Das jüdische Weib

Mit einer Vorrede Lazarus
Autor: Lazarus-Remy, Nahida Ruth (1849-1928) Schriftstellerin und Journalistin, Erscheinungsjahr: 1891
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Frauen, Jüdin, Jüdinnen, Ehe, Rolle der Frau, Judentum, Juden, Religion, Frauenrechte, Familie, Braut, Mutter, Liebe, Gesetz, Kulturerbe,
Vorrede.

Gern erfülle ich den Wunsch des Herrn Verlegers, das vorliegende Werk auf seinem Wege in die Öffentlichkeit mit einigen Worten zu begleiten. Nicht um es anzupreisen; die Gunst der Kritik wird es sich selbst gewinnen. Aber die Vorurteile, denen es von Vornherein begegnen könnte, möchte ich verscheuchen, damit nichtjüdische und jüdische Leser es mit jener Unbefangenheit aufnehmen, in welcher es geschaffen ist und einen unbedingten Vorzug besitzt. —

Schriften über Juden sind selten ohne Vorurteil: Schriften von Frauen sind selten gründlich; dies Buch über das jüdische Weib ist von christlicher, weiblicher Hand; — allein es ist gründlich und von Vorurteilen frei. Nicht bloß die Nachteile sind vermieden, sondern Vorzüge durch beides gewonnen. Auch das geistige Schauen ist von optischen Gesetzen beherrscht; Vieles kann nur aus der Nähe, Anderes nur aus der Ferne vollkommen erkannt werden. So wird eine Frau in die Eigenart der Sinnesrichtung, der Gefühlserregung und der sittlichen Bewährung des weiblichen Geschlechts unstreitig tiefer eindringen können als ein Mann. — Die Menschen anderen Stammes, fremder Religion und ferner Zeiten werden wir leichter durchschauen, wenn wir, nicht zu Lieb und nicht zu Leide, unsere Gedanken mit redlicher Absicht auf wahre Erkenntnis schöpfen. Das Buch ist offenbar aus dem Bedürfnis entstanden, ein genaues Bild von der Eigentümlichkeit in der Natur, im Charakter und in der Geschichte des jüdischen Weibes zu gewinnen; durch Beobachtung der Gegenwart und Studium der Vergangenheit sollte dieser Zweck erreicht werden; wie mannigfaltig und vielseitig die Verfasserin in beiden sich bewährt, zeigt fast jedes Kapitel, ja schon ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis. Die umfassenden historischen Studien lassen nicht die Mühe, sondern nur den Erfolg erkennen; die Feinheit und Schärfe der Beobachtung tritt weniger mit der mikroskopischen Sorge als mit der herzlichen Hingebung hervor.

Die Verfasserin vermeidet es, ihren Gegenstand mit dürren Reflexionen zu zergliedern, die spezifische Naturanlage des jüdischen Weibes und ihre historische Entfaltung durch Abstraktionen zu zeichnen; sie seziert nicht, sie schildert vielmehr; sie schildert in gut und reich gewählten, ja in einer schier erschöpfenden Fülle von Beispielen die geschichtliche Wirklichkeit und Wirksamkeit jüdischer Frauen, — bald indem die höchsten Leistungen der Jüdin (dort als Prophetin oder hier als Mutter), bald indem vorzügliche Persönlichkeiten (biblische eine Copia Sullam oder die Töchter Daniel Itzigs) dargestellt werden, bald endlich, indem sie die tiefsten Quellen beider, der Leistungen und der Charaktere aufdeckt: die hebräische Sprache, Religion und Dichtung; diese tiefsten Quellen, welche im Ablauf der Geschichte fließen oder — versiegen. Die auf das Detail gerichtete Quellenforschung bietet kaum für die Sicherheit der Tatsachen, geschweige für die rechte Verwertung derselben eine Gewähr. Hier nun ist vielfach der Stoff aus zweiter Hand empfangen, desto freier Kraft und künstlerische Begabung auf die schöpferische Gestaltung derselben gewendet. Soweit es die biblischen Frauen betrifft, war die Verfasserin in der glücklichen Lage, nicht bloß aus der Urquelle, sondern — bei einer Frau gewiss eine bemerkenswerte Seltenheit — auch in der Ursprache zu schöpfen. Die des Hebräischen Kundigen werden freilich mit Staunen und Vergnügen zugleich eine gewisse souveräne Kühnheit bemerken, mit welcher die Verfasserin in der Auslegung des hebräischen Originals ihre eigenen Wege geht; ist es doch, als ob bei der Vertiefung in jüdische Gedankenkreise etwas von jener schrankenlosen Freiheit des Midrasch in der Behandlung biblischer Urworte über sie gekommen wäre (z. B. zu 1 B. M. Cap. 3 V. 16),

Es war gewiss schwer, die ganz und gar auf historischem Grunde spielende Darstellung vor den entgegengesetzten Gefahren irgend einer einseitig durchgeführten Form zu bewahren. Die Aufzählung der auftretenden Personen nur nach der Zeiten Abfolge würde jeder inneren logischen Ordnung und aller poetischen Anziehung entbehren; wiederum rein sachliche Zusammenstellung oder ausschließlich ästhetisch wirksame Gruppierung der durch ferne Zeiträume Getrennten würde die tatsächlich gegebene historische Entwicklung gänzlich vermissen oder wenigstens verkennen lassen. Mit feinem Takt, weiser Beachtung der widerstreitenden psychologischen Bedingungen einer anregenden und gedeihlichen Lektüre und mit fester Hand ist das Schifflein der Charakteristik durch die Scylla und Charybdis genauer aber abstoßender Formen hindurchgeleitet.

Es will mir scheinen, als ob es der Verfasserin so ergangen, wie es dem oft ergeht, der sich lange und eingehend mit einem Gegenstande beschäftigen muss: sie hat sich in die Kulturgeschichte des jüdischen Weibes ein wenig verliebt! aber nicht mit jener Art von Liebe, welcher blind macht, sondern mit der wahren Liebe, welche hellsehend zunächst für die Vorzüge, aber auch für die Fehler des geliebten Gegenstandes macht. Das Urteil über die Jüdinnen ist deshalb aus freiem Geiste mit voller Unbefangenheit geschöpft; steigert es sich in Bezug auf vergangene Zeiten zur Vorliebe, so erhebt es sich für die Gegenwart zur Schärfe. Aber nicht bloß in gutem Glauben, auch mit gutem Recht wird der Maßstab der Vorfahren an das heutige Geschlecht gelegt. —

Wenn heutzutage irgend eine Schrift über „Juden" erscheint, dann — dass Gott erbarm'! — droht oder verspricht sie, eine Streitschrift für oder wider sie zu werden. Das vorliegende Buch ist nichts weniger als eine Streitschrift; für die Verfasserin existiert keine „Judenfrage"; sie streitet nicht für die Juden, nicht für die Jüdin und am wenigsten gegen sie. Ja doch, sie streitet auch: sie streitet für das Gute der Jüdin, für die Natur, Sitte, Gesetz und Kulturerbschaft der wahren echten Jüdin; sie streitet aber auch offen und scharf, oft derb aber immer gerecht gegen diejenigen Jüdinnen, welche heute das Erbgut ihrer Kultur vernachlässigen, ihren hohen, vormals so edel und so tapfer erfüllten Beruf verkennen und dem Tand des Tages nachjagen, anstatt dem Geiste ihrer ehrwürdigen Geschichte zu dienen.

Die rasch aufgeblühten Vorteile neuzeitlicher Bildung und bürgerlicher Freiheit der Juden haben zugleich moralische Nachteile gezeitigt; Nachteile, welche leicht begreiflich, aber darum doch nicht entschuldbar sind und bei den Frauen mehr als bei den Männern sich geltend machen. Ergeht nun darüber das Urteil mit Strenge, so erweist sie sich doch als die Strenge der Liebe und Sympathie; in ihr lässt die Verfasserin nicht die eigene sondern die Stimme der Geschichte ertönen, die Stimme der tief ergriffenen, hell beleuchteten und klarsinnig dargestellten Geschichte des jüdischen Weibes.

Dass doch die heutigen Jüdinnen den Mahnruf dieser Stimme hören, dass sie es doch recht zu Herzen nehmen wollten, das edle Erbgut ihrer Vorfahren ungeschmälert und ungetrübt zu erhalten!

Darum wünsche ich diesem Buche vor Allem jüdische Leserinnen. Und wenn sie aus demselben nichts weiter schöpfen, als die Einsicht von dem Entzücken und der Erhebung fleißigen Bibellesens und die hohe Verehrung der heiligen Sprache und ihrer Schätze, wird es ihnen schon zum Segen gereichen. Aber zuversichtlich wird ihnen auch dies, aus dem tiefen Quell der dreitausendjährigen Stammesgeschichte geschöpfte, köstliche Büchlein nicht bloß zum Spiegel stolzer Selbsterkenntnis, sondern auch zum Sporn selbstbewusster Läuterung und Veredlung werden.

        Das walte Gott!

                Berlin, den 22. März 1891
                                        Lazarus.




                        Inhalt.

Vorwort
01. Die Alten
02. Christliche Auffassung von Weib und Ehe
03. Isch und Ischoh
04. Temperament und Talmud
05. Die biblischen Frauen
06. Jüdische Königinnen
07. Im finsteren Mittelalter
08. Mehr Licht
09. Praktische Kulturarbeit
10. Sarah Copia Sullam
11. Die Mutter
12. Die heilige Sprache
13. Abtrünnige
14. Die Töchter des Daniel Itzig
15. Jüdische Künstlerinnen
16. Jüdische Schriftstellerinnen
17. Jüdische Wohltäterinnen
18. Die Jüdin der Gegenwart
Benutzte Quellen
Namensregister

Jüdin mit Kopftuch

Jüdin mit Kopftuch

Greise Jüdin des Ostens

Greise Jüdin des Ostens

Jüdin

Jüdin

Jüdischer Mädchenkopf

Jüdischer Mädchenkopf

Jugendliche Jüdin

Jugendliche Jüdin

Ostjüdin mit Kind

Ostjüdin mit Kind

Ostjüdin mit Kopftuch

Ostjüdin mit Kopftuch

Jüdische Schülerin

Jüdische Schülerin

Ostjüdische Schönheit

Ostjüdische Schönheit

Jüdin des Ostens

Jüdin des Ostens

Seitenansicht einer schönen Jüdin

Seitenansicht einer schönen Jüdin

Jüdischer Lockenkopf

Jüdischer Lockenkopf

Ostjüdin

Ostjüdin

Eingemummte Jüdin

Eingemummte Jüdin

Judenjunge

Judenjunge

Traurige Augen eines Judenkindes

Traurige Augen eines Judenkindes

Judenkind

Judenkind