Anregung zu literarischer Tätigkeit

Den Winter 1850/51 verbringt Tolstoi dann in Moskau. Aus seinem Briefe an die geliebte Tante erfahren wir, dass er zwar eine elegante Wohnung inne hatte und sehr feines Fuhrwerk hielt, dabei aber aufs allereinfachste lebte: „Ich begnüge mich völlig mit Kohlsuppe und Grütze und warte nur noch auf das Eingemachte und auf die hausgemachten Liköre, um ganz wie auf dem Lande zu leben.“ Auch geht Tolstoi wenig aus und spielt kaum noch, alles in allem genommen findet er: „dieser Winter sei der angenehmste und vernünftigste, den er bisher verlebte.“ Er habe sich amüsiert, sei in Gesellschaft gegangen, habe angenehme Erinnerungen gesammelt und seine Finanzen nicht zerrüttet — freilich auch nicht geordnet. Übrigens fallen gerade in diese Zeit Tolstois erste literarische Versuche. Schon 1850 hatte er eine kleine verloren gegangene Novelle aus dem Zigeunerleben geschrieben. Den Plan zu einer anderen Arbeit, einer Nachahmung von Sternes „Sentimentaler Reise“, führte er nicht aus. Über das Erwachen seiner literarischen Neigungen erzählt Tolstoi selber:

„Einst saß ich in Gedanken verloren am Fenster und blickte auf alles, was auf der Strasse vor sich ging: da geht ein Polizeiwächter! Was ist das für ein Mensch? Wie ist sein Leben? Und da fährt eine Equipage vorüber! Wer sitzt in ihr? Wohin fährt er? Woran denkt er? Und wer lebt in diesem Hause? Wie ist das Innenleben aller dieser Leute? Wie interessant wäre es, das alles zu beschreiben! Was für ein unterhaltendes Buch könnte man daraus machen!“


Nach einer vorübergehenden Rückkehr aufs Gut finden wir Tolstoi im März 1851 wiederum in Moskau, und zwar, wie wir aus seinem Tagebuche ersehen, zu dem dreifachen Zwecke: zu spielen, zu heiraten und eine Stellung zu finden. Tolstoi hat indes keines dieser Ziele erreicht: das Spiel war ihm widerlich geworden und erschien ihm verächtlich. Zum Heiraten fehlte ihm jede der drei, seiner damaligen Meinung nach hier einzig in Betracht kommenden Veranlassungen: Liebe, Vernunft und Schulden. Und endlich eine Stelle konnte er deshalb nicht finden, weil er keines der dazu nötigen Papiere mitgebracht hatte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das heutige Russland 1 - Tolstoi