Bodensee und Zellersee

Eine Stunde unterhalb Rheineck mündet der Rhein in den Bodensee, zuweilen, nach heftigen Regengüssen, mit solcher Gewalt, dass seine Strömung jener der auf der entgegengesetzten Seite mündenden Bergwasser, Argen und Schussach, begegnet. Noch eine Weile erkennt man den Strom in dem See, teils an der Bewegung, teils an der hellern Farbe des Wassers. Daher mag wohl die Meinung entstanden sein, dass er sich gar nicht mit dem Seewasser vermische. Vielleicht erreichte er den See in frühern Zeiten schon bei Rheineck, wenigstens deutet dessen Name und der des Dörfchens Altenrhein, des letzten im Rheinthal, darauf hin, dass hier Wasser und Land seit Jahrhunderten große Veränderungen erlitten habe. Der Rhein und die rechts von ihm mündenden Waldströme, Fußach und Bregenz, sollen einer schon altern Vermutung zufolge nach und nach die ganze Landspitze angeschwemmt haben, welche unterhalb Rheineck weit in den See hineinreicht. Diese wäre also das oberste Holland.

Der Bodensee, unter den deutschen Seen der größte, ist nach dem Genfersee auch der größte der Schweiz. Dieser übertrifft ihn außerdem durch die schöne blaue Färbung des Wassers und die himmelhohen schneegekrönten Gebirge, die seine Ufer bilden. Das Wasser des Bodensees ist tiefgrün, wie das aller übrigen Schweizerseen, und nur mäßige Höhen umgeben ihn ; aber um so fruchtbarer sind auch diese von Natur, um so besser bebaut durch den Fleiß ihrer Bewohner. Die gesegneten Gauen, welche ihn umschließen, sind wie ein großer Garten Gottes, in welchem Obsthaine, Weingärten, Getreidefelder, Wiesen und Waldungen im üppigsten Gedeihen prangen. Die Insel Mainau, durch eine liebliche Sage berühmt, und das auf Pfählen im Wasser erbaute Lindau, das schwäbische Venedig, tauchen reizend aus dem grünen glatten Spiegel. In der Ferne heben im Duft des Vorlands die Graubündner, Appenzeller und Vorarlberger Alpen ihre schneebedeckten Häupter. Unzählige Dörfer und Städte, Burgen und Schlösser, Kloster, Kirchen und Landsitze scheinen eine geschlossene Kette um den See zu ziehen, als sollten sie die Fassung des wasserreichen Edelsteins bilden. Ein Blick auf die Karte genügt, um zu zeigen, wie gut die deutschen Fürsten den Wert dieses Kleinods zu schätzen verstanden, denn außer den angrenzenden Kantonen der Schweiz, St. Gallen und Thurgau, haben Österreich, Bayern, Württemberg und Baden sich beeifert, Anteile an ihm zu erwerben. Österreich hat Bregenz, den Hauptort Vorarlbergs, Bayern Lindau und den kürzesten Küstenstrich, Württemberg Buchhorn, jetzt Friedrichshafen genannt, Baden endlich Meersburg und Konstanz, nebst beiden Ufern jener Verlängerung des Sees, die den Namen des Überlinger Sees führt. Den Zellersee, dessen nördliche Küste ebenfalls badisch ist, rechnen wir nicht zum Bodensee, weil er tiefer liegt und einen eigenen See für sich bildet, der mittels des Rheins mit dem Bodensee zusammenhängt. Es ist daher unrichtig, wenn letzterer in den obern und untern (Zellersee) eingeteilt wird. Der Rhein ist nicht der einzige unter den Flüssen der Schweiz, der durch zwei Seen fließt, auch die Aar muss durch den Brienzer und Thuner.


Es ist eine Eigentümlichkeit fast aller in der Schweiz entspringenden Flüsse, dass sie, die schon anfänglich in kleinen Seen ihre Quellen hatten, auch in ihrem weitern Lauf plötzlich einmal stille stehen, um in geräumigen Becken ihre Wasser zu sammeln und die erworbenen Schätze zu mustern. Oder hatte die Natur bei dieser Anordnung weisere Absichten ? Wollte sie Überschwemmungen oder Wassermangel verhüten? Wir neigen nicht zu teleologischer Betrachtung der Dinge, aber so trocken ist nicht leicht ein Sommer, dass er die hier gesammelten Vorräte erschöpfte, und der wasserreichste, wo Wolkenbrüche und glühende Hitze noch so große Massen Alpenschnees schmelzen, ist nicht vermögend den weiten Spiegel des Sees um mehr als einige Fuß zu heben. Wäre aber der Bodensee nicht, und flösse der Rhein hier zwischen engen Ufern, so müsste er bei plötzlichem starkem Anschwellen aller Alpenströme, die ihm Wasser zuführen, auf seinem weitern Lauf die furchtbarsten Zerstörungen anrichten.

Lange mag der Rhein unschlüssig gewesen sein, an welcher Stelle er die Becken des Boden und Zellersees verlassen solle. Vielleicht entstand der Überlingersee und die beiden Arme des Zellersees, welche die gleiche Richtung nehmen, aus einem Versuche des Rheins, sich nach dieser Seite hin einen Durchbruch zu schaffen. Aber das Gebirge, welches sein Flussgebiet von dem der Donau trennt, stellte sich ihm entgegen, und zwang ihn, in einer von seinem bisherigen Lauf ganz abweichenden Richtung weiter zu fließen. Allein auch hier begegnete ihm bald ein Gebirgszug, der mit dem Jura zusammenhängend erst die Aar und dann das jetzige Rheintal durchsetzt, um sich jenseits allmählich zu verlieren. Es ist dasselbe Gebirge, welchem die Kalkfelsen angehören, die den berühmten Rheinfall von Schaffhausen verursachen. Dies Hindernis war aber schwächer als der Rhein. Doch wir wollen uns nicht vorgreifen ; es genüge, den Bezug des Rheinfalls auf den Boden- und Zellersee angedeutet zu haben.

Von allen Schweizerseen lässt sich behaupten, dass sie nach den Orten benannt sind, die an ihren Enden liegen. Nur hat man das Ende bald in dieser, bald in jener Richtung gesucht; bei einigen, und dies ist der häufigste Fall und zugleich das Richtigste, beim Ausfluss des Stroms, der den See bildet; bei andern am entgegengesetzten Ende. Beispiele des ersten Falls geben der Genfer, Züricher, Thuner und Sarner, Beispiele des andern der Brienzer und Wallenstädter See. Diese Wahrnehmung kann uns durch das Labyrinth der Namen, womit der Bodensee prangt, zum Leitfaden dienen. Constanzer See heißt er mit Recht, weil ihn der Rhein bei Konstanz wieder verlässt. Aber älter ist der Name Bregenzer See, wie er schon den Alten hieß; allgemeiner führt er den Namen Boden- oder Bodmensee, von dem alten Schloss Bodmann oder Bödmen am entgegengesetzten überlingischen Ende. Beide Namen sind ohne Rücksicht auf Aus- oder Einfluss des Rheins von den äußersten Endpunkten hergenommen. Ergötzlich ist es, wenn Sebastian Münster meint, Bodensee heiße er, wie lucus a non lucendo, von seiner Bodenlosigkeit, oder wenn Walafried Strabo, einst Abt in der Reichenau, berichtet, er habe den Namen von dem griechischen Potamos, Fluss. Warum nicht lieber von Wodan, dem Gott der Götter. Wodansee, Bodensee? Hat man doch den Namen lacus Acronius, den er bei Pomponius Mela führt, auf den griechischen Kronos bezogen.

Da wir uns einmal etymologisch belustigen, so soll nicht verschwiegen bleiben, dass Einige meinen, statt acronius sei acromus zu lesen ; die ältesten Anwohner hätten nämlich den See wegen seiner vielen Buchten und Krümmungen a kromma See genannt, was von den Römern begreiflich missverstanden worden. Was uns betrifft, so ist uns der gangbarste Name der liebste; will aber Einer etwas Apartes haben, so mag er ihn den Schwabensee oder das deutsche Meer nennen. Der letzte etwas hochmütig klingende Name wird bei einer Länge von höchstens 18, einer Breite von nicht mehr als 7 Stunden schwerlich ernstlich gemeint sein. Gleichwohl überbietet seine höchste Tiefe (964 württembergische Fuß) die der Nord und Ostsee. Auch auf dem deutschen Meere wüten Stürme, die häuserhohe Wellen schlagen; ja sie sind, wegen der Nähe der Küsten, gefährlicher als auf der hohen See. Aber kein Ungewitter trübt sein kristallklares Wasser, dessen tiefer Grund niemals aufgewühlt wird.

Mitten zwischen beiden Seen liegt Konstanz, eine Stadt großer, aber betrübender Erinnerungen. Schon ihr Name gemahnt an Constantin, der zuerst die Kirche zu Macht und Reichtum erhob, worüber ihr Schutzengel, nach Walther von der Vogelweide, laut o weh! schrie, weil er voraussah, dass damit auch ihre Entartung gegeben sei. Als diese in einem Maße eingetreten war, dass es die Welt nicht mehr ertragen mochte, ward das berühmte Constanzer Concil ausgeschrieben, von dem man die Abstellung so vieler ärgerlichen Missbräuche erwartete. Wäre hier wirklich allen Gebrechen der Kirche an Haupt und Gliedern abgeholfen worden, so würde die Kirchenspaltung vermieden worden sein, die noch immer in Deutschlands Fleisch eine klaffende Wunde ist, an der es sich im dreißigjährigen Kriege fast verblutet hätte. Da aber dies nicht geschah, vielmehr die Kirche, die sich eine liebende Mutter nennt, fortfuhr, ihren Kindern auf dem Schindanger Scheiterhaufen zu schichten, so ging in Erfüllung was Huss vorhersagte, ehe er den seinigen bestieg: ,,Heute bratet ihr mich, wie eine Gans, aber binnen hier und hundert Jahren wird unter den Christen ein Schwan kommen, den werdet ihr wohl ungebraten lassen müssen!“ Dieser unmenschlichen Tat, die um so unverantwortlicher war, als sie gegen das vom Kaiser gegebene Geleite geschah, folgte bald eine zweite, die Verbrennung des Hieronymus, und seitdem ist es dem Wanderer, als ob die Luft in Konstanz vom Rauch der Menschenopfer geschwängert wäre. Merkwürdig bleibt es aber, wie sich dieselben Ereignisse unter veränderten Verhältnissen an demselben Ort wiederholen, denn ein Jahrtausend vorher war hier der heilige Pelagius, dessen Gedächtnis die Kirche am 28sten August begeht, ebenfalls wegen Religionsmeinungen dem Martertod übergeben worden.

Von so unseligen Verirrungen wenden wir uns gern zu dem geistreichen, prachtliebenden Bischof Salomon, der ein Lichtpunkt in der Geschichte von Konstanz ist. An ihn erinnert noch heute das benachbarte Salmannsweiler mit seinem großen Weinfass, durch dessen weites Spundloch einst ein Mönch hineinfiel und ertrank.

Zwischen den steinernen Pfeilern der Brücke, welche Konstanz mit der gegenüber liegenden ehemaligen Abtei Petershausen verbindet, tritt der Rhein aus dem Bodensee, um nach dem kürzesten Lauf, bis zum Flecken Gottlieben, einen zweiten See zu durchfließen. Diese kurze Strecke zwischen beiden Seen ist die oberste des Stroms, welche Dampfschiffe durchfurchten, deren im Jahr 1825 dreie, von Konstanz, Lindau und Friedrichshafen aus, die beiden Seen beschifften und bis nach Schaffhausen fuhren. Eins derselben gehörte zur Hälfte dem Herrn von Cotta. Seitdem soll sich nach den Zeitungen, ihre Zahl noch bedeutend vermehrt haben.

Auch der Zellersee ist von einem Orte genannt, welcher der Einmündung des Rheins gegenüber liegt, der Stadt Zell, oder Ratolfszell. In der Mitte hebt sich die große Insel Reichenau mit der berühmten 1799 aufgehobenen Abtei, Zwischen dem Zeller- und dem Überlingersee liegt eine lange breite Erdzunge, das Eichhorn genannt, die nur zwischen Bodmann und Zell, den beiden Namen -gebenden Orten, mit dem festen Lande zusammenhängt. Eine zweite streckt sich zwischen Zell und Stein, wo der Rhein ausfließt, in den Zellersee. An ihrer Spitze liegt Hörn, ein Name, den auch am Bodensee die hineinlaufenden Landzungen führen.

Da wir hier zum zweitenmal den Namen Bodmann erwähnteil, so können wir nicht umhin, einige Worte über dies uralte fränkische Palatium und seine Sage einzuschalten. Schon früh erscheint eine edle von ihm genannte Familie. Ein Schlossbrand, durch den Blitzschlag entzündet, schien im Jahr 1307 diesem Geschlecht den Untergang zugedacht zu haben, denn Alle verbrannten bis auf einen Säugling, Johannes Bodmann genannt, der durch die Geistesgegenwart seiner Amme in einem kupfernen Kessel geborgen und in Sicherheit gebracht wurde. Dieser Hans Bodmann zeichnete sich, wie alle seine Abkömmlinge, durch Tapferkeit aus. Sie besaßen einst den größten Teil der Ufer des nach ihrem Schlosse benannten Sees. In jenem wird der Kessel und einiges andere vom Feuer verschont gebliebene Hausgerät noch heute gezeigt. Eine nähere Untersuchung würde ergeben, ob diese Überlieferung auf mythischen oder historischen Grundlagen ruht. Bei dem Bezug des Namen Bodmann auf den See wie auf das Geschlecht möchte man versucht sein, den kupfernen Kessel, in dem der Ahnherr des Hauses errettet ward, gleich jenem Braukessel Aegirs, des eddischen Meergotts, auf das tiefe Becken des Sees zu deuten.

Die Ufer des Zellersees sind nicht weniger reizend als die seines Nachbars. Auf der badischen Seite reichen sie näher an den Höwgau und seine hohen von alten Burgen und Vesten gekrönten Basaltkegel: Hohenhöwen, Hohenstoffeln, Hohenkrähen, Hohentwiel u. s. w. An das letztere allein, das wir hier übergehen müssen, knüpfen sich so viele Erinnerungen, dass Folianten sie nicht erschöpfen könnten. Eben so unermesslich ist die Aussicht, welche sich auf diesen hochragenden Kuppen in die Schweizergebirge eröffnet.

Die andere, schönere Seite des Seeufers bildet der gesangreiche Thurgau. Ein anmutiger Bergrücken durchzieht ihn, an dem im dreizehnten Jahrhundert unzählige Sängerburgen standen. Hier ist die wahre Heimat des Minnegesangs. Auch auf dessen Entwickelung hat das nahgelegene St. Gallen günstig gewirkt. Tutilo, ein sangaller Mönch, Notkers und Ratperts Freund, und Karls des Dicken, der auf der Reichenau starb, sonderlicher Liebling, war in allen Künsten, besonders in Musik und Dichtkunst erfahren. Mit Erlaubnis des Abtes Hartmuot unterrichtete er die Söhne der benachbarten Edeln in Gesang und Saitenspiel.

Aus dieser Schule, die sich mehrere Jahrhunderte lang erhielt, gingen die vielen ritterlichen Sänger hervor, auf die das Thurgau stolz ist.

Auch das Städtchen Stein am Rhein, bei dem der Rhein aus dem Zellersee tritt, erinnert durch sein hochliegendes altes Schloss, die Steiner Klinge genannt, au das im Thurgau heimische Geschlecht derer von Klingen, welchem die kaum zwei Meilen auseinander liegenden Rittersitze Hohenklingen (Steiner Klinge), Klingenberg und Alten -Klingen ursprünglich gehört zu haben scheinen. Späterhin mögen sich die Besitzungen wie die Geschlechter getrennt haben. Walther von Klingen, ein Dienstmann Rudolfs von Habsburg, der im Kloster Klingenthal bei Basel, das er gestiftet hat, mit dreien seiner Töchter begraben liegt, war einer der besten Sänger seiner Zeit. Heinrich von Klingenberg, Bischof von Konstanz, war erst Abt in der Reichenau, dann Probst im großen Münster zu Zürich, wo er die Scholasterei und Kantorei wieder aufrichtete und letzterer den Liederdichter Conrad von Mure vorsetzte. Hadloub rühmt von Heinrich, er könne Weis und Wort, das heißt, er sei Dichter und Komponist. Als Kanzler Kaiser Rudolfs war er so gefürchtet, dass Gebhard, Kurfürst zu Mainz, sich von seinem Vetter, König Adolf von Nassau, versprechen ließ, den von Klingenberg nie in seinen Dienst zu nehmen. Die Vermutung, dass er der in der sogenannten manessischen Sammlung unter dem Namen des Kanzlers vorkommende Minnesänger gewesen sei, wird hier nicht zum erstenmal ausgesprochen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das malerische und romantische Deutschland