Die Authochthonen

Die Ausgrabungen aus den verschiedenen Gräbern haben mancherlei menschliche Gerippe zu Tag gebracht, die nicht allein mit dem jetzt in Mecklenburg wohnenden Menschenstamm nicht übereinstimmen, denn diese sind bekanntlich erst viel später eingewandert, sondern auch nicht mit dem, der diesen Einwanderern vorausging. Es lassen sich hier ganz bestimmt 2 verschiedene Stämme unterscheiden, die sich auch ganz besonders durch ihre Gräber selbst unterscheiden. Der kompetenteste Forscher in diesen Dingen, der Prof. Nilsen in Lund, teilt diese Gräber in Urgräber (Hunnengräber) und Kegelgräber. In den ältesten Gräbern Skandinaviens kommen hockende menschliche Gerippe vor, während die zweite Art nie solche Leichen enthält. Diese enthält immer nur eine liegende Leiche, oder Urnen mit Asche und Reste verbrannter Knochen, und stets Geräte von Metall (Bronze). Das Urgrab dagegen ist stets mit mehren Leichen gefüllt, weshalb man sie in Schweden auch Familiengräber nennt. Von Leichenbrand findet sich in den Urgräbern nie eine Spur. Die beiden Gräberarten sind in allen Beziehungen scharf geschieden. So charakteristisch, wie sich die Gräber Skandinaviens von einander unterscheiden, eben so deutliche Unterscheidungszeichen tragen auch die bis jetzt darin aufgefundenen Gerippe: Die Leichen des Urgrabes sind von einer nicht hochwüchsigen Rasse; die Schädel, welche die Kronnaht in zwei gleiche Teile teilt, wovon der hinterste breiter als der vorderste ist, sind auffallend klein, kugelförmig, fast rund, die Kinnbackenknochen und das Nasenbein stehen sehr hervor, der Nacken ist kurz, das Gesicht klein, und besonders unterschieden sind sie von Schädeln andrer Stämme, so dass sie in keiner Art damit verwechselt werden können, durch die auffallend niedrige, sehr zurückgeschobene Stirn, welche auf Menschen der niedrigsten Kulturstufe hinweist. — Die Gerippe des zweiten Grabes gehören einer durchaus hochwüchsigen Rasse an, die Schädel, bedeutend größer, als die vorigen, sind ein Oval, nach hinten breiter, als vorne, die Stirne ist hoch, gewölbt, erhaben, im Profil fast senkrecht. Die Kronnaht teilt die Colotte in zwei ungleiche Teile, der hintere ist der längere. Unterkiefer werden von Nilsen nicht erwähnt, sind in Skandinavien vielleicht nicht aufgefunden, oder nicht für relevant betrachtet. In Mecklenburg bat man einen menschlichen Unterkiefer gefunden, der breit, senkrecht stehend, ohne Zähne (welche alle ausgefallen sind), vom Moor dunkelbraun gefärbt, mit einem runden Schleifstein zugleich in einem der Moore Letschow bei Schwan beim Torfstechen gefunden. (Mecklenb. Jahrb. XVIII. 1853. p. 345.) Wo dieser Unterkiefer eigentlich hingehört, müssen erst später genauere Untersuchungen zeigen. — Der Volksstamm mit letzteren Schädeln steht, wie die bei den Leichen gefundenen Geräte und Schmucksachen von Bronze bezeugen, unbedingt auf einer höhern Bildungsstufe, als derjenige mit den runden Schädeln, mit niedriger und zurückgeschobener Stirn. Bei diesen finden sich nur Geräte von Knochen und Stein, und Gefäße und Schmuck von gebranntem Thon.

In Mecklenburg wurden nun verschiedene Reste menschlicher Leichen gefunden, wie ich in meinen Beiträgen zur Geschichte der Medizin in Mecklenburg 1850 angeführt habe. Seit dieser Zeit, als man mehr Sorgfalt auf die Ausgrabungen der Gräber verwandte, gab es wieder neue Funde. Es gehört dahin das Grab und die Leiche am Plau (cfr. Mecklenb. Jahrb. XII. 450.) Die Leiche wurde bockend gefunden; die Stirn liegt fast ganz hintenüber, und ist nicht 1“ hoch; leider ist nicht viel mehr, als die Stirn von dem Schädel erhalten. Diesen Schädel hat A. G. Masch in den Mecklenb. Jahrb. XVIII. Bd. p. 301 — 307 einer, kritischen Untersuchung unterworfen; leider fehlt dabei die so notwendige Abbildung. Er verweiset aber auf einen in diese Kategorie gehörenden Schädel, gefunden in einem Urgrabe auf der Insel Moen (Dagen, dansk folkeblad, 15. Sept. 1837, woselbst eine vorzügliche Abbildung) und auf die Hirnschale aus dem Luche bei Fehrbellin (Mecklenb. Jahrb. IX. 36), welche unbedingt das Fragment eines Urschädels ist. Sie trägt alle Zeichen des Schädelfragmentes von Plau und bleibt immer merkwürdig durch den scharfen und genauen Schnitt mitten durch die Augenhöhlen, welcher den Oberteil des Schädels, die Calotte, vom Unterteile trennte. Auch mit dem Schädel, der in der Tiefe des Sülzer Torfmoors gefunden wurde, soll der Schädel von Plau (nach Lisch, Mecklenb. Jahrb. XVIII. p. 308) übereinstimmen. Am angeführten Orte ist nun ein Streit entstanden zwischen Lisch und Masch, ob dieser Schädel von Plau der s. g. Steinperiode angehört, oder den Schädeln der Steinperiode voraufgeht. Lisch charakterisiert die Schädel der Steinperiode als schmächtig, nicht stark, aber regelmäßig ausgebildet, mit schmaler, jedoch hoher Stirn, ohne starke Hervorragungen und Biegungen an den Backenknochen, der Schädel von Plau dagegen hat nach ihm eine schmale, niedrigflache Stirn und starke Backenknochen, und stimmt nicht zu den Schädeln der Steinperiode. Ferner, sagt er, stimmen die antiquarischen Verhältnisse Schwedens nicht zu denen Norddeutschlands. Alle Schädel, die in Mecklenburgischen Gräbern der Steinperiode gefunden sind, haben nicht die Eigentümlichkeit der ältesten skandinavischen Schädel. Lisch glaubt daher, dass der Schädel von Plau der Steinperiode voraufgehen müsse, da er weit weniger entwickelt ist und gar keine Aehnlichkeit mit diesen hat. — Es ist unmöglich diesen Streit nach der Beschreibung, die von Nicht-Anatomen gemacht ist, zu entscheiden. Auch der Knochenbau der Gerippe wird zu Rate gezogen werden müssen. Es sind daher vor Allem Abbildungen, sehr gute Abbildungen mit genauen anatomischen Messungen notwendig. Dazu würde am besten die Photographie sich eignen, wie auch dazu, bei Ausgrabungen die Leichen und Gerippe zu kopieren, da diese meistens beim Versuch der Ausgrabung zerstört werden. Gerippe und namentlich die Schädel haben schon wichtige ethnographische Resultate gegeben und bei den Forschungen in der dunklen Urzeit sind sie bedeutsame Fingerzeige, und leiten zu einem sichern Erkennen und Unterscheiden der Völkerstämme, welche damals gelebt hatten.


Eine gleiche Schädelform wurde bei Elberfeld gefunden; Prof. Schaaffhausen von Bonn, der auf der 33. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte den Gipsabdruck davon vorzeigte, hält es im Hinblick auf die gleiche in Mecklenburg und in Russland gefundene Schädelform für glaubhaft, dass diese der ursprünglichen Menschenrasse angehören, welche Mitteleuropa bewohnt hatte, und von den alten Germanen verdrängt worden ist.

Mit dem Schädel von Plau stimmt ein Stirnbein, das in einem Grabe bei Schwaan gefunden wurde. Es wurden daselbst 8 Leichen in hockender Stellung gefunden. Es ward versucht, von diesem Funde so viel als möglich zu retten. Das meiste zerfiel unter dem Spaten, und konnte nur das Stirnbein mit dem obern Teile der Augenhöhlen, Schädelstücke, ein sehr mürber Backzahn und ein Teil der stärkeren Knochen der Gerippe gerettet werden. (Mecklenb. Jahrb. XIX. 301.) Welchen Vorteil die Photographie gebracht haben würde, tritt hier recht deutlich hervor! Dieses Stirnbein ist sehr merkwürdig, da es dem Stirnbein aus dem Urvolkgrabe bei Plau völlig gleich ist: dieselbe starke Erhöhung unter den Augenbraunen, dieselbe niedrige Stirn, dieselbe breite Nasenwurzel; diese beiden, völlig gleichen, ungewöhnlich wenig ausgebildeten und niedrigen Stirnbeine können für den Forscher sehr wichtige Ergebnisse zur Kulturgeschichte liefern. Aus den vorhandenen Stücken könnte wohl ein in ethnographischen Untersuchungen erfahrener Osteologe das ganze Skelett dieser Leiche konstruieren. Es sind sicher Reste der ältesten Schädel, und dürften auf einen mongolischen oder verwandten Stamm schließen lassen.

Bei Grüssow fand man in dem Erdboden die Reste einer nicht verbrannten Leiche (Meckl. Jahrb. XVI. 1851. p. 252), wovon z. B. die Schenkelknochen noch fast ganz vorhanden sind. Würden alle diese Reste genau gemessen und abgebildet, und da man nicht immer einen erfahrenen Anatomen zur Hand hat, am besten durch Daguerrotypie resp. Photographie, so konnten aus diesen Abbildungen Forscher, wie Nilsen, leicht in den Stand gesetzt werden, ein kompetentes Urteil abzugeben, um die Ureinwohner der Mecklenburgischen Lande zu ermitteln. Die Vergleichung der Urschädel mit authentischen Schädeln noch heute im hohen Norden lebender Volksstämme hat ergeben, dass erstere denen der Lappen, vulgo Finnen, bis auf die geringste Kleinigkeit gleich sind, und nicht allein daraus, sondern auch noch aus mehren Elementen folgert Nilsen, dass die Lappen unsrer Zeit der Rest des Urvolkes sind, welches ein später eingewanderter Stamm teils aufrieb, teils in die unwirklichen Gegenden des Nordens hinaufdrängte.— Auch die steten Begleiter der Lappen, die Elen- und Renntiere, haben früher in Mecklenburg gelebt, wie die jetzt häufiger, aufgefundenen Reste dieser Tiere bezeugen (Mecklenb. Jahrb. XVI, 350).

Auch der spätere Stamm, der wohl das Urvolk verdrängte, der zwar nicht die Spur von Sagen oder Geschichte hinterlassen hat, hat uns doch einige stumme Denkmäler aufbewahrt, die uns von der dunklen, ungenannten Vorzeit, von welcher Alles schweigt, noch etwas werden zu erzählen wissen, wenn wir erst gelernt haben, sie zum Sprechen aufzufordern. Es ist noch hier die Stille des Grabes, in dessen Heiligtum wir eindringen müssen; es sind auch hier die Gräber, Leichen und ihre Geräte. Da jedoch dieser Stamm seine Todten zu verbrennen pflegte, so sind die Reste der menschlichen Gerippe selten; allein diese Reste lassen doch einen Schluss ziehen. So fand man in dem Herrberg, einem Kegelgrabe bei Schwan, die Reste eines menschlichen Gerippes, bestehend aus der Schädeldecke, andern Teilen des Kopfes, dem Unterkiefer, einem Teile des Oberkiefers mit verschiedenen Zähnen, den Schenkelknochen, Armröhren, der Hälfte des Beckens nebst andern Knochenfragmenten. (Mecklenb. Jahrb. XIX. 300.) Die Zähne sind alle gesund gefunden worden. In der Nähe fand man abermals die Spuren eines menschlichen Gerippes (p. 304), wovon ein Theil des Schädels, der Kiefern mit den Zähnen, einige der größeren Knochenstücke und die Kniescheibe gerettet wurden. Der Grad der Festigkeit der Knochen, der Bau des Schädels und Zahnstellung gleichen den oben beschriebenen Knochenresten, deuten jedoch auf einen kleineren Menschen, vielleicht ein Frauenzimmer. — Noch von einer dritten Leiche aus der Nähe Hessen sich einige Skelettreste retten, sie sind von fester Beschaffenheit und scheinen einem großen Manne (die Leiche nahm einen Längenraum von 5 1/2 Fuss ein) angehört zu haben. — Von allen diesen Gerippen ist genug gerettet, um auch daraus die Rasse erkennen zu können. Ohne hier irgendwie dem künftigen Sachkundigen vorgreifen zu wollen, dürften diese Reste auf einen kaukasischen Stamm schließen lassen. —

Ein sorgfältig gearbeitetes Bilderwerk, das alle diese Reste menschlicher Leichen in getreuen Abbildungen wiedergäbe, wäre eine schöne Aufgabe für die rühm würdige Tätigkeit des Mecklenb. Vereins für Geschichte und Altertumskunde, die bei den neuen Ausgrabungen durch photographische Zeichnungen an Ort und Stelle vermehrt werden müssten. —

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das medizinische Mecklenburg