Abschnitt 4

Wir begegnen diesen Unternehmern - possessores, magistri genannt, wenn sie durch Landzuweisung in den von ihnen besetzten Ortschaften entschädigt wurden - vielfach in Pommern zur Zeit der dortigen Colonisation (von Bilow, Abgabenverhältnisse in Pommern, 1843, S. 29); ohne die Tätigkeit solcher Werbeagenten ist die in so kurzer Zeit erfolgte Neubesetzung der Ratzeburger Dorfschaften nicht wohl denkbar. In Westfalen und den Wesergegenden gehörte die große Masse der Bauern dem Stande der Hörigen - litones - der älteren Form der Leibeigenschaft -, an (Wiegand, Provinzialrecht von Minden, S. 1834, II., S. 111 seqq.); unausgesetzt lieferte diese in damaliger Zeit reichlich fließende Quelle das Material für die Besiedelung der Ostseeländer. Die Bedingungen, welche die Unternehmer bieten konnten, waren für besitzlose, einem unfreien Stande angehörige Leute verlockend genug: Befreiung von der Hörigkeit, welche durch Verhandlung mit den Grundeigentümern, meistens Klöstern und sonstigen geistlichen Besitzern, leicht zu erlangen war; Übernahme einer schon vorhandenen Bauernstelle mit einer, wenn auch beschränkten, Erblichkeit 4) und mit gewöhnlichen bäuerlichen Leistungen; gleichzeitige Besetzung der ganzen Dorfschaft mit Genossen derselben Gegend und Herkunft. Ihre Verpflichtungen bestanden wesentlich, außer dem Zehnten von dem, was sie auf ihren Hufen bauten und gewannen, in den Hand- und Spanndiensten zur Bewirtschaftung der bischöflichen Höfe, in sonstigen Herren- und Kapitelsdiensten, endlich in verschiedenen Geldabgaben von meist nicht erheblichem Betrage, welche bei der Neuregulierung der Bauernschaften zu Anfang dieses Jahrhunderts (conf. die Versicherungsurkunde bei Masch, Gesetz-Sammlung, S. 262) als Dienst-, Pacht-, Flachs-, Spinn-, Schneidel-, Schweine-, Monats- und Fuhrgeld bezeichnet werden. - Obgleich nun der Schwerpunkt der bäuerlichen Leistungen in den Frohnden und der Dienstpflicht ruhte, welche anderwärts einer selbstständigen Entwicklung des Bauernstandes besonders hinderlich gewesen sind, so ist dennoch im Ratzeburgischen ein kräftiger Bauernstand sehr rasch emporgekommen; die Gleichartigkeit der Verhältnisse in 60 bis 70 Dorfschaften, welche das ganze Stiftsland bedeckten, das milde bischöfliche Regiment, die vorzügliche Bodenbeschaffenheit begünstigte nicht nur den Wohlstand der Bauern, sondern auch die Ausbildung der bäuerlichen Rechtsinstitute des Anerbenrechtes und was damit für das bäuerliche Familienleben in Verbindung steht, sowie die Ausbildung einer auf umfänglichen Gemeinschaftsbesitz gestützten Dorfverfassung. Eine erhebliche Milderung der nach den herrschaftlichen Höfen zu leistenden Frohnden wurde dadurch bewirkt, daß die einzelnen Dorfschaften in der Dienstpflicht alternirten, so daß jede Dorfschaft im zweiten oder dritten Jahre für ein ganzes Jahr dienstfrei wurde. Für das schon früh befestigte Recht der Ratzeburgischen Bauernschaften mag die Urkunde vom 2. Febr. 1320 (Urk.-B. VI, S. 508) als Beleg dienen; darnach verkaufte der Bischof Marquard seiner Dorfschaft Malzow - colonis nostris omnibus in dicta villa morantibus - eine angrenzende abgeholzte Fläche Landes für 400 Mark Lübisch, unter Auferlegung eines nicht zu erhöhenden Zinses (census) von 20 Mark jährlich und unter Befreiung dieser Fläche von Zehnten, Diensten und sonstigen Abgaben (exactiones seu tallias). Nach Masch, Geschichte des Bisthums Ratzeburg S. 222, wird die Urkunde noch jetzt wohl erhalten von der Dorfschaft Malzow aufbewahrt.

Das Gegenstück hierzu bildet die das Dorf Römnitz betreffende Urkunde vom Jahre 1285 (U.-B. III, S. 194). Der Bischof Isfried hatte sich mit dem Domcapitel durch Ueberlassung von Zehnten und ganzen Gütern im Jahre 1194 auseinandergesetzt (U.-B. I, Nr. 154; Masch a. a. O. S. 90, 97, 187); zu den dem Capitel überwiesenen Gütern gehörte Römnitz. Fast 100 Jahre später entschließt sich das Capitel zur Niederlegung des Dorfes und zur Aufrichtung einer Hofwirthschaft; den Bauern, 15 an der Zahl, wird zum Abzuge nach einem Jahr und 14 Wochen gekündigt, und sie nehmen die Kündigung an, weil sie, wenn sie auch seit langer Zeit (multo tempore) die Dorfländereien genutzt, doch kein Erbrecht an ihren Stellen hatten (in quibus hereditatem non habebant, de permissione et gratia Ratzeburgensis ecclesiae coluissent); sie bedingen nur, daß ihnen der Werth ihrer Gebäude und der Gartenbestellungsarbeiten nach einer Schätzung durch beiderseits zu erwählende Taxanten in baarem Gelde bezahlt werde; was zugestanden und nach dem vom Vogt und Rath von Ratzeburg ausgestellten Zeugniß ausgeführt wird; die gezahlten Entschädigungen betragen zusammen 60 Mark. - Diese Urkunde ist in mehrfacher Beziehung von Bedeutung. Zunächst haben wir es nicht mit zurückgebliebenen und etwa bisher übersehenen wendischen Bauern zu thun, wenn nicht die deutschen Namen der in der Urkunde einzeln aufgeführten Bauern (villani) täuschen; sie sitzen anscheinend schon seit Beginn der Colonisation (multo tempore) auf ihren Hufen. Jedenfalls haben sie die hereditas, das erbliche Recht, nicht erworben und müssen daher auf Kündigung weichen.


So werden in dem Präbenden-Verzeichniß des Domcapitels zu Lübeck aus dem Jahre 1263 und in dem Verzeichniß der zur Domkirche zu Lübeck gehörenden Vicareien vom Jahre 1264 (Mekl. Urk.-B. II, S. 222, 239) diejenigen mansi, deren hereditas den coloni oder rustici zusteht, einzeln hervorgehoben; ebenso der Rückkauf der mansi mit hereditas in einzelnen Fällen; es geschieht dies zu dem Zwecke, damit die Vicareien-Inhaber die Befugniß erlangen, hujusmodi hereditatem locandi, cum placuerit, pro ampliori.

Die Erblichkeit des Colonatbesitzes beruhte also auf besonderem Rechtstitel; wo sie nicht zugestanden war, war der Colon einer Erhöhung des census und der Kündigung ausgesetzt. - In gleicher Lage befanden sich die Zinsbauern des Sachsenspiegels, Landrecht II, 60, §. 1, wo es heißt: "Will ein Mann seinen Zinsmann, der zu dem Gute nicht geboren ist, von dem Gute weisen, so soll er ihm kündigen zu Lichtmeß. Dasselbe soll der Mann tun, wenn er es verlassen will." Das Recht des Zinsbauern ist nach dem Sachsenspiegel sogar beschränkt auf die Lebzeit des Herrn, der ihm das Gut verliehen hat auch wenn dies auf "beschiedene Jahre" geschehen ist, "soll man es dem Erben wiedererstatten, weil er (der Erblasser) es nicht länger geweren mochte, als, so lange er lebte" (III, Art. 77 ibid.); ferner: Erbzinszahlung mag der Herr des Dorfes an dem Gute gewähren, wo die Bauern ein neues Dorf von wilder Wurzel besetzen (III, Art. 80, §. 1 ibid.).




4) Vgl. die Constitution wegen Wiederbesetzung der Bauerhöfe vm 30. Juli 1776 sub 1, bei Masch, Gesetz-Samml. S. 253.