Viertes Kapitel. Industrie

Der gewaltige Aufschwung, den die Industrie in Europa und Amerika genommen hat, ist in verhältnismäßig kurzer Frist vor sich gegangen. Die Formen und die Maße, die wir heute anstaunen, reichen mit ihren Anfängen doch nur bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück, bis zu der Zeit, da nicht bloß die maschinelle Technik durch die Anwendung der Dampfkraft sich vervollkommnet hatte, sondern auch durch Dampfschiff und Eisenbahn die Möglichkeit gegeben war, die vermehrten industriellen Erzeugnisse schnell, in großen Mengen und auf weite Entfernung hin in Verkehr zu bringen. Die Revolution des Dampfes fand in Europa und in dem rein europäisch geschulten Amerika Bedingungen vor, die eine lange kulturelle Entwicklung vorbereitet hatte; ohne deren Vorhandensein wäre es sicherlich nicht möglich gewesen, so jählings das ganze wirtschaftliche Leben der Völker umzuwandeln. Auch vor der Dampfmaschine gab es eine Industrie. Das Mittelalter hatte sein sehr entwickeltes Gewerbe, die Manufaktur war längst vor Watt und Stephenson zu hoher Blüte gelangt. Das städtische Gewerbe hatte längst eine Menge Städte zu Blüte und Wachstum gebracht, hatte einen zahlreichen gebildeten Stand sich ausscheiden lassen, in dem Kunst, Wissen und Technik gepflegt wurden und sich vererbt hatten. Die Dampfmaschine war ja doch nur ein Mittel, eine freilich gewaltige Kraft, mit der die vorhandene Industrie ihren Gang beschleunigen konnte; die gewerbliche Vorbildung, das wirtschaftliche Bedürfnis, die Art seiner Befriedigung waren in der Hauptsache schon vorher da und machten die schnelle Anwendung und Entwicklung der mit Dampf und Elektrizität arbeitenden neuen Technik erst möglich. Ebenso alt waren die Wege
des Handels, die die Dampfmaschine vorfand, und endlich folgte die industrielle Revolution überall und genau den Goldadern des Kapitals, der Menge des in den Ländern angehäuften Geldes. England, das nach den napoleonischen Kriegen als alleiniger seemächtiger Handelsmann nachgeblieben war und seine Monopolstellung zur Ansammlung großer Reichtümer benutzte, England war auch am ersten in der Lage, die neuen Erfindungen und Entdeckungen praktisch auszunutzen, eben weil es dazu das nötige Geld hatte, und so ist das Wachstum der Industrie auch weiter genau hinter der Ansammlung von Kapital hergegangen: so in Frankreich, Belgien, Dänemark, Amerika, und so auch in Deutschland nach seiner Einigung und dem Milliardenregen von 1871. Kurz, zum Emporblühen der Industrie in unserer Zeit gehören auch in von der Natur dazu gut ausgestatteten Ländern als Vorbedingungen drei Dinge: gewerbliche Schulung des Volkes, Kapital, und ein kräftiges Bürgertum. Welche dieser Bedingungen waren nun erfüllt, als Herr WITTE daran ging, Russland industriell zu emanzipieren?

Bis 1861, dem Zeitpunkt der Bauernbefreiung, gab es im eigentlichen Russland fast keine Industrie außer der landwirtschaftlichen. In Moskau, Tula, Petersburg, Odessa bestanden einige Tuchfabriken, einige Eisenwerke, Baumwollfabriken u. s. w., aber die große Masse der gewerblichen Bedürfnisse des Volkes wurde von der in den Dörfern und auf den Gütern schaffenden Hausindustrie befriedigt. Noch vor 30 Jahren fror der Bauer in den Kohlengebieten des Ostens in seiner Hütte, weil er kein Brennmaterial kaufen konnte, während die Steinkohle unbenutzt vor der Hütte zu Tage lag. Mit den Eisenbahnen mehrten sich wohl die Bedürfnisse, aber den stärksten und ersten Anstoß erhielt die Nachfrage nach den komplizierteren Erzeugnissen des industriellen Europa doch erst infolge der Ablösung der bäuerlichen Hörigkeit, die es dem Bauern ermöglichte, zum städtischen Arbeiter zu werden. Der Bauer brachte keinerlei gewerbliche Schulung in die Stadt mit außer der, die er etwa als Hofschmied, Tischler, als Klöpplerin, Stickerin u. dergl. im Gutshof erlangt hatte. Die Hausindustrie auf den Gutshöfen verfiel von dem Augenblick an, wo die sogenannten Hofleute als Freie die Höfe verließen; die Dorfindustrie, die hier und da ganze Dorfschaften und Kreise mit Wagenbau, mit Fertigen von Krummhölzern, Heiligenbildern, Holzlöffeln, mit Weben rohester Stoffe beschäftigt hatte, begann fast überall dort zu verfallen, wo die Eisenbahn die städtische Konkurrenz hinbrachte. Es gab in Russland — ich rede vom russischen Russland, nicht von den eroberten Fremdländern — sehr wenig nutzbare gewerbliche Schulung außer der, die bei der rohesten Arbeit am Webstuhl, am Spinnrocken, mit Säge und Beil, mit Nadel und Messer erworben werden konnte; es gab fast keine anderen Arbeiter als einfache Ackerknechte. Oft allerdings von einer erstaunlichen Fähigkeit, sich mit den einfachsten Werkzeugen in allen möglichen Lagen zurecht zu finden, aber doch nur mit der natürlichen Anstelligkeit, die für die rohesten Lebensbedürfnisse genügt, weit verschieden von dem städtischen Handwerker, wie er in Deutschland schon im 14. Jahrhundert, ja im 11. bereits zu finden ist. Es gab eben noch kein festes städtisches Handwerk, wie es überhaupt kein Bürgertum, kein Städtewesen von irgend welcher sozialen Bedeutung gab. In dem halben Dutzend Städten, die mehr als 50.000 Einwohner zählten, lag das Gewerbe fast ganz in den Händen Fremder; nur im Handel hatte sich der Russe feste Stellung erworben, und auch da nur im Binnenhandel, aller Außenhandel gehörte Deutschen, Engländern, Holländern u. a.


Zwischen 1861 und 1895 änderte sich hierin einiges, und zwar hauptsächlich infolge der plötzlichen Änderung in den agraren Zuständen. Die Aufhebung der Leibeigenschaft hatte eine Menge Arbeitskräfte frei gemacht, und gleich darauf flossen viele hundert Millionen an Ablösungsgeldern und Darlehen des Staats an den Grundadel ins Land. Man begann zur Stadt zu ziehen, der Adel mit dem Gelde, der Bauer mit der Arbeitskraft, und das war der erste Anstoß zu industriellen Unternehmungen. Aber diese erste Welle verlief im Sande. Alles erwies sich nur als ein künstliches Aufschäumen, eingepumpte Kohlensäure, durch diesen Millionenregen entstandener Schwindel, der weder eine solide Industrie, noch ein arbeitsames Bürgertum, noch fruchtbares Kapital hervorbrachte. Das Kapital ging meist verloren, von den Gründungen gediehen sehr wenige, aber das Bedürfnis nach Industriewaren und deren Import stieg ständig. Aus der agraren Revolution von 1861 erwuchs nichts Neues, keine neue arbeitende Klasse, kein kapitalkräftiges Bürgertum, und da beides die Voraussetzung für das industrielle Wachstum ist, so konnte es mit der Industrie im Innern des Reiches nicht recht vorwärts gehen. Um so schneller erblühten die fremdsprachigen Grenzländer, besonders Polen, und es kam soweit, dass man zum Schutz der russischen, besonders der Moskauer Industrie nach einem Binnenschutzzoll gegen die westlichen Provinzen verlangte. In der mechanischen, kurzsichtigen Weise, die dem grünen Tisch eigen ist, meinte die Regierung es erzwingen zu können, dass die fast ganz aus fremdländischem Material und durch fremde Werkleute an der Westgrenze emporwachsende Industrie die Grenzprovinzen überspringen und sich gleich im Zentrum, am Ural, Donez, wo Eisen und Kohle bei der Hand lagen, niederlassen sollte. Die deutschen oder belgischen Unternehmer weigerten sich oft, Fabriken an Orten anzulegen, wo zwar das Rohmaterial zur Stelle war, wo es jedoch völlig an vorgeschulten Arbeitern, besonders Handwerkern gebrach; schon die Reparatur eines Dampfkessels wurde sehr schwierig, sie war oft nicht eher möglich, als bis Reserveteile aus England oder Deutschland herbeigeschafft waren. Starb ein Maschinist, so konnte die Fabrik an der Wolga wochenlang stillstehen, ehe ein Ersatzmann aus Europa beschafft war, während in Lodz der Ersatz leicht zu haben war, dank der nahen Grenze und der starken, deutschen Einwanderung. So roh, für die Industrie ungeschult der russische Bauer war, man hätte ihn vielleicht durch fremde Werkführer allmählich zu einem tüchtigen Arbeiter erziehen können. Indessen waren da noch andere Übelstände zu beachten, die an sich genügend waren, um eine Konkurrenz des russischen Fabrikarbeiters mit dem europäischen unmöglich zu machen. Der eine Übelstand war, dass der russische Bauer gewöhnt war, im Durchschnitt im Jahr 90 und mehr Feiertage zu haben, und dass er also einem so steten Arbeiten, wie die Fabrik es fordert, sich schwer anbequemte; dass ferner auch Staat und Kirche nicht gestatteten, ihre vielen Feiertage zu missachten. Denn in Russland gibt es weit mehr Anlässe, von der Arbeit auszuruhen, als anderswo. Vergleicht man die Kalender miteinander, so ergibt sich im Jahre an Sonn- und Feiertagen, den roten Kalendertagen, für:

      das protestantische Deutschland 58
      das katholische Deutschland 65
      das orthodoxe Russland 94

Denke man sich nun eine Fabrik in Elberfeld, die 36 Tage im Jahr mehr feiert als ihr Konkurrent in Barmen, so wird man die Aktien jener Fabrik wahrscheinlich nicht hoch einschätzen.

Dazu kommt weiter, dass der russische Bauer im russischen Russland mit wenig Ausnahmen Glied der Dorfgemeinde und als solcher Besitzer einer Hütte und eines Fetzens Land in der Gemeindeflur ist. Verlässt er das Dorf, um als Arbeiter in eine Moskauer Fabrik zu gehen, so hängt Ihm der Faden doch stets am Bein, der ihn zurückzieht in sein Heimatdorf. „Was wollen Sie“, rief mir einmal einer der ersten Industriellen Moskaus zu, „was wollen Sie mit diesen Leuten machen, es sind ja alles Gutsbesitzer! Der beste von ihnen erlernt im Laufe einiger Jahre die Leitung einer Maschine in meiner Weberei, man kann mit ihm was leisten und gibt ihm mehr als den elenden Lohn, den der gewöhnliche Arbeiter wert ist. In einigen Jahren hat er 200 oder 300 Rubel erspart, dann bittet er um seine Entlassung, um nach seiner Hütte und Wirtschaft zu sehen, und zieht ab. Im Dorf ist er der reiche Mann, der Residenzler, und spielt eine Rolle, solange der Sparpfennig reicht. Ein Jahr ist vergangen oder zwei, da erscheint Trifon wieder bei mir, verbeugt sich „bis zur Erde" und bittet wieder um Anstellung. „Väterchen Karl Iwanowitsch, der alte Trifon ist wieder da“ — und wieder „bis zur Erde". Inzwischen sind neue Maschinen eingeführt, Trifon hat auch in den zwei Jahren an seiner Geschicklichkeit eingebüßt, und er muss von neuem zu lernen anfangen. So kann er es selten zu besseren Stellungen bringen." Und dazu kommt, dass sein Land im Dorf oft nicht so viel trägt, um die Abgaben zu bezahlen, und er also von seinen Ersparnissen zuschießen muss, aber doch auch wieder von dem Klotz am Fuß schwer loskommen kann. Er ist halb Bauer, halb Fabrikarbeiter, und daher beides schlecht.

Endlich hat man mit bürokratischer Gewaltsamkeit die wenigen gewerblich etwas vorgeschulten Kräfte, die im Lande waren, nicht berücksichtigt. Noch heute gibt es große Dörfer, in denen Tausende von Bauern als Messerschmiede, andere, in denen sie sich als Tischler ernähren. Statt hier zu unterstützen, anzuknüpfen, zu entwickeln, hat man diese Leute in der Hand von Ausbeutern zu Bettlern werden lassen. Diese und manche andere Umstände mussten daran zweifeln lassen, ob eine blühende, gesicherte Industrie hervorwachsen könne, ehe der Boden dazu vorbereitet, die sozialen und wirtschaftlichen Hemmnisse beseitigt waren. Man hatte in Japan eben ein Beispiel vor Augen, wie ein völlig abgeschlossenes Volk plötzlich der europäischen Zivilisation sich erschloss und im Verlauf von ein paar Jahrzehnten dazu gelangte, der industriellen Selbständigkeit sehr nahe zu kommen. Aber dieses Beispiel passt nicht auf Russland. Japan hatte keine industriellen Großbetriebe, aber es hatte längst, ehe der erste Dampfkessel dorthin kam, ein reiches gewerbliches Leben; das Handwerk war sehr alt, sehr vervollkommnet, das Kunstgewerbe blühte auf manchen Gebieten seit Jahrhunderten, eine geschulte Arbeiterschaft war zahlreich vorhanden, kurz es hatte seine Art von alter Kultur und eine sehr arbeitsame, erwerbsame Bevölkerung. In alledem steht Russland durchaus hinter Japan zurück. Der russische Arbeiter war von dem Verständnis für europäische Industrie weiter entfernt als der japanische, und der russische Unternehmer hatte weniger Befähigung zur Leitung einer Fabrik als der Japaner. Und er hat auch wenig Geld.

Dieser Mangel an Geld war unter den vorhandenen Übelständen derjenige, welchem noch am ehesten konnte abgeholfen werden. Weder ein geschulter Arbeiterstand, noch ein unternehmender Bürgerstand konnten über Nacht aus diesem städtelosen Ackerboden gestampft werden. Wollte man warten, bis nach Jahrzehnten vielleicht die wachsende Landbevölkerung in die Städte drängen, neue Städte und in ihnen bürgerliches Gewerbe gründen würde; wollte man den natürlichen Gang gehen, das Handwerk, die Manufaktur sich langsam entwickeln lassen, wie es in Europa geschehen war, so lief man Gefahr, dass ein russisches Bürgertum, ein russisches Gewerbe überhaupt nicht zum Dasein gelangte. Denn der Vorsprung Europas war so groß, dass das russische Gewerbe erdrückt worden wäre, sei es durch Einfuhr von fremden Waren, oder durch Einwanderung fremden gewerblichen Bürgertums, wie es vor vielen hundert Jahren in Polen geschehen war. Ganz ohne fremde Waren und fremde Menschen konnte man natürlich an einen industriellen Aufschwung nicht denken; aber sich ganz in fremde Hände zu geben und lauter Städte wie Lodz entstehen zu sehen, das konnte man doch auch nicht über sich gewinnen. Das polnische Beispiel war für das russische Bewusstsein nicht verlockend, und, wie mir scheint, für das deutsche oder belgische oder französische auch nicht. Denn nachdem die Deutschen im 12. und 13. Jahrhundert in Polen blühende Städte geschaffen hatten, wurden sie zum größten Teil wieder verdrängt und vertrieben, und die Städte wurden zu den Judennestern, die sie meist noch heute sind.

Die russischen Finanzminister WYSCHNEGRADSKi und nach ihm Herr WITTE entschlossen sich, mit Aufwand von Geld Russland industriell zu emanzipieren. Ohne Bürgertum und ohne Arbeiter wagte man den Kampf mit der europäischen Industrie und dem europäischen Kapital aufzunehmen. Und das nötige Geld? Der Staat hatte kein überflüssiges Kapital, das Volk wenig: man musste also mit fremdem Kapital vorgehen, man musste daneben das wenige einheimische zu industriellen Unternehmungen antreiben. Herr WITTE äußerte sich in einer am 1./13. März 1899 gehaltenen Rede über seine Pläne folgendermaßen: „Unumgänglich ist die breiteste Herbeiziehung von Kapital in die Industrie. Bedauerlicherweise haben wir in ungenügender Menge eigenes freies Kapital. Der Landbau gewährt davon fast nichts; Kapitalien, die irgendwo unterm Scheffel liegen, bleiben unbeweglich, obgleich sie leicht die Möglichkeit hätten, großen Gewinn zu bringen, und es gelingt nicht, sie schnell an Gottes Licht zu ziehen. Wir müssen daher das reiche und billige fremde Kapital benutzen. Auf diesem Wege verkürzt sich die schwere Periode des Aufenthalts in der Schule, und die Schule selbst verbessert sich durch das Eindringen eines weiteren Standes der technischen Kenntnisse, eines breiteren industriellen Schwunges, eines tätigeren Wettbewerbes. In solcher Schule kann man nicht schlummern, man muss arbeiten und arbeiten. Freilich wird man diese Hilfe fremden Kapitals nicht billig bezahlen . . . . . Andererseits zeigt die einfache Arithmetik den ganzen Vorzug der Einfuhr fremden Kapitals vor der Einfuhr fremder Waren.“ Das war offenbar schon im Jahre 1894 das Programm des Ministers als er die gesamte innere Schuld in 4 prozentige Papiere, und dann in 4 prozentige untilgbare Staatsrente zu konvertieren begann. Die nächste Wirkung der Konversion war das Strömen des Kapitals zur Börse, wo es nach höher verzinster Anlage suchte und das erste Industrielle Gründungsfieber entzündete. Dazu kam neuer Brennstoff von oben, von der Regierung, seit sie Anleihe auf Anleihe an den ausländischen Markt brachte, seit sie mit vollen Händen Geld ins Land warf, wovon ein großer Teil zur Anspornung der Industrie diente. Vor allem geschah das in der Weise, dass das Eisenbahnnetz mit Eifer erweitert wurde. Jede neue Bahn rief neue oder verstärkte Bedürfnisse nach Schienen, nach rollendem Material, nach Kohlen, nach Bauten, Hochbauten, Brückenbauten, Telegraphen hervor, und diese Bedürfnisse zogen die Errichtung von Fabriken und Werkstätten aller Art nach sich.

Überall bildet die Eisenindustrie den Hauptpfeiler des modernen industriellen Baues; blüht sie, so ist anzunehmen, dass es der Industrie des Landes im ganzen gut geht; stockt sie, so stockt es in dem allgemeinen Erwerbe, und es ist daher die Hauptsorge jeder Regierung, die Eisenindustrie in gutem Gang zu halten. Das war auch stets die Sorge des russischen Ministers, und so marschierte der Staat voran an der Spitze einer nicht abreißenden Kette von Unternehmern, der Staat voran als größter von ihnen allen mit seinen Bahnbauten, seinen Eisenwerken, seinen Lokomotivfabriken und seinen Waggonfabriken, voran allen anderen, den chemischen Fabriken, Zementfabriken u. s. w., die sich daran schlossen. Unter seiner Führung schossen überall die Fabriken empor, am zahlreichsten natürlich im zentral liegenden Gebiet von Moskau und Wladimir, ferner in dem an Eisen und Kohle reichen Donezgebiet, dann in den großen Hafenplätzen, wo fremde Technik, englische Kohle erreichbar waren, und in Polen, wo deutsches und jüdisches Kapital, wo schlesische Kohle nahe zur Hand waren.

Zwischen 1894 und 1899 wurden 927 Aktiengesellschaften konzessioniert mit einem genannten Kapital von 1.420 Millionen und einem nach der Annahme SCHWANEBACHS wirklich verwandten Kapital von 560—600 Millionen Rubel. Die industrielle Produktion steigerte sich in entsprechendem Grade, denn sie stieg von 541 Millionen im Jahre 1877 auf 802 Millionen im Jahre 1887, und auf 1.010 Millionen im Jahre 1892, sprang aber in dem nächsten Jahrfünft, 1892—1897, auf 1.816 Millionen, d. h. um 161,2 Millionen Rubel jährlich. Und in den 6 Jahren WlTTEscher Industrialisierung Russlands von 1894—1899 wurden für den Bau von Bahnlinien und für rollendes Material 1.273 Millionen verausgabt Es leuchtet ein, dass hier ein enger Zusammenhang vorliegt, dass die Steigerung der industriellen Produktion wesentlich eine Folge des gesteigerten Bahnbaues war, und zwar weit weniger eine Folge des durch die neuen Bahnen erleichterten Warenverkehrs, als eine Folge der Bedürfnisse für die Ausführung des Bahnbaues selbst. Ein großer Teil der neuen industriellen Anlagen entstand für und durch den Bahnbau und lebt auch heute noch von ihm und durch ihn. SCHWANEBACH berechnet den Betrag der in diesen 6 Jahren in Bahnen, Aktiengesellschaften und in den Einrichtungen für das Branntweinmonopol angelegten Summen auf über 2 Milliarden Rubel. Die Früchte dieses Goldregens machten sich natürlich beim Fiskus in einem sehr starken Anschwellen der mit diesen Unternehmungen verbundenen Steuern bemerkbar. Für die hauptsächlich hier in Betracht kommenden Steuertitel (Handelssteuer, Zölle, Accise, Stempel und andere Gebühren, Post und Telegraphen) stiegen die Einnahmen um 236 Millionen, d. h. um 37 Prozent. Aber leider kam der Aufschwung nicht wie in Deutschland nach 1871 aus eigenen Mitteln, sondern zum Hauptteil durch einen Regen fremden Goldes, das mit Gold verzinst und einstmals zurückgezahlt werden muss, und zum geringeren Teil durch die Mobilmachung des eigenen, russischen Kapitals, durch dessen industrielle Verwendung dem ohnehin armen Lande die nötigen Mittel entzogen wurden, um seinem Hauptgewerbe, dem Ackerbau, aufzuhelfen. Die russischen Gelder, die zu industriellen Unternehmungen verwandt wurden, bestanden zum guten Teil aus dem Erlös verkauften Landes und dem Erlös aus Hypotheken, mit denen der Grundbesitz belastet wurde.

Nachdem der Minister den größten Teil der Eisenbahnen verstaatlicht hatte, während der Bau neuer Bahnen, wenigstens der größeren Normalbahnen, meist in Regie betrieben wurde, geriet auch die Hilfsindustrie in völlige Abhängigkeit von ihm, da auch die Privatbahnen von ihm finanziell abhängig waren. Hochöfen, Kohlengruben, Walzwerke, Waggonfabriken, alle Reparaturwerkstätten lebten ganz oder teilweise von den Bahnen und besonders dem Bahnbau, auch soweit sie nicht staatliche Anstalten waren. Der Minister hatte viele private Fabriken dieser Art durch seine direkte Ermunterung ins Leben gerufen, und sie fanden anfangs genügend Arbeit und Gewinn. Aber da es mit der Rentabilität der Staatsbahnen doch haperte, auch sonst die Verhältnisse immer zur Sparsamkeit mahnten, so begann er diese Hilfsindustrie zu drücken. Die Preise für Waggons oder Schienen u. s. w. wurden herabgesetzt; weigerte sich eine Fabrik, diese Herabsetzung anzunehmen, so blieben die Bestellungen aus, und da sie doch einmal auf die „Kronslieferung“, wie man in Russland sagt, angewiesen war und ist, so musste sie schließlich nachgeben. So schnürte der Minister mancher Fabrik die Kehle so weit zu, dass sie zeitweilig ohne Gewinn arbeiten musste, dass jedenfalls die erwarteten hohen Dividenden ausblieben. Einerlei, sie war einmal da, und musste nun nicht für die Aktionäre, sondern zum Nutzen des Staates arbeiten: sie war unmittelbar und in gewisser Art auch eine Staatsanstalt geworden wie die Eisenbahnen selbst. Gar manche fremde Aktiengesellschaft hat inzwischen die Erfahrung gemacht, dass ihr wohl erlaubt wurde, eine industrielle Anlage zu errichten und zu bezahlen, dass sie aber über die Höhe des Reingewinns und der Dividenden keineswegs allein zu bestimmen habe; das fiskalische Interesse taucht auch hier, und oft in überraschender Gestalt empor. Die ganze gewaltige Hilfsindustrie des Bahnbaues gehorcht dem Willen des Ministers, aus dessen Hand sie lebt Und dieser Minister ist nicht der Verkehrsminister, sondern der Finanzminister. Eine ähnliche Stellung hat dieser Minister auf anderem Gebiet durch die Einführung des Branntweinmonopols errungen. Das Brennereigewerbe war längst von ihm abhängig durch die Besteuerung des Spiritus und die damit verbundene, äußerst lästige Kontrolle der Brennereien. Durch die Monopolisierung des Handels und Verschleißes des Branntweins ist der Branntweinproduzent gezwungen, seine Ware an den Fiskus zu verkaufen, denn es gibt keinen anderen Käufen. Der Fiskus macht also den Preis nach Gutdünken, und da er stets geneigt ist zu generalisieren, für möglichst große Bezirke, womöglich für das ganze Reich einen gleichen, für die Rechnungsführung bequemen Einheitspreis festzusetzen, so kann es kommen, dass in Jaroslaw zwar die Kartoffeln doppelt so teuer sind als in Grodno, der daraus gebrannte Spiritus aber an beiden Orten denselben Preis erzielt. In Wirklichkeit geschieht folgendes: Um den Preis für Branntwein, der den Brennereien bewilligt werden soll, festzustellen, wird zuerst der Preis für das Rohmaterial ermittelt. Dabei wird ganz offen der Grad des Wohlstandes der einen und der anderen Provinz in Anschlag gebracht: Ihr in Podolien oder in Kurland seid wohlhabender, als die in Twer oder Saratow; daher berechnen wir, der Fiskus, euch den Zentner Kartoffeln mit 50 Kopeken, denen in Twer mit 80 Kopeken. Also die tüchtigeren, fleißigeren Landwirte werden zu Gunsten der schlechteren belastet, und das nicht durch Gesetz, sondern durch Willkür. Der Handel mit Branntwein nicht nur, sondern auch das Brennereigewerbe liegen völlig in der Hand des Finanzministers, der sie willkürlich für den Fiskus ausbeutet. Dem Fiskus ist es auch bequemer, mit wenigen großen Brennereien, als mit vielen kleinen zu tun zu haben, weshalb denn auch die Zahl der Brennereien auf kaum 1/3 der früheren Zahl gesunken ist. Die dem Ackerbau dienenden Brennereien verschwanden und verschwinden, und die industriellen Fabriken dehnen sich aus.

Eine andere große Industrie, die Zuckersiederei und Raffinerie, hat sich unter der gouvernementalen Fürsorge stark entwickelt. Seit dem Anfang der siebziger Jahre wurde der Rübenzucker durch hohe Zölle geschützt und verblieb unter dieser Anspornung bis heute. Durch Gesetz vom 20. November 1895 wurde eine Organisation der Zuckerproduzenten geschaffen, durch welche die Produktion kontingentiert und der Inlandpreis von Jahr zu Jahr normiert wird. Der Rübenbau dehnte sich in den südlichen Gubemien schnell aus, der russische Zucker verdrängte allmählich völlig den fremden. Wer hat den Vorteil hiervon? Umgekehrt wie beim Branntwein gewinnt beim Zucker der Ackerbau: dort vertreibt die Regierung den landwirtschaftlichen Betrieb, hier ruft sie ihn hervor und nützt dadurch dem Ackerbau. Wenigstens macht der Zucker es einer Anzahl großer, meist sehr großer Güter möglich, zu intensivem Ackerbau überzugehen und dabei noch großen Gewinn zu erübrigen, freilich oft mit dem Opfer der Wälder, die sich in Fabriken und dann in Brennholz zum Heizen der Kessel verwandeln. Der Fiskus hat einen Gewinn aus der Zuckersteuer, die für 1902 im Budget auf über 69,4 Millionen Rubel angesetzt ist. Aufkommt aber für die Gewinne von Fiskus und Fabrikbesitzern der Steuerzahler, und zwar in einem Maße, dass diese Steuer wiederum ganz als finanzielle Abgabe, nicht als gewöhnliche Verbrauchssteuer erscheint. Der vom Konsumenten bezahlte Inlandpreis beträgt das Drei- bis Vierfache von dem im Ausland für russischen Zucker gezahlten Preise; der im Ausland für den Zucker dem russischen Fabrikanten gezahlte Preis deckt die Produktionskosten nicht: den Ausfall muss eben der Konsument in Russland decken.

Eine merkwürdige Kundgebung über diesen Gegenstand erschien kürzlich, am 3./16. März 1902, in dem offiziellen Organ des Finanzministeriums, dem „Finanzboten". Zunächst wird da festgestellt, dass jene Organisation von 1895 den Zweck habe, den Binnenmarkt mit billigem Zucker zu versorgen. Ob der Zweck nun erreicht sei, wird nicht weiter gesagt, freilich auch nicht, dass gerade das Gegenteil erreicht wurde, die Verteuerung des Zuckers, welche sich schon aus dem oben erwähnten Preisverhältnis im Inland- und im Auslandverkauf ergibt. Alle Welt ist darin einig, dass infolge der durch das Zuckersyndikat durchgeführten Monopolisierung der Zucker 3 — 4 mal teurer im Inland ist als der ins Ausland exportierte und dort verkaufte Zucker. Der „Finanzbote“ sagt, dass laut Berechnung der Zuckerindustriellen diese auf den seit dem September 1895, also seit Organisierung des Syndikats, nach Westeuropa verkauften Zucker 32 Millionen Rubel verloren haben. Der Zuckerexport beträgt 10 — 12 Prozent von der Produktion, und diese 12 Prozent wurden also mit Verlust von 32 Millionen verkauft. Diese 32 Millionen Rubel, die Differenz zwischen Produktionskosten und Verkaufserlös, werden natürlich von den Produzenten auf den inländischen Konsum abgewälzt. Nach den offiziellen Angaben war die Gesamtproduktion seit 1895 rund 286,5 Millionen Pud, der Inlandsverbrauch 204 Millionen Pud. Verteilt man nun den Verlust von 32 Millionen Rubel auf diesen Konsum, so trägt die Gesamtproduktion 15 Kopeken auf das Pud, der Inlandverbrauch 13 ½ Kopeken auf das Pud von dem bei der Ausfuhr erlittenen Verlust Zu diesen 13 ½ Kopeken auf das Pud kommen aber die Gewinne der Siedereien und Raffinerien hinzu. Der Finanzbote gesteht, was allbekannt ist, dass die Siedereien hohe Dividenden abwerfen, und dass die Raffinerien in der Hand von ein paar Monopolisten sind, die die Preise „in ungünstigster Weise bilden“. Siedereien und Raffinerien schlagen also zu jenen 13 ½ Kopeken auf das Pud ihre sehr großen Gewinne hinzu, und der Staat nimmt seine Steuer von 69 ½ Millionen Rubel, so dass die drei- und vierfache Verteuerung des Zuckers im Inland erklärlich wird. Nur ist schwer einzusehen, wie dabei jener Zweck des Gesetzes von 1895 erreicht wird, den Binnenmarkt mit billigem Zucker zu versehen. Klar bleibt aber, dass der Staat über 60 Millionen Rubel vom Zucker gewinnt, und dass diese Organisation von 1895 eine indirekte hohe Exportprämie auf den Rohzucker gesetzt hat. Darüber sind die Verfasser der eben abgeschlossenen Brüsseler Zuckerkonvention auch nicht im Zweifel gewesen.

Der überspannte Protektionismus WYSCHNEGRADSKIS, wie er im Zolltarif von 1891 gipfelte, wurde zwar vom 1. Januar 1894 ab durch den deutsch-russischen Handelsvertrag gemildert, blieb aber nach wie vor das herrschende System. Dennoch mehrte sich die Einfuhr schnell, angestachelt durch den Bedarf an industriellen sowie auch landwirtschaftlichen Maschinen. Daher hoben sich die Eingangszölle, wenn auch anfangs nur wenig, betrugen aber für 1896 schon 182 Millionen; sie richteten sich auch ferner nach der Intensität des Gründungsfiebers, auf welche der Minister Rücksicht nahm, soweit es unumgänglich nötig war. Die industrielle Krisis von 1898 hatte eine Verringerung der Zolleinnahmen zur Folge. Wo man irgend glaubte, ohne Hilfe fremder Fabrikate auszukommen, zögerte man auch mit einfachem Einfuhrverbot nicht. Bahnen und Fabriken aller Art wurden verpflichtet, Materialien und Fabrikate, die in einheimischen Fabriken hergestellt werden, aus dem Inland zu beziehen, obzwar die einheimischen Produkte, vom Rohmaterial abgesehen, meist schlechterer Qualität und teurer als die fremden waren. RADZIG*) sagt, Russland habe in den 12 Jahren von 1884—1895 für den Bahnbau 113 Millionen Pud Schienen russischer Provenienz gekauft, und berechnet, dass, wenn diese Schienen in England wären gekauft worden, 92 Millionen Rubel erspart worden wären. Wenn man zu dieser Summe auch nur die Hälfte der Zuschüsse, die von dem Staat den Schienen produzierenden Fabriken gegeben worden sind, hinzufügt, so erhält man eine Überzahlung von mehr als 100 Millionen Rubel. „Für die mehr als 100 Millionen Rubel, sagt RADZIG, die seit dem Jahre 1884 für Schienen zu viel gezahlt worden sind, hätten weitere 2.000 Werst Eisenbahnen gebaut werden können.“ Seit 1895 wurden, besonders für die sibirische Bahn, weitere ungeheure Mengen Schienen verbraucht, die von russischen Fabriken gefertigt waren. Sie waren für die sibirische Bahn in zu schlechter oder zu leichter Qualität geliefert worden und mussten durch schwerere ersetzt werden. Indessen waren diese schlechten Schienen mit 2 Rubel 25 Kopeken das Pud bezahlt worden, während englische — wahrscheinlich bessere — Schienen für 70 Kopeken das Pud, also für ein Drittel des Preises der russischen Schienen, angeboten wurden.**) Nimmt man hinzu, was außerdem andere staatliche und private Bahnen seit 1895 an Schienen verbraucht haben, so könnten leicht wieder 100 Millionen Rubel an Überzahlung herausgerechnet werden. Es ist ohne Zweifel ein gerechtfertigtes Streben der Regierung, einen so wichtigen Zweig der Eisenindustrie, wie die Schienenfabrikation, im eigenen Lande in der Vollkommenheit zu haben, wie der wachsende Verkehr es erfordert Wenn aber so große Opfer, wie die Überzahlung von 200 Millionen Rubel für Schienen im Laufe von 16 Jahren die Leistungsfähigkeit der einheimischen Fabriken nicht auf eine höhere Stufe heben konnten, als wie sie durch die angegebene Preisdifferenz gekennzeichnet wird, so muss man annehmen, dass der künstlich ins Leben gerufenen Industrie Mängel anhaften, die nicht in angemessener Frist abgestellt werden können.

*) Zitiert in ISSAJEWs Schrift: "Zur Politik des russischen Finanzministeriums seit Mitte der achtziger Jahre". Stuttgart 1898. S. 14.
**) Siehe Referat des Herrn BIRÜKOW in der Gesellschaft der Ökonomisten, St. Petersburger Ztg. Nr. 287. 1901.


Unterdessen kostet die Lehrzeit zu viel. Denn wie hier bei den, Schienen, so überzahlt der Staat auch bei anderen Fabrikaten, so überzahlt das Volk, wie wir sahen, beim Zucker, und so überzahlt es noch bei vielen, durch den Schutzzoll gezüchteten, teuer und schlecht hergestellten, aber russischen Dingen. Diese Beispiele zeigen, dass Kapital allein noch nicht ausreicht, um eine den heutigen Ansprüchen gewachsene Industrie zu schaffen; sie deuten darauf hin, dass auch da, wo das Kapital sich mit guten und ausreichenden Rohprodukten, wie in diesem Fall mit Eisen und Kohle, verbindet, in Jahrzehnten der Vorsprung nicht eingeholt werden kann, den ein Land mit in hartem Ringen geschulter Arbeiterschaft und einem Stand kaufmännisch und technisch ausgebildeter Männer voraus hat. Noch dazu in einem Land wie Russland, das auch der Lehrkräfte entbehrt, um wenigstens die theoretische Ausbildung auf eine höhere Stufe zu heben. Und besäße es auch die besten Lehrkräfte und eine Fülle von Schulen: die heutige Industrie verlangt mehr, sie verlangt eine handarbeitende Bevölkerung, in der technisches Verständnis, mechanische Spezialisierung gewissermaßen in Fleisch und Blut übergegangen sind; eine kopfarbeitende Bevölkerung, in der Gewohnheiten und Traditionen herrschen, in der leicht und ohne allzu große und häufige Fehlgriffe der rechte Mann sich an das rechte Rad stellt, in der schon bei dem Knaben die Wahl eines Berufs von Bedeutung ist, eine Bevölkerung, bei der die erwerbende Arbeit als Naturtrieb sich vorfindet In diesem durch jahrhundertelange Arbeit herausgebildeten Charakter der zur gewerblichen Arbeit vorzugsweise berufenen Bevölkerung liegt die Hauptkraft, der Europa und das europäische Amerika ihre Industrie verdanken. Diese Industrie wird geleitet, beseelt von der Wissenschaft; ihrer Blüte ging die Blüte der Naturwissenschaften voraus, die ihr Geist und Gesetz gaben zum Leben; von der Wissenschaft wird sie auch ferner stets begleitet, geführt werden. Aber dem Gelehrten folgt der Techniker, der industrielle Unternehmer, der Arbeiter mit altbewährten, traditionellen Erfahrungen, mit praktischem Sinn, mit Ausdauer und Fleiß. Überall muss sich erst das Handwerk gefestigt haben, ehe man zur Großindustrie übergehen kann. Das ist bis heute in Russland nicht der Fall, ein Handwerkerstand existiert nicht außerhalb einiger größerer Städte. Man meint heute vielfach in Russland, dass die Volksschule der Industrie helfen könnte, wenn sie allgemeiner verbreitet und besser wäre, und gewiss wäre der Arbeiter, der lesen, schreiben, rechnen kann, dem heutigen, dieser Dinge nur zu oft unkundigen Arbeiter vorzuziehen. Aber die Volksschule kann jene praktische Schulung hundertjähriger verfeinerter gewerblicher Arbeit nicht ersetzen. Auch Englands Arbeiter sind durch die Praxis erzogen worden, seine höhere technische Arbeiterschaft ist nicht aus technischen Hochschulen hervorgegangen, seine Wissenschaft auf diesem Felde ist nicht die höchststehende; England besitzt keine technische Hochschule, keine Handelsschule, die sich deutschen Fachschulen dieser Art an die Seite stellen ließen; und dennoch sind seine Leistungen auf dem Felde der praktischen Technik unübertroffen. Diese durch Kenntnisse und Erfahrung von Generationen vorgeschulte Arbeiterschaft kann für Russland kein Minister von heute auf morgen schaffen, weder durch die Volksschule, noch durch Vermehrung der technischen Hochschulen. Solcher Hochschulen gibt es vier: die Zahl der sogenannten industriellen und Handelsschulen wächst aber seit 5 Jahren so, dass man sich fragt, wo denn die Lehrkräfte herkommen sollen. TRUBNIKOW*) zählt ihrer 190. Nach Anderen sind allein dem Handel dienende Schulen seit 1896 aus privaten Mitteln über 100 gegründet worden, die über 20.000 Schüler fassen und jährlich 2 ½ Millionen Rubel kosten. Der Finanzminister verausgabt (Budget für 1902) für Schulen dieser Art rund 4 ½ Millionen. Aber die Zahl einheimischer technisch geschulter Kräfte ist noch gering und dabei sind diese Kräfte vorwiegend polnischer und deutscher Nationalität. Wenn trotzdem die Industrie seit 1895 ein überraschend starkes Wachstum aufweist, so wird man die treibenden Kräfte in dem starken Schutzzoll, in der ihn ausnutzenden Einwanderung fremder Unternehmer, in der Einwanderung fremden Kapitals, fremder Techniker und Werkführer, in der freigebigen Unterstützung von selten der Regierung mit Geldmitteln und Aufträgen zu suchen haben.

*) TRUBNIKOW, Die Reichtümer Russlands, Bd. I. S. 61.

So war der einheimische russische Produzent mit geringen Kenntnissen, geringen Erfahrungen und geringem eigenen Gelde ausgerüstet, als er sich unter Leitung der Regierung kopfüber in den Strom des industriellen Schaffens stürzte. Wie aber stand es mit dem Konsumenten? Für wen sollte fabriziert werden?

Selbst ein so sanguinisch veranlagter Mann, wie der Herr Minister WITTE, wird sich zu der Hoffnung nicht versteigen, dass das industrielle Russland es in absehbarer Zeit zu einer irgend nennenswerten Ausfuhr von Fabrikaten nach Europa bringen werde. Bessere Aussichten bieten sich in Asien, und nach diesem Markt geht ja denn auch die ganze Sehnsucht der russischen Politiken. Er steht dem russischen Fabrikat offen vom Stillen Ozean an bis an den Euphrat. Was ist nun dorthin ausgeführt worden? Mir stehen leider die Ziffern für den asiatischen Export nicht zu Gebote, wenn man sich jedoch vergegenwärtigt, dass der gesamte Export an Fabrikaten in dem Jahre vor Beginn des Industrietaumels, 1894, sich auf 9 ½ Millionen, im Jahre 1895 auf 11,2 Millionen Rubel belief,*) und dass durchschnittlich von 1887—1899 die jährliche Ausfuhrziffer 25,6 Millionen, d. i. 3,7 Prozent**) der russischen Gesamtausfuhr erreichte, so wird man von dem asiatischen Markt, auch wenn er den größten Teil dieser Fabrikate aufnahm, doch kaum einen wesentlichen Einfluss auf eine industrielle Produktion von 1.800 Millionen Rubel an Wert erwarten dürfen. Die Produktion bleibt also vorläufig auf den inneren Markt angewiesen. Wie aufnahmefähig war nun dieser innere Markt?

Ein Land mit 126 Millionen Köpfen***) und unentwickelter Industrie ist geeignet auf einen deutschen Industriellen einen sehr verführerischen Reiz auszuüben. Er wird sich sagen, dass diese 126 Millionen Weiße gewiss ein größeres Bedürfnis nach Zivilisation, nach den Erzeugnissen wirtschaftlicher Kultur haben, als eine gleiche Zahl von Schwarzen oder Indern; dass, wenn sie auch zur Zeit noch wenig Bedürfnisse haben, dies nur an ihrer Unbekanntschaft mit den Genüssen der Zivilisation liegen könne, und dass es daher nur nötig sei, sie mit ihnen bekannt zu machen, um ihre Kauflust zu wecken.

*) ISSAJEW, a. a. 0. S. 12.
**) SCHWANEBACH, a. a. 0. S. 134.
***)Volkszählung von 1897, MILÜKOW zahlt 129 Millionen mit Finnland einbegriffen.


Er kann ferner erwägen, dass dieses Land reiche Naturschätze birgt, dass es sehr fruchtbar ist, und dass es in der Tat ungeheure Mengen Getreide in letzter Zeit produziert und davon sehr viel an das Ausland verkauft hat, nämlich in dem Jahrfünft von 1887—1891 durchschnittlich 442 Millionen Pud oder 128 Millionen Zentner, und in dem Jahrfünft von 1893—1897 gar 523 Millionen Pud oder fast 134 Millionen Zentner. Er kann sich ferner vorrechnen, dass eine so starke und zugleich wachsende Getreideausfuhr einen wachsenden Wohlstand im Lande müsse begründet haben oder begründen werde, wovon ja auch der glänzende Stand der Finanzen des Staates Zeugnis ablege. Er kann zu dem Schluss gelangen, dass es nach alledem ein äußerst günstiger Augenblick sei, um in diesem Lande industrielle Anlagen zu machen. So konnte er urteilen, ehe er die wirklichen Zustände in diesem Lande genau kannte. Nachdem er die Zustände aber genauer beobachtet hatte, musste er zu der Erkenntnis kommen, dass in seiner Rechnung einige Irrtümer enthalten waren. Er musste bemerken, dass von den 126 Millionen Menschen nur ein geringer Teil, vielleicht ein paar Millionen, in einer Lebensstellung sich befinden, mit der das Bedürfnis nach verfeinerten Industriewaren verbunden zu sein pflegt; dass diese paar Millionen an fremdländische Waren dieser Art gewöhnt und durch sie verwöhnt sind; dass 90 Prozent, oder wenn man die unrussischen Grenzländer abscheidet, etwa 70 Prozent von den 126 Millionen, trotz der reichen Getreideausfuhr nicht zu Wohlstand gelangt, vielmehr in einer Lebenslage geblieben sind, die sie durchaus nicht zu beachtenswerten Abnehmern von Fabrikaten stempelt, und dass die wirtschaftlichen Verhältnisse, die politischen Verhältnisse, die finanziellen und kulturellen Verhältnisse eine baldige Besserung der Lebenslage dieser Bevölkerung nicht in Aussicht stellen. Er wird den inneren Markt dieses Landes daher für weniger groß, weniger aufnahmefähig halten, als er ihm anfangs schien, und er wird nach all diesen Erwägungen in dem Umfang seiner Unternehmungen eine weise Vorsicht walten lassen.

Die Förderung der Industrie ist die natürliche Aufgabe jedes russischen Finanzministers. Eine Feuerung, die die Temperatur des Treibhauses auf 20 Grad gebracht hätte, wäre der Pomeranze vielleicht sehr wohltätig gewesen; als die Wärme aber auf 30—40 Grad stieg, konnten viele Früchte nicht reifen. In den 5 Jahren von 1892 — 1897 stieg die Produktion der Industrie, wie wir sahen, um 806 Millionen Rubel oder um durchschnittlich jährlich 161,2 Millionen Rubel; die Eisenindustrie verdoppelte die Menge ihrer Erzeugnisse. War denn nun in dieser kurzen Periode der Wohlstand des Volkes so gestiegen, waren die Bedürfnisse nach Industriewaren so gewachsen, um 161 Millionen jährlich mehr ausgeben zu können? Fand die Industrie ihren Markt in der Masse des Volkes? Nein, sondern der Hauptabnehmer war die Regierung mit ihrem Eisenbahnbau, dem fiskalischen wie dem durch Gesellschaften mit fiskalischer Hilfe betriebenen Bau, für den in dieser Periode 1.273 Millionen Rubel ausgegeben wurden. Nicht das russische Volk, sondern der russische Fiskus stellte den Markt für die verdoppelte und verdreifachte industrielle Tätigkeit, der Fiskus, der selbst das Geld borgte, um die Waren zu bezahlen. Der Bahnbau war fiskalisch, direkt oder indirekt, denn nach amtlichen Angaben trägt die Regierung 94,9 Prozent der Anlagekosten der Privatbahnen.* Die Industrie war fiskalisch und ist fiskalisch zum größeren Teil: der Staat ist auch hier der größte, der hauptsächlichste Unternehmer im Reiche. Bau der Staatsbahnen Branntweinmonopol, Industrie — das sind drei gewaltige Gebiete der Verwaltung, die von der Hand des Finanzministers geleitet werden.

Erst 6 Jahre ist es her, es war im August 1895, dass in Petersburg zum ersten Mal, wenn ich nicht irre, der anderwärts schon oft aufgeführte Tanz um das goldene Kalb an der Börse aufgeführt wurde. Nach 1861, als der russische Adel seine Leibeigenen verloren und dafür Loskaufsscheine und Bankdarlehen bekommen hatte, begann er zwar auch sich in diesem Tanz zu versuchen, aber doch in sehr mäßigen Grenzen und sehr ungeschickt. Jetzt, dreißig Jahre später, strömten die Millionen zu Hunderten nach Petersburg zu besserer Verzinsung oder zu raschem Kapitalgewinn, und der Gründungstaumel war da. Banken entstanden, Banken gaben ohne viel Zögern Geld für alle möglichen und unmöglichen industriellen Anlagen, man rief sogar nach einer großen Emissionsbank, da die Anfertigung und der Vertrieb von Aktien immer noch nicht schnell genug vor sich ging. Unter dem hohen Zollschutz gaben manche große Unternehmungen sehr großen Gewinn.

*) Statistische Übersicht über das Eisenbahnwesen in Russland 1901. St. Petersburg.

Bis in die neueste Zeit zeigte der Kurszettel Gesellschaften, die bis zu 60 Prozent Dividenden zahlten. Kaum aber waren drei Jahre verflossen, so spürte man schon etwas Atemnot. In Europa stieg der Kapitalwert, die Geldknappheit drückte auf die vielen unsolid gegründeten Unternehmungen, der Finanzminister begann mit dem Staatskredit zurückzuhalten. Ein paar große industrielle Firmen, von DERWES, dann MAMONTOW, stürzten. Trotzdem wurden noch im zweiten Halbjahr 1899 48 ausländische Gesellschaften konzessioniert, im ganzen für 1899 70 fremdländische Gesellschaften, d. h. mehr als in irgend einem Jahre vorher. Insgesamt waren am Schluss von 1899 in Russland 146 fremde Gesellschaften konzessioniert*) mit einem genannten Kapital von 765 Millionen Rubel oder 2.075 Millionen Franken, wovon auf Frankreich 792 Millionen, Belgien 734 Millionen, Deutschland 261 Millionen, England 231 Millionen Franken fallen; hiervon war freilich ein Teil russisches Kapital unter fremder Firma. Der Minister warnte persönlich und durch die Presse vor Überstürzung, aber nun wurde auf ihn in dem allgemeinen Fieber, das er entfacht hatte, nicht mehr geachtet, und man forderte von ihm nur immer mehr Geld, neue Unterstützungen. Man kann auch nicht sagen, dass solche Forderung erstaunlich gewesen wäre, nachdem ja vom Minister selbst die Gründungslust so offen und stark war angestachelt worden. Der Minister suchte mit Worten zu helfen, da er es mit Geld nicht vermochte. In einer langen Erörterung, die offiziell in der Presse am 23. Oktober 1899 erschien, setzte er auseinander, dass das Unglück nicht von dem Mangel an Geld herrühre, wovon die nie erreichte Summe von 1.350 Millionen im Lande vorhanden sei, und dass die Valuta sich nicht in Gefahr befinde. Auch versprach er durch die Staatsbank Kredite zu eröffnen. Schon früher hatte er warnend darauf aufmerksam gemacht, dass die großen fiskalischen Bestellungen für die Bahnbauten im Jahre 1900 im wesentlichen würden abgeschlossen sein. Anderseits suchte er der Entmutigung zu steuern. Am 31. Oktober 1899 erklärte er sogar vor den versammelten Direktoren der privaten Kreditanstalten, die Finanzlage Russlands sei glänzend, selbst gediegener als die von Frankreich und England, ein Ausspruch, der zeigt, in welchem gefährlichen Grade dieser Minister die Lage seines Ressorts von der Finanzlage des Volkes trennte und von der Macht glänzender Zahlen alles erwartete. Ein Jahr nur verging, und er musste die bösen Folgen seines Irrtums erfahren, als die Not aufs höchste stieg, als der Krach herankam. Der Minister war nun selbst in die Klemme geraten.

*) Frankf. Ztg., Januar 1900.

Die Überschüsse der Einnahmen wären noch immer bedeutend gewesen, aber außerordentliche Ausgaben waren herangetreten und hatten die Kassen geleert. Der Minister wollte für den Bau der sibirischen Bahn keine neuen Anleihen aufnehmen, sondern sie aus seinen „freien Barbeständen“ bauen. Nun aber traten die chinesischen Verwickelungen ein, für die er noch weit weniger zu Anleihen seine Zuflucht nehmen wollte. Er musste also die freien Bestände auch hierzu brauchen und verwandte, wie er angab (Bericht zum Budget 1901), im Jahre 1900 dazu rund 61 Millionen. In Wirklichkeit beliefen sich die für 1900 gemachten außerordentlichen Ausgaben auf die gewaltige Summe von rund 334 Millionen Rubel und überstiegen den Voranschlag um rund 141 Millionen. Damit wurden die Mittel des Staates so scharf in Anspruch genommen, dass nicht viel übrig blieb, um der bedrängten Industrie zu Hilfe zu kommen. Der Staatskredit stockte, infolge davon auch der Kredit der Privatbanken, und auf diesen direkten oder indirekten Staatskredit hin war ja eine sehr große Menge industrieller Anstalten von Hause aus gegründet worden und angewiesen. Da kam denn der Krach.

Im Laufe des Jahres 1900 sanken alle industriellen Papiere, und zu Anfang Oktober herrschte der Schrecken an der Petersburger Börse. Sogar die Agrarbanken verloren durchschnittlich 70 Rubel auf die Aktie, die NOBELschen Naphthaaktien 144 Rubel auf die Aktie, NOBELsche Anteilscheine verloren 3.500 Rubel auf das Stück u. s. w. Ein eingeweihter Korrespondent*) verglich zu Anfang 1901 die belgischen Gesellschaften mit einem großen Ruinenhaufen; es kamen 734 Millionen Franken für sie in Frage. Vom Oktober 1900 ab brach eine Firma nach der anderen zusammen; noch in den letzten Tagen des Jahres, vom 22. — 27. Dezember, fielen die Aktien der besten Gesellschaften täglich um bedeutende Ziffern, so dass die St. Petersburger Zeitung am 27. Dezember alt. St. ausrief: „Angesichts all dieser erschütternder Vorgänge steht einem der Verstand still!" Und am 30. Dezember schrieb sie folgendes: „Es war ein böses Jahr, Gott sei Dank, dass es endlich vorüber ist! Viele Jahre werden nötig sein, um alles Böse zu vergessen und um die erlittenen schweren Wunden ordentlich vernarben zu lassen. Von 282 Börsenversammlungen, die wir hatten, sind beinahe 200 durch einen panikartigen Verlauf gekennzeichnet worden. Die politischen Vorgänge in der ganzen Welt und die prekäre Lage des Geldmarktes haben in Gemeinschaft mit starken Enttäuschungen über die Tätigkeit und die Entwicklung der heimischen Industrie, speziell dem schroffen Niedergang in der metallurgischen Branche, der Krisis den scharfen Charakter aufgedrückt, von dem wir so oft besonders in den letzten drei Monaten berichten mussten."

*) Züricher Tages-Anzeiger, 1901, 25. April, Nr. 96.

In einem Bericht des Finanzministeriums wurde mitgeteilt, dass 24 Millionen Rubel allein dadurch verloren gegangen seien, dass im Bau begriffene Fabriken und Werke nicht konnten vollendet werden, weil man die Überzeugung gewonnen hatte, dass sie, wenn in Betrieb gesetzt, niemals ihr Kapital verzinsen könnten. Andere Werke im Werte von 200 Millionen Rubel mussten wegen mangelnden Absatzes ihrer Erzeugnisse geschlossen werden; aus demselben Grunde zahlten 17 große ausländische Aktiengesellschaften im Jahre 1900 keine Dividende. 734 Millionen fremden — wohl belgischen — Kapitals hatten sich mit weniger als 2 ½ Prozent verzinst. Mehr als 400 Fabriken entließen ihre sämtlichen Arbeiter und stellten den Betrieb ein. Im Donezgebiet wurden von 57 Hochöfen 25 gelöscht. Ungezählte Millionen in Masseleisen, berichtete im April 1901 der Korrespondent des Züricher Tagesanzeigers, liegen, auf Käufer wartend, da, und noch immer werden Fabriken geschlossen, die bis dahin mühselig ihr Dasein fristeten. „Der größte Teil des fremden Kapitals“, meint der Korrespondent weiter, „ist verloren, und der Schlag für Russland selbst ein um so schwererer, als sich in Zukunft fremdes Kapital nur außerordentlich schwer entschließen wird, in Russland gewinnbringende Anlagen zu suchen." Ohne Zweifel wurde sehr viel Kapital durch sinnlose Spekulationen und überstürzte Anlagen bei mangelnder Lokalkenntnis verloren, aber andererseits stellte sich heraus, dass eine gute Verzinsung in Russland überhaupt nur schwer zu erlangen war; brachten doch die ursprünglich so hohen Gewinn verheißenden Eisenwerke Russlands selbst zur Zeit der höchsten Konjunktur nicht mehr als 5 ½ Prozent. Damit soll keineswegs gesagt sein, dass der intelligente und gleichzeitig vorsichtige Industrielle und Kaufmann nicht in Russland gewinnbringende Verwendung für sein Kapital und seine Tätigkeit finden könnte. Weiter hieß es in der Korrespondenz: „Zu diesen Ursachen kommt die ungleiche Verteilung der Produktivkräfte des Reiches, die Überkapitalisation der neuen Gesellschaften, deren wilde Konkurrenz untereinander zu dem ausgesprochenen Zweck, den Gegner zum Bankrott zu treiben, und eine jeder Grundlage entbehrende Börsenspekulation. Eine ganze Anzahl Banken ruinierten sich dadurch, dass sie ganz phantastische Industrie-Unternehmungen finanzierten, oder sich in landwirtschaftliche Spekulationen einließen, von denen ihre Direktoren nicht die leiseste Ahnung hatten. In ebenso zahlreichen Fällen wurden kostspielige Fabrikgebäude aufgeführt und mit den teuersten Maschinen ausgestattet, ohne dass man sich irgendwie an die gemachten Voranschläge hielt, oder sich darum kümmerte, ob das so angelegte Kapital sich selbst in guten Zeiten verzinsen könne. Die meisten der in den letzten Jahren entstandenen neuen Aktiengesellschaften fanden sich nach Vollendung ihrer Fabriken ohne oder ohne genügendes Betriebskapital.''

Sehen wir uns nun den Kurszettel vom 1. Januar 1902 an, so finden wir wenig darin, was auf einen Rückgewinn an dem verlorenen industriellen Boden vertrösten könnte. Zwar die Spielwut ist an der Börse kaum geringer geworden, denn das reinste Spielpapier, die Prämienlose, dominiert heute. Aber die Eisenindustrie, diese Führerin auf dem industriellen Markt, hat seit dem letzten Schreckensmonat Oktober 1900 noch weitere Rückschritte gemacht. Wenn man die Notierungen der Petersburger Börse vom 31. Dezember 1896, 1900 und 1901 vergleicht, so ergeben sich erhebliche Verluste:

Das sind Zahlen, die offen für einen schlimmen Geschäftsgang sprechen, und wenn sie sich bloß auf wenige Werke erstrecken, so sind es Werke ersten Ranges in der leitenden Eisenindustrie. Die Zahlen könnten durch eine lange Reihe anderer ergänzt werden, die alle Zweige der Industrie umfassen. Sechs Jahre scheinbar glänzenden industriellen Aufschwungs haben genügt, um einen jähen Niedergang eintreten zu lassen, der Hunderte und aber Hunderte von Millionen für immer verschlungen hat. Indessen hat der Minister den Mut noch nicht verloren. Wieder griff er zu ausländischen Anleihen, die bei der allgemeinen Geldknappheit in Europa weder so leicht noch so billig als früher ins Werk zu setzen waren. Seit dem Mai 1901 brachte er 623 Millionen Mark*) ins Land, die für Eisenbahnzwecke verwandt wurden. Die Moskau-Kasaner, die Lodzer Bahn erhielten die Mittel zur Erweiterung des Betriebes. Drei neue Bahnen wurden in Angriff genommen: die Nordbahn, Orenburg-Taschkent, Bologoje-Sedlez, zusammen etwa 4.OO0 km, so dass heute an staatlichen und privaten Bahnen im Bau begriffen sind 6.298 Werst, außer der unter Leitung der Ostchinesischen Gesellschaft im Bau stehenden Strecke von 2.377 Werst.**) Das Budget weist für Bahnbauten im Jahre 1902 wieder 170 ½ Millionen Rubel auf.***) Nun flossen den Eisenwerken, Waggonfabriken u. s. w. wieder Bestellungen zu, die sie für einige Zeit sicherten. Ohne diese Hilfe stände es um viele dieser Werke heute wohl noch schlimmer, als es die oben erwähnten Notierungen der Börse andeuten. Allein wie lange wird man mit dieser Hilfe reichen? Sind Bahnen wie die Orenburg-Taschkenter oder die Bologoje-Sedlezer etwa produktive Anlagen? Sind die 1.000 Millionen Rubel, welche die sibirische und die im Oktober 1902 eröffnete Mandschurische Bahn nach neueren Angaben (Now. Wremä) verschlungen haben, produktiv angelegt? Sie mögen auf die Produktion und den Handel in jenen Gegenden Asiens anregend wirken und insoweit produktiv genannt werden. Aber ihr Bau legt bisher schon dem Reich eine Milliarde neuer Schulden auf, die verzinst und getilgt werden müssen, und die Taschkenter-Bahn, wenn auch in der Zukunft viel versprechend und daher eine weit bessere Anlage als die ostsibirischen Bahnen, wird weitere Hunderte von Millionen hinzufügen. Denn wenn Herr WITTE stets mit Stolz darauf hinweist, er habe die sibirische Bahn aus seinen Überschüssen und Barbeständen gebaut, so ist das doch bloße Spiegelfechterei, da diese Barbestände und Überschüsse eben durch die Anleihen und zum Teil aus den Anleihen entstanden und entstehen. Dass diese Bahnen Zins und Tilgung selbst aufbringen werden, steht für lange hinaus nicht zu erwarten, und ehe es geschieht, wird man vom Gesichtspunkt des russischen Steuerzahlers aus diese Bahnen nicht für produktive Kapitalanlagen halten können. Länder wie England können große Summen auf Anlagen verwenden, die in Jahrzehnten erst Zinsen in Aussicht stellen; eine Bahn von Kairo zum Kap ist ein Unternehmen, das kein anderer Staat als England heute angreifen dürfte. Was aber würde selbst der englische Steuerzahler dazu sagen, wenn diese Bahn mit Staatsmitteln und gar mit erborgten Staatsmitteln gebaut würde?

*) Französ. Anleihe 435 Mill. Fr. und verkaufte Obligationen 80 Mill. Mk.
**) St. Petersb. Ztg., 1902, A 64.
***) Seit obiges geschrieben wurde, sind weitere neue Bahnbauten beschlossen worden: Saratow-Astrachan, Petersburg-Kiew.


Auch anderwärts als in Russland befindet sich die Industrie in bedrängter Lage. Auch in Deutschland ist auf den großen Aufschwung ein Rückschlag gefolgt. Man hatte sich mit Übereifer in das Gewühl des Weltmarktes gestürzt und arbeitete zum großen Teil für die Ausfuhr. Der Weltmarkt wurde knapper und die für ihn arbeitende Industrie musste sich einschränken. Doch hat der Weltmarkt, obgleich gestört durch Krieg und Furcht vor Krieg, in sich nicht an Kaufkraft verloren und wird sich wieder beleben bei sicheren Zeiten. Wenn die Ausfuhrindustrie Schaden leidet, so entgehen den Einzelnen und den Aktionären Gewinne, vielen Arbeitern der Verdienst. Aber die deutsche Industrie ist durch eigenes Kapital emporgekommen, nicht durch Staatsanleihen im Ausland. Und ferner ist jede Industrie nur insoweit eine volkswirtschaftlich gesunde, als ihre Hauptpfeiler auf einheimischem Boden stehen, als sie ihren Hauptmarkt im Inland hat. Eine Industrie, die hauptsächlich für die Ausfuhr arbeitet, bringt das eigene Land in wirtschaftliche Abhängigkeit vom Ausland und wird daher immer den Wechselfällen der fremden Märkte ausgesetzt sein. So liegt es in England und in Belgien. Der deutsche Markt ist bisher stark genug, um die einheimische Industrie in der Hauptmasse aufrecht zu halten, und es ist zu wünschen, dass es dabei bliebe. Es wäre ein Unheil, wenn das deutsche Wirtschaftsleben jemals von dem Wohlergehen der Ausfuhrindustrie so abhängig würde, wie es in England und Belgien der Fall ist. Wenn in den Industriestaaten Europas und Amerikas jahrelang mit so leidenschaftlicher Hast an der Vermehrung industrieller Werte gearbeitet worden ist, wie es seit 10 oder 15 Jahren geschah, so darf man sich darüber nicht aufregen, dass der Weltmarkt versagt In Deutschland allein lagerten zum Herbst 1901 für 1 ½ Milliarden Industriewaren, die keinen Käufer fanden. Man dürfte doch wohl jetzt glauben, auch nicht hoffen noch wünschen, dass unsere industrielle Produktion für das Ausland in dem Tempo weiter wachse, wie sie seit einiger Zeit gewachsen ist In diesem Sinne Industriestaat zu werden, davor möge uns Gott bewahren, und da wir unsere Industrie aus eigenen Mitteln, nicht wie Russland aus fremden geschaffen haben, so kommen dadurch einzelne wohl in Notlage, dem Ganzen aber wird diese Stockung wohltun.

Russland ist anders gestellt: es führt an Fabrikaten sehr wenig aus, und zugleich ist sein heimischer Markt sehr dürftig. Ihn zu beleben machte sich die Staatsregierung zur Aufgabe, indem sie mit eigenem und fremdem Gelde den Anstoß zur Herstellung einer ungeheuren Menge von Waren gab und zugleich für den Absatz dieser Waren eine Menge von Schienenwegen öffnete. Das geschah mit einer solchen Hast, so gewaltsam, dass in wenigen Jahren die Nachfrage von dem Angebot an Industrieartikeln überholt wurde. Und hier versagte der innere Markt, der Volkswohlstand, nicht wie gegenwärtig in Deutschland der äußere Markt. Vordem hatte man dieselben Ziele, aber besonnener verfolgt. Nach der Agrarreform von 1861 förderte der Minister von REUTERN kräftig Industrie und Handel. Im Laufe seiner Amtszeit, 1862—1879, gründete er 45 kommerzielle und industrielle Banken, und baute über 18.000 Werst Eisenbahnen, ohne damit dem Staat erhebliche Schulden aufzubürden. Die 45 Banken waren nützlich angelegt in einem Lande, das eben von der Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft übergehen sollte, und in dem es weder Geld noch Banken gab. Jetzt, in der neuen Ära, arbeitete man mit Milliarden, wie 20 Jahre früher mit Millionen, und schuf doch keine Industrie, die mit der fremdländischen Einfuhr zu konkurrieren fähig wäre, die eines hohen Zollschutzes entbehren könnte. Dieses aber, die freie Konkurrenz, ist nach den Worten des Ministers das Ziel des Protektionismus. Der Schutz durch Zölle gilt der Schule, in der das Volk sich industriell entwickeln soll. Er hat allerdings in kurzer Zeit eine Fülle industrieller Tätigkeit hervorgerufen, die nicht spurlos verschwinden kann. Der Verbrauch an Textilwaren und an Eisenwaren ist stark gestiegen und wird, wenigstens in den westlichen Landesteilen, voraussichtlich noch steigen. Mehr als die Hälfte, nach anderer Annahme sogar 2/3 der Eisenindustrie, arbeitet für privaten Bedarf, wobei allerdings zu beachten ist, dass staatliche und private Eisenbahnen zusammen die Hauptabnehmer des Eisens sind. Von dem russischen Roheisen soll im Jahre 1899 etwa 3/5 für Bahnbauten und nur 2/5 für privaten Verbrauch verwandt worden sein. Eine Menge industrieller Waren, die vordem vom Ausland geliefert wurden, werden jetzt in Russland selbst hergestellt Die meisten bedürfen auch jetzt noch des Zollschutzes, und vielleicht würde ein durchschnittliches Urteil dahin lauten, dass bisher zu teuer und zu schlecht produziert worden ist. Es werden gleichwohl die Grundbedingungen für industrielle Arbeit, wie sie in diesen Jahren geschaffen wurden, bestehen bleiben, auch wenn ein Teil der Unternehmungen zu Grunde gehen wird. Man wird aber ein so hohes Lehrgeld gezahlt haben, dass der Volkswohlstand darunter leiden muss und die Kaufkraft industrieller Werte noch weiter gesunken ist. Der Einsatz ist zu groß gewesen in diesem Spiel, und so ist das Spiel volkswirtschaftlich verloren: der industrielle Niedergang ist nicht ein vorübergehender Tiefstand, sondern ein Verlust, der nicht wieder sich ausgleichen wird.

Wir werden in den folgenden Kapiteln sehen, dass die Erzeugung von Rohstoffen ebenso wenig sicher gegründet ist, als die von Fabrikaten. Sollte die Ausfuhr von Rohstoffen sinken, so wird man bei dem heutigen Finanzsystem versucht sein, die Handelsbilanz durch verstärkten Protektionismus zu stützen. Zu demselben Mittel zu greifen wird man versucht sein, wenn mit Schluss des Jahres 1903 kein günstiger Handelsvertrag mit Deutschland zustande kommt. Die Erfahrungen von 1891 bis 1894 haben indessen gezeigt, dass der Nutzen, den hohe Schutzzölle der Industrie vielleicht bringen, leicht von Nachteilen herabgedrückt werden, die damit der Landwirtschaft zugefügt werden. Der Staat, dessen Finanzen hauptsächlich auf der Ausfuhr von Rohstoffen ruhen, ist immer im Nachteil gegenüber dem Industriestaat, dessen Fabrikate er durch Zölle bekämpft Ein ackerbauendes Land verträgt weit weniger eine merkantile Politik, als ein verarbeitendes. In dem Austausch der Waren ergibt sich für den Ackerbauer stets der Nachteil, dass die Rohstoffe durch Gewicht und Volumen große Anforderungen an die Frachtmittel stellen. Hier hilft der Staat nun freilich nach, soweit er die Frachtmittel beherrscht, nämlich durch billige Tarife auf seinen Bahnen. Aber es tritt der Übelstand ein, dass die Ausfuhr-Wagen zum großen Teil leer den Rückweg machen müssen, weil die Einfuhr an Rohstoffen gering ist, die Fabrikate aber die Räume, die Korn oder Holz einnahmen, nicht füllen. Die Abnutzung des Bahnmaterials wird also erhöht, die Kosten der Fracht werden vermehrt. Am Hafen tritt derselbe Übelstand ein bei der Schiffsfracht. Kommt nun ein hoher Zollsatz hinzu, werden etwa Kampfzölle erhoben, und vermindert sich infolge derselben die Einfuhr, so kommen immer mehr Schiffe mit Ballast geladen zum Hafen, und dementsprechend steigen die Frachtpreise, die der Landwirt, nicht der Fabrikant, in der Hauptsumme bezahlt. So war es in Russland in den Zeiten der hohen Zollsätze. Zu Anfang der neunziger Jahre liefen die meisten Schiffe mit Ballast ein, weil sie keine Einfuhrware fanden, und das russische Korn musste den Verlust bezahlen; der russische Landwirt bezahlte nicht nur mehr als vorher für deutsche Maschinen und englische Game, sondern bekam weniger für sein Korn, als er ohne die hohen Zölle erhalten hätte. Die Einfuhr wurde durch die Schutzzölle WYSCHNEGRADSKls um 100 Millionen Rubel an Wert herabgedrückt, die Ausfuhr von Rohstoffen um über 300 Millionen verstärkt; aber die ausgehenden Schiffe fanden keine Rückfracht und mussten diesen Ausfall durch erhöhte Frachtpreise von der Ausfuhr decken. In Libau kamen leere Schiffe ein mit 67 Prozent des gesamten einkommenden Tonnengehaltes; in den Häfen des Schwarzen Meeres und Asowschen Meeres kamen vor der Zollerhöhung, im Jahre 1883, Schiffe mit Ballast ein 57 Prozent, nach Einführung des hohen Tarifs von 1891 und 1893 aber, im Jahre 1893, 77 Prozent, im Jahre 1894 80 Prozent. Die Landwirte verloren also annähernd soviel, als hierdurch die Fracht verteuert wurde, und was das zu sagen hat, deutet eine Angabe des Odessaer Börsenkomitees aus früherer Zeit an, die von einer russischen Fachzeitung*) mitgeteilt wurde. Dort heißt es: „Vom 1. Juni 1884 bis 1. August 1885 sind an Kohlenzoll 480.000 Rubel Gold vereinnahmt, für dieselbe Zeit aber auf 120 Millionen Pud ausgeführtes Getreide 2 ½ Millionen Rubel an Fracht überzahlt worden oder 3 ¼ mal so viel als der Betrag des Zolles.“ Ohne den Kohlenzoll hätten die Schiffe mehr Kohlen hereingebracht, also weniger Schiffe leer kommen müssen, infolgedessen konnten weniger hohe Frachtkosten bei Ausfuhr des Getreides berechnet werden. Einen Teil des Kohlenzolles bezahlte der Landwirt.

Dies ist ein Beispiel dafür, wie leicht die allzu eifrige Verfolgung des fiskalischen Interesses das Volksinteresse schädigt, und wie große Vorsicht gerade ein Staat, der auf die Ausfuhr von Rohstoffen angewiesen ist, bei der Behandlung des Zolltarifs beobachten muss, wenn er sich nicht selbst durch überspannten Protektionismus schädigen will.

*) Promyschlenni Mir (Industrielle Welt).

Andere Staaten sind zu ihrer Zeit in ähnlicher wirtschaftlicher Lage gewesen wie Russland vor dreißig Jahren: Frankreich zur Zeit COLBERTs, Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Beide standen Englands wirtschaftlicher Übermacht ähnlich gegenüber wie heute Russland gegenüber den Industriestaaten des Westens. Die wirtschaftliche Abwehr wurde dort unter staatlichem Schutz, nicht aber mit staatlichen Mitteln durchgeführt. Die Belebung, der Anstoß selbst vollzog sich in Deutschland aus der Mitte des Volkes heraus und wurde von führenden Kräften zur Reform des wirtschaftlichen Lebens erweitert Männer wie PERTHES, FRIEDRICH LIST, HANSEMANN entfesselten die im Volke schlummernden Kräfte und die Regierungen mussten folgen, nicht umgekehrt, wie es heute in Russland geschieht. LIST hat in Deutschland für Eisenbahnen und Schutzzoll im ähnlichen Sinne gewirkt wie WYSCHNEGRADSKI und WITTE in Russland; aber LIST arbeitete mit den materiellen Mitteln, die im Volke bereits vorhanden waren und nur mobil gemacht zu werden brauchten; Russland arbeitet mit Summen, die das Volk mit einem großen „goldenen Tribut“ an das Ausland belasten. LIST fand ein für die industrielle Arbeit und den Verbrauch industrieller Erzeugnisse wohl vorbereitetes Volk vor: in Russland fehlte beides. In Deutschland ging man zögernd und vorsichtig zum Protektionismus über, um der Großindustrie allmählich zum Wachstum zu verhelfen: in Russland wurde ein industrielles Fieber erzeugt ohne Rücksicht auf die Kräfte des Volkskörpers. In Deutschland hatte man weder große Politik noch Kolonien zu bezahlen: in Russland verwendet man jährlich viele hundert Millionen auf die Erhaltung der Weltmacht und Förderung der Kolonien. Und endlich das Wesentlichste: man hat die Männer nicht für so ungeheure Aufgaben, wie man sie sich gestellt hat

In diesen 10 Jahren wurde ein stolzer Neubau, richtiger ein neues Stockwerk auf die alten Mauern der russischen Volkswirtschaft gesetzt, mit aller Kunst, aller Technik, allen Vollkommenheiten unserer Zeit. Dennoch hat es in dem neuen Stockwerk bedenklich gekracht und manchen Riss gegeben, und es scheint, dass jene alten Mauern von Lehmschlag den modernen Neubau nicht zu tragen vermögen. Wenn der innere Markt dauernd versagen sollte, wenn der russische Konsument nicht im Stande wäre, die Erzeugnisse der neuen Industrie aufzunehmen, dann hätten zwei sehr gewandte und sehr energische Minister einen großen Fehler begangen. Wir wollen nun suchen, uns hierüber etwas Klarheit zu verschaffen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das heutige Russland, Kulturstudie um 1900
Russland 001. Der Metropolit von Petersburg eröffnet eine Prozession

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Russland 002. Petersburg, Winterpalast, Architekt Rastrelli

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Russland 002. Petersburg. Der Taurische Palst (Gebäude des Reichsduma)

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Russland 003. Petersburg, Altes Michael-Palais (Ingeneurschloss)

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Russland 003. Petersburg, Denkmal Peters des Großen

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Russland 004. Petersburg, Blick von der Newa auf die Isaakskathedrale und den Palast des Heiligen Synod

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Russland 005. Petersburg, Museum Alexander III.

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Russland 006. Petersburg, Holzbarken auf der Fontanka bei Eisgang

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Russland 007. Petersburg, Alexandersäule, errichtet von Nikolaus I. zur Erinnerung an den Sieg über Napoleon

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Russland 007. Petersburg, Vorhalle der Isaakskathedrale

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Russland 008. Petersburg, Ein Landhaus in der Umgebung

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Russland 008. Petersburg, Eine Feuerwachstation

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Russland 008. Petersburg, Holzbarken auf der Newa im Sommer

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Russland 008. Petersburg, Teebude in einer Vorstadt

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Russland 009. Petersburg, Am Hafen

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Russland 009. Petersburg, Das Straßenpflaster

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Russland 010. Petersburg, Der Buddhistentempel

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Russland 010. Petersburg, Die große Moschee

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Russland 010. Petersburg, Isaaksplatz

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Russland 010. Petersburg. Der Peterspalast im Winter

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Russland 011. Der Iswostschik (Lohnkutscher)

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Russland 011. Eine Nebenbahn

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Russland 011. Lastfuhrwerke

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Russland 011. Schlitten

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Russland 012. Petersburg, Die Admiralität, Erbaut von 1727 an, Architekt Sacharow

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Russland 012. Petersburg, Die Admiralität

Russland 012. Petersburg, Die Admiralität

Russland 013. Petersburg, Haupteingang der Admiralität

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Russland 014. Wologda, Altes Herrenhaus, Holzarchitektur

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Russland 014. Zarskoje Sselo, Großes Palais, 18. Jahrhundert, Architekt Rastrelli

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Russland 015. Der Ladogakanal, Die Schiffe, die zur Vermeidung der gefährlichen Stürme und Klippen des Ladogasees durch den seinem Südufer entlang führenden Kanal fahren, werden meist von Pferden getreidelt

Russland 015. Der Ladogakanal, Die Schiffe, die zur Vermeidung der gefährlichen Stürme und Klippen des Ladogasees durch den seinem Südufer entlang führenden Kanal fahren, werden meist von Pferden getreidelt

Russland 015. Die Newa vor der Festung Schlüsselburg

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Russland 016. Winter im Walde

Russland 016. Winter im Walde

Russland 016. Winter in der Stadt

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