Das außergerichtliche Strafverfahren

Russen über Russland
Autor: Nabokow, Wladimir (?) russicher Jurist und Publizist, Erscheinungsjahr: 1906
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Strafprozessordnung, Rechtsordnung, Rechtsstaat, Willkür, administrative Strafen,
Es ist ein Axiom der Rechtsordnung, dass niemand bestraft werden kann, ohne zuerst vom Gericht der Schuld überwiesen zu sein. Die Person jedes Bürgers muss vom Gesetze geschützt werden, das genau alle Bedingungen und Formen der Anklage und Bestrafung bestimmt und umschreibt. Die richterliche Behörde ist von der Exekutive verschieden und bildet eine selbstständige Institution, die eine Reihe von Garantien für ihre Unvoreingenommenheit und Achtung vor dem Gesetze bietet. Die gesamte komplizierte, geschichtlich bedingte und bislang noch nicht ganz innerlich befestigte Rechtsordnung ist durch und durch von dem obersten dominierenden Grundsatz durchdrungen: die Wahrung der Rechte des Angeklagten. Und nur eine vom Gerichte auferlegte Strafe kann als eine der Natur des Rechtstaats entsprechende anerkannt werden. Je mehr ein Land dem Ideal eines Rechtstaats sich genähert hat, desto enger wird der Kreis, innerhalb dessen eine außergerichtliche Vergeltung möglich ist. Und umgekehrt — je mehr ein Land vom Ideal des Rechtstaates entfernt ist, desto verschwommener und unmerklicher wird die Demarkationslinie, welche die Willkür der administrativen Maßnahmen vom legalen Gerichtsverfahren trennt. Alle Arten der Willkür sind mit einander organisch verbunden, und es ist undenkbar, dass in einem absolutistisch regierten Staate das Prinzip der Verantwortlichkeit ausschließlich vor dem Gerichte in der Strafprozessordnung eine wirkliche und normale Entwicklung haben könnte.