Das Verhältnis zwischen Tolstois literarischer Tätigkeit und seiner Arbeit an sich selber

Währenddessen machte die militärische Karriere Tolstois trotz seines glänzenden Namens und seiner vortrefflichen Verbindungen nur äußerst langsame Fortschritte. Schuld daran war vor allem — hier wie überall, wo Tolstoi mit Behörden zu tun hat, das geht durch sein ganzes Leben hindurch — das Fehlen der Papiere, denen Tolstois stets auf den Menschen gerichteter Blick nicht die Bedeutung zuzusprechen vermochte, die ihnen im russischen Staatswesen zukommt. Als Tolstoi fluchtartig sein Landgut verließ, „um den bösen Geistern zu entrinnen“ — wohl kaum der Reue, vielmehr dem furchtbaren Zweifel an sich selber, an den Einrichtungen des Lebens und an dem Weltordner — da hatte er sich um keine Dokumente gekümmert. Vom Kaukasus aus aber waren solche nur sehr schwer zu beschaffen. Das berührt jetzt Tolstoi besonders schmerzlich, da ihm bereits der Militärdienst langweilig ward, und er nur noch die Beförderung zum Offizier erwartete, um seinen Abschied zu nehmen. Hatte er fest darauf gerechnet, nach anderthalb Jahren Offizier zu werden, so erhielt er Ende Oktober (1852) die Nachricht, dass er noch drei Jahre auf die Beförderung zu warten habe. In seiner Verzweiflung wendet sich Tolstoi an seine einflussreiche Tante Juschkoff, und der gelingt es denn auch, Tolstois Karriere ein wenig zu beschleunigen. Das Fehlen seiner Papiere war übrigens auch schuld daran, dass Tolstoi, der zweimal zum Georgenkreuz vorgeschlagen war, dieses nicht erhalten konnte. Tolstoi schreibt darüber seiner Tante Jergolsky: Er gestehe es offen, dass von allen militärischen Ehren er dies kleine Kreuz allein erstrebenswert erachte, und ihm der Misserfolg hier um so unangenehmer sei, als sich wohl keine Gelegenheit mehr dazu bieten werde. Es haben sich indes noch zwei Gelegenheiten geboten: das eine Mal trat Tolstoi sein Kreuz einem alten gedienten Soldaten ab, das andere Mal erhielt er statt des Kreuzes einige Tage Arrest, weil er die Wache versäumt hatte.

Im Dezember (1852) beendete Tolstoi die Erzählung „Der Vormarsch“, schickte sie Nekrassoff ein, und nahm zu Beginn des folgenden Jahres (1853) als Feuerwerker vierter Klasse am Feldzug gegen Schamihl teil, den berühmten letzten Verteidiger der kaukasischen Freiheit. Die Abteilung versammelte sich in der Festung Grossny, „wo Trinkgelage und Kartenspiel kein Ende nahmen“.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das heutige Russland 1 - Tolstoi