Die Schlossruinen
Um die Schlossruinen zu besuchen, betreten wir jetzt die Musenstadt, und drängen uns durch das Gewühl der Reisenden vor dem Gasthaus zum Prinzen Karl nach dem sich hier emporziehenden Burgweg. Da aber eben mehrere Esel-Cavalcaden hinaufreiten, so zwingt uns unsere Ungeduld die von den schönen Reiterinnen fast gesperrte Straße bald wieder zu verlassen und den mit steinernen Treppen aufgemauerten Fußweg einzuschlagen, der unter hohen breitschattenden Fruchtbäumen an dem sanften Abhänge vorbeiführt, wo einst Klara von Dettens Garten stand. Hier war es, wo der siegreiche Friedrich, der uns von Seekenheim her bekannt ist, im Arm der Liebe von Schlachten und Zeitstürmen ausruhte. Er, der Besieger übermächtiger Feinde, der dem Papst und dem Kaiser zugleich zu trotzen wagte, hatte den schönsten Sieg über sich selber davongetragen. Sein Bruder, Ludwig der Sanftmütige, war in blühender Jugend verstorben und dessen Erbe Philipp, ein einjähriger Knabe, wäre mit der Pfalz ihren Feinden zum Opfer geworden. Da ergriff Friedrich der Siegreiche das Ruder mit starker Hand, ja er nahm auf die dringende Bitte seiner Stände, die den Wunsch des Landes aussprachen, die kurfürstliche Würde an. Wohlan, ich will euer Kurfürst sein, sprach er zu den Versammelten im Rittersaal; aber den kleinen Philipp auf den Arm hebend fügte er hinzu: und dein Vater, guter Knabe. Nicht für sich und seine Nachkommen, sondern für seinen unmündigen Neffen wollte er auf dem Schlosse seiner Väter herrschen und in schwierigen Zeitläuften die Grenzen des Landes schirmen und erweitern. Ihm zu Gunsten verzichtete er auf eine standesmäßige Vermählung, schloss ,,ein geliebtes, nicht fürstliches Weib,“ die edle Augsburgerin, die er selbst urkundlich seine Sängerin nannte, an sein Herz, kaufte seinen Nachkommen die Grafschaft Löwenstein, welche sie noch heute besitzen, und ließ sein häusliches Glück von Kemnat, seinem Freund und Lehrer, im Gesänge feiern. ,,Wer nur ein gefühlvolles Herz hat,“ sagt N. Vogt, ,,kann sich leicht vorstellen, wie süß Friedrichen die Umarmung seiner geliebten Klara nach der Schlacht von Seckenheim müsse gewesen sein, wo er die zwei reizendsten Genüsse einer edeln Seele, Ruhm und Liebe, zugleich fand.“ Bekanntlich erheben jetzt die regierenden Grafen von Löwenstein-Wertheim, als Sprösslinge aus Friedrichs und Klaras rechtmäßiger Ehe, Ansprüche auf die Nachfolge in den pfalzbayerischen Landen.
Friedrich des Siegreichen Werk ist auch der sogenannte gesprengte Turm, der uns dort, sobald wir vor das mittlere Schlosstor getreten sind, über den breiten Burggraben als ein Wunder der Zerstörung entgegenblickt. Unendlich schöner und malerischer ist dieser Turm in seinen Trümmern als er in den Tagen seines Glanzes gewesen sein kann. Man möchte es der Verheerungssucht der Franzosen Dank wissen, dass sie im Orleans'schen Kriege diese fast cyklopischen Mauern auseinandersprengten und so das Innere des gewaltigen Baus unsern Blicken aufschlossen. Das abgerissene Mauerstück, das halb im Graben liegt, halb an das stehengebliebene Gemäuer emporreicht, gewährt den Anblick, als würde es eben von der Gewalt des Pulvers hinweggeschleudert. Zwei übereinander stehende gotische Säulen, von eben so schönen Formen als gigantischen Verhältnissen, tragen die steinernen Gewölbe der beiden uns durch die Zerstörung eröffneten Turmhallen. Die oberste hat noch einen Überbau mit offener Gallerie, aus deren Gestein junge Bäume mit kräftigem Wuchs emporschießen. Da dieser Punkt durch die Schlüsselbewahrerin zugänglich gemacht werden kann, so treten oft hinter dem Gebüsch, das die Turmruine krönt, kräftige Gestalten in Reisekleidern hervor, was eine überraschend schöne Wirkung macht. So vielfach dieser Turm gezeichnet oder in Worten geschildert ist, keine Abbildung, keine Schilderung reichte je auch nur von fern an die Natur, während sonst, die Erscheinung eben keine seltene ist, dass sich die Dinge im Bilde bei weitem besser ausnehmen als in der Wirklichkeit. Man empfiehlt mit Recht als den vorteilhaftesten Standpunkt die Tiefe des Schlossgrabens, etwa bei dem untern Fürstenbrunnen, wo Matthison seine berühmte Elegie in den Ruinen eines Bergschlosses gedichtet haben soll. Die schöne und gefühlvolle Welt Heidelbergs pflegt sich jetzt in dem gesprengten Turm zu Konzerten und Gartenharmonieen zu versammeln, welche in solcher Umgebung wahrhaft zauberisch klingen. Oft ist es als mische sich voller Wohllaut die Stimme Klara Dettens, der geliebten Sängerin des Turmerbauers, oder der prophetische Gesang jener Jetta, der ersten Bewohnerin des Hügels, in die vollen Musikchöre.
Durch den sogenannten Riesenturm, das Haupttor des Schlosses, gelangen wir jetzt in den Burghof, ein Moment, der in unserm ganzen nachherigen Leben Epoche zu machen bestimmt ist, vorausgesetzt, dass wir ihn zum Erstenmal erleben. Der Boden, den wir treten, ist geheiligt, in Deutschland gibt es keinen zweiten so klassischen Raum, nirgend strömt uns wieder diese Fülle der bedeutendsten Erinnerungen entgegen. Aber nur dem Einsamen erscheinen die hehren Gestalten der Vorzeit, nur dem gesammelten Gemüte stehen sie Rede; hier aber entfliehen sie vor dem Schwarm der Gäste, die Silens abscheuliches Tier unterdess zu ihren geweihten Wohnsitzen getragen hat. Die schaulustigen Fremden pflegen selten viel nach dem Rittersaal in König Ruprechts Bau, noch nach Otto Heinrichs geschmackvollem Palast zu fragen, sie kümmert weder der achteckige Turm noch die Ruprechtinische Kapelle; aber das Gewölbe darunter, worin das weltberühmte Heidelberger Fass liegt, muss ihnen aufgeschlossen werden. Statt eines finden sie da zwei Fässer, ja sie erfahren von einem dritten ältesten, gleichsam dem Großvater des jetzigen größten Fasses. Aber leider sind beide Fässer leer; ein Umstand, durch welchen sie plötzlich gar sehr in der Meinung der Reisenden sinken, denn was kann es ihnen helfen, dass der hohle Bauch des größeren Fassungetüms 282.200 Flaschen auf einmal zu fassen vermag, wenn der Führer wiederholt versichert, ja die Reisebücher zum allgemeinen Schrecken bestätigen, dass nicht die Nagelprobe darin geblieben sei! Was helfen nun des gekrönten Hofpoeten Joseph Tannenberg fromme Wünsche, die auf der Vorderseite des älteren Fasses den Schluss der Aufschrift bilden:
Gott segne diese Pfalz am Rhein
Von Jahr zu Jahr mit gutem Wein,
Dass dieses Fass und andre mehr
Nicht wie das alte, werden leer.
Auch die Reime auf der Rückseite werden jetzt nüchtern gefunden, obwohl sie dem Mann mit der ,,gepuderten Perücken, drauf Pfalzgrafen Lorbeern drücken,“ wie Uhland singt, besser geraten sind. Wir teilen nur die körnigsten mit:
Wenn Jörg von Frundsberg leben sollte
Und seinen Knechten geben wollte
Gewehr und Harnisch, glaubet das,
Sein Zeughaus wäre dieses Fass.
In diesem Fass sind eingeschlossen
Viel schöner Spruch', auch Schimpf und Possen,
Nachdem in seinem Hirn der Mann,
Der trinkt, den Wein vertragen kann.
Wir können vieler Ding' entbehren.
Auch dies und jenes nicht begehren;
Doch werden wenig Männer sein.
Die Weiber hassen und den Wein.
Der Wein uns fremde Sprachen lehrt,
Der Blöden Herz und Mut vermehrt;
Berauscht man sich, so werden gleich
Der Knecht ein Herr, der Bettler reich.
Der Wein und Gold sind hochgeacht.
Ein jeder Mann nach beiden tracht:
Der Mann bestehet in der Welt,
Der mäßig brauchet Wein und Geld.
Man brauet Bier im Land zu Meißen,
In Sachsen, Pommern, Holland, Preußen;
Gott Lob, die edle Pfalz am Rhein
Gibt uns und ihnen guten Wein.
Nur Perkeos holzgeschnitztes Standbild und sein Schwank mit dem Fuchsschwanz erregt wieder Heiterkeit, zumal wenn man erfährt, dass Karl Philipps lustiger Rat, gleich dem König Laurin ein tiroler Zwerg, doch trotz einem Riesen zu zechen verstand und vor fünfzehn Flaschen großen kurpfälzischen Hofmaßes nicht zurückschreckte. Um so mehr bedauert man ihn, dass er im Tode verurteilt ist, bei leeren Fässern, die ihm im Leben ein Grauen gewesen sein müssen, Wache zu stehen und durstige Gäste mit trockenen Späßen zu unterhalten. Zuweilen ruft wohl ein Engländer nach Hock, d. i. Rheinwein, und gönnt auch Perkeo eine Libation, damit er ein Auge zudrücke über die Walzer und Galoppaden, welche die übrige Gesellschaft sich eben anschickt über dem Spund des Fasses, wo ein Tanzboden ist, aufzuführen. Wer gern tanzt, dem ist leicht gepfiffen, zum Überfluss finden sich ein Paar Musikanten dazu, und ehe wir uns umsehen, ist der Ball in vollem Gange. Nun haben wir sie weit genug, die Musik, die aus dem Keller herauftönt, lockt alle neuen Ankömmlinge hinab und wir können unsere Lieblingsplätze ungestört wieder aufsuchen und die Heldengestalten der ältesten pfälzischen Geschichte zu beschwören suchen.
Friedrich des Siegreichen Werk ist auch der sogenannte gesprengte Turm, der uns dort, sobald wir vor das mittlere Schlosstor getreten sind, über den breiten Burggraben als ein Wunder der Zerstörung entgegenblickt. Unendlich schöner und malerischer ist dieser Turm in seinen Trümmern als er in den Tagen seines Glanzes gewesen sein kann. Man möchte es der Verheerungssucht der Franzosen Dank wissen, dass sie im Orleans'schen Kriege diese fast cyklopischen Mauern auseinandersprengten und so das Innere des gewaltigen Baus unsern Blicken aufschlossen. Das abgerissene Mauerstück, das halb im Graben liegt, halb an das stehengebliebene Gemäuer emporreicht, gewährt den Anblick, als würde es eben von der Gewalt des Pulvers hinweggeschleudert. Zwei übereinander stehende gotische Säulen, von eben so schönen Formen als gigantischen Verhältnissen, tragen die steinernen Gewölbe der beiden uns durch die Zerstörung eröffneten Turmhallen. Die oberste hat noch einen Überbau mit offener Gallerie, aus deren Gestein junge Bäume mit kräftigem Wuchs emporschießen. Da dieser Punkt durch die Schlüsselbewahrerin zugänglich gemacht werden kann, so treten oft hinter dem Gebüsch, das die Turmruine krönt, kräftige Gestalten in Reisekleidern hervor, was eine überraschend schöne Wirkung macht. So vielfach dieser Turm gezeichnet oder in Worten geschildert ist, keine Abbildung, keine Schilderung reichte je auch nur von fern an die Natur, während sonst, die Erscheinung eben keine seltene ist, dass sich die Dinge im Bilde bei weitem besser ausnehmen als in der Wirklichkeit. Man empfiehlt mit Recht als den vorteilhaftesten Standpunkt die Tiefe des Schlossgrabens, etwa bei dem untern Fürstenbrunnen, wo Matthison seine berühmte Elegie in den Ruinen eines Bergschlosses gedichtet haben soll. Die schöne und gefühlvolle Welt Heidelbergs pflegt sich jetzt in dem gesprengten Turm zu Konzerten und Gartenharmonieen zu versammeln, welche in solcher Umgebung wahrhaft zauberisch klingen. Oft ist es als mische sich voller Wohllaut die Stimme Klara Dettens, der geliebten Sängerin des Turmerbauers, oder der prophetische Gesang jener Jetta, der ersten Bewohnerin des Hügels, in die vollen Musikchöre.
Durch den sogenannten Riesenturm, das Haupttor des Schlosses, gelangen wir jetzt in den Burghof, ein Moment, der in unserm ganzen nachherigen Leben Epoche zu machen bestimmt ist, vorausgesetzt, dass wir ihn zum Erstenmal erleben. Der Boden, den wir treten, ist geheiligt, in Deutschland gibt es keinen zweiten so klassischen Raum, nirgend strömt uns wieder diese Fülle der bedeutendsten Erinnerungen entgegen. Aber nur dem Einsamen erscheinen die hehren Gestalten der Vorzeit, nur dem gesammelten Gemüte stehen sie Rede; hier aber entfliehen sie vor dem Schwarm der Gäste, die Silens abscheuliches Tier unterdess zu ihren geweihten Wohnsitzen getragen hat. Die schaulustigen Fremden pflegen selten viel nach dem Rittersaal in König Ruprechts Bau, noch nach Otto Heinrichs geschmackvollem Palast zu fragen, sie kümmert weder der achteckige Turm noch die Ruprechtinische Kapelle; aber das Gewölbe darunter, worin das weltberühmte Heidelberger Fass liegt, muss ihnen aufgeschlossen werden. Statt eines finden sie da zwei Fässer, ja sie erfahren von einem dritten ältesten, gleichsam dem Großvater des jetzigen größten Fasses. Aber leider sind beide Fässer leer; ein Umstand, durch welchen sie plötzlich gar sehr in der Meinung der Reisenden sinken, denn was kann es ihnen helfen, dass der hohle Bauch des größeren Fassungetüms 282.200 Flaschen auf einmal zu fassen vermag, wenn der Führer wiederholt versichert, ja die Reisebücher zum allgemeinen Schrecken bestätigen, dass nicht die Nagelprobe darin geblieben sei! Was helfen nun des gekrönten Hofpoeten Joseph Tannenberg fromme Wünsche, die auf der Vorderseite des älteren Fasses den Schluss der Aufschrift bilden:
Gott segne diese Pfalz am Rhein
Von Jahr zu Jahr mit gutem Wein,
Dass dieses Fass und andre mehr
Nicht wie das alte, werden leer.
Auch die Reime auf der Rückseite werden jetzt nüchtern gefunden, obwohl sie dem Mann mit der ,,gepuderten Perücken, drauf Pfalzgrafen Lorbeern drücken,“ wie Uhland singt, besser geraten sind. Wir teilen nur die körnigsten mit:
Wenn Jörg von Frundsberg leben sollte
Und seinen Knechten geben wollte
Gewehr und Harnisch, glaubet das,
Sein Zeughaus wäre dieses Fass.
In diesem Fass sind eingeschlossen
Viel schöner Spruch', auch Schimpf und Possen,
Nachdem in seinem Hirn der Mann,
Der trinkt, den Wein vertragen kann.
Wir können vieler Ding' entbehren.
Auch dies und jenes nicht begehren;
Doch werden wenig Männer sein.
Die Weiber hassen und den Wein.
Der Wein uns fremde Sprachen lehrt,
Der Blöden Herz und Mut vermehrt;
Berauscht man sich, so werden gleich
Der Knecht ein Herr, der Bettler reich.
Der Wein und Gold sind hochgeacht.
Ein jeder Mann nach beiden tracht:
Der Mann bestehet in der Welt,
Der mäßig brauchet Wein und Geld.
Man brauet Bier im Land zu Meißen,
In Sachsen, Pommern, Holland, Preußen;
Gott Lob, die edle Pfalz am Rhein
Gibt uns und ihnen guten Wein.
Nur Perkeos holzgeschnitztes Standbild und sein Schwank mit dem Fuchsschwanz erregt wieder Heiterkeit, zumal wenn man erfährt, dass Karl Philipps lustiger Rat, gleich dem König Laurin ein tiroler Zwerg, doch trotz einem Riesen zu zechen verstand und vor fünfzehn Flaschen großen kurpfälzischen Hofmaßes nicht zurückschreckte. Um so mehr bedauert man ihn, dass er im Tode verurteilt ist, bei leeren Fässern, die ihm im Leben ein Grauen gewesen sein müssen, Wache zu stehen und durstige Gäste mit trockenen Späßen zu unterhalten. Zuweilen ruft wohl ein Engländer nach Hock, d. i. Rheinwein, und gönnt auch Perkeo eine Libation, damit er ein Auge zudrücke über die Walzer und Galoppaden, welche die übrige Gesellschaft sich eben anschickt über dem Spund des Fasses, wo ein Tanzboden ist, aufzuführen. Wer gern tanzt, dem ist leicht gepfiffen, zum Überfluss finden sich ein Paar Musikanten dazu, und ehe wir uns umsehen, ist der Ball in vollem Gange. Nun haben wir sie weit genug, die Musik, die aus dem Keller herauftönt, lockt alle neuen Ankömmlinge hinab und wir können unsere Lieblingsplätze ungestört wieder aufsuchen und die Heldengestalten der ältesten pfälzischen Geschichte zu beschwören suchen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das malerische und romantische Deutschland