Das neue Leichenhaus auf dem Stadt-Gottesacker zu Halle

Autor: Herausgeber: H. B. Wagnitz und Fr. Hesekiel, Erscheinungsjahr: 1830
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Leichenhaus, Leichenhalle, Leichengräber, Gottesacker, Bestattung, Totenhaus, Leichensaal
Aus: Hallisches patriotisches Wochenblatt auf das Jahr 1830. Zur Beförderung nützlicher Kenntnisse und wohltätiger Zwecke herausgegeben von H. B. Wagnitz und Fr. Hesekiel.
31. Jahrgang, Band 1. 1830
Bei der Vorsicht, welche man überall darauf verwendet, dass Niemand lebendig in sein Grab versenkt werde, steht zwar ein Unglücksfall dieser Art nicht wohl zu befürchten; aber die Vorstellung von der Möglichkeit eines solchen, und dem Zustande, in welchen der Betroffene dadurch gebracht werden möge, beschäftigt besonders lebhafte Phantasien oft so, dass wirkliche Besorgnisse dadurch entstehen. Diese gänzlich zu beseitigen, ist eine Veranlassung zur Errichtung des neuen Leichenhauses auf dem hiesigen Stadt-Gottesacker, welches vom kommenden Jahre ab dem Publikum zum Gebrauch offen steht. Wer also Hinterbleibenden die Verpflichtung auflegt, seinen Leichnam vor der Beerdigung noch in dem Leichenhaus aufstellen zu lassen, oder gleiche Vorsicht bei Vorangehenden anwendet, kann sich der erwähnten Befürchtung für gänzlich überhoben erachten. Wo Hinterbliebene ihre Abgeschiedenen nicht so lange in der eigenen Wohnung aufbewahren können, bis das einzige sichere Kennzeichen des Todes die Fäulnis — unzweifelhaft eingetreten ist, da gibt ferner das Leichenhaus Gelegenheit, die Verstorbenen noch solange unter sichere Aufsicht stellen, zu lassen, bis weder dem Arzte noch den Angehörigen irgend ein Zweifel über den wirklichen Tod des Hingeschiedenen übrig bleiben kann. Wenn aber in dem Verblichenen noch ein Lebensfunke zurückgeblieben sein sollte, so würde derselbe wohl in den meisten Fällen durch den jetzt üblichen Gebrauch der Bestattungen erstickt werden, indem das Abwaschen der Leiche, deren Einschnüren in den Sarg, die der Jahreszeit nicht entsprechende leichte Verhüllung,, so wie der oft sehr weite Transport in einem fest verschlossenen Bürge, der Wiederkehr des Lebens hinderlich sein dürften. Zweckmäßiger wird es daher sein, die Entschlafenen unmittelbar aus dem Krankenlager und ohne vorherige Einsargung nach dem Leichenhause bringen zu lassen, und hierbei rede Vorsicht anzuwenden, welche zur Erhaltung des Lebens dienlich werden kann.

Auf diese Weise endlich kann das Leichenhaus die Veranlassung zur Ersparung der oft sehr bedeutenden Kosten werden, welche die übliche Art der Bestattungen jetzt auferlegt, und selbst die Beerdigung aus dem Leichenhause ohne förmliche Einsargung des Toten wird ansehnliche Ausgaben ersparen, und besonders für unsere holzarme Gegend im Allgemeinen immer vorteilhafter werden, je mehr Man sich daran gewöhnt, irdische Überreste uneingeschlossen der Mutter-Erde zurückzugeben. Indes soll dieser Vorschlag keinesweges zur Bedingung beim Gebrauch des Leichenhauses gemacht werden, vielmehr bleibt es unbenommen, auch eingesargte und unter gebräuchlichen Zeremonien nach dem Gottesacker gebrachte Leichen in dem Totenhause aufbewahren zu lassen. Diese werden hier in ihren Sägen aufgestellt und nach Abnahme des Deckels mit gleicher Sorgfalt behandelt und beobachtet, wie uneingesargte Leichen.

Verstorbene, welche an gefährlichen ansteckenden Krankheiten gelitten haben, werden nicht im Leichenhause aufgenommen, weil bei dem Besuche der Angehörigen dieser und anderer zugleich vorhandener Leichen, Ansteckungsgefahr und Verschleppung des Giftes nicht abzuwenden sein würde.

Die innere Einrichtung des Leichenhauses ist folgende. Der Raum desselben ist durch eine Wand in zwei Teile geteilt, von denen der Eine den Leichensaal bildet, in welchem die eingebrachten Verblichenen aufgestellt werden, der Andere zum Aufenthalt der Wächter bestimmt ist. Die Scheidewand ist auf ihrer ganzen Lange mit Fenstern versehen, so dass der Wächter stehend oder sitzend den Leichensaal nach allen Richtungen übersehen und die aufgestellten Leichen gehörig beobachten kann.

Aus dem Leichensaale führen Klingelzüge nach der Wärterstube und von hier nach dem Schlafgemache des Totengräbers. An jedem Klingelzuge befinden sich 10 Fingerhüte, die der Leiche angesteckt und vermittelst welcher bei der geringsten Bewegung eines Fingers derselben 2 sogenannte Wecker in Bewegung gesetzt werden, die einige Minuten lang laut und anhaltend klingeln. Wenn diese Wecker ertönen oder sonst ein Lebenszeichen an der Leiche bemerkt ist, so wird dies sofort dem zur Beaufsichtigung angestellten Arzte gemeldet, oder irgend eine andere, zunächst aufzufindende ärztliche Hilfe herbeigerufen, bis zu deren Ankunft der Wärter, das ihm vorgeschriebene Verfahren zur zweckmäßigen Behandlung der Leiche anwenden wird. Sobald der herbeigerufene Arzt es genehmigt, wird der Totengräber die Angehörigen von den Äußerungen der Lebenszeichen des Beigesetzten benachrichtigen.

In der Verwahrung und unter Aufsicht des Totengräbers befindet sich ein vollständiges Bette zur Aufnahme solcher, welche ein Lebenszeichen äußern sollten. Es können schleunig warme Bäder veranstaltet werden, und ist für alle diejenigen Utensilien und Medikamente gesorgt, welche zur Beförderung des aufkeimenden Lebens notwendig und dienlich sein möchten.

In der Wächterstube liegt jederzeit ein Buch offen, welches mit den Rubriken zur Einzeichnung

a) der Namen eingebrachter Personen,
b) deren Todestage,
c) der Tage und Stunden, in welchen die Leichen beigesetzt worden,
d) des ärztlichen Zeugnisses, dass unzweideutige Zeichen des Todes eingetreten sind und die Leichen beerdigt werden dürfen,
e) der Tage ihrer Beerdigungen versehen ist.

Sobald der Arzt die Erlaubnis zur Beerdigung erteilt, wird den Angehörigen davon Nachricht gegeben, um die Beerdigung ohne Verzug zu veranstalten.

Zur Beaufsichtigung der Leichen werden von der Gottesackerverwaltung besondere Wächter angestellt, die mit ihren Obliegenheiten gehörig vertraut sind und auf deren Wachsamkeit man sich verlassen kann. Dieselben haben neben Beobachtung der Leichen dafür zu sorgen, dass die vorschriftliche Temperatur in dem Leichensaale, und durch Räucherungen und Benutzung der vorhandenen Luftzüge, reine Luft in dem Leichensaale erhalten werde. Diese von der Verwaltung angestellten Wächter müssen zwar beibehalten werden, weil Andere nicht von dem, in allen Fällen anzuwendenden Verfahren unterrichtet sind, und von ihnen nicht bekannt ist, ob sie die erforderliche Wachsamkeit und Unerschrockenheit besitzen; indes wird auf besonderes Verlangen auch gestattet, dass jenen eine vertraute Person beigegeben werde.

Für den Transport solcher Leichen, welche uneingesorgt in das Leichenhaus gebracht werden sollen, sind von der Gottesacker-Verwaltung vier vertraute Träger angenommen. Diese bringen nach Anweisung des Totengräbers eine besonders dazu eingerichtete Trage in das Sterbehaus. Letztere besteht aus einem länglichen Korbe, in welchem die Leiche ausgestreckt niedergelegt werden kann. Sie ist mit den nötigen Unterlagen versehen und den Angehörigen bleibt überlassen, diejenigen Verhüllungen zu besorgen, welche erforderlich sind, um den Einfluss der Luft und Witterung möglichst unschädlich zu machen. An dem Korbe sind zwei der Länge nach angebrachte Deckel befindlich, vermittelst welcher derselbe auf dem Wege verschlossen wird. Das Einlegen der Leiche in den Korb wird von den Angehörigen besorgt, auf Erfordern sind jedoch die vom Totengräber gesendeten Träger verpflichtet, dabei behilflich zu sein. Der Transport aus dem Sterbehause in das Leichenhaus muss jederzeit diesen Trägern überlassen werden, den Angehörigen bleibt es aber unbenommen, denselben entweder selbst zu begleiten oder durch vertraute Personen begleiten zu lassen.

Die auf die gedachte Weise nach dem Leichenhause zu befördernden Verblichenen müssen in den Sommermonaten des Morgens vor 5 Uhr und in den Wintermonaten des Morgens vor 7 Uhr dahin gebracht werden. Weder die Träger noch ihre Begleiter dürfen sich dabei taut, am wenigsten über den Zustand des Transportierten unterhalten, und müssen sich ohne andern Aufenthalt als den des Wechsels der Träger in langsamen, gemessenen Schritten fortbewegen. Sie haben den kürzesten Weg zum Leichenhause zu wählen, jedoch enge Straßen, in denen Vorübergehende nicht gehörig ausweichen können, möglichst zu vermeiden. Diejenigen der beiden Träger, welche nicht eben den Korb tragen, müssen 8 bis 10 Schritte vorausgehen, um entgegenkommende Personen mit ruhigen Worten darauf aufmerksam zu machen, dass eine Leiche hinter ihnen hergetragen werde. Bei Verlust ihres Trägerlohns und Entlassung aus dem Dienste ist den Trägern untersagt, den Leichenkorb auf dem Wege zu öffnen, oder öffnen zu lassen. Sollte aber ein Verblichener während des Transportes deutliche Spuren des Lebens äußern, so sind die Träger angewiesen, ohne Weiteres nach dem Sterbehause zurückzukehren und den Angehörigen ihre Bemerkung unter Schonung und aller Vorsicht mitzuteilen. Sie dürfen aber unterwegs den Leichenkorb nicht öffnen, müssen sich aller lauten Äußerungen über den Zustand des innebefindlichen Körpers enthalten, und nur dann, wenn sie eine Besorgnis; des Verstorbenen über seine Lage bemerken, haben sie beruhigende Vorwände anzuführen, unter denen der Transport des Leidenden vorgenommen werde; zugleich die Versicherung hinzuzufügen, dass man im Begriff stehe, ihn zu seinen Angehörigen zu bringen.

Wenn eine Leiche in dem Totenhause angelangt ist, wird selbige aus dem Tragekorbe auf ein dazu bestimmtes Lager gebracht, und in diesem so aufgestellt, dass sie von dem Wächter gehörig beobachtet werden kann. Die Aufstellung muss zwar auf Erfordern von den Leichenträgern besorgt werden, doch können dies die Angehörigen auch durch eigene Leute bewerkstelligen lassen. Jedenfalls wird der Totengräber darauf sehen, dass hierbei mit der gehörigen Vorsicht und Detenz verfahren werde.

Wenn ein Verstorbener in dem Leichenhause untergebracht werden soll, so muss solches dem Totengräber so zeitig bekannt gemacht werden, dass demselben mindestens 1 Tag belassen bleibt, um die nötigen Vorkehrungen treffen zu können. Soll der Verstorbene im Sarge eingebracht werden, so muss der Letztere so dauerhaft gearbeitet sein, dass sich absetzende Feuchtigkeiten nicht durch dessen Fugen dringen können.

Vor Beisetzung einer Leiche haben die Angehörigen den schon jetzt bei Beerdigungen zu lösenden Totenzettel an den Totengräber abzuliefern, ohne welchen leine Leiche aufgenommen wird. Die Angehörigen haben ferner dafür zu sorgen, dass der Arzt des Verstorbenen die Leiche öfter besichtige, und diesen Arzt dem Totengräber namhaft zu machen. Sollte in den ersten 8 Stunden nach dem Einbringen einer Leiche kein Arzt zur Besichtigung derselben erscheinen, so wird der Totengräber den Kreisphysikus oder in dessen Abwesenheit und resp. nach dessen Bestimmung einen andern Arzt herbeirufen, und diesem die Beobachtung bis zur Entscheidung über die Unbedenklichkeit der Beerdigung übertragen.

Die Herabnahme von dem Lager im Leichenhause und der Transport nach dem Grabe muss von den Trägern des Totengräbers besorgt werden, insofern die Angehörigen hierzu nicht etwa selbst andre Leute anstellen wollen. Soll der Verstorbene Behufs der Beerdigung eingesargt werden, so müssen solches die Angehörigen verrichten lassen, und diejenigen Leute selbst annehmen, welche den Transport des Sarges in der beliebten Art nach der Ruhestätte bewerkstelligen. Wenn uneingesargte Leichen aber vom Totenhause aus nach einem andern als den Stadtgottesacker gebracht, werden sollen, so darf dieses nur in den oben bestimmten Frühstunden geschehen, die Angehörigen mögen den Transport durch die Träger des Totengräbers oder durch besondere Leichenträger besorgen lassen.

Außer den nächsten Angehörigen einer aufgestellten Leiche und dem berufenen Arzte hat Niemand in dem Leichenhause Zutritt, der nicht mit einer schriftlichen Erlaubnis des Vorstehers vom Stadtgottesacker versehen ist oder in dessen Begleitung erscheint. Den Eingetretenen ist nicht gestattet, in dem Leichenhause laut zu sprechen oder Geräusch zu verursachen, welches nicht etwa durch ärztliche Versuche zur Zurückrufung des Gebens eines Aufgestellten herbeigeführt wird. Und da die Verstorbenen durch zwischengestellte Schirme von einander getrennt werden, so ist Angehörigen der einen Leiche nicht gestattet, sich andern, zugleich, im Leichensaale befindlichen Körpern zu nähern.

Die Gebühren, welche zur Erhaltung des Leichenhauses und der Utensilien, für Entschädigung des Totengräbers, der Leichenträger und Wächter zu entrichten sind, werden abgesondert von den jetzt üblichen kirchlichen Gebühren und Begräbniskosten bezahlt, bei welchen es wie bisher verbleibt, die Verblichenen mögen in Särgen, unter Zeremonien, oder uneingesargt zur Stelle gebracht sein.

Für die Aufnahme einer Leiche im Totenhause zahlen die Angehörigen nach Maßgabe des Standes und Vermögens:
I. Wenn bei der Beerdigung nach dermaliger Observanz die ganze Schule in Anwendung gekommen ist oder sein würde, 3 Thlr.
II. Wenn die Gülden- und kleine Gülden- oder halbe Thalerschule in Anwendung gekommen ist oder sein würde, 1 Thlr. 15 Sgr.
III. Wenn die Partikular- oder Freischule in Anwendung gekommen ist oder sen würde, 22 Sgr. 6 Pf.

Wenn Leichen länger als 48 Stunden in dem Toten, Hause aufgestellt bleiben sollen, wird von obigen Gebühren ein Drittel für jede folgende 24 Stunden bezahlt.

Die 4 Leichenträger erhalten für den Transport einer Leiche aus dem Sterbe- nach dem Leichenhause oder von hier nach einem entfernteren Gottesacker von den Angehörigen in den 6 Wintermonaten überhaupt 1 Thlr. 15 Sgr., in den 6 Sommermonaten 1 Thlr., ohne Rücksicht auf die Entfernung. Für den Transport aus dem Leichenhause nach dem Grabe auf dem Stadt- oder dessen Nebengottesacker und Versenkung in das Grab erhalten die benötigten Träger zu jeder Jahreszeit 5 Sgr. pro Mann.

Der Leichenwächter erhält für 24 Stunden und für jede Leiche ohne Unterschied des Standes 1 Thlr. von den Angehörigen selbst dann, wenn mehrere Leichen zugleich aufgestellt sein sollten. Für die Entdeckung von Lebenszeichen eines Beigesetzten, welche als solche von dem Arzte anerkannt werden, zahlen die Angehörigen 5 Thlr. an den Wächter. Für notorisch Unvermögende entrichtet die Gottesackerkasse diese Prämie.

Für Erheizung der Wächterstube und des Leichensaals entrichten die Angehörigen, wenn fortwährend geheizt werden muss, 10 Sgr.; wenn aber nur zweimal geheizt zu werden braucht, 7 Sgr. 6 Pf. täglich.

Kosten für Medikamente u. s. f., welche angewendet worden sind, um den Scheintoten in das Leben zurückzurufen, werden besonders liquidiert. Die sämtlichen Gebühren müssen übrigens an den Totengräber zur bestimmungsmäßigen Beförderung abgeführt werden.

Die Entschädigung des Arztes, welcher zur Beaufsichtigung des Toten angestellt worden ist, bleibt Sache der Hinterbliebenen. Und wenn ein Arzt durch die Gottesackerverwaltung hat angestellt oder herbeigerufen werden müssen, so liquidiert dieser den Angehörigen nach der Medizinaltaxe. Die Hinterbliebenen übernehmen die Verbindlichkeit zur derartigen Befriedigung des Arztes stillschweigend dadurch, dass sie ihre Abgeschiedenen in das Leichenhaus bringen lassen.

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Während wir glauben, durch die Einrichtung des Leichenhauses abermals einem Bedürfnisse der hiesigen Gemeinde abgeholfen zu haben, müssen wir bitten, den für dasselbe gegebenen Anordnungen überall nachzukommen. Die Erfahrung wird lehren, ob hierin oder für die Einrichtung des Leichenhauses überhaupt in der Folge zweckmäßige Änderungen zu treffen sind, und wird es uns angenehm sein, hierzu von Unterrichteten dienliche Vorschläge zu erhalten. Halle, den 16. Dezember 1829. Der Magistrat, Dr. Mellin. Bertram. Lehmann.