Das Kaufhaus (20)

Eigentümlich ist, dass Alle, welche mit gleicher Ware handeln, neben einander in derselben Reihe ihre Buden, Läden und Magazine haben, was unendlich bequem für den Käufer ist. Alle Seiden-, Leder-, Stiefel-, Kleider-, Papier-, ja sogar alle Wechsler- und Fruchtbuden befinden sich an bestimmten Plätzen neben einander. Auch der Kleinhandel ist in der Gartenstraße in dem sogenannten Apraxin-dwor und Tschukin-dwor vertreten. Dieselben sind nach der ungeheuren Feuersbrunst, die 1862 in Petersburg diesen Teil der Stadt heimsuchte und in einen Aschenhaufen verwandelte und in welchem Waren im Werte von Hunderten von Millionen verbrannt sein sollen, schöner und größer als vordem wieder erstanden.

Die bereits erwähnte Gartenstraße, welche durchgängig Kaufläden von jeder Art enthält und in welcher auch das einen großen Raum einnehmende Gebäude des kaiserlichen Pagenkorps sich befindet, mündet in dem „Ssennaja Ploschtschad" (Heuplatz) aus, dem großen Viktualienmarkt der Petersburger.


Eigentümlich sind schon die Fragen, die man beim Kaufen stellt. Statt der bei uns üblichen Erkundigung nach diesem oder jenem Kaufmanne fragt man hier: „Väterchen, wo ist die Pelzbudenreihe, wo die Silberreihe?" Belustigend Anfangs, später jedoch lästig fällt das Anpreisen der Ware, das Heranrufen der Käufer des kleineren Kaufmanns, Krämers und Trödlers — das in den letzten Jahren schon vielfach abgenommen und nur noch im Gostinnoidwor in Moskau in Blüte steht. — Die gewandten Kaufmannslehrlinge und Diener stehen, mit ihrem ewigen stereotypen Lächeln auf den Lippen, ihren flachshaarigen oder hellbraunen feinen Spitzbärtchen, ihren langen, kaftanartigen Röcken und um den Hinterkopf und vorn glatt geschnittenen langen Haaren und laden die Vorübergehenden mit übertriebenster Höflichkeit ein, doch von ihren Waren zu kaufen. Sie hängen allen ihren Einladungen den Buchstaben s als besondere Höflichkeitsformel an — eine Abkürzung von ssudar, Herr, oder ssudarina, Madame, sodass diese Zischlaute in ihrer Rede auffallend das Ohr beleidigen: „Was gefällig, mein Herr 's? Hier sind Kleider, die schönsten 's, vom neuesten Schnitt 's; Stiefeln, deutscher Arbeit 's (eine Bemerkung, die da beweisen soll, wie gut sie sind); belieben Sie 's, treten Sie nur herein 's!" hört man auf Schritt und Tritt. —

Eine andere Eigentümlichkeit der russischen Sprache besteht darin, dass man dem Taufnamen der Person, die man anredet, den Taufnamen seines Vaters mit der Zugabe „itsch" hinzugefügt. Ist z. B. der Vorname des Sohnes Iwan und der seines Vaters Wassili (Bastle, Wilhelm), so müsste man den Sohn im Gespräch „Iwan Wassilitsch" nennen.

Volksleben in Petersburg.

Einem Bekannten „Guten Tag, Herr X." (Zunamen) zuzurufen ist nicht gebräuchlich, sogar nicht höflich; selbst der Bauer nennt seinen Gutsherrn „Väterchen, Peter Gregoritsch oder Andrej Michailitsch" usw. Dem Deutschen fällt es meist schwer, alle diese Vornamen zu behalten, der Russe hingegen besitzt darin Gedächtnis und große Gewandtheit.

Einmal im Gostinnoi-dwor, lasse auch ich mich verleiten, mit meinem Begleiter, einem Petersburger, in das Magazin eines Schlafrockhändlers einzutreten, und bitte ihn, den unter einem ganzen Berge von bucharischen Schlafröcken von mir ausgesuchten von roher persischer Seide mit seltsam wunderlichem Muster erstehen zu wollen.

„Was kostet dieser Schlafrock?" fragt mein Freund den Bucharen, der mit seinem sorgfältig gestutzten Barte, seinem geschorenen Kopfe und dem tatarischen Käppchen uns aufmerksam mustert.

Statt direkt zu antworten fängt dieser nun an, seine feine Ware zu loben und heraus zu streichen und uns auf ihre Güte aufmerksam zu machen.

„Oh", sagt er, „man sieht, Sie sind Kenner; unter allen den Schlafröcken haben Sie den schönsten und feinsten gewählt; gestern noch hat mir ein General einen ganz ähnlichen, doch nicht so fein als dieser, abgekauft."

„Das ist möglich, doch frage ich nicht darnach; ich will wissen, was er kostet?"

„Ja, sehen Sie sich ihn nur einmal näher an und Sie werden sich überzeugen, wie stark und dauerhaft die Seide ist und dabei so weich"

„Schon gut, aber wollen Sie nun nicht endlich auch einmal sagen, was er kostet?"

„Sie werden es mir vielleicht nicht glauben, doch aber ist es wahr, dass der Gouverneur von Tambow ein halbes Dutzend solcher Schlafröcke bei mir bestellt hat . . . ."

„Und wenn Sie nun nicht gleich den Preis nennen", unterbrach ihn mein Freund ungeduldig, „so werden wir zu Ihrem Nachbar gehen, dessen Bursche schon draußen darauf lauert, ob und was wir kaufen; vielleicht finden wir bei ihm Etwas, was uns noch besser gefällt."

„Besser? Bei ihm? Nun, das möcht' ich sehen; doch gewähren Sie mir nur noch einen Augenblick, Ihnen zu sagen, dass diese Ware direkt mit der Karawane von Taschkent, kommt."

„Kommen Sie", sagte nun mein Freund, „dieser Mann scheint nichts verkaufen zu wollen und uns für Neulinge aus der Provinz zu halten."

Der Kaufmann ließ meinen Freund nicht ausreden: „Ihre Hochwohlgeboren", hub er an, „belieben Sie doch nur noch einen kurzen Augenblick Geduld zu haben; wenn dies Moskauer Fabrikat wäre, könnte ich Ihnen den Rock für 80 Rubel lassen, ja noch billiger, so aber kann ich eigentlich nicht weniger als 200 Rubel nehmen; ich will aber ein Opfer bringen, damit Sie ein anderes Mal auch wieder zu mir kommen und so sollen Sie den Schlafrock für 150 Rubel haben."

„Ich habe Ihnen bereits gesagt, Sie scheinen nichts verkaufen zu wollen, oder uns für Neulinge zu halten; Sie sind närrisch, solch einen Preis zu verlangen", antwortete mein Freund und nahm mich beim Arme, um das Magazin zu verlassen.

Der Buchare vertrat uns den Weg. „Exzellenz!" rief er, „gehen Sie so nicht weg; wohlan, nennen Sie mir Ihren Preis, was ist Ihnen der Schlafrock wert?"

„Ich habe keinen Preis bei einer so unverschämten Forderung."

„Erlaucht, und wenn ich nun das Unmögliche täte und 75 Rubel nähme?"

„Zu viel noch, viel zu viel."

„Nun wohlan! so seien es 50 Rubel, das ist aber mein letztes Wort", sagte der Buchare wie ärgerlich und sing an die Schlafröcke zusammenzulegen.

Ich blickte meinen Freund an, der aber ganz gleichartig blieb und endlich sagte:

„Sie haben sich wohl versprochen, Sie wollten 25 Rubel sagen."

„Wie!" rief nun der Kaufmann, „25 Rubel? Sie belieben sich über mich lustig zu machen. Beim Barte des Propheten, das Futter allein ist ja mehr wert . . . Sie haben 30 Rubel gesagt, nun wohlan! geben Sie 40 und der Schlafrock ist der Ihrige."

„Ich habe 25 Rubel gesagt, wollen Sie, oder wollen Sie nicht, zum letzten Mal und halten Sie uns nicht länger auf." Diesmal standen wir bereits vor dem Laden, vor welchem schon mehrere junge Burschen unserer warteten und uns aufforderten, in ihre Magazine zu kommen: sie hätten, versicherten sie, noch viel schönere und billigere Schlafröcke.

Der Buchare kam uns eiligst nach und sagte mit kläglicher Miene: „Exzellenz, es geschieht der ferneren Kundschaft wegen, nehmen Sie ihn; — noch mehr solcher Opfer und ich werde zu Grunde gerichtet sein!"

„Ich habe noch fünf Rubel mehr gegeben als nötig war", meinte mein Freund, dem ich meine Verwunderung über ein Feilschen dieser Art ausdrückte.

Eine wichtige Person, die mit Schweigen zu übergehen bei Beschreibung des Gostinnoi-dwor unmöglich, sind die Rasnoschtschiks (vom russischen Zeitworte raznossit, d. h. umhertragen). Jeder mit seinen Waren umhergehende Hausierer oder Verkäufer von Waren aller nur denkbaren Art, sogar von Tee, Getränken, Kuchen und Brot, wird von den Russen Rasnoschtschik — und deren sind Legion — genannt.

Diese Leute treiben sich, „omnia sua secum portantes, im ganzen Reiche weit und breit umher und sind die mit Esswaren handelnden besonders stark in den Gostinnoi-dwor's von Petersburg und Moskau vertreten.

Da die Kaufleute ihre Speisen nicht im Innern des Kaufhofes bereiten lassen können, wo es verboten ist, Feuer anzumachen, so speisen sie gewöhnlich zu Hause erst Abends, nachdem sie ihre Läden geschlossen; im Laufe des Tages jedoch trinken sie Tee ohne Ende, oftmals zehn bis zwanzig Glas, und kaufen von den vielen Rasnoschtschiks an Esswaren, was ihrem Geschmacke zusagt.

In einem Schafspelz (tulup), den ein Lederriemen zusammenhält, Sommers auch im bunten oder roten Hemde, geht der Rasnoschtschik, gewöhnlich ein noch junger Bursche, oft noch im Knabenalter, mit seinem Brett, auf welchem seine Ware ausgebreitet, oder einem Korbe, den er vor sich hält, durch die Ladenreihen. Harte Eier, gesalzene Gurken, Essig- und Salzpilze, gesalzene oder geräucherte Fische, von welchen die Ssigi (Schnäpel) ganz vortrefflich schmecken, Piroggen oder Pasteten, mit gehacktem Kohl, Rüben, Fleisch und Fisch gefüllt, die, warm gegessen, durchaus nicht zu verachten und den Russen eine Lieblingsspeise sind, schöne weiße Semmel und lockeres Weißbrot, von welchem die sogenannten Ssaiki und Kalatschi die beliebtesten, Sbiten (ein warmes Getränk aus Meth mit Ingwer), Quaß, Beerenlimonaden usw. sind die Haupthandelsartikel dieser Art Handeltreibender. Die warmen und heißen Getränke werden in mit dicken Handtüchern umwickelten Ssamowaren und Glaskrügen umhergetragen; die Eisverkäufer im Sommer tragen ebenfalls ihre Kübel mit Gefrorenem verschiedener Art auf dem Kopfe; die beliebtesten Sorten sind Zitronen-, Himbeer- und Vanilleeis.

Wer Petersburg nur im Sommer besucht, wird kein vollständiges Bild von dem Leben und Treiben dieser Stadt erhalten; es ist nötig, sie in ihrer Saisonzeit, im Winter, kennen zu lernen. Während die Bewohner der gemäßigten Zonen vom Winter im Ganzen mehr unangenehm als freundlich berührt werden, beginnt der Petersburger mit Eintritt der Schnee- und Eiszeit sich in den Zustand des Behagens zu versetzen; sein ganzes Fühlen und Denken steht mit dem Winter in innigem Zusammenhange. Selbst die Poesie ergeht sich mit Vorliebe in Schilderungen des Winters, — wie stimmungsvoll ist das Gedicht von Puschkin:

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . vom Fenster aus
Sah sie den weißen Hof, die Dächer,
Die Beete, Zäune, Haus um Haus;
Die Scheiben waren voller Blumen,
Die Bäume zuckerig kandiert.
Die Elstern selbst in Weiß gelleidet.
Und Alles ringsumher drapiert
Mit Winters schmuckem Bärenfell,
Und Alles weiß und weiß und Alles hell!
S'ist Winter! Und der Bauer frierend
Zieht mit dem Schlitten eine Bahn;
Sein Pferdchen riecht den Schnee und munter
Trabt es bergunter und bergan.
Die flüchtige Kibitke wühlet
Sich Furchen in den Flockengrund!
Der Jämschtschik (Fuhrmann) sitzet auf dem Bocke
Im Pelz mit rotem Gürtelbund,
Dort jagt der Knab' mit seinem Schlitten,
Er hat den Hund hineinplatziert
Und bildet selbst das muntre Rösslein,
Wenn auch der Finger ihm gefriert,
Halb lächelnd und halb ängstlich droht
Vom Fenster mütterlich Verbot.

Dem flüchtigen Sommer folgt in Petersburg der lange und strenge Winter mit seinem grauen Regenmantel, dann mit seinen Schneeflocken, Eiszapfen und das Blut erstarrenden Luftströmungen auf dem Fuße nach, sodass Herbst und Frühling gar nicht als bestimmte Jahreszeiten hervortreten oder doch nur wenige Wochen dauern. Im sumpfigen Newa-Delta hat das Klima nicht die Unveränderlichkeit des mittleren Russlands. Die mildernden Einflüsse der Ostsee widersetzen sich hier häufig den eisigen Winden, welche Sibirien schickt. Dichte Nebel und heitere Frosttage, regnichte Westwinde und kalte Nordstürme wechseln fortwährend; das Klima schwankt beständig zwischen Extremen. Im Sommer steigt die Hitze bis auf 30 Grad und im Winter der Frost oft noch über diese Zahl. Die Differenzen von einem Tage zum anderen betragen oft 12—18 Grad. Demgemäß hüllt man sich schon im Anfang Oktober in leichtere Pelze, denen später schwerere, wärmere folgen. Die Zimmer werden stark geheizt, damit das Haus nie auskühle; die russischen Stein- oder Kachelöfen sind in ihrer Art das Vollkommenste, was Nordländer erdacht; alle Häuser haben Doppelfenster und zwei bis drei doppelte Eingangstüren. Die Heizung geschieht meist mit Birkenholz, welches dauerhafte Kohlen gibt. Der Zutritt der äußeren Luft wird durch Ventilation mittelst sogenannter kleiner Fortotschka's, d. s. Guck- oder Klappfenster in den großen Fenstern, bewerkstelligt.