Tolstois Freund Sado

Ich muss Ihnen nun mitteilen, dass neben unserem Feldlager sich ein Dorf befindet, das von Tscherkessen bewohnt wird. Ein junger Tscherkesse, Sado, kam öfters ins Lager zu uns und nahm teil am Spiel. Da er aber nicht zu spielen verstand, ward er öfters betrogen. Ich wollte darum niemals gegen Sado spielen und habe ihm sogar gesagt, er solle lieber das Spiel ganz sein lassen, weil man ihn betrüge; und ich erbot mich, für ihn zu setzen. Er war mir deshalb sehr dankbar und schenkte mir seine Börse. Da es nun bei diesem Volksstamme Brauch ist, sich gegenseitig zu beschenken, habe ich ihm ein elendes Gewehr gegeben, das ich für acht Rubel gekauft hatte. Ich muss Ihnen weiter sagen, dass, um ,,Kunak“ zu werden, was soviel wie Freund bedeutet, es Gebrauch ist, sich gegenseitig Geschenke zu machen, und dann ein Mahl einzunehmen im Hause des ,,Kunak“. Danach wird man nach dem alten Brauch dieser Völker (die fast überhaupt nur noch durch ihre Überlieferungen existieren) Freund auf Leben und Tod, das heißt, wenn ich ihn bitte um all sein Geld oder um seine Frau oder um seine Waffen, oder überhaupt um das Wertvollste, was er besitzt, so muss er es mir geben, und auch ich darf ihm nichts abschlagen. Sado lud mich nun ein, zu ihm zu kommen und sein ,,Kunak“ zu werden. Ich ging auch hin. Nachdem er mich dann auf ihre Weise bewirtet hatte, schlug er mir vor, in seinem Hause alles zu wählen, was ich nur wollte, seine Waffen, sein Schwert, kurz alles. Ich wollte mir das aussuchen, was mir am wertlosesten zu sein schien, und wählte einen mit Silber beschlagenen Pferdezügel. Fr aber sagte mir, ich beleidige ihn, und nötigte mich, einen Säbel anzunehmen, der wenigstens hundert Rubel wert ist. Sein Vater ist zwar ziemlich reich, er hat aber sein Geld vergraben und gibt dem Sohn keinen Heller. Um sich Geld zu verschaffen, schleicht sich der Sohn in Feindesland hinüber und stiehlt dort Pferde und Kühe, manchmal wagte er zwanzigmal sein Leben, um eine Sache zu stehlen, die nicht einmal zehn Rubel wert ist. Aber er tut das auch gar nicht aus Habsucht, vielmehr aus Ehrgeiz: der größte Dieb ist sehr geachtet, und man nennt ihn „Dschigit“, das heißt „forscher Kerl“. Sado hat bald tausend Rubel in der Tasche, bald keinen roten Heller. Nach meinem Besuche bei ihm machte ich ihm die Silberuhr von Nikolai zum Geschenke, und wir sind die besten Freunde auf der Welt geworden. Mehrmals schon hat er mir seine Ergebenheit bewiesen, indem er sich für mich Gefahren aussetzte; aber das ist ihm nichts — das ist ihm zur Gewohnheit geworden und ein Vergnügen. Als ich von Stary-Jurd abgereist war, und Nikolai dort allein verblieb, kam Sado alle Tage zu ihm und sagte, er wisse nichts ohne mich anzufangen und langweile sich furchtbar. Als ich einmal Nikolai schrieb, mein Pferd sei krank geworden, und ich bäte ihn, mir eines in Stary-Jurd ausfindig zu machen, hatte Sado, als er das erfuhr, nichts Eiligeres zu tun, als zu mir zu reisen und mir sein Pferd zu schenken ungeachtet alles dessen, was ich tun konnte, um das abzulehnen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das heutige Russland 1 - Tolstoi