Kleidung und Gesundheit

Hier, in der Kirche, kann man den verschiedensten russischen Nationalkostümen der Frauen begegnen. Nirgends, außer im Orient, ist eine solche Buntheit, eine solche Zusammenstellung aller möglichen Farben zu sehen. Die vorherrschende ist rot. ,,Sehr rot“ (Pre-krasni) wird im Russischen anstatt ,,sehr schön“ gebraucht. Ein sehr roter Mensch bedeutet ein sehr schöner Mensch.

Eine rote Bluse mit grünen Ärmeln, eine blaue Schürze, die unter den Armen mit gelben Bändern gebunden wird, eine Jacke ohne Ärmel, und ein bunter Kopfputz, der mit Goldund Silberstickereien durchwirkt ist, — das ist das übliche Festkostüm der russischen Frau. Der Kopfputz ist verschieden, je nach Gegend, Alter und Stand. Bald sieht man einen großen runden flachen Hut, der einer deutschen Soldatenmütze gleicht, bald eine Art französischen Käppis, bald ragt hinter dem Nacken ein langer Stock hervor, an dem ein kurzer breiter Hut befestigt ist, mit bunten Bändern, breiten und schmalen. Wenn man dazu noch zehn oder sogar mehr Reihen von Glasperlen, gleichfalls in verschiedener Farbe und Größe, nimmt, und dabei die Farben bis zur Unendlichkeit variiert, so bekommt man ein nationales Bild der weiblichen Volksjugend an Feiertagen, das aber, leider, immer seltener wird.


Seide, Wolle und Tuch werden neuerdings durch baumwollene Stoffe; Gold und Silber durch billigen Flitterkram verdrängt. Der städtische kleinbürgerliche kosmopolitische Anzug tritt an die Stelle des Nationalkostüms. Immer grauer und einförmiger wird das Aussehen des Dorfes.

Es erblaßt auch auf den Wangen die Farbe der Gesundheit. Hungersnot, überanstrengende Arbeit, unhygienische Bedingungen, ansteckende Krankheiten, die sich durch das russische Reich hinwälzen, Syphilis an der Spitze, tun das übrige. Immer häufiger begegnet man unter den den ganzen Tag über auf der Straße, in Schmutz und Kot sich tummelnden Kindern mit dem langen, flachsblonden Haar Rhachitikern, Syphilitikern mit Hautkrankheiten, Lastern und Gebrechen behaftet.

Die russischen Frauen leiden durchweg an Frauenkrankheiten. Es gibt keinen dankbareren Boden für gynäkologische Krankheiten als das russische Dorf. Und wie sollte dieses unglückliche russische Weib nicht krank sein, wenn sie über ihre Kräfte arbeitet, fast ambulatorisch gebärt und oft noch gezwungen ist, die Schläge ihres Herrn und Gebieters zu ertragen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das russische Dorf