Das Wunschpferd

Autor: Ueberlieferung
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In den Wäldern Ostpreußens lebt ein Zauberpferd, das Menschen erscheint, die dringend Hilfe brauchen und es innig herbeiwünschen. Es ist ein Schimmel mit dem der Vogt Dietrich zum Pruzzenfürsten Drago ritt, um ihn zu bewegen, vom alten heidnischen Brauch, jedes weiße Pferd sofort nach der Geburt zu töten, abzulassen. Dietrich hatte ein Kreuz an die Satteltasche gehängt und als der Schimmel den Dolchstößen der Pruzider widerstand, beugte sich Drago der Macht des neuen Glaubens. Das Pferd aber riß aus und verschwand in den Wäldern, die Wunderkraft mit sich nehmend.

Einmal erkrankte die Frau eines Wirtes in einer abgelegenen Gegend, und der Mann machte sich eilends auf den Weg, um den Arzt in Königsberg herbeizurufen. Der Weg dehnte sich und dehnte sich. Er dachte an sein armes in Fieberschauern liegendes Weib und wie weit Königsberg noch war. Wenn ihn doch eine Kutsche überholte, die ihn mitnähme, so wünschte er, oder ein Bauer in der Nähe wäre, der ihm sein Roß leihen würde. Und wie er seinen Blick für einen Augenblick von der Straße hob und seitwärts blickte, da sah er auf einer Koppel ein Pferd stehen, einen Schimmel mit altertümlichem Sattelzeug. Noch dachte er nicht, daß es das Wunschpferd sei, er nahm sich in seiner Not die Erlaubnis, sich in den Sattel zu schwingen. Am Rückweg dann wollte er das Roß wieder auf der Koppel abstellen. Aber wie er so auf dem Rücken des Pferdes dahinflog, dessen Hufe kaum den Boden zu berühren schienen, und er viel schneller, als er es für möglich hielt, die Türme des Doms von Königsberg vor sich auftauchen sah, da begann er zum erstenmal an Spuk zu glauben. Doch er hatte nicht Zeit sich viel Gedanken zu machen, denn plötzlich, in schnellem Schwung, warf ihn das Pferd ab und verschwand im Gebüsch. Da stand er nun wieder auf der Landstraße, die Angst um seine Frau im Herzen und das Ziel wieder ferner gerückt, denn zu Fuß war's nach Königsberg noch eine ganze Weile. Da kam in flotter Fahrt eine Kutsche aus Königsberg daher. Ein Dreispitz beugte sich aus dem Schlag und fragte: „Ist's hier richtig nach Lapehnen?“ Erst war der Wirt ganz verwirrt. Lapehnen! Das war ja sein Heimatdorf. Welcher Zufall! Er bejahte und fügte hinzu, daß er der Wirt von Lapehnen sei. „Ei, just zu dem will ich ja hin. Steig ein.“ Der Wirt nahm Platz und weiter ging die Fahrt. Der Dreispitz aber fuhr fort: „Ich bin der Doktor Schneitgut aus Königsberg. Ein Kind hat mir angesagt, daß eine Frau in Lapehnen dringend einen Arzt benötigt, ich machte mich gleich reisefertig, und als ich vor die Tür trat, um bei dem Fuhrwerker gegenüber meinen Wagen anspannen zu lassen, da stand eine Kutsche vor der Tür. Ich fragte, ob sie für mich sei, der Kutscher bejahte es, und darauf gab ich ihm Order nach Lapehnen zu fahren.“

„Euer Gnaden“, erwiderte der Wirt darauf, „als die Kutsche vor mir auftauchte, sah ich weder Pferd noch Lenker.“

Der Doktor beugte sich zum Fenster hinaus: „Potz Donner! Ich auch nicht. Wo die nur abgeblieben sind? Dabei sausen wir dahin, als ob uns der Sturmwind trüge.“

„Der oder das Wunschpferd zieht unsichtbar an der Deichsel“, antwortete der Wirt. Man kam bald nach Lapehnen, der Doktor hatte gute Hellkräuter mitgebracht, und die Frau genas.

Der Wirt war nun der Überzeugung, die rechte innere Wunschkraft zu besitzen, um sich nach Belieben des Zauberpferdes bedienen zu können. Einmal in einer Sturmnacht eilte er hinaus zum Strand, weil sich die Nachricht verbreitet hatte, ein schöner Dreimaster nähere sich. Der Wirt dachte, daß dieser gewiß im Sturm zerschellen werde und es dann reiche Beute an Strandgut in seine Hände spülen würde. Er sah die Lichter der Bark wie Irrwische in der Dunkelheit tanzen, einmal Ost, das andere Mal West, und er rannte am Strande auf und nieder, um ja am richtigen Platz zu sein, wenn das Schiff unterging. Aber es hatte den Klabautermann an Bord und überstand das Unwetter. Als ein strahlender Morgen anbrach, sah man es mit vollen Segeln dem Hafen von Königsberg zustreben.

Todmüde schlich sich der habgierige Wirt nach Haus. Und als ihn seine Füße kaum mehr tragen wollten, da fiel ihm das Wunschpferd ein, und er begann es mit der ganzen Kraft seiner Seele herbeizuwünschen. Und richtig, es erschien auch, aber es war grausig anzusehen. Es hatte keinen Kopf und hatte Schaum vor dem Mund, und der Wirt nahm Reißaus. Er begriff, daß man das Wunschpferd nicht zu einem unredlichen Unternehmen herbeirufen dürfe.