Die Jahres-Arbeit des russischen Bauern

Überhaupt verläuft das Leben des russischen Bauern verschieden von dem bei anderen Nationen. Nehmen wir die Arbeit. Bei intensiver Wirtschaft und bei einem milderen Klima erstreckt sich die Arbeit des Ackerbautreibenden mehr oder weniger auf das ganze Jahr. Nicht so bei uns. Ich hatte Gelegenheit, einige Bauern während der Getreideernte zu beobachten. Sie arbeiteten auch in den Mondnächten, indem sie nur zwei, drei Stunden schliefen. Und das dauerte fast einen Monat lang. Hingegen im Winter, wenn die Erde auf ein halbes Jahr zufriert und vom Schnee bedeckt wird, wären sie froh, etwas tun zu können — aber es gibt nichts zu tun! Das Getreide ist mit der Maschine gedroschen worden. Die Dreschmaschine ist die einzige Maschine, die bei den Bauern Eingang gefunden hat. Sogar in einem kleinen Dorfe schaffen sich zwei bis drei Hausbesitzer, die etwas reicher sind, gemeinsam eine solche billige Dreschmaschine an. Der Bauer schätzt seine Arbeit mit nichts ein und würde gern mit einer Kette sein Getreide dreschen, er findet es aber ökonomischer, Geld für die Maschine zu bezahlen, weil der Weizen sauberer gedroschen wird und der Verlust an Körnern geringer ist.

Nun ist das Korn gedroschen. Die tägliche Aufsicht über das Vieh — gibt es doch beinahe kein Vieh mehr im russischen Dorf — ist so unbedeutend, dass sie nur einige Minuten in Anspruch nimmt. Das Pferdegeschirr für den Sommer fertig zu machen — dauert eine, zwei Wochen. Lesen? — der Bauer ist Analphabet; und verstünde er selbst zu lesen — es gibt ja keinen Stoff. Bleibt nur übrig, Bastschuhe zu flechten und — zu schlafen.


Einige zwar gehen den Winter über in die Stadt, um etwas zu verdienen, aber sie gehen hin ohne jeden bestimmten Plan, aufs Geratewohl. Wir haben keine entsprechende Statistik. Wir besitzen kein Arbeitsnachweisbureau. Ist es einem gelungen, und wenn auch in einem sehr fern liegenden Gouvernement, Arbeit zu finden, so geht er auch im nächsten Jahre dort hin zurück, mögen die Arbeitsbedingungen sich inzwischen geändert haben. Oder man geht auf die unsinnigsten Gerüchte hin nach einem neuen Ort, wo eine fabelhaft gesegnete Ernte gewesen sein soll, und muss schließlich zu Fuß nach Hause zurückkehren.

Wenn es noch bei uns eine Arbeit gibt, die selten ganz ohne Ertrag bleibt — so ist das dann eine Spezialarbeit. Schuster, Schlosser, Steinhauer, Fabrikarbeiter — finden immer Beschäftigung. Ein Tagelöhner schwieriger. Dasselbe gilt auch von intelligenten Personen; ein Spezialist: Techniker oder Arzt finden Anstellungen. Ein lediglich intelligenter Mensch, der schriftliche Beschäftigung oder Unterricht zu erteilen sucht muss häufig hungern.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das russische Dorf