Die damaligen Verhältnisse im Kaukasus

Es seien einige Worte vorausgesandt über die damaligen Verhältnisse im Kaukasus. Nachdem die Ausdehnung des Moskauer Zartums zur Unterwerfung von Kasan und Astrachan geführt hatte, kam es bereits zu Zusammenstössen mit den Bergvölkern, die die Nordabhänge des Kaukasus bewohnten. Zu ihrer Bekämpfung wurde im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts am linken Ufer des Terek und am rechten Ufer des Kuban eine ganze Reihe von Kosakenniederlassungen errichtet. Um diese Zeit war zudem noch das am Südabhange des Kaukasus gelegene, bisher unabhängige grusinische Kaiserreich unter Russlands Botmäßigkeit gefallen. Von den Kosakenstationen am Terek und Kuban aus drangen nunmehr die Russen allmählich in die Vorberge ein. Und zwar befolgten sie dabei die eigentümliche Taktik, dass sie von Zeit zu Zeit unter größerem militärischen Aufgebot über die Bergvölker herfielen, die Weiden vernichteten, die Herden vertrieben, die Hütten verbrannten und soviel als möglich Gefangene mitschleppten. Wenn sich die Russen dann wieder zurückzogen, wurden sie von den Bergvölkern verfolgt und aus dem Hinterhalte sehr nachdrücklich beschossen. Bisweilen fielen aber auch die Bergvölker von sich aus über die russischen Ansiedelungen her, richteten grausame Blutbäder an und schleppten Männer und Frauen zu sich in die Berge. Hierbei zeichneten sich ganz besonders die Tschetschenzen aus, die in den waldigen Schluchten am rechten Ufer des Terek wohnten. Diese Kämpfe, denen erst Fürst Barjatinski durch die völlige Unterwerfung des Kaukasus im Jahre 1856/57 ein Ende bereitete, sind dadurch so berühmt geworden, dass mehrere große Dichter an ihnen teilnahmen. Nicht zufällig: die Versetzung in das kaukasische Heer war eine Art Bestrafung für politisch verdächtige Personen. Schon mehrere der Dekabristen waren nach Abbüssung zehn- und zwanzigjähriger Zwangsarbeit als gemeine Soldaten ins Feld gegen die Kaukasier geschickt worden, wo man sie in die vordersten Reihen stellte, und die meisten von ihnen auch bald umkamen. Der größte Verherrlicher des Kaukasus, Lermontoff, war bekanntlich wegen seines kecken Gedichtes auf den Tod Puschkins nach dem Kaukasus geschickt und nur drei Jahre vor Tolstois Ankunft dort im Duell erschossen worden. Es scheint dabei, als ob man sich mit der Unterwerfung der Bergvölker nicht allzu sehr beeilte: hatte man doch so nicht nur in den langen Friedens jähren Gelegenheit, kriegerische Erfahrungen zu sammeln, es bot sich auch hier die Möglichkeit, politisch unliebsame Persönlichkeiten, die man nicht geradezu gerichtlich belangen konnte, auf eine für sie nicht demütigende Weise endgültig loszuwerden. Der Kaukasus war aber auch wiederum ein Glück für Russlands unter dem schmachvollen Druck des Despotismus schmachtende Dichter: hier begegneten sie den einfachen Sitten freier Naturvölker, und dazu in einer der großartigsten Gegenden der Welt, und das musste ihr dichterisches Schaffen mächtig entflammen. Tolstoi hat zudem auch noch hier die Seele des im Kriege stehenden Soldaten begriffen und in unsterblichen Dichtungen ihre Erregungen und Erhebungen uns nachzuerleben gezwungen. Wir nennen die Novellen „Der Vormarsch“, „Die Kosaken“, „Die Niederlegung des Waldes“, ,,Eine Begegnung im Felde“.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das heutige Russland 1 - Tolstoi