Mannheim

Mannheim, eine Stadt neuen Datums und des allermodernsten Ansehens, zählt als Ort doch schon ein Jahrtausend. Die Herleitung von Mannus, dem mythischen König der Deutschen, dem Sohn des erdgebornen Tuisco, ist nicht besser als die von dem eddischen Mannheim, der Wohnung der Menschen. Der heutigen Stadt, die nicht viel über ein Jahrhundert zählt, wollen wir den Ehrennamen einer schönen, der ihr allgemein beigelegt wird, nicht streitig machen; wie weit aber müssen die Begriffe des Schönen und des Malerischen in der Anwendung auf Städte auseinanderliegen! Eine strohgedeckte Bauernhütte würden Maler lieber zur Darstellung wählen als des eleganten Mannheims stolze Palläste. Die breiten, schnurgeraden, im rechten Winkel, A-Quadrat gleich. B-Quadrat, sich kreuzenden Straßen, die Mannheim so eigentümlich sind, wie Karlsruhe seine Fächergestalt, erregen durch Einförmigkeit und Leere leicht Langeweile. Lieber die engen krummen Straßen, die winkligen Gässchen, die himmelhohen Häuser unserer alten Rheinstädte, denen man es ansieht, dass sie das Produkt der Geschichte sind, dass ein wirkliches Bedürfnis sie hervorrief, als diese hohlen Seifenblasen fürstlicher Willkühr. Gleichwohl ist die Lage zwischen Rhein und Neckar für den Handel noch glücklich genug gewählt und die schon im Bau begriffene Eisenbahn nach Heidelberg wird Alles hinzufügen, was der Freund schöner Natur bisher in diesen Flächen vermisste.

Nicht leicht wird ein Deutscher sich in Mannheim aufhalten, ohne das dortige Theater zu besuchen, das in der Geschichte der deutschen Bühne, wenn es eine gibt, ja der Literatur, die nicht zu leugnen ist, eine so glänzende Stelle einnimmt. Damals schien es allerdings, als sollte eine deutsche Bühne sich bilden, als Iffland, Beck u. A. Zierden der Mannheimer Bretter, Dalberg Intendant und unser Schiller eine Zeitlang Theaterdichter war. Hier wurden bekanntlich seine Räuber zum Erstenmal aufgeführt. Doch der unvaterländische Sinn der Deutschen und der Mangel alles öffentlichen Lebens trugen auch diese Hoffnungen zu Grabe. Das Mannheimer Haus teilt jetzt das Schicksal aller deutschen Bühnen, französische Vaudevilles und Scribe'sche Machwerke entweihen es. Bedeutungsvoll zeigt gerade ein Kirchhof zu Mannheim Kotzebues und Sands Begräbnisse. Es war in der Nähe des Theaters, wo der Mann, mit dem der Verfall der deutschen dramatischen Kunst begann, von dem Jüngling ermordet wurde, welchen der Schmerz über die sittliche Unwürdigkeit der Zeit zu einer Tat höchster Unsittlichkeit fortriss.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das malerische und romantische Deutschland