Das alte Schloß zu Baden

Autor: Ueberlieferung
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Einem Manne aus Balg begegnete eines Abends auf dem Weg zum Schloß ein unbekannter fahrender Schüler, der ihn mit Namen anredete und zu ihm sagte, wenn er mit ihm gehen wolle, so könne er eine Menge Geld bekommen; nur dürfe er kein Wort reden, sonst koste es ihn das Leben. Der Mann ließ sich nicht lange bitten. Der fahrende Schüler führte ihn durch das Gebüsch bergaufwärts, bis sie zu einem alten Eichenstamm kamen. Darauf lag ein großer Schlüssel, den der Schüler an sich nahm und mit ihm, als sie in den Burgkeller kamen, eine eiserne Tür öffnete. Die beiden gelangten in mehrere Gemächer und zuletzt in ein kleines Gewölbe, in dessen Mitte eine Kiste aus Eisen stand. Auf ihrem Deckel saß ein schwarzer Pudel mit feurigen Augen, und in jeder der vier Ecken des Gewölbes stand ein Geharnischter mit einem Spieß. Der Schüler trat zur Kiste und sprach etwas Lateinisches. Da sprang der Hund herab und die Geharnischten, die vorher zu schlafen schienen, reckten plötzlich die Köpfe. Der Schüler öffnete den Deckel der Kiste und forderte den Mann auf, von den weißen Schafzähnen, womit die Kiste angefüllt war, nach Belieben zu nehmen. Der Mann aus Balg getraute sich nicht, seine Taschen ganz voll zu stopfen, sondern hörte bald auf damit, worauf der fahrende Schüler den Kistendeckel wieder zuklappte und der Pudel mit einem Satz wieder hinaufsprang.

Zu Hause leerte der Mann seine schwergewordenen Taschen, und siehe da - statt der Schafzähne fielen lauter Goldstücke auf den Fußboden. Am nächsten Tag suchte er wieder den Schloßberg auf in der Hoffnung, noch mehr Goldstücke zu erlangen, aber vergebens. Weder fand er den Eichstamm, auf dem der Schlüssel gelegen hatte, noch die eiserne Tür zu dem Gewölbe wieder. Auch der fahrende Schüler war wieder verschwunden.

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts ging eines Morgens eine Frau, die in Baden die warmen Quellen gebrauchte, mit ihrem sechsjährigen Töchterlein auf die Burg. Nachdem sie sich eine Zeitlang umgesehen hatten, kamen sie an eine Tür und klopften daran, worauf sich diese öffnete. Die Frau trat mit ihrem Kinde ein und befand sich in einem Gewölbe, worin drei Klosterfrauen waren. Diese empfingen sie freundlich und schenkten dem Kinde, da es anfing, unruhig zu werden und zu weinen, eine Schachtel mit Sand. Während des Spielens beruhigte sich das Kind wieder, verschüttete aber gegen die Hälfte des Sandes. Als die Frau glaubte, es sei Mittag, nahm sie von den Nonnen Abschied und ging mit ihrer Tochter nach Baden zurück. Dort erfuhr sie nun, daß es schon abends halb sechs Uhr sei. Bei der Öffnung der Schachtel fand sie den Sand, der noch darin war, in kostbare Diamanten verwandelt.