Tolstois Äußeres

Seine äußere Persönlichkeit während dieser Lebensepoche beschreibt Tolstoi so:

„Mein Äußeres, davon hatte ich mich überzeugt, war nicht nur nicht hübsch, ich konnte mich sogar nicht einmal trösten mit den in ähnlichen Fällen üblichen Tröstungen. Ich konnte nicht sagen, dass ich ein ausdrucksvolles, kluges oder edles Gesicht mein eigen nenne ... Es war nichts Ausdrucksvolles darin, die allergewöhnlichsten, groben und hässlichen Züge. Die Augen waren klein, grau und besonders dann, wenn ich mich im Spiegel betrachtete, eher dumm als klug. Männliches war noch weniger an mir. Ungeachtet dessen, dass ich nicht klein von Wuchs und sehr kräftig für meine Jahre war, waren alle Züge meines Gesichtes weich, verschwommen und unbestimmt. Ja, nicht einmal irgend etwas Vornehmes hatte ich an mir. Im Gegenteil! Mein Gesicht war das eines gewöhnlichen Bauern, und besonders große Füße und Hände hatte ich, und das schien mir in damaliger Zeit etwas, worüber man sich schämen müsse!“


Sicherlich kann man dies Selbstporträt kaum als geschmeichelt bezeichnen. Dabei passt manches noch durchaus auf den späteren Tolstoi, nur dass dessen durchgeistigter Ausdruck den tatsächlich einfachen Bauernzügen eine unvergleichliche, von innenher stammende Schönheit verlieh. Ich habe den Greis 1893 (oder 1894) im Moskauer Volkstheater im Bauernpelz sitzen gesehen, und, ohne ihn erst erkannt zu haben, den Eindruck einer überlegenen Geistigkeit empfangen, — und davon muss immer etwas in Tolstois Zügen gelegen haben. Erfahren wir doch, dass er sein Leben lang, in welchem Kreise er auch auftreten mochte, wie selbstverständlich sogleich die erste Stelle einnahm.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das heutige Russland 1 - Tolstoi