Das russische Sanitätswesen in Mittel-Asien.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 10. 1874
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Genfer Konvention, Verwundete, Kranke, Sanitäter, Sanitätskolonnen, Ärzte, Krankenpfleger, Krankenträger, Humanität, Krieg
Russland war bekanntlich einer der ersten Großstaaten, welche der sogenannten Genfer Konvention zum internationalen Schutz der Verwundeten, des ärztlichen Personals und der Nichtkombattanten ec. im Krieg beitraten und diese höchst zeitgemäße Forderung der Humanität mit ihrem ganzen Einfluss unterstützten. Ebenso hat die russische Regierung es sich auch angelegen sein lassen, in ihren neuen Heeres-Einrichtungen den Forderungen der Humanität durch die umfassendsten Verbesserungen im Sanitätswesen gerecht zu werden, und in dieser Beziehung alle Errungenschaften der Wissenschaft und alle in den jüngsten Kriegen in Mittel-Europa gemachten Erfahrungen sich anzueignen und auszubeuten.

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Ähnlich wie im deutschen Heere das Sanitätswesen reformiert und ganz in die militärische Organisation aufgenommen worden ist, hat man nun auch in Russland jedes Armee-Corps auf dem Kriegsfuß mit einer eigenen Corps-Abteilung von Krankenträgern, Krankenpflegern, Ärzten, Fuhrwerken, Bedeckungs-Mannschaften, fliegenden Spitälern und Lazaretten, Aufnahme-Spitälern, Zelten, Barracken, Betten und Fahrzeugen und Verkehrsmitteln aller Art versehen, und die praktische Leistungsfähigkeit der neuesten Einrichtung namentlich in den jüngsten Feldzügen in Hochasien, insbesondere aber bei dem Feldzug nach Khiwa, erprobt und sehr wirksam erfunden. Der letztere Feldzug war bekanntlich mit ungeheuren Schwierigkeiten verbunden, weil der Weg nach dem ausersehenen Kriegsschauplatz die verschiedenen Heeres-Abteilungen wochenlang durch unabsehbare wasserlose, menschenleere und unfruchtbare Steppen führte, welche zum Teil noch zu Ende des Winters und zu Anfang des Frühlings bei schneidender Kälte und häufigen Schneestürmen passiert werden mussten, unter welchen selbst die abgehärtetsten Truppen unsäglich litten, und der Krankenstand ein ungewöhnlich großer war. Außerdem musste auch darum für ein möglichst zahlreiches und gut organisiertes Sanitätscorps Sorge getragen werden, weil man es mit wilden, blutgierigen und fanatisierten Nomadenhorden zu tun hatte, die dem Verwundeten selten Pardon gaben und auch nicht geneigt waren, Gefangene zu machen, sondern bei ihren Überfällen aus Hinterhalten und ihren Überrumpelungen zumeist darauf ausgingen, nur möglichst viele Russenköpfe mitzubringen oder wenigstens den Verwundeten die Ohren und Nasen abzuschneiden und als Trophäen mitzunehmen. Das Sanitätscorps bestand daher vorwiegend aus alten gedienten und erfahrenen Soldaten, die nötigenfalls den heranreitenden und plänkelnden Feind durch ein ruhiges Feuer im Schach halten konnten und nicht dem ersten Anprall desselben wichen. Der Beschaffenheit und dem Klima des rauen wilden Steppenlandes angemessen konnte auch nicht daran gedacht werden, Karren und Wagen den Sanitätskolonnen beizugeben, sondern mau rüstete diese mit dem landesüblichen ausdauernden und geduldigen Lasttier, dem baktrischen Kamel, aus und traf eine Einrichtung, dass jedes Kamel zwei Krankensänften oder tragbare Feldbetten führte, die gegen Sonne, Regen und Sturm noch mittelst einer starken Decke beschattet und geschützt werden konnten, wie es auf unserem Bild S. 328 zu sehen ist. Überdem war jede Sanitätskolonne noch mit zerlegbaren hölzernen Barracken versehen, welche mit dem dicken filzartigen Zeug überzogen wurden, woraus die Zelte der nomadischen Stämme Hochasiens bestehen; diese Barracken konnten in kürzester Frist aufgeschlagen und abgebrochen werden und waren zur Aufnahme von je 12 bis 16 Kranken und Verwundeten bestimmt. Sie erfüllten ihren Zweck in ganz befriedigender Weise.

Transport von Kranken bei der russischen Armee in Mittelasien

Transport von Kranken bei der russischen Armee in Mittelasien