Volksleben (31)

Bei einem so religiös gesinnten Volke, wie das russische, liegt auch in der Art und Weise, wie sie für ihre Toten sorgen, etwas Patriarchalisches und Rührendes.

Sie eilen nicht, wie oft bei uns geschieht, sich von den geliebten Toten rasch zu trennen, was freilich in hygienischer Hinsicht viel Tadelnswertes, wenngleich Natürliches und zu Entschuldigendes an sich hat; sie errichten demselben in ihrem reichsten Gemache, das sie so in eine Leichenkapelle verwandeln, ein hohes Trauergerüste. Den Tag über, ja selbst während der Nacht, lesen Kirchensänger und Diakonen Gebete am Sarge des Verstorbenen, der, in seine besten Kleider gehüllt, von Kandelabern mit dicken, brennenden Wachskerzen und Blumen umgeben, auf einem Paradebette ausgestellt da liegt. Die Tür zu dem Gemache steht nun jedem offen und oft kommen ganz Fremde, den Verstorbenen zu sehen, besonders wenn es eine reiche, vornehme Person war, auch ein Gebet an seinem Sarge zu sprechen. Die Kinder liegen allemal in einem hübschen rosenroten, die jungen Mädchen in einem himmelblauen Sarge, ältere verheiratete Frauen erhalten einen solchen von violetter Farbe. Zum Überzug desselben werden Seide und Samtstoffe genommen; nur bei den Ärmeren sind sie bloß angestrichen, was immer noch etwas Freundlicheres hat als unsere so oft schreckhaften schwarzen letzten Behausungen. Alle einem Leichenzuge Begegnenden nehmen den Hut ab und schicken, sich bekreuzigend, ein Gebet für den Verstorbenen gen Himmel. Die kirchlichen Zeremonien, wie die am Sarge, sind lang und höchst feierlich. Ein eigentümlicher Gebrauch ist der, neben den Sarg einen Teller mit Reisbrei und Rosinen, die Leichenspeise, (Kutja) hinzustellen. Die Totenmessen wiederholen sich von Zeit zu Zeit während langer Zeit. Fackelträger begleiten, neben und hinter dem Sarge gehend, den Zug, auch die Geistlichkeit folgt zu Fuß, und dieser die oft endlose Reihe der Trauerkutschen.


Nach der Beerdigung begibt sich oft das ganze Gefolge in das Haus des Leidtragenden und versammelt sich — besonders bei den reichen russischen Kaufleuten — zu einem feierlichen Trauermahle, bei dem jedoch kein Champagner, wohl aber jeder andere kostbare Wein gereicht wird. Selbst die Dienerschaft und Kutscher der Gäste werden in einem besonderen Gemache gespeist und mit Bier, Met und Branntwein bewirtet. Oftmals nehmen viele Hunderte von Personen an dem Trauermahle Teil, zu welchem der Kaufmann feine vornehmsten Bekannten einzuladen sucht. Eine solche Aufforderung wird ebenso selten, wie die zum Gevatterstehen, aus religiösen Gründen, abgelehnt. Die beiden Hauptkirchhöfe, Wolkow und Smolensk, sind voll der reichsten, kostbarsten und prächtigsten Denkmäler, leider nur auf sehr feuchtem Boden, aus welchem im Frühling oft das Wasser hervortritt. Das Kloster Alexander Newsky ist der Gottesacker der Vornehmen und Reichen.

Bei unserer Wanderung durch die Stadt kommen wir an dem Fontankakanal zu einem Gebäude, das an Größe, Geräumigkeit und Pracht und seinen vielen Nebengebäuden dem Palaste eines vornehmen Herrn gleicht. Wir erkundigen uns und erfahren, dass es das St. Petersburger Findelhaus ist, zu dem eine noch größere Abteilung in Moskau gehöre.

Jeder in das Haus gebrachte Säugling wird ohne weitere Fragen als nur die, ob das Kind getauft und ob es einen Namen habe, aufgenommen. Die Tür dieser Anstalt ist das ganze Jahr hindurch zu jeder Nacht- und Tageszeit geöffnet, und kommen täglich etwa zehn bis zwanzig Kinder, oft von weither, an. Sechs- bis siebenhundert Ammen sind hier angestellt, außerdem eine Menge Aufseherinnen, Lehrerinnen und Erzieherinnen. Die Zahl der das Findelhaus Bewohnenden beträgt bis 6.000 Menschen. Von den Knaben kommt eine bedeutende Anzahl in die kaiserlichen Fabriken, ein anderer Teil wird bei Kaufleuten untergebracht, die Fähigsten werden Künstler, ja selbst Gelehrte, andere auch Landleute und Handwerker. Die Mädchen werden Dienstmädchen, Kinderwärterinnen, Lehrerinnen und Erzieherinnen, je nach Befähigung. Die Unterhaltung der Anstalt kostet jährlich etwa sechs Millionen Rubel; sie wurde von der Kaiserin Katharina II. begründet und durch bedeutende kaiserliche Dotationen unterhalten; die Einkünfte des vormaligen Lombards und der Spielkartenfabrik wurden vom Kaiser Alexander I. dem Findelhause zugewendet, sodass dieses, trotz seiner bedeutenden Ausgaben, doch in glänzenden Verhältnissen ist und ein großes Reservekapital besitzt. Mit demselben ist noch eine höchst liberal eingerichtete Entbindungsanstalt verbunden; zwölf Ordinatoren und ein Oberarzt sind beim Findelhause tätig.

Den kaiserlichen Palästen gegenüber, in der Festung, liegt das von Peter dem Großen eigenhändig gebaute erste Schiff, der sogenannte „Großvater der russischen Flotte", ein etwa 10 m langes und fast 3 m breites Segelboot, mit einer am Spiegel in Holz geschnitzten, einen bärtigen Priester darstellenden Figur. Nebenan steht das ebenfalls von Peter erbaute hölzerne Häuschen, in welchem er wohnte, bis er sich eine bessere Wohnung am Sommergarten errichtet hatte.

Noch eine Eigentümlichkeit, wie sie keine andere Stadt des westlichen Europa in dieser Art und Ausdehnung besitzt, sind die überhaupt durch ganz Russland verbreiteten, in keinem Dorfe, ja fast bei keinem wohlhabenderen Bauernhause fehlenden Badestuben für Dampfbäder. Am Sonnabend Nachmittag bis spät in die Nacht hinein besuchen Männer und Weiber, die ganze arbeitende Klasse, die Soldaten sogar kompanieweise, das wohltuende, angenehme Dampfbad; zu den Kassen desselben eilt Jung und Alt, als gälte es ein Billet ins Theater zu erstehen. In jedem Badehause sind allgemeine Bäder: eine Abteilung für Frauen, die andere für Männer, außerdem Privatkabinette, aus je zwei bis drei Räumen bestehend. Das erste Zimmer ist mäßig warm und dient zum An- und Auskleiden; aus diesem tritt man in das kleinere Vorzimmer und von dort in den eigentlichen Baderaum, welcher mit langen Holzbänken zum Liegen, die eine immer höher und heißer als die andere, in 4 bis 6 Reihen bis unter die Decke hinauf, amphitheatralisch eingerichtet ist. Diesen gegenüber befindet sich der eine glühende Hitze ausströmende hohe und breite Steinofen mit seinen heißen, großen Feldsteinen, auf die man, um die Hitze im Bade zu erhöhen, nur Wasser zu gießen braucht. Nun tritt der Banschtschik, gewöhnlich ein junger Bursche, nackend ins Zimmer und die Arbeit beginnt. Nachdem er seinen Patienten erst mit lauwarmen Wasser übergossen, das er in die vielen kleinen vorhandenen Kübel aus den Krähnen in verschiedener Wärme, vom lauwarmen bis fast zum heißen, hat einströmen lassen, heißt er ihn sich niederlegen. Jetzt nimmt er einen aus belaubten Birkenzweigen bestehenden Besen, taucht diesen in heißes Wasser und besprengt den Daliegenden, lässt ihn sich höher und höher in immer heißere Dämpfe begeben, schwitzen, dass das Wasser aus allen Poren strömt, dann knetet, bürstet, reibt, besprengt und übergießt er ihn, lässt ihn ruhen, bringt ihn nach und nach wieder bis nach unten und übergießt ihn zu guter Letzt noch mit fast kaltem Wasser, so dass er, ohne eine Erkältung befürchten zu müssen, in das Ankleidezimmer zurückgehen kann. Es gibt Badeliebhaber, namentlich unter der jungen russischen Kaufmannswelt, die viele Stunden in einer Badestube schwelgen können; sie trinken dort sogar ihren Kißlischtschi, eine Art Brauselimonade, führen lebhafte Unterhaltung und machen aus dem Badezimmer oft noch eine Art Serail, was so ziemlich überall, die feineren Badeanstalten ausgenommen, erlaubt ist.

Es verursacht dies Baden ein höchst wohltätiges Gefühl, benimmt Gliederreißen, Rheuma und sonstiges Missbehagen, ja gefällt selbst dem Westeuropäer zuletzt so gut, dass er es später in Deutschland nur ungern vermisst. Man kommt sich nach dem Bade gereinigt bis ins Innerste des Körpers vor und es gibt schwerlich für das Volk einen angenehmeren Sinnengenuss.

In und um Petersburg findet man eine Menge großartiger Fabriken, die teils der Krone, teils ausländischen Privatleuten gehören und von denen viele höchst kostbare und ungewöhnliche Artikel produzieren. Besonders erwähnenswert sind die Edelsteinschleifereien, Baumwollspinnereien, Spiegel- und Glasfabriken, die Gobelintapetenfabrik, die Kanonenbohrereien u. A. In den offiziellen Berichten wird die stetig wachsende Zahl der Fabriken in St. Petersburg auf 340 angegeben.

In der Nähe der Hauptstadt, bei Alexandrowsk, befindet sich die kaiserliche Porzellanfabrik, außerdem noch eine Anzahl bedeutender Eisengießereien und Baumwollmanufakturen, deren Entwickelung überraschend schnell vor sich geht. Unter den unendlich vielen Magazinen, an denen die Stadt überreich ist, nimmt seit vielen vielen Jahren noch immer das sogenannte „englische Magazin", eine Art Börse der vornehmen und reichen Welt, den ersten Platz ein und wird von keinem der neueren Konkurrenten überflügelt. Was man auch nur in demselben kaufen mag, Alles ist echt, solid und gut; Alles findet man hier: Diademe, Perlenschnüre und Brillantencolliers, die als Fürstengeschenke dienen könnten, Gold- und Silbersachen, die edelsten Weine bis hinab zu Strohkörben, Zahnstochern, ja selbst englische Stiefelwichse.

Wie in keiner andern Stadt Europas kommt ein Fremder in Petersburg überall durch, ohne die Landessprache zu kennen. Jeder gebildete Russe kennt nicht allein die Hauptfremdsprachen, Französisch, Deutsch und Englisch, er spricht sie auch und meist geläufig, vor Allem aber seine Lieblingssprache, das Französische. Indes ist es in den letzten Jahren sehr Mode geworden, russisch zu sprechen, was in der Tat ein verdienstvoller Fortschritt zu nennen, da ein Jeder füglich zuerst seine Muttersprache rein sprechen und gründlich kennen soll, ehe er sich an die anderen wagt. So werden statt der deutschen und französischen Bonnen jetzt auch mehr russische gesucht; die Amme, die Niänuschka, war von jeher eine gesunde, kräftige russische Bäuerin in ihrer allrussischen Nationaltracht, dem Ssarafan und der Kopfbekleidung, dem Kokoschnik, ein Kostüm, welches bei gewissen Hoffesten sogar von allen Damen getragen werden muss. Nichtsdestoweniger behauptet sich die französische Sprache doch noch, wenn auch meistens nur bruchstückweise, in der Rede, die ohne Ende mit französischen Brocken untermischt wird, gerade als ob man zeigen wolle, dass man auch diese vortrefflich spricht.

In früheren Zeiten war es mit dieser Mode so weit gekommen, dass Vater und Sohn, Mann und Frau sich nur französisch unterhielten und sogar die Mutter dem Kinde auf Französisch schmeichelte. Die Folge davon war, dass manche Dame zwar keinen russischen Brief korrekt zu schreiben verstand, ein französisches Billet hingegen desto besser, ein Unwesen, das heutzutage gottlob aufgehört hat.

Der Dichter Puschkin sagt in seinem „Onegin" von jener Zeit:
,, . . . . Sie konnte nämlich Russisch wenig,
Las unsere Journale nicht,
Und drückte in der Muttersprache
Sich mühsam aus und nur wenn's Pflicht.
So schreibt sie Alles auf Französisch.
Was tun? frag' ich aufs Neue mich.
Bis heute offenbart die Liebe
Der Damen nicht auf Russisch sich;
Bis heut war für den Mund der Post
Die Russensprache keine Kost"

So kommt ein Fremder wie gesagt in Petersburg überall mit Französisch und Deutsch durch; sind doch unter den 700.000 Einwohnern der Residenz etwa 90.000 Deutsche und 15.000 sonstige Ausländer. (Im Petersburger Gouvernement waren 1872: 977.637 griech.-katholische Einwohner, 6.000 Altgläubige, 352 armenische Christen, 22,800 römische Katholiken, 161,770 Protestanten, 3.600 Juden und 1.940 Mohammedaner.) Diese Fremden sind meistens Kaufleute, Magazinbesitzer, Handwerker, Gelehrte, Ärzte und Apotheker. Auch ist das Kontingent, welches die Deutschen, namentlich der Ostseeprovinzen, an die Garde und Armee stellen, bedeutend; kein Regiment, in dem nicht eine Menge Offiziere deutscher Abkunft wären. Auch anderwärts, wie in Südsinnland (Wyborg), wird vielfach Deutsch verstanden und gesprochen. Selbst auf den Straßen wird man nicht selten finden, dass die russischen Fuhrleute (Iswoschtschiki) einige verstümmelte Brocken Deutsch zu sprechen verstehen und ihre Preise deutsch anzugeben wissen.

Wir haben uns nun genügend umgesehen, und es wird Zeit, nach einem letzten Blick auf die Umgebung von St. Petersburg, uns vom „Haupt des Reichs" zu trennen. Im Volksmunde nennt man Nowgorod — den Vater, Kiew — die Mutter, Moskau — das Herz, Petersburg — das Haupt. Da die Sprichwörter überhaupt eine gewisse Rolle in der Volkssprache spielen, so seien von den vielen Hunderten hier einige originelle angeführt: Piter kormila — Moskwa korm, d. h. Piter (Petersburg) — das Steuer, Moskau — das Futter. — Jahrhunderte haben Moskau gegründet, Petersburg Millionen. — Das Mütterchen Moskau, die weißsteinerne, goldkuppelige, Brot und Salz spendende (gastfreundliche), rechtgläubige und geschwätzige. — Moskau, berühmt durch seine Bräute, Glockentürme und Kalatschi (lockeres Weißbrot). — Was dem Russen gesund, ist des Deutschen Tod. — Russische Knochen lieben Wärme. — Der Russe liebt awoss (wer weiß, vielleicht geht die Sache glücklich durch), neboss (bange machen gilt nicht) und kak ni bud (flüchtig leichthin, auf irgend welche Art). — Behaupte hartnäckig bis zu Tränen, aber wette nur nicht. — Auf dem Leibe Seide, im Leibe kaum Kleie. — Geh' nicht ins Wasser, ohne nach der Furt zu fragen. — Wer den Wolf fürchtet, soll nicht in den Wald gehen. — Wenn der Donner nicht grollt, bekreuzigt sich der Bauer nicht. — Das haftet bei ihm so wenig, wie das Wasser bei der Gans. — Mutwillig wie eine Katze, furchtsam wie ein Hase. — Wie der Abt, so die Mönche. — Mit dem ist nicht gut Grütze kochen. — Das passt, wie der Kuh der Sattel. — Das Hühnchen pickt kornweise auf und wird doch satt. — Jeder Fuchs lobt seinen Schwanz. — Ein trockener Löffel zerreißt den Mund (umsonst ist der Tod). — Auf der Zunge Honig, unter der Zunge Eis. — In einer stillen Pfütze hausen Teufel. — Die Mühle mahlt Alles zu Mehl (Alles gibt sich mit der Zeit).— Ohne Gott kommst du nicht über den Wasserfall, mit Gott aber übers Meer. — Zwar ein kleines Vögelchen, hat aber einen spitzen Schnabel (ein Naseweis). — Man kann siebenmal sterben, aber dem einen Tod nicht aus dem Wege gehen. — Was hilft der Ruhm, kann man doch keinen Pelz daraus nähen. — Iss deinen mit Pilzen gefüllten Kuchen und halte die Zunge hinter den Zähnen (schwatze nicht). — Keine Familie ohne Missgeburt.

Die Inseln mit dem Stadtteil Wassili-Ostrow gehören gewissermaßen ebenso zur Residenz, wie die Petersburger und Wyborger Seite. Das ganze Newa-Delta zählt zwar etwa 40 größere und kleinere Inseln, doch wird uns nur ein kleiner Teil davon, der unmittelbare Hauptkern dieser Insel beschäftigen.

Droschke in St. Petersburg.

Wir haben gesehen, wie an der Spitze von Wassili-Ostrow, bei dem Börsenkai, die Newa sich teilt: höher hinauf, etwa tausend Klafter weiter als die Troitzky-Brücke am Sommergarten, entwindet sich dem Strome ein erst nach Norden, dann nach Westen strömender Arm. In seinem Laufe teilt er sich wieder dreimal und bildet durch einen Kanal, welcher zwei seiner neuen Arme vereinigt, drei Inseln: Kamennoj-Ostrow, Yelagin und Krestowsky.

Ich erlaube mir den Leser aufzufordern, mit mir eine jener leichten, eleganten, mit rasch laufenden munteren Pferden bespannten Kaleschen zu besteigen und eine Spazierfahrt auf den Inseln zu machen; wir fahren ja hier unendlich viel rascher als in Deutschland. Zuerst passieren wir die Troitzky-Brücke und kommen, nachdem wir einen raschen Blick auf die Festung und die in derselben sich erhebende Peter-Pauls-Kirche geworfen, welche die Begräbnisstätte der russischen Zarenfamilie aus dem Hause Romanow ist, auch die Staatsgefängnisse in seinen Wällen und Mauern einschließt, sonst aber mit seinen Bastionen und Kasematten nichts Einladendes bietet, nach dem von Peter I. gegründeten großartigen und prachtvollen botanischen Garten mit seinem unendlichen Blumenflor, auf der sogenannten Apothekerinfel. Bald zeigen sich nun reizende Landhäuser und venezianische Villen mit in Blumen gehüllten Galerien und Verandas, das Haupt in den Zweigen von Trauerweiden und Birken versteckt, wie eine Dekoration der Großen Oper. Unaufhörlich fliegen an uns schöne Equipagen mit geputzten Damen und Herren vorbei.

Der Narwa-Triumphbogen. (Errichtet 1816)

Hier die elegante Kalesche eines fremden Gesandten, den Jäger auf dem Bock, dort die mutigen schwarzen Rosse eines vornehmen Russen, die bequemen Coupés, die verschiedenen Droschken, Britschken, bis hinab zur bestaubten Postteléga des Couriers, der seinem Minister die letzten Befehle des Kaisers aufs Land hinausbringt. Es ist dies eine beständige Ausstellung aller nur möglichen Gefährte des Landes; ja man sieht sogar die einfachen ländlichen Milchwagen und Gemüsekarren, mit einziger Ausnahme etwa des Reisetarantaß, jener unförmlichen, ans langen Baumstämmen sich wiegenden ungeheuren Maschine mit Kutschkasten oder Korb, in welcher man eine ganze Wirtschaft, selbst Betten und Kissen, mit auf die Reise nehmen, in welcher man sich sogar ausstrecken und schlafen kann.

Auf Kamennoj-Ostrow zog in früheren Jahren das wunderschöne Landhaus des Grafen Nesselrode die Aufmerksamkeit aller diese Insel Besuchenden durch seine überreichen Dahlien- und Kamellien-Sammlungen auf sich. Das linke Ufer der kleinen Newka ist mit grünen Lustwäldchen, balsamduftenden Gärten, malerisch gelegenen Villen und koketten Landhäusern besäet. Hier erhebt sich eine chinesische Pagode aus einem Parterre von Rosen, dort ein griechischer Tempel inmitten einer Fichtengruppe, weiterhin eine launenhaft italienische Fassade, der nur ein Rebengeschlinge fehlt, welches jedoch durch Geißblatt und Ephen ersetzt wird. Was nur die erfinderische Kunst an Mannigfaltigkeit hat ausdenken können, bietet sich hier überall in verschwenderischer Pracht dem Auge dar; man vergisst, dass man sich im hohen Norden befindet, wo noch vor nicht gar langer Zeit nichts als Sumpf und Schilf vorherrschend war. Die Inseln haben auch ein hübsches kaiserliches Theater, in welchem zur Sommerzeit deutsche, französische und russische Vorstellungen stattfinden, selbst das Ballett vertreten ist.

Das Palais der verstorbenen Großfürstin Helene am Ufer der kleinen Newka trägt gleichfalls nicht wenig dazu bei, die Schönheit dieses idyllischen Landschaftsbildes zu erhöhen: der türkische Kiosk, die gotischen Bogen, das griechische Fronton, die italienische Terrasse verbinden sich hier zu einem so reizenden Durcheinander unter dem dichten Grün und der unendlichen Menge der prächtigsten Blumen und Schlingpflanzen, zwischen welchen die riesigen Tannen, Palmen gleich, ihre breiten Arme ausbreiten, dass man unwillkürlich über die Intelligenz der Garten- und Baukünstler staunen muss, die aus einer flachen, traurigen Wüste ein Eden zu schaffen wussten.

Die Villen der reichen Kaufleute Gromow, Utin, wie der altadeligen Familie Beloselsky-Belosersky sind Wunder von Schönheit und Pracht. Der so vielfach bewunderte und angestaunte, im ganzen Rheingau berühmte Frankfurter Palmengarten ist nur ein Miniaturabklasch der Gromow'schen Palmenhäufer auf der Apothekerinsel.

Wir fahren jetzt über die Insel der Kaiserin, Jelagin, mit ihrem am Ufer des Golfs gelegenen prachtvollen Schloss und kommen über eine zweite Brücke nach Krestowsky, dem Eldorado des deutschen Arbeiters und des russischen Kaufmanns zweiter und dritter Gilde, d. h. des Kleinkrämers. Endlose Alleen durchkreuzen diese Insel und eröffnen durch die dichten Birken und Tannen Aussichten auf den Finnischen Meerbusen. Unter diesen Fichten- und Tannengruppen dampfen überall Sonntags riesige Ssamoware, Schaukeln und Rutschberge sind aller Orten errichtet; Soldatenbanden spielen und singen ihre eintönigen, oft weithin hörbaren, gellenden Nationallieder, wobei sie zuweilen sich hin und her drehen, herumhüpfen, tanzen und springen; — Alles trinkt, lärmt und ist lustig.

Bei Nowaja Derewnja (das neue Dorf), welches ebenfalls überall reihenweise mit kleineren und größeren Landhäusern bedeckt ist, befindet sich die Isler'sche Mineralwasseranstalt, Nachmittags und Abends eine Art Vauxhall, in welchem bei Beleuchtung des Gartens Vorstellungen aller Art stattfinden; hier ist das beliebteste café chantant der Petersburger jungen Welt.