Die Schulen - Unbildung und Unwissenheit des Volkes

Die Schulen sind dem Semstwo unterstellt. Damit aber das Semstwo mit seinem Recht nicht Mißbrauch treibe und zu viel Schulen eröffne, darf es nach dem Gesetz zu diesem Zweck nur eine bestimmte Steuer vom Boden erheben (die Steuer von den Gebäuden industrieller Unternehmungen bringt dem Semstwo nur wenige Groschen). Trotzdem hat es das Semstwo, obwohl unter großen Anstrengungen, fertig gebracht, die Schulen zu vermehren — daraufhin erschien ein Gesetz, nach dem das Budget des Semstwo nur um 3% gegen das des vorigen Jahres erhöht werden dürfe.

Damit in der Schule des Semstwo wohl unterrichtet, aber keine Aufklärung verbreitet werde, ist eine dreijährige Lehrzeit festgesetzt (sie darf nicht überschritten werden!); davon nimmt der Religionsunterricht einen großen Teil in Anspruch und außerdem wird von den Schülern die Kenntnis der schwierigen slawischen Kirchensprache gefordert, in welcher bei uns der Gottesdienst abgehalten wird und die sich von der russischen Sprache schon durch ein anderes Alphabet unterscheidet. Das ist genau so, wie wenn man Italiener bei einer dreijährigen Lehrzeit im Latein unterrichten wollte. Danach ist es verständlich, wie niedrig die Entwicklung des Schülers beim Verlassen der Schule ist. Es ist erklärlich, dass er kaum lesen und schreiben kann und man begreift, dass immer wieder Rückfälle ins Analphabetentum vorkommen, d. h. Fälle, wo Leute, die die Schule vollendet, das Lesen und Schreiben rasch wieder verlernt haben.


Aber dies ist noch nicht alles. Als die Regierung die Gefahr in den auf Aufklärung gerichteten Bestrebungen des Semstwo erkannte, entschloss sie sich, die Sache der Aufklärung selbst in die Hand zu nehmen und so breitete sie über ganz Russland ein neues Netz von Kirchenschulen mit einem 2 — 3jährigen Kursus aus, in denen die Religion und das Slawische einen noch größeren Umfang einnehmen. Und dieses Schulnetz wurde der Geistlichkeit in die Hände gegeben! Diese erhält dafür gewaltige Summen aus dem Staatsschatz, die man dem Semstwo vorenthalten wollte.

Und so begann ein unglaublicher Betrug und eine unendliche Verwirrung. Die Schulen existieren wohl auf dem Papier, aber nicht in Wirklichkeit. Die Schüler werden damit in die Schule gelockt, dass man ihnen Zuckerwerk verspricht. Bei der Revision der Kirchenschulen geben die Priester die Schüler der Semstwoschulen für ihre eigenen aus; die ganze Gesellschaft wird von der Kirchenbehörde betrogen, die Erzpriester von den Priestern, die Priester von den Lehrern usw. Nichts wie Betrug allerorten — natürlich ist das Resultat davon die durchgängige Unbildung und Unwissenheit des ganzen Volkes.

Fügen wir noch hinzu: die ungünstigen Bedingungen, unter denen der Unterricht stattfinden muss, die Größe der Entfernungen von der Schule, der Mangel an Kleidung und Beschuhung, das Versäumen vieler Unterrichtsstunden wegen häuslicher und Feldarbeit, der Widerwille eines großen Teiles der Bevölkerung gegen die Schule, der aus seiner Unwissenheit entspringt, die mangelnden Mittel, um Papier und Bleistift zu kaufen, endlich die Unmöglichkeit einer ausreichenden häuslichen Vorbereitung für die Schule, aus Mangel an Licht und Platz, wo der Schüler seine Bücher hinlegen und seine Hefte ausbreiten kann — nehmen wir dies alles hinzu, so erhalten wir das Bild vom Schulunterricht, das die Arbeit des Lehrers zu einem Martyrium macht und die Erfolge der Lehrtätigkeit fast völlig verschwinden läßt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das russische Dorf