Das Zuendholz

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 4. 1927
Autor: E. Lipowsky, Ingenieur, Erscheinungsjahr: 1927

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Zündhölzer, Feuerstelle, Feuerstein, Funke, Glut, Feuer, Feuerzeug,
Mit einer Selbstverständlichkeit, als müsste es so sein, benützt heutzutage jedermann das unscheinbare Zündholz. Kein Mensch macht sich Gedanken darüber, dass es auch einmal eine Zeit gegeben hat, wo die Beschaffung von Feuer nicht an Sekunden wie heute geknüpft war, sondern wo es mühevoller Arbeit bedurfte, um durch Reiben zweier Hölzer Glut zu bekommen oder aus einem Feuerstein Funken zu schlagen, wie wir es heute noch bei wilden Völkern erleben können. Was Wunder, dass damals Feuer etwas Kostbares war, dass es heiliggehalten und dass öffentliche Feuerstellen unterhalten wurden.

*********************************************
Wenn auch in späterer Zeit alles Mögliche erdacht wurde, um Feuer zu erzeugen, so übertrifft doch alle diese Versuche an Einfachheit das Zündholz. Das erste Mal machte es in Gestalt der „Tabakzündhölzchen“ des Franzosen Jean Joseph Louis Chancel (1779-1837)*) vor nunmehr Hundertzwanzig Jahren von sich reden, ohne aber weitere Bedeutung zu erlangen.

Den Ruhm der Erfindung eines wirklich brauchbaren Reibzündhölzchens kann jedoch ein Deutscher für sich in Anspruch nehmen, nämlich der württembergische Chemiker Jakob Friedrich Kammerer (1796-1857)**). Dieser war in die politischen Wirren der dreißiger Jahre verwickelt und wurde mit vielen anderen, die gleich ihm am Hambacher Fest am 27. Mai 1832***) teilgenommen hatten, zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt. Dank dem Entgegenkommen des Festungskommandanten konnte er seine an der Universität begonnenen Studien, die in erster Linie der Verbesserung der alten Tunkzündhölzer****) galten, fortsetzen. Nach fast sechsmonatigem Bemühen gelang ihm seine Absicht vollkommen. Während die Zündmasse der alten Hölzer aus Schwefel, chlorsaurem Kali und Gummi bestand und, was eine große Unannehmlichkeit war, zur Entzündung in Schwefelsäure getaucht werden mussten, wurde bei der neu erfundenen Herstellung der Reibhölzer die gefährliche Säure nicht verwendet. Der „Kopf“ bestand aus gelbem Phosphor, chlorsaurem Kali und Gummi sowie Schwefelantimon. Bereits bei ganz sanfter Reibung an beliebiger Fläche, meist Glaspapier, ließen sie sich entflammen. Kammerer hätte mit seiner Erfindung ein steinreicher Mann werden können. Aber in der damaligen Zeit, in der es einen Schutz geistigen Eigentums noch nicht gab, fiel er, da er selbst mittellos war, in die Hände von Ausbeutern, so dass er sich schließlich gänzlich um die Früchte seines Fleißes betrogen sah. Er teilt damit das Los so mancher großer Männer. An eine einträgliche Herstellung im Kleinen war nicht zu denken, da sich alsbald allenthalben Zündholzfabriken auftaten, die mit Kapital die Sache betrieben. So entstanden 1833 in Wien die ersten Zündholzfabriken von Stephan Römer (1788-1842) *****), Siegl und Joh. Preshel. Um den Erfinder kümmerte sich niemand mehr. Dieses Los ging Kammerer so zu Herzen, dass er in immer ärgeren Tiefsinn verfiel und schließlich, von materiellen Sorgen aufs schwerste bedrängt, 1857 im Irrenhaus sein Leben beschloss.

*) https://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Joseph_Louis_Chancel
**) https://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Friedrich_Kammerer
***) https://de.wikipedia.org/wiki/Hambacher_Fest
****) https://de.wikipedia.org/wiki/Tunkholz
*****) https://de.wikipedia.org/wiki/Stefan_R%C3%B3mer_von_Kis-Enyitzke


Mittlerweile war auch die neue Erfindung nicht unverbessert geblieben. Sie hatte zunächst noch den Mangel an sich, dass das Einatmen der beim Verbrennen des Phosphors entstehenden Dämpfe äußerst gesundheitsschädlich war. Besonders die Arbeiter der Zündholzindustrie hatten darunter zu leiden und verfielen fast alle einer schrecklichen Berufskrankheit, der Phosphornekrose, dem Absterben des Kiefers. Nun war 1847 durch den Wiener Hofrat von Schrötter (1802-1875) *) der rote oder amorphe Phosphor erfunden, der aus dem gewöhnlichen durch Erhitzen auf zweihundertfünfzig Grad Celsius entsteht und im Gegensatz zum gelben Phosphor ungiftig ist. Der Erfinder hatte schon damals auf die Verwendungsmöglichkeit in der Zündholzindustrie hingewiesen. Professor Böttger (1806-1881) **) beschäftigte sich mit dieser Frage, und ihm gelang im Jahre 1855 die Erfindung der Antiphosphorhölzer. Sie enthalten, wie schon ihr Name sagt, in den Köpfen keinen Phosphor, sondern bestehen im Wesentlichen aus Schwefelantimon und chlorsaurem Kali, nur war im Gegensatz zu den Hölzern von Kammerer, die an jeder Reibfläche entzündbar waren, eine eigens hierzu präparierte nötig, die amorphen Phosphor enthielt. Dieser Unbequemlichkeit verdankten es die alten Hölzer, dass sie sich noch so lange gegenüber den neuen behaupten konnten. Erst nachdem der schwedische Ingenieur[b] Johan Edvard Lundström[/b) (1815-1888) ***) auf den Gedanken kam, die Streichhölzer in Schachteln zu verpacken, die die Reibfläche trugen, verschaffte diese gefällige, noch heute gebräuchliche Aufmachung den „Schwedischen“ bald überall Eingang. Der Unterschied gegenüber früher besteht lediglich darin, dass dieser Industriezweig in den letzten Jahren fast völlig mechanisiert wurde, ja die Zündholzindustrie hat, so unscheinbar ihr Produkt ist, mit die kunstreichsten der je erdachten Maschinen aufzuweisen. Bevor wir auf den Herstellungsgang eingehen, wollen wir kurz die benötigten Rohmaterialien aufführen. Das Holz spielt natürlich die Hauptrolle. Meist wird das Holz der Espe, Pappel, Linde oder Fichte verwendet, da es weich und porös sein muss. Bei den Chemikalien steht der Phosphor im Vordergrund; ferner sind zu erwähnen Schwefel und Paraffin oder Wachs als Imprägnierungsmittel für das Holz, um das Übergreifen der brennenden Zündmasse auf das Holz zu erleichtern. Leim, Stärke und Dextrin sowie Gummi dienen schließlich dazu, um die Zündmasse mit dem Holzkörper zu verbinden. Die genauere Zusammensetzung der Zündmasse sowie der Köpfchen sind Fabrikgeheimnis. Die wichtigsten Beimengungen sind chlorsaures Kalium, Salpeter, Mennige, Terpentin und so weiter.

*) https://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Schr%C3%B6tter_von_Kristelli
**) https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Christian_B%C3%B6ttger
***) https://en.wikipedia.org/wiki/Johan_Edvard_Lundstr%C3%B6m


Den wesentlichsten Teil des Fabrikationsganges nimmt die Bearbeitung des Holzes ein. Die in Stärke von dreiundfünfzig Zentimeter Länge zerteilten Holzstämme werden, zu Rollen abgedreht, im Dampfapparat erweicht und durch die Rundschälmaschine zu zwei Millimeter dicken Streifen auseinandergeschält. Diese Streifen kommen, zu Paketen von fünfzig bis sechzig Lagen vereint in die Abschlagmaschine, in der das Holzblatt durch Schalt- und Teilmesser in die fünf Zentimeter langen und zwei Millimeter im Quadrat messenden Hölzchen zerschnitten wird. So eine Maschine vermag bei zehnstündigem Betrieb dreißig Millionen Stück zu liefern. Nun werden die Hölzchen über Schüttelroste weitergeführt, um sie von Staub und Splittern zu reinigen und alle Hölzer, die kleiner als fünf Zentimeter geraten sind, auszusieben. Drei Gleichlegemaschinen haben nun vollauf zu tun, um die Lieferung einer Abschlagmaschine schön in Reihen zu ordnen. Von einer zweiten Abteilung von Gleichlegemaschinen, die infolge ihrer geringeren Arbeitsfähigkeit in größerer Zahl vorhanden sein müssen, werden die Hölzchen in die Tunkrahmen eingeordnet.

Nun folgt das Schwefeln oder Paraffinieren. Dies geschieht in einem Paraffinierapparat, wobei die Tränkung mit der Imprägnierungsflüssigkeit nach vorangegangener Durchwärmung des Holzes vor sich geht. In die inzwischen maschinell bereitete Zündmasse — durch geschlossene Bauart der Maschinen ist für Feuersicherheit gesorgt, und die Phosphordämpfe werden in Abzüge geleitet — werden hierauf die Rahmen getunkt und in eigens geheizten Kammern getrocknet. Damit ist das Zündholz fertig; es ist aber allein noch nicht gebrauchsfähig; es bedarf der Reibflächen, die an der Schachtel angebracht sind. Auch die Herstellung der Schachteln erfolgt ganz maschinenmäßig. Was hier der Scharfsinn geleistet hat, ist staunenswert. Nachdem durch eine Furnierschälmaschine der papierdünne Schachtelspan hergestellt wurde — die Tagesleistung einer Maschine genügt für etwa zweihundertfünfzigtausend Stück —, übernimmt eine zweite das Ritzen, Biegen und Überkleben des Spans; schließlich kommt noch die Etikette drauf, und die Schachtel ist fertig. Eine ähnliche Maschine liefert die Innenhüllen. Auch das Einfüllen und Verpacken der Schachteln ist mechanisiert.

Viel ließe sich schließlich noch sagen über die Spielarten des Zündhölzchens, die im Laufe der Zeit entstanden sind und deren nur eine an dieser Stelle der Merkwürdigkeit halber angeführt sei, nämlich die der „kopflosen“ Zündhölzer. Hierbei waren die Hölzchen mit einer Lösung von zwanzig Teilen chlorsaurem Natrium, vier Teilen schwefelsaurem Ammon und zwei Teilen Gummi in dreißig Teilen Wasser getränkt und unterschieden sich äußerlich nicht von einem gewöhnlichen Hölzchen, ließen sich aber an beiden Enden entflammen. Nur ein Übelstand haftete ihnen an, sie ließen sich nicht lange lagern, da das chlorsaure Natrium die Feuchtigkeit der Luft ansog und eine Entzündung der Streichhölzer unmöglich machte. Ein anderes Problem war die Ersetzung des Holzträgers durch einen anderen, billigeren Stoff. Es wurden Versuche mit gepresstem Papier unternommen, zu dessen Verarbeitung natürlich auch ganz schlechtes Holz verwendet werden konnte, man ist jedoch wieder zum früheren Material zurückgekehrt.

In neuerer Zeit sind den Streichhölzern in Gestalt der zahllosen Feuerzeuge gefährliche Gegner erwachsen, und viele haben schon vor Jahren dem armen, kleinen Ding sein baldiges Ende vorhergesagt. Aber wie so oft, so haben auch diese Propheten bisher nicht recht behalten; ja, viele von ihnen sind selbst wieder reumütig vom Feuerzeug zum vielgeschmähten, aber immer noch sichersten Zündholz zurückgekehrt, nachdem auch der Kostenpunkt nicht mehr ausschlaggebend ist, seit die Zündholzindustrie den hohen Grad der Leistungsfähigkeit und Vollkommenheit von heute erreicht hat.