Tolstois Aufenthalt in Pjatigorsk

Tolstoi, dem der Militärdienst nur im Kriege Teilnahme zu erwecken vermochte, im Frieden aber eine unerträgliche Last war, ist bereits wieder Mitte September in Pjatigorsk, von wo er erst im Oktober nach Starogladowsk zurückkehrte. Die ganze Zeit über erwartete er mit Ungeduld seinen Abschied. Mit Besorgnis erfüllte ihn darum der eben ausgebrochene Türkenkrieg, da Tolstoi sich schon ganz an den glücklichen Gedanken gewöhnt hatte, wiederum auf dem Lande zu leben. Schließlich findet er es aber, wie es scheinen will, doch nicht angemessen, zur Kriegszeit Abschied zu nehmen. Er bittet den Fürsten Barjatinsky, seinen gegen die Türken im Felde stehenden Bruder zu bitten, ihn, Tolstoi, in die dortige Armee aufzunehmen. ,,Das Leben hier“, so schreibt Tolstoi im Dezember 1853 seinem Bruder Sergej, ,,ist mir ganz unerträglich langweilig geworden: dumme Offiziere, dumme Gespräche, sonst nichts!“ Ganze Tage lang bringt Tolstoi auf der Jagd zu, findet aber auch darin kein Vergnügen mehr, vielmehr nur noch ein Betäubungsmittel. Augenscheinlich spielt hier jenes sentimentale Erlebnis mit, dem Tolstoi in den ,,Kosaken“ Ausdruck verlieh: Tolstois unglückliche Liebe zu einer Kosakin. (Noch vor wenigen Jahren hat übrigens ein Verehrer Tolstois dessen damalige Geliebte als steinaltes Mütterchen im Kosakenlager angetroffen.)

Zu dieser Zeit schrieb übrigens Tolstoi das wundervolle ,,Knabenalter“ und beendigte auch die ,,Aufzeichnungen eines Marqueurs“, mit welch letzterer Erzählung er übrigens selber — und mit einigem Recht — unzufrieden ist, weil er sich übereilt habe. Beide Novellen werden an den ,,Zeitgenossen“ eingesandt. Wir erfahren des weiteren, dass Tolstoi damals seinen Bruder Sergej bittet, ihm Dickens ,,David Copperfield“ einzusenden nebst einem englischen Lexikon. Auch vertieft sich Tolstoi in eine Biographie Schillers. Von seinem religiösen Leben in dieser Zeit kündet folgender Tagebucheintrag: „Alle Gebete, die ich ausgedacht habe, ersetze ich durch das eine ,Vater unser‘. Alle Bitten, die ich an Gott zu richten weiß, finden viel höheren und seiner würdigeren Ausdruck in den Worten: ,Ja, es geschehe dein Wille wie im Himmel so auf Erden‘!“


Im Kaukasus hinterlässt Tolstoi ein ausgezeichnetes Angedenken. Einer seiner kosakischen Jagdgenossen hat denn auch den Greis bekanntlich noch Ende der achtziger Jahre in Jasnaja Poljana aufgesucht. Damalige Regimentskameraden rühmten neben Tolstois Gutmütigkeit und Dienstbereitschaft seine hervorragende Gabe, angenehm zu erzählen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das heutige Russland 1 - Tolstoi