Wohnverhältnisse und Lebensgewohnheiten

Was aber das russische Dorf besonders kennzeichnet, sei es ein kleines, nur aus einigen Höfen bestehendes, oder ein großes mit 6 — 8.000 Einwohnern — ist der ungeheure Schmutz auf den Straßen im Herbst und im Frühling, der Staub im Sommer und die entsetzlichen Schneegruben im Winter. Eine gepflasterte Dorfstraße habe ich niemals in meinem Leben gesehen, sogar im Süden nicht, wo es Steine in Hülle und Fülle gibt. Wollte man dem Bauer sagen, dass es ratsam wäre, die Straße oder den Platz, der an einem Markttag überfüllt ist, zu bepflastern — er würde in ein Lachen ausbrechen: ,,Ist denn das eine Stadt?“ würde er antworten. Der Kot in den großen Dörfern und an den Stadtgrenzen ist einfach nicht zu durchwaten. Die primitiven Bauernwagen bleiben darin bis zur Achse stecken; die Räder fallen auseinander; die unglücklichen Pferde erschöpfen ihre ganze Kraft, und man muss sie ausspannen. In Tambow an der Stadtgrenze ertrank ein prächtiges Pferd im Kot. Dies bildete dann den Gegenstand einer gerichtlichen Verhandlung.

Wenn ein Neuling gezwungen ist, eine Bauernhütte zu betreten, so fällt es ihm am Anfang schwer, sich an die in ihr herrschenden Atmosphäre zu gewöhnen. Es ist unbegreiflich, wie darin Menschen wohnen können: Ein kleines Hüttchen von 4 — 5 Metern im Quadrat mit einer Eingangstür, durch die ein Mensch mittleren Wuchses nur sehr gebückt eintreten kann, oft mit einem Boden aus Erde, mit so niedriger Decke, dass ein hochgewachsener Mensch nicht darin aufrechtstehen kann, mit winzigen Fensterchen, die wenig Licht, aber sehr viel Kälte durchlassen. Dies alles aus dünnem Holz zusammengezimmert und mit Werg ungenügend ausgestopft. Das ist das gewöhnliche Haus des armen Bauern im schwarzerdigen Russland! Und solcher Armen gibt es neun Zehntel der Bevölkerung.


Den vierten Teil des Zimmers nimmt der Ofen ein. Das ist ein besonderer ,,russischer Ofen“. In ihm wird geheizt und das Essen gekocht; und Brot gebacken; und Wäsche gereinigt; und die Familienglieder baden darin der Reihe nach; und auf ihm ruhen die Alten aus . . . ein Universalofen, den nur ein Volk erfinden konnte, das sechs Monate des Jahres im Schnee lebt! Und womit wird dieser Ofen nicht geheizt! Mit Holz, und mit Stroh, und mit Dünger! Alles verschlingt er seinem armen Herrn, die Dachbalken miteingerechnet. Aber ach! wenig wärmt er die durchfrorenen Kinder!

Es ist eine Qual, in eine Bauernhütte einzutreten, wenn der Ofen geheizt wird. Das Zimmer ist voll Rauch. Atmen kann man nicht — es ist zum Ersticken. Der Rauch beizt die Augen. Deshalb gibt es so viele Blinde in Russland. Der echte russische Ofen hat keine Röhre; der Rauch bleibt völlig im Zimmer zurück und sucht sich einen Ausweg durch die Decke, durch das Strohdach, durch die Wandritzen, und wenn selbst der daran gewöhnte Bauer den angesammelten Rauch nicht mehr vertragen kann — durch die offene Tür.

Es ist wahr, dass immer mehr Öfen mit Röhren eingeführt werden, aber auch jetzt noch herrscht in hohem Maße das Vorurteil: ,,So ist's wärmer!“

Solange geheizt wird — ist's warm, aber bald darauf erkaltet das Hüttchen wieder. In den Fenstern, in den Zimmerecken, in den Ritzen glitzert der Frost in Form von Schneekristallen, wie auch der Bauer seine Wohnung im Dünger einhüllen mag.

Hier hält sich Tag und Nacht die ganze Familie in einem Räume auf. Der alte Bauer flickt hier seine Bastschuhe, und die Weiber poltern hier mit ihren Spinnrädern; hier sitzen die Mädchen und die kleinen Kinder; hier kreischt der Säugling in der Wiege; hier am Ofen liegen auf dem Stroh auch noch — ein Kälbchen, und ein Lämmchen, und ein Ferkel! Hier ist's warm, und in den Ställen aus Flechtwerk würden sie erfrieren. Nachts schlafen sie alle auf den Bänken und auf dem Boden zusammen: die Männer, die Frauen, die Alten, die Kinder, das Vieh. Man muss von Kindheit auf an diese Atmosphäre gewöhnt sein.

Die Kleinrussen sind sauberer. Sauberer lebt man auch im waldigen Russland, wo die Häuser groß und immer in zwei, drei Zimmer geteilt sind.

Und der schwarzerdige Bauer ist an diesen Schmutz so gewöhnt, an diese Kälber im Zimmer, dass er es als eine große Beeinträchtigung ansieht, wenn er gezwungen ist, anders zu leben. Es haben sich in Sibirien kleine Kolonien von Auswanderern gebildet. Ich kenne einen solchen Fall: in einem kleinrussischen Dorfe hatten sich einige russische Familien angesiedelt. Die Kleinrussen wollten ihre Ordnungseinrichtungen zur Geltung bringen und erließen ein Verbot, wonach das Vieh nicht in den Hütten zu halten wäre. Das betrachteten die Russen als einen solchen Zwang, dass sie es vorzogen, lieber nach einer anderen Ansiedelung auszuwandern, als sich dieser Bestimmung zu fügen.

Ein gewisses Bedürfnis nach Reinlichkeit existiert trotzalledem und kommt hauptsächlich in der häufigen Benutzung des Dampfbades zu Ausdruck. Jeden Sonnabend badet die Familie in demselben Ofen. Alle Glieder der Familie ziehen sich der Reihe nach aus und kriechen in den brennend heißen Ofen, in dem man in gebückter Stellung sitzen kann. Man nimmt einen Eimer Wasser und einen Badequast mit, kriecht hinein, schließt die Öffnung durch einen Schieber und bearbeitet mit dem nassen Badequast den ganzen Körper so lange, bis er rot wird und der Schweiß auszubrechen beginnt. Wird die Hitze unerträglich, so springt man aus den Ofen und zieht sich rasch wieder an. Nicht selten aber sind die Fälle, dass einer den überheizten Ofen nicht rechtzeitig verläßt und man nach einiger Zeit einen Leichnam hervorholt.

Es gibt Bauern, die, erhitzt wie sie sind, im Winter, direkt aus dem Ofen in den Frost stürzen, sich mit eiskaltem Wasser begießen und wieder nach dem Ofen eilen, um sich von neuem zu erwärmen. Seife wird beim Waschen und Baden nicht gebraucht. Das ist ein Luxus, den die Mittel nicht erlauben.

Die Weiber reinigen auch die Wäsche ohne Seife, indem sie diese durch Asche ersetzen. Aber auch Asche gibt es nicht bei allen, und man holt sie gewöhnlich beim Gutsbesitzer in der Getreidedarre, wofür man mit ein, zwei Tagen Arbeit bezahlt. Wie kann hier die Rede von Sauberkeit sein? Und doch gelingt es den Bauern, sich zu den Feiertagen einigermaßen sauber zu machen. Im Ofen durchgedampft, mit in Asche gereinigten Blusen wandert das Volk am Feiertag reinlich zur Kirche, soweit eben der Russe reinlich zu sein vermag.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das russische Dorf