Bauernstand - Gutsbesitzer - Wucherer

Diese geistige Finsternis, in der unser Bauernstand lebt, ist auch den Gutsbesitzern von Nutzen, und daher suchen sie sie auf alle Weise zu erhalten. Die gemeinsame Ausbeutung des Volkes durch den Adel und die Geistlichkeit hat diese beiden Stände einander sehr genähert, weil sie sich immer gegenseitig in die Hände arbeiten. Auch das ist für die Geistlichkeit eine Quelle der Bereicherung.

Der ökonomische Druck, der von den Grundbesitzern ausgeübt wird, ist den Bauern nicht weniger fühlbar wie die politische Bedrückung durch den Beamten. Übrigens gehen beide ja immer Hand in Hand. Das liegt in der Natur der Sache.


Unsere Reaktionäre bemühen sich, zu beweisen, dass die Gutsherren mit den Bauern immer ein Herz und eine Seele sind, dass der Bauer zur Zeit der Leibeigenschaft, als er von dem Gutsherrn mit Wohltaten überhäuft wurde, ein viel besseres Leben hatte, als jetzt, und dass die Autokratie ihre Kraft aus diesem Bündnis des herrschenden Adels mit der 100 Millionen großen Bauernbevölkerung zieht.

Ich glaube, dass auch die, die so etwas behaupten, sich nur selbst betrügen wollen. Wer die Bauern kennt, der muss zugeben, dass sie die Erinnerung an das Blut noch nicht verloren haben, das ihre Väter und Großväter in den Ställen vergossen, wenn die Gutsherren sie mit Ruten und Knuten züchtigen ließen. Ihre schmeichlerischen Reden, ihre Unterwürfigkeit, das Hutabnehmen — das alles ist ein Produkt früherer Sklaverei. Der freie Mensch spricht die Wahrheit, der Sklave lügt und macht Verbeugungen. Diese Gedrückheit ist nicht bloß ein Zeichen der Anhänglichkeit, sie verträgt sich vielmehr sehr gut mit einem heimlichen unversöhnbaren Hass.

So ist es auch mit unserem Bauer. Er hasst den Gutsbesitzer aus tiefster Seele. Das ist ein Gefühl, das der Niederschlag von Jahrhunderten ist. Und man muss gestehen, dass die Gutsbesitzer nichts tun, um es abzuschwächen. Ihre Verachtung der Bauern ist so groß, dass sie den Hass, den sie erzeugen, kaum bemerken, und sich mit den äußeren Respektsbezeugungen zufrieden geben. Sie behandeln den Bauer im allgemeinen sehr grob, auch die unter ihnen, die sich für Liberale halten.

Der Bauer wird mit Du angeredet, seine Menschenwürde wird nicht anerkannt, die Frauenehre nicht respektiert, kurz — das Verhältnis von Herr und Sklave ist auch heute noch dasselbe geblieben, und hat natürlich den Hass des Bauers gegen seinen Beleidiger nicht verringert.

Der Grund zu diesem gegenseitigen Verhältnis liegt außer in den historischen Bedingungen auch noch in der modernen ökonomischen Sklaverei. Die Herren Gutsbesitzer sind sich dessen natürlich auch nicht bewußt, und doch ist der Druck ein furchtbarer. Der äußerste Mangel an den notwendigsten Gegenständen zwingt den Bauer, sich auf Schritt und Tritt an den Gutsherrn zu wenden. Immer fehlt es dem Bauer an Stroh zur Heizung und zur Fütterung des Viehes, und der Gutsbesitzer hat ja immer welches zu verkaufen. Ebenso brauchen die Bauern im Sommer stets Viehweiden, und wenn sie noch so schlecht, d. h. Brachland oder Stoppelfelder, nach der Roggen- oder Haferernte sind, an denen englisches Vieh einfach vorübergehen würde. Oder der Bauer braucht einen Hengst für seine Stute, einen Stier für die Kuh, Asche zum Wäschewaschen, oder Gras, das der Gutsbesitzer für sein Vieh für zu schlecht hält; endlich kann es vorkommen, dass ein Aufseher des Gutsherrn das Vieh des Bauers, das sich aus Hunger in den Stall oder auch aufs Feld des Gutsbesitzers verirrt hat, einfängt — das alles gibt Anlass, dem Bauer eine solche Summe abzunehmen, die das Normale zehnmal übersteigt und nur durch seine verzweifelte Lage erklärlich wird.

Aber mehr noch! Im Herbst zahlt der Bauer Steuern. Da braucht er Geld um jeden Preis. So geht er denn zum Gutsbesitzer, um sich Geld zu holen, er erhält auch welches, und noch dazu als ein Almosen — wenn er sich verpflichtet, es im nächsten Jahre abzuarbeiten. Ich habe in einem ganzen Buche und auf Grund statistischer Untersuchungen den Beweis erbracht, dass sich der Bauer, um einen Rubel zu bekommen, im allgemeinen zu einer Arbeit verpflichtet, für die er seiner Zeit zwei oder sogar drei Rubel erhalten hätte.

Was den Bauer indes am meisten an den Gutsherrn fesselt, das ist der Grund und Boden. Der Bauer hat bei seiner Befreiung das Land für eine ungeheure Summe erhalten, aber auch hier haben die Gutsbesitzer ihm so wenig und so schlechtes Land als nur möglich gegeben. Die besten Wälder, Wiesen, Felder und den gedüngten Boden haben sie sich genommen und die schlechtesten Stücke dem Bauer überlassen. In fünfundvierzig Jahren hat sich die Bevölkerung verdoppelt, während die Wirtschaft eine extensive geblieben ist, wie früher. Durch die Unwissenheit und Armut der Bauern hat sich der Boden nicht verbessert, sondern ist schlechter geworden, weil er sich erschöpft hat. Und nun hat der russische Bauer nur einen Wunsch und eine Hoffnung — mehr Land zu besitzen. Darauf beruhen alle Gerüchte, dass der Zar ihm von dem Boden der Gutsbesitzer noch etwas abschneiden werde, dass ein Teil des Landes durch Unrecht in die Hände der Gutsbesitzer gelangt sei usw. Diese Gerüchte, die hie und da schon eine agrarische Bewegung hervorrufen, werden ohne jeden Zweifel die Ursache zu einer großen agrarischen Revolution in Russland werden.

Unterdessen verpachten die Gutsbesitzer den Boden, den sie selber nicht brauchen können, für geradezu unerhörte Preise an den Bauer. In dem Vertrage steht freilich keine so große Summe, aber oftmals wird es zur Bedingung gemacht, dass der Pächter die Pacht mit Arbeit zu bezahlen habe, die, wie ich schon gesagt habe, zu einem wahrhaften Wucherlohn verrechnet wird. Und wenn das auch nicht ausdrücklich festgesetzt wird, so weiß doch der Gutsbesitzer sehr wohl, dass der Bauer ihm kein Geld geben kann und daher gezwungen ist, die Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, die er ihm nach seinem Gutdünken auferlegen wird. Das ist die schmähliche Wucherpraxis des wohltätigen Gutsbesitzers.

Mit einem Wort, diese Finanzpolitik des Großgrundbesitzers umstrickt den Bauer so sehr mit ihren Netzen, dass er das ganze Jahr hindurch dazu verdammt ist, mit seiner ganzen Familie um alter Wucherschulden willen, für den Gutsbesitzer zu arbeiten. Er hat die alte Schuld noch nicht bezahlt, und schon treibt ihn die Not zu seinem Feinde, um sich irgend eine Kleinigkeit für eine ungeheure Summe als Almosen zu erbetteln.

Natürlich wachsen aus dem Bauernstande einzelne Leute heraus, die allmählich reich und nun ihrerseits Wucherer werden, wenn auch in kleinerem Maßstabe als der reiche Gutsbesitzer, aber noch schrecklicher in ihrer unbegrenzten Habsucht. Die Prozente, die sie den Bauern abnehmen, sind so groß, dass sie nur in einem zugrunde gerichteten Lande, wie Russland, möglich sind, einem Lande, in dem sich alle Bestrebungen der Regierung darauf beschränken, dem Adel durch einen großen und billigen Kredit aufzuhelfen und den Bauer nur mit Worten abzuspeisen.

Als Bundesgenosse bei der Ausraubung des Bauers tritt natürlich stets die zarische Regierung auf. Die ganze Schwere eines Budgets von zwei Milliarden liegt auf den Schultern des Bauers. Hierin einbegriffen sind die Schulden, die der Bauer für das Land zu zahlen hat, das er bei der Befreiung vom Gutsbesitzer erhalten hat, die, wie wir sahen, den wirklichen Wert des Landes weit übersteigen und daher schon seit langem einen wucherhaften Charakter angenommen haben; ferner die Boden- und Landsteuern, die sich freilich ebenso auf die Grundbesitzer erstrecken, den Bauer aber empfindlicher treffen; ferner alle indirekten Steuern auf Branntwein, Streichhölzer, Petroleum, Tabak, die in gleicher Weise von Bettlern wie von Millionären bezahlt werden; ferner die sogenannte Gemeinde- und Bezirkssteuer, da der Lebensunterhalt des Ältesten, der Schreiber, Vorsteher und Richter ausschließlich von Bauern bezahlt wird, obgleich die Gutsbesitzer dieser in gleichem, wenn nicht in höherem Maße bedürfen.

Alle diese Steuern, mit Ausnahme der indirekten, werden mit unerhörter Härte eingezogen, und zwar nehmen alle an diesem Geschäfte teil; sowohl die örtlichen Obrigkeiten, als auch die Polizei und die Verwaltungsbeamten in der Person der Landhauptleute und der Agenten des Finanzministeriums. Allerdings verbietet das Gesetz, dem Bauer das Notwendigste zu nehmen, dessen er zum Lebensunterhalt bedarf: sein Haus, die Pfluggeräte, sein letztes Pferd, den Jahresbedarf an Korn für seine Familie, Samen zur Aussaat, das alles darf nicht verkauft werden.

Aber anderseits weist die Obrigkeit die Machthaber des Dorfes an, die Steuern einzutreiben. Und diese wissen, dass, wenn sie sie nicht einziehen, sie selbst bestraft und in Arrest kommen werden. Und daher bringen sie den Bauer auf die eine oder andere Weise doch so weit, dass er zahlt. Das Gesetz freilich wird erfüllt. Das Haus wird nicht verkauft, wohl aber das Dach des Hauses. Die Pferde werden nicht weggenommen, wohl aber das letzte Schaf der Bäuerin. Der Älteste steckt den Bauer auf zwei Tage in Arrest, kommt er heraus, so wird er von dem Vorsteher noch einmal auf zwei Tage eingesperrt. Kurzum, bei der unbegrenzten Willkür der Obrigkeit, die ungestraft schalten kann, wie sie will, ist es möglich, den Armen so weit zu bringen, dass er nicht nur sein übrig bleibendes Korn zu einem ganz billigen Preise verkauft, sondern auch das, welches er im Frühjahr zu einem teueren Preis wiederkaufen muss. Schließlich ist er auch gezwungen, sein letztes Pferd zu veräußern und das zu seinem Hause gehörige Land in Pacht zu geben.

Durch all dies wird er natürlich dazu getrieben, sich den Wucherern in die Arme zu werfen, das ist aber in diesem Falle der Gutsbesitzer und der Wucherer am Orte. Hie und da spielt sich die Sache etwas einfacher ab. Alljährlich erscheint die Obrigkeit in einer reichen Ökonomie und daselbst erscheint auch die Dorf Versammlung. Dabei herrscht die folgende Ordnung: Der Versammlung wird die Mitteilung gemacht, wieviel Steuern sie aufzubringen habe, es werden dann die Bedingungen festgesetzt, denen gemäß der Gutsbesitzer dem Ortsvorsteher alle oder einen Teil der von den Bauern zu leistenden Zahlungen übergibt und an ihrer Stelle eine Bescheinigung erhält, dass sich die Bauern verpflichten, im künftigen Sommer ein bestimmtes Quantum Arbeit zu schon seit langem eingeführten Wucherlöhnen zu leisten.

So hilft die russische Regierung dem Adel, den Bauernstand in Knechtschaft zu erhalten, so richtet sie das Volk immer mehr zugrunde, ohne dass sie sich bewußt wird, welch eine Grube sie sich damit selber gräbt, wenn erst das Volk heranreifen und aufhören wird, im Zaren seinen Bundesgenossen gegen den Adel zu sehen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das russische Dorf