschiedensten Art besitzt, unter denen sogenannte Meerschweine, Störe, Delphine, Makrelen, Brassen u. s. w. die bekanntesten sind. Auch Robben sind zahlreich. Eine der ausgedehntesten Fischereien ist am Eingange der Straße von Jenikaleh im Schwunge, wo viele Störe gefangen werden.

Die Temperatur der Gestade ist nicht überall so mild und warm, wie es von der südlichen Lage des schwarzen Meeres erwartet werden könnte, und die nördlichen Ebenen haben einen langen und strengen Winter, so dass die Häfen der Nordküste oft drei bis vier Monate, vom Dezember bis zum März vom Eise verschlossen sind.

Es scheint erwiesen, dass der Pontus in sehr früheren Zeiten sich weit nach Norden und Osten erstreckte und die weiten Ebenen und Steppen zwischen dem Kaspischen See und dem Aralsee überflutete, so dass beide Seen nebst der Tartarischen Niederung Teile von ihm bildeten, bis nach und nach das Wasser zurückfiel und verdunstete und die jetzige Begrenzung entstand.

Lange blieb die relative Erhebung des schwarzen Meeres und des Kaspischen Sees gegen den Ozean unbestimmt, ist aber jetzt ziemlich genau berechnet. Man hat gefunden, dass der Kaspische See 101 Fuß tiefer liegt, als das schwarze Meer, während letzteres mit dem Ozean gleich hoch steht. Dass es trotzdem etwas erhaben sei über dem mittelländischen Meere, welches durch fortwährendes Verdunsten etwas niederer liegt als der Ozean, scheint aus dem immerwährenden Strömen durch den Bosporus und die Dardanellen nach dem griechischen Archipel hervorzugehen. Das Verdunsten des schwarzen Meeres muss aber ebenfalls sehr bedeutend sein, da der Abfluss durch den Bosporus doch zu gering ist, um die Ungeheuern Massen Wasser abzuführen, welche ihm die vielen Ströme zubringen. Wie es ungeachtet des reichen und steten Zuflusses frischen süßen Wassers seinen Salzgehalt beibehalten kann, ist noch nicht gehörig ermittelt.

Schon in sehr frühen Zeiten wurde der Pontus Euxinus von den Griechen besucht und erforscht, bei ihren kleinen Fahrzeugen und ihren geringen nautischen Kenntnissen aber als ein Meer voller Gefahren der schrecklichsten Art dargestellt. Sie gaben ihm auch deshalb den Namen des schwarzen Meeres, wie sie auch die nördlichen cimerischen Ufer von ewiger dicker Finsternis; bedeckt glaubten. Sie gewannen jedoch nach und nach durch Erfahrungen Mut, und gründeten später längs der Küsten des Pontus zahlreiche Kolonien, von welchen aus sie einen ausgebreiteten Handel mit Sklaven, Vieh und Getreide trieben. Noch heute sind in der Küstenfahrt ihre Schiffe die zahlreichsten und werden die meisten davon zur Ausfuhr von Getreide, Fellen, Bauholz, Eisen und russischen Pelzen und zur Einfuhr von Wein und Früchten, französischen und englischen Manufakturwaren verwendet. Den größeren Handelsbetrieb hat jedoch Odessa in Händen, und der Seeweg von dieser Stadt nach dem Bosporus und den andern größeren Häfen war in den letzteren Jahren immer mit großen Handelsschiffen belebt.

Die Dampfschifffahrt hat aber auch dem Reisenden seit vielen Jahren alle Küsten des schwarzen Meeres zugänglich gemacht und nicht nur dem Westeuropäer Gelegenheit gegeben, diesen Teil des Orients zu besuchen, sondern auch durch die Verbindung Odessas mit Konstantinopel viele Söhne des russischen Nordens zum Besuche des Südens und vorzüglich Syriens und Palästinas verlockt. Zwischen Odessa und der Krim besteht gleichfalls eine regelmäßige Dampfschifffahrt, welche die Reisenden nach Koslof, Sewastopol, Jalta und Kertsch führt. Von letzterer Stadt fährt monatlich einmal ein Kriegsdampfboot nach Redut-Kaleh und landet an allen russischen Küstenpunkten Tscherkessiens, Abchasiens und Mingreliens. Reisende wurden auf diesen Kriegsdampfbooten bisher unentgeltlich und sehr zuvorkommend aufgenommen, was man nicht ohne Dank für die russische Regierung, die auf solche Weise den Verkehr zu fördern suchte, erwähnen darf. In Redut-Kaleh erfährt aber die Dampfschifffahrt eine Unterbrechung und die Verbindung dieser Hafenstadt Mingreliens mit Trapezunt wird nur durch kleine türkische Segelschiffe unterhalten, welche Fahrten jedoch zu stürmischen Jahreszeiten zu den gefährlichen gerechnet werden müssen. In Trapezunt treffen wir wieder regelmäßige Dampfverbindung mit Konstantinopel und den Mittelmeerhäfen, die durch die regelmäßig fahrenden Dampfboote des österreichischen Lloyd und durch türkische Dampfer unterhalten wird, welche auch auf den Zwischenstationen Samsun und Sinope Reisende absetzen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das schwarze Meer und die Ostsee