Speier, die Totenstadt deutscher Kaiser

Bei dem obigen kurzen Überblick der wichtigsten Punkte des Speier und Wormsgaus haben wir uns an das vom Rhein ziemlich entfernte Hartgebirge gehalten. Die Rheinufer sind malerisch weniger anziehend, ihr romantisches Interesse bleibt aber noch groß genug. Wie Frankfurt die Wahl-, Achen die Krönungsstadt, so ist Speier die Totenstadt unserer Kaiser. Den Römern schon als die Hauptstadt der Nemeter (Civitas Augusta Nemetum) bekannt, von dem Merovinger Dagobert aus dem Schutt der Völkerwanderung erhoben, erstieg es unter den fränkischen Kaisern, die hier heimisch waren, die höchsten Stufen seines Glanzes. Konrad der Salier, der auch den Namen des Speierers führt, ward der Stifter seines berühmten Kaiserdoms. Als sein gleichnamiger Sohn von der hohen Limburg herabgestürzt war, genügte es der frommen Gisela nicht, dass ihres Sohnes Todesstätte Gott geheiligt worden. Das zweite Jahrtausend nach Christi Gehurt war angebrochen und das prophezeite Weltende nicht eingetreten. Man glaubte der göttlichen Erbarmung Dankopfer schuldig zu sein, und zumal Konrad, der erste seines Geschlechts, der den Herzogshut mit der Kaiserkrone vertauscht hatte, welche er seinem einzigen noch übrigen Sohne Heinrich zu erhalten hoffte, musste sich der Gnade des Himmels zugleich verpflichtet und fernerhin bedürftig fühlen. Vielleicht wirkte noch ein dritter Beweggrund mit. Gisela, gleich dem Kaiser aus karolingischem Geschlecht, war eine so nahe Verwandte ihres Gemahls, dass Manche ihre Ehe für unerlaubt hielten. Heiraten in zu naher Verwandtschaft droht noch heute das Volkssprichwort mit ,,Sterben, Verderben oder ohne Erben.“ Als nach des erstgebornen Konrads Sturz ihr der einzige Heinrich übrig blieb, mochte Gisela, jener Drohung eingedenk, auch für dessen Leben zittern, und den Zorn des Himmels zu versöhnen bedacht sein. Auf die Bitte seiner Gemahlin gelobte Konrad in seiner Hauptstadt Speier einen neuen Dom, eines Kaisers würdig-, Gott und der heiligen Jungfrau zu Lob, und zugleich zu Ehren des Evangelisten Johannes eine dritte Kirche auf dem nachher sogenannten Weidenberge zu erbauen, wo seine Vorfahren, die rheinfränkischen Herzoge und Grafen des Speiergaus, ein Hofgut besessen hatten. Am zwölften Juni 1030 vor aufgehender Sonne legte er auf seinem Stammschlosse Limburg bei Dürkheim den ersten Stein zu der Abtei, ritt dann in Begleitung der Fürsten, welche der feierlichen Handlung beigewohnt hatten, durch die blühende Ebne nach Speier, wo er zuvörderst den Grundstein des Doms und noch vor dem Imbiss den ersten Stein zu St. Johann legte. Letzteres erhielt später, als die irdischen Reste des heiligen Guido von Ravenna vor dem Hochaltare beigesetzt wurden, den Namen des Weidenstifts. Die Vollendung des Doms, den er sich und seinen Nachfolgern, die diesseits der Alpen sterben würden, zur Begräbnissstätte geweiht hatte, erlebte Konrad nicht, aber er und Gisela sind darin beerdigt. Ihr Sohn, Kaiser Heinrich III. folgte ihnen zwar im Reiche, ganz jedoch hatte der Zorn des Himmels nicht beschwichtigt werden können, denn diesen kraftvollen Fürsten riss ein frühzeitiger Tod plötzlich hinweg und sein kaum sechsjähriger Sohn, Heinrich IV. ward durch die Verirrungen seiner Minderjährigkeit an dem meisten Unglück Schuld, das Deutschland in den folgenden Jahrhunderten betraf. Auch Heinrich III. ist in Speier beerdigt, aber seinem Sohne schien in dem Dome, den er ausgebaut hatte, keine Ruhestätte beschieden. Mitten in die Kämpfe zwischen Kirche und Staat, in die eifersüchtigen Reibungen der fränkischen und sächsischen Völker hineingeworfen, die zu schlichten kaum ein Kaiser mit eisernem Sinn und Willen vermocht hätte, ward er das Opfer verwahrloster Erziehung und ungezügelter Begierden. Was der Jüngling leichtsinnig verbrochen hatte, musste der Greis jammervoll büssen. Nach so vielen Demütigungen, von welchen die bekannte im Schnee von Canossa eine welthistorisch symbolische Bedeutung erlangte, traf ihn in den Empörungen seiner Söhne der härteste Schlag. Der Krone beraubt, seiner Ehren und Würden entkleidet, bat er den Bischof von Speier, den er erhoben hatte, um eine Pfründe an seinem Münster, damit er in grauen Tagen nicht Hungers sterbe. Und doch tat er eine Fehlbitte. Nicht einmal sein Tod konnte seine Feinde versöhnen.

Der Bischof von Lüttich, der ihn mit kaiserlichen Ehren bestattet hatte, musste seine Leiche mit eigenen Händen ausgraben, weil ihr der Bannfluch geweihte Erde verbiete. Auf einer einsamen Insel der Maas ohne Sang und Klang niedergestellt, erbarmte sich ihrer nur ein zufällig vorüberkommender Mönch, der dem barmherzigen Samariter gleich durch eine schöne menschliche Tat die ganze Christenheit beschämte. Er weilte bei dem Sarge und sang Tag und Nacht über ihm Busspsalmen und Totengebete. Als Heinrich V. endlich in sich ging und den Leichnam des Vaters nach Speier bringen ließ, war die Kirche, die unzärtliche Mutter, noch nicht versöhnt und verbot den Kaiser im Königschor beizusetzen, bis der heilige Vater den Bann gelöst habe. Fünf Jahre standen Heinrichs irdische Reste unbeerdigt in der von ihm erbauten St. Afrakapelle und nur die getreuen Speierer schreckte der Bann nicht, seiner Seele Gebetsopfer darzubringen. Endlich brachte Heinrich V. dem verratenen Vater die Lossprechung aus Italien mit, bestattete ihn feierlich in die Kaisergruft und erteilte den Speierern für ihre unverbrüchliche Treue die erste Urkunde ihrer Freiheit. Einigermaßen mildert dies seine Schuld, aber noch hing sie schwer und unheilbringend über seinem Haupte, und als auch Er mit Helm und Schild in die Gruft zu Speier getragen wurde, da weinte kein Sohn am Sarge des letzten Kaisers vom salischen Stamm. Der Vaterfluch hatte seine Lenden unfruchtbar gemacht, und die Krone ging, nach einem kurzen sächsischen Zwischenreich, auf die Hohenstaufen über, die durch eine Tochter Heinrichs IV. von den Saliern stammten. Hier ist der Ort eine rührende speierische Volkssage einzuschalten, die, wenn sie auch nicht buchstäblich mit der Geschichte übereinstimmt, ihre Bedeutung als ,,das Weltgericht“ desto schöner hervorhebt. Wir berichten sie mit den Worten eines talentvollen jungen Dichters, Max von Oër.


Die Glocken zu Speier.

Zu Speicr im letzten Häuselein,
Da liegt ein Greis in Todespein,
Sein Kleid ist schlecht, sein Lager hart,
Viel Tränen rinnen in seinen Bart.

Es hilft ihm Keiner inu seiner Not.
Es hilft ihm nur der bittre Tod.
Und als der Tod ans Herze kam,
Da tönt's auf einmal wundersam.

Die Kaiserglocke, die lange verstummt,
Von selber dumpf und langsam summt,
Und alle Glocken groß und klein
Mit vollem Klange fallen ein.

Da heißt's in Speier weit und breit:
Der Kaiser ist gestorben heut!
Der Kaiser starb, de Kaiser starb:
Weiss Keiner, wo der Kaiser starb?

Zu Speier, der alten Kaiserstadt,
Da liegt auf goldner Lagerstatt
Mit mattem Aug und matter Hand
Der Kaiser Heinrich, der Fünfte genannt.

Die Diener laufen hin und her.
Der Kaiser röchelt tief und schwer,
Und als der Tod an's Herze kam,
Da tönt's auf einmal wundersam.

Die kleine Glocke, die lange verstummt,
Die Armesünderglocke summt
Und keine Glocke stimmt mit ein,
Sie summt so fort und fort allein.

Da heißt's in Speier und weit uml breit.
Wer wird denn wohl gerichtet heut?
Wer mag der arme Sünder sein?
Sagt an, wo ist der Rabenstein?

Mit Heinrich V. schließt die erste Reihe der zu Speier begrabenen Kaiser. Sie ruhen neben einander, nur bei Konrad seine Gemahlin, die fromme Gisela, bei dem vierten Heinrich seine vielgetreue, von ihm so oft bitter gekränkte Bertha, dieselbe, von welcher das italienische Sprichwort redet: Non è più il tempo che Berta filava. Über den Gräbern erhoben sich Sarkophage von rotem Marmor, in welche bezeichnende Worte eingehauen waren, die, wenn man von Sarg zu Sarg hinüberlas, die Verse bildeten:

Filius Hic — Pater Hic — Avus Hic — Proavus jacet istic,
Hic Proavi Conjunx — Hic Henrici Seniuris.

Von den Hohenstaufen liegt nur König Philipp, der Ermordete, und des Rotbarts Gemahlin Beatrix nebst ihrer Tochter Agnes zu Speier begraben, von den Habsburgern Rudolf und sein ungleicher Sohn Albrecht. Kaiser Rudolfs Ritt zum Kaisergrabe — er war in dem benachbarten Germersheim, seinem Königssitz, erkrankt, und ritt im Vorgefühl des Todes nach Speier, um seinen Leib in die Gruft seiner Vorfahren zu tragen — ist von mehrern deutschen Dichtern besungen worden. In meinen Rheinsagen habe ich W. Wackernagels Behandlung vorgezogen, welcher folgenden schönen von dem gleichzeitigen Chronisten Ottokar von Horneck uns erhaltenen, ohne Zweifel historischen Zug einzuflechten gewusst hat. Ein Steinmetz, wie Ottokar bescheiden meldet, hatte noch bei Rudolfs Lebzeiten, sein lebensgroßes Bild auf einem Stein ausgehauen und zwar so getreu, dass auch die Falten seiner Stirne nicht vergessen waren. Als der Kaiser nun zu Grabe geritten, reiste er ihm nach, um auch die letzten Furchen, die das Alter noch in das Antlitz des nun Heimgegangenen gegraben hatte, auf sein Bild nachzutragen. Und damit verstieß er nicht gegen die Regeln seiner Kunst, denn:

,,Wer so in Sorgen war des Reichs Erhalter,
Auf dessen Stirm ist jede Falte heilig.“

Dieser Stein ward nun sein Dach, singt Ottokar. Vermutlich ist es derselbe, welcher sich jetzt in der Antiquitätenhalle befindet. Rudolfs Gestalt ist hocherhaben ausgehauen, auf dem Rücken liegend, die Hände über der Brust gefaltet. Das Gesicht bezeichnet einen magern Greis, die Runzeln der Stirne sind scharf ausgegraben, das Haupt deckt die Königskrone, ein faltenreicher Talar geht ohne Gürtel zu den Füssen, die auf einen ruhenden Löwen gestellt sind. Brust und Schultern verzieren Wappenschilder mit dem Adler und springenden Löwen.

König Albrecht von Österreich und Kaiser Adolf von Nassau, im Leben Nebenbuhler und erbitterte Feinde, ruhen in Speier friedlich neben einander aus, beide Opfer des Königsmords, Adolf von Albrechts, aber in offener, ehrlicher Schlacht, Albrecht gleich jenem Philipp, mit dessen Schicksal das seinige große Ähnlichkeit hat, meuchelmörderisch von der Hand eines Verwandten gefällt. Ungroßmütig hatte Albrecht seinem Gegner das Grab in Speier versagt, um ihm noch im Tode die königliche Würde zu weigern. Nach Albrechts Hingang ließ sein Nachfolger, Heinrich VII. beide Gegenkönige an demselben Tage, und nur eine Handbreit von einander in die Kaisergruft senken. Wie gerecht richtet die Geschichte! Adolfen gab sie einen beneidenswerten Tod; sein Mörder Alhrecht fiel durch Mörders Hand. Adolfs Ruhe im Grabe wurde nicht gestört; Albrechts Grab schändeten und beraubten die Franzosen. Über Adolfs Asche erhebt sich jetzt, nach Zerstörung der alten Denkmäler, ein neues von seltner Schönheit, welches der Herzog von Nassau seinem königlichen Ahnherrn errichten ließ; Albrechts Gedächtnis hat die Kunst nicht erneuert.

Wir haben Speier die Totenstadt unsrer Kaiser genannt. Galt sie aber unsern Altvordern vielleicht für die Totenstadt überhaupt? Da es schwer ist, in diesen mythischen Halbfinsternissen klar zu sehen, so wollen wir die Leser selber urteilen lassen. Man weiß aus Grimm, dass hier und da auch bei den Deutschen die Vorstellung auftaucht, als ob die Seelen der Verstorbenen durch ein stygisches Wasser müssten, welches das Reich der Lebendigen von dem der Toten scheide. Selbst die Sitte, den Leichnamen eine Münze in den Mund zu legen, damit sie das Fährgeld zahlen könnten, muss uns einst nicht fremd gewesen sein. An einigen Orten und darunter auch zu Speier, weiß der Volksglaube, dem uralte heidnische Erinnerungen zu Grunde liegen mögen, von gespenstischen Erscheinungen zu erzählen, die durchaus an solche Vorstellungen erinnern. In stürmischer Nacht wird z. B. ein schlaftrunkner Schiffer von einer unheimlichen Gestalt geweckt, die ihm den Fährlohn in die Hand drückt und über den Strom gebracht zu werden verlangt. Statt des Einen steigen dann Sechse ein und wenn der Schiffer nicht gleich abstößt, so füllt sich der Kahn mit schwarzen und weißen Gästen, dass der Fährmann keinen Raum für sich selber behält. Ist er endlich drüben, so wirft ein Sturm den Kahn an die Stelle der Abfahrt zurück, wo schon neue Reisende harren und das gespenstische Wesen von Neuem angeht. Zuweilen haben die Unbekannten auch ihre eigenen Nachen, die so gedrängt voll geladen werden, dass der Rand kaum fingerbreit über dem Wasser steht. Nicht immer sind die Reisenden sichtbar, aber deutlich werden ihre Stimmen vernommen. Schon Procop hat eine solche Überlieferung aufgezeichnet, jene zu Speier von den überschiffenden Mönchen hat Georg Sabinus nach Melanchthons Erzählung in Reime gestellt. Es ist gewiss nicht zufällig, dass diese weitverbreitete Sage unter allen Rheinstädten gerade in Speier heimisch ist. Doch könnte man fragen, ob die Gräber unsrer Kaiser zu der Ansiedelung der Sage Veranlassung waren, oder ob umgekehrt die fränkischen Kaiser ihre Begräbnisse nach Speier verlegten, weil die dortige Gegend unsern Vätern für das Land der Seelen galt?

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das malerische und romantische Deutschland