Tolstois Studien

Bei solchen Zerstreuungen ist es nicht gerade verwunderlich, dass das übliche Halbjahrsexamen ungenügend ausfiel. Das hinderte indes Tolstoi keineswegs, seinen bisherigen Lebenswandel fortzuführen; zur Fastenzeit trat er sogar mit seinem Bruder Sergej mit großem Erfolge in einer Wohltätigkeitsvorstellung auf (in einem Zeitungsbericht lesen wir darüber: „Außerordentlich naiv war auch der ,Bräutigam‘ Graf L. N. Tolstoi“). Beim Übergangsexamen im Frühjahr (1845) fiel dann Tolstoi durch und hätte nun ein zweites Jahr auf dem ersten Kurs bleiben müssen. Das aber ging gegen seine Eigenliebe. Er zog es vor, sich in eine andere Fakultät überführen zu lassen, und zwar in die juristische. Nunmehr, in seinem zweiten Studienjahr, zeigte Tolstoi größeren Fleiß. Er selber bemerkt darüber: ,,Zu Ende dieses Jahres begann ich zum ersten Male mich ernstlich zu beschäftigen und fand sogar einiges Vergnügen daran. Außer den Fächern der Fakultät, von denen Rechtsenzyklopädie und Strafrecht mich interessierten (der deutsche Professor Vogel führte Besprechungen ein, darunter eine, die mich sehr interessierte: über die Todesstrafe), gab mir der Professor des bürgerlichen Rechtes, Meer, eine Arbeit: ,ich solle Montesquieus ,Der Geist der Gesetze‘ vergleichen mit der ,Instruktion‘ der Kaiserin Katharina II., — und diese Arbeit beschäftigte mich sehr.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das heutige Russland 1 - Tolstoi