Das Wasser in der Landschaftsmalerei

Die Kunst unserer Zeit Volumen 4 Part 2 - Eine Chronik des modernen Kunstlebens
Autor: Haushofer, M (?), Erscheinungsjahr: 1905
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wasser, Malerei, Naturanschauung, Landschaftsmalerei, Landschaftsbilder, Portraitlandschaft, Stimmungslandschaft, Meer, See
Zwei Drittteile der Erdoberfläche sind Wasser. Das umflutet die Erdfeste, dass sie, obgleich sie den Ozean trägt, auf ihm zu schwimmen scheint. Es umflutet sie mit seinen gehobenen Wogen; es steigt in schleierhaften Dünsten empor, umballt als Wolke den Berg, lässt sich im grünen Pflanzenkleide der Erdrinde nieder, rieselt durch unsichtbare Gebirgsspalten, um als murmelnder Quell hervorzubrechen, als Bach schäumend ins Tal zu stürzen und endlich als Strom grau und mächtig wieder zum Ozean sich hinunterzuwälzen. Es umarmt die Welt mit Millionen Armen, umkleidet sie mit Schleiern und Nebeln, durchfließt sie in Rinnsalen, die bald schmal sind wie die Adern im Menschenauge, bald breit wie Länder. Es singt in allen Tönen, die der Natur gegeben sind: bald leise klingend wie die einzelnen Tropfen in einer Felshöhle, die von Stalaktiten niederfallen; bald mit jenem grauenhaften Donner, den die Brandung ausstößt, wenn sie das Land verschlingen will.

Es arbeitet ununterbrochen am Verderb der Welt und an ihrer Erneuerung. O, das Wasser, das Wasser! Einst umgab es als siedender Dunst den glutheißen Erdball; hernach legte es viele Jahrtausende lang um ihn seine Niederschläge, eine Rinde über die andere, bis es endlich jene Werke vollbringen konnte, an welchen es heute noch tätig ist. Und was wird es noch schaffen und noch zerstören im weiteren Verlauf der Zeiten? Wird es ungestört vollbringen, was es begonnen hat? Wird es die Gebirge zernagen und die Länder zerwaschen, und Alles, was jetzt noch fest ist, hinunterführen in sein großes feuchtes Bett, bis die Erdoberfläche nichts mehr ist, als ein ungeheurer Sumpf mit Milliarden sandiger Inseln?

Es ist ein Werk für Zeiträume, die so groß sind, dass unser Gedanke scheu wird vor ihnen. Diese Zeiträume sind nicht die Ewigkeit; aber sie grenzen nahe daran.

Und das Element, das dieses vollbringen soll — wie stellt es uns sich darf Zwischen den Fingern zerrinnt's, obgleich es Inseln verschlingt; in Tropfen versprüht es, obgleich es Berge zerfasert; als funkelnder Punkt schaukelt es sich auf dem Grashalme — und heult anderwärts um die Säume zitternder Länder!

Diese gewaltigen Kontraste und unzählige Verbindungsglieder zwischen ihnen sind's, welche an die Naturanschauung des Menschen heranfließen und ihr Bilder von unendlicher Mannigfaltigkeit, von allen Abstufungen des Weichen und Milden bis zum Gigantischen und Grauenhaften, vorführen.

Seit es eine Landschaftsmalerei gibt, hat sie sich auch liebend mit den Erscheinungsformen des Wassers beschäftigt, mit den Wassern der See und des Festlandes, der Ebene und des Hochgebirges. Sie ließ im Wasser nicht bloß Himmel und Bäume und Häuser spiegeln, sondern auch die wechselnde künstlerische Anschauung des Menschen.

Indem die Landschaftsmalerei ein Ausdruck des Natursinns des Kulturmenschen ist, gibt sie uns gewisse Aufklärungen über das Verhältnis des Menschen zur Natur. Und wenn wir die Änderungen im landschaftlichen Verständnis und Geschmack verfolgen, werden wir gewahr, dass das Natur-Empfinden des Kulturmenschen gewisse schwer erklärbare Wandlungen durchlebt, Wandlungen, welche die verschiedenen Bestandteile der Landschaft ungleichmäßig ergreifen.

Es ist wohl der Mühe wert, zu verfolgen, wie insbesondere das Wasser in der Landschaft unser künstlerisches Empfinden berührt, wie unter den verschiedenen Erscheinungen, welche das Wasser uns darbietet, bald die eine bald die andere die Hauptrolle spielt und dem gesammten Landschaftsbilde, in welchem sie auftritt, ein besonderes Gepräge verleiht.

Das Wasser ist neben der Luft der wichtigste Träger der landschaftlichen Stimmung; wichtiger in dieser Hinsicht, als die Bildungen der festen Erdrinde und als die ganze Pflanzenwelt, welche diese Erdrinde überkleidet. Denn das Wasser ist vor Allem im Stande, die in der Luft liegende Stimmung zu verdoppeln, indem es dieselbe im Spiegelbilde nochmals zeigt. Es verdoppelt aus seiner Tiefe heraus die Wirkung des hellen Sommerhimmels, die Melancholie des Abendämmers, das unheimliche Dunkel brütender Wetterschwüle, den Elfenzauber silberner Mondstrahlen, und all' jene zahllosen Nuancen der Stimmung, die in der Landschaft liegen können.

Das Wasser ist aber auch im Stande, die durch die Luft gegebene Landschaftsstimmung schwächer oder stärker zu modifizieren — je nachdem dies in der Absicht des Künstlers liegt. Wo die Luft glühenden Sonnenbrand atmet, vermag das Wasser uns, wenn es als metallner Spiegel darunter liegt, diese Glut stärker fühlen zu lassen; es vermag aber auch uns mit einem kühlenden Windhauch zu erfrischen. Wo die Luft lichtlose Trauer über die Landschaft senkt, vermag das Wasser wenigstens ein paar verlorene Lichtfunken in das Gesamtbild zu bringen; es kann die Gesamtstimmung nicht bloß mildern oder steigern und verschärfen; auch durch Gegensätze rätselhaft machen und vertiefen.

Greifen wir, vom Zufall geführt, ein Landschaftsbild heraus, auf welchem der größte Teil der Bildfläche vom Wasser bedeckt ist. Es ist ein Figuren- und Landschaftsbild von K. Raupp: ein Stück Chiemsee mit dem Kloster Frauenwörth. Im Vordergrunde gleitet ein Bretternachen durch die spiegelklare Flut. von einer Nonne gesteuert, mit Schulkindern angefüllt. Die fromme Steuermännin trachtet eben mit Hilfe ihrer kleinen Ruderknechte das gastliche Ufer zu erreichen, ehe das Unwetter, das schon über den verschleierten Bergen seine Blitze zucken lässt, hereinbrechen kann.

Ein Blick auf dieses Bild gibt uns eine Reihe von Lehren bezüglich der Bedeutung des Wassers in der Landschaft. Das Wasser nimmt hier zwei Drittteile der Bildfläche ein; und doch wirkt es nicht vordringlich. Das Auge haftet nicht auf ihm, sondern auf der gewitterdunklen Luft, auf dem kleinen Stückchen Land und auf dem Schiff mit den Kindern. Der Künstler hat es also völlig in seiner Gewalt, was er aus dem Wasser in seiner Landschaft machen will: „Hauptsache oder Beiwerk, Mittelpunkt oder Rahmen“. Er kann eine Tragödie oder eine Idylle daraus machen, ein Lied oder ein architektonisches Gebilde. Hier ist das Wasser nur die glatte Fahrbahn, auf der selbst Kinderhände ein gebrechliches Fahrzeug zu bewältigen vermögen. Ein freundliches Element, das, wenn es gewalttätig würde, diese Gewalt nicht von sich selbst hat, sondern nur von dem Sturme, der es aufpeitschen kann.

Trachten wir aber einmal, die verschiedenen Erscheinungen, die das Wasser im Landschaftsbilde zeigt, in eine gewisse Ordnung zu bringen.

Eine Gruppe dieser Erscheinungen bietet das Element in seiner Ruhe.

Was wir am ruhigen Wasser beobachten und was die Landschaftsmalerei wiederzugeben hat, ist die Farbe, die Spiegelung und der Grund der Gewässer, soweit er dem Blicke zugänglich ist.

Farbe zeigen uns die Gewässer, die als landschaftliche Elemente erscheinen, fast alle, mit Ausnahme der seichtesten Tümpel. Wir sind gewohnt, als Typus dieser Farbe das Blau des Meeres anzunehmen. Und wo sich die Farbe eines Gewässers von der Farbe des Meeres entfernt, fragen wir uns nach der Ursache. Aber das gilt bloß für Augen, welche das Meer kennen. Der Binnenländer, welcher in seinem Leben nie ein anderes Gewässer gesehen hat, als einen braungrünen Weiher oder einen lehmfarbenen Fluss, wird natürlich diese Farben für die typischen Farben der Gewässer halten, falls er nicht durch landschaftliche Darstellungen belehrt ist, dass diese Farben bloß Trübung sind.

Wo der Landschaftsmaler eine Portraitlandschaft geben will, verlangen wir natürlich von ihm auch, dass er uns die Lokalfarbe des Gewässers getreu wiedergibt. Die Stimmungslandschaft dagegen wählt sich jene Lokalfarbe des Wassers, deren sie für ihren Zweck bedarf.

In die Fläche des ruhigen Wassers aber teilt sich die Lokalfarbe des Wassers mit den Farben jener Erscheinungen, welche von der Fläche gespiegelt werden. Als drittes kommt bei seichten Gewässern auch noch die Farbe des unter der Fläche befindlichen Grundes hinzu. In der Geschichte der Landschaftsmalerei erscheint das ruhige Wasser viel früher, als das bewegte.

Das erklärt sich leicht aus den ungleich einfacheren Mitteln, welche zur Darstellung einer ruhigen Fläche ausreichen.

Man begnügte sich Anfangs, das Meer in einer respektablen Entfernung darzustellen, wozu ein einfacher blauer Strich ausreichte. Die Ufer vermied man, weil es dafür an Naturstudien fehlte.

So sehen wir bei den ältesten Italienern wie den Niederländern das Wasser zuerst als Objekt der landschaftlichen Schilderung auftreten; und es bedurfte damals auch keines größeren Aufwandes, da ja die Landschaft nicht selbständig wirkte, sondern bloß als bescheidener Hintergrund figürlicher Darstellung.

Die Spiegelung studierten die alten Niederländer zuerst; und wir finden sie schon in hoher Vollkommenheit zum Ausdrucke gebracht zu einer Zeit, als man in der Darstellung des bewegten Wassers noch sehr unbehilflich war. So einfach die Spiegelung einer vollkommen ruhigen Fläche als künstlerisches Problem erscheint, so schwierig ist die Spiegelung eines bewegten Gewässers, wegen der gekrümmten Flächen, durch welche sie geschaffen wird.

Das unbewegte Meer bietet wohl den Eindruck einer klassischen Ruhe. Aber noch ruhiger wirken die Hochgebirgsseen, weil ihre krystallenen Spiegel zugleich einen Gegensatz bilden zum stürmischen Wogen der Felswände, die in wilder Zerklüftung über dem Wasser sich auftürmen. Hier ist das Wasser der ruhende Teil des Landschaftsbildes, wenn auch kleine Wellchen in ihm zittern.

Und in dieser so bescheidenen Ruhe ist es der anmutige menschenfreundliche Theil des Ganzen, welches ohne den Seespiegel einfach einen grausigen, unzugänglichen Felsenkessel zeigen würde.

Darin liegt der Reiz, welchen jene, unzählige Male gemalten Alpenseelandschaften immer wieder auf das große Publikum ausüben: der Königsee und der Obersee, der Gosau- und Vierwaldstättersee und wie sie alle heißen mögen. In diesen Bergsee-Bildern erscheint das Wasser fast immer in der gleichen Eigenschaft: die magische, geheimnisvolle, dunkle, träumende Tiefe gegenüber den lichtumflossenen , starren, energischen Höhen. Der Künstler kann eine wesentlich ändernde Stimmung in solche Bilder nicht hineinzaubern, weil sie ihre gleiche Stimmung felsumschlossen in sich tragen seit jener Zeit, in welcher die Erdrevolutionen sie entstehen ließen.

Vom bewegten Wasser wurden Bäche und Wasserfälle viel früher und vollkommener bemeistert, als die Wogen der See. Wir können schon auf Bildern Ruysdael's schäumende Bäche und Flüsse mit vollster Befriedigung betrachten, während die Darstellung eines sturmbewegten Meeres in grandioser Naturwahrheit sich nicht eher findet, als bei den Künstlern des neunzehnten Jahrhunderts. Der bewegten See gegenüber blieb die Landschaftsmalerei der älteren Meister immer etwas hilflos. Die Wellen zeigen sich da mehr wie das Gebrodel eines kochenden Wassertopfes, als wie eine natürliche Erscheinung; sie sind sämtlich zu kurz und zu steil, überstürzen sich mit unerhörtem Eifer und wirken dadurch mehr possierlich als großartig. Man kann wohl sagen, dass die wilde Woge eigentlich das letzte Problem war, das der Kunst des Landschafters sich völlig unterwarf. Das begreift sich leicht, wenn man bedenkt, welche mannigfachen physikalischen Erscheinungen dabei nicht bloß aufgefasst, sondern verstanden und künstlerisch erklärt werden müssen, obgleich sie in rastlosem Zuge vorüberrauschen. Jeder einzelne Wellenberg hat ja seine Lokalfarbe, welche an der Basis am tiefsten erscheint und gegen den Kamm der Welle zu an krystallener Durchsichtigkeit gewinnt; diese Lokalfarbe wird überspielt vom Spiegelbilde des Himmels; sie wird umrahmt von dem überstürzenden Schaumkamm und durchkreuzt von kleineren Schaumbildungen an den Abhängen des Wellenbergs. Diese Schaumbildungen sind Kinder des Augenblicks; aber doch hat jede ihr physikalisches Gesetz, das sie entstehen ließ, ihren Weg, den sie nehmen muss, ihre malerische Wirkung, die erfasst werden soll.

Die Schwierigkeiten müssen sich natürlich steigern, wo die Welle als Brandung ans Ufer schlägt. Denn da begegnet sie auch noch ihrer rücklaufenden Vorgängerin; da muss sie unter Umständen auch noch Uferfelsen spiegeln und den Ufergrund durchblicken lassen.

Die Lokalfarbe der Meereswelle ist eine andere, je nachdem wir sie auf hoher See, in der Nähe einer Klippenküste oder in der Nähe von Sanddünen sehen. Wer einen Blick auf das beigegebene Bild von Hans Dahl wirft, wird, auch ohne eine Farbe zu sehen, sofort auf den Gedanken kommen, dass hier ein farbensprühendes Meer vor uns liegt, von frischem nordischen Windhauch zum Wellentanz aufgerührt, glitzernd und krystallen. Es liegt ein Sonnenglast darauf wie auf dem jugendlichen Gesichte des Fischermädchens, das sich am schaukelnden Gang des Bootes erfreut.

Betrachten wir dagegen die „Küstenlandschaft“ von A. Achenbach. Auch hier eine nordische Küste; auch hier ein Meer, dessen Wogengang noch nicht so stürmisch ist, dass die kleinen Fischerboote darauf ernsthaft gefährdet wären. Aber es liegt doch schon ein gewisser dräuender Zug in diesen Wellen; sie sind nicht mehr so krystallen; sie sagen uns, dass sie mehr könnten, als bloß spielen; man fühlt, wie die Bootwände zittern und ächzen, wenn eine dieser Wellen zerstäubend an sie prallt. Und doch ist hier wie auf dem Bilde von Dahl noch lange kein Sturm.

Auch das fließende und stürzende Wasser gehorcht bestimmten Gesetzen; und der Künstler würde die Erscheinung eines Flusses oder Wasserfalles nicht wiedergeben können, wenn ihm diese Gesetze fremd wären. Aber sie sind einfacher, als jene der windbewegten Welle. Wasserstürze, so bewegt sie auch aussehen, gewinnen bei längerer Betrachtung eine gewisse plastische Ruhe, welche ihre Wiedergebung schließlich recht einfach erscheinen lässt. Die stürzende Wassermenge nämlich, so lang sie im Fallen begriffen ist, folgt mit all' ihren Tropfenteilchen so bestimmten Fallgesetzen, dass sie fast bewegungslos erscheint. Wo sie auf Widerstände trifft, auf Felsen oder aufstehendes Wasser, zerstäubt sie; und wenn auch dieses Schaumgewölk in seinen Formen beständig wechselt, ist es dafür in seiner Farbe um so einfacher und gleichförmiger. Weit schwieriger ist eigentlich das Studium der fließenden Welle, wo auch wieder Lokalfarbe, Spiegelung und jene leichten Schaumbildungen, die durch die Begegnung und Durchkreuzung der Wellen entstehen, eine zusammengesetzte und zugleich bewegliche Erscheinung darbieten.

Ein schöner Hochgebirgs-Wasserfall von J. G. Steffen möge zur Veranschaulichung dienen. Was sich hier über das Trümmerwerk des Tales herabwälzt, ist kein bloßer Bach; es ist eine jener mächtigen Aachen, die das Schmelzwasser vieler Gletscher in sich aufgenommen haben, um es dem Inn, dem Rhein oder der Rhone zuzuführen. Wer diesen Wassersturz betrachtet, muss sich sagen, dass hier bei aller scheinbaren Regellosigkeit doch Gesetz und Regel herrscht. Diese Wassermassen haben ihre Felsengassen, in die sie gewiesen sind, wo sie zwischen moosigen Blöcken sich hindurchzwängen müssen, zu Staub zersprüht, in Fäden zerteilt, dann wieder in grünlichen Massen sich ansammelnd und weiter sich wälzend, über unsichtbare und doch erkennbare Hindernisse hinweg, immer den Fallgesetzen gehorchend. Der beherrschende Eindruck, den das Wasser hier hervorbringt, ist der Eindruck des rastlosen, ewigen Drängens nach der Tiefe zu. Das Wasser erscheint hier als die unendliche Bewegung der Natur; aber man denkt nicht daran, dass dieser Bewegung, die hier die Massen unaufhörlich nach abwärts reißt, andere gleich starke Kräfte gegenüberstehen, die alle diese stürzenden Wasser wieder in die Höhe heben müssen, damit aus den Höhen ewiger Vorrat nach den Tiefen zu sich wälzen kann. Hier sieht man bloß das „Hinunter“, nicht das „Hinauf“.

Der künstlerische Blick beachtet neben dem lebendigen Wasser auch seine Tätigkeit: die Schöpfungen und Zerstörungen des Wassers. Es ist ja eine Eigenschaft der fließenden Tropfen, dass sie unablässig an der Erdveste hinspülen, reiben und nagen. Sie waschen den Felsen glatt und glänzend; sie unterspülen ihre Ufer; sie lassen die aufgelösten Teile der Erdrinde mit schwimmen in die Tiefe. Die Ufer sind immer ein Werk des Wassers und zeigen, welchen Charakter das Wasser hat; ob es gütig und freundlich mit seinen Ufern spielt oder wild und verheerend. Jedem Steine, der am Ufer liegt, sieht man es an, ob er häufiger oder seltener oder niemals vom Wasser ganz überspült wird. Die Ufer gehören zum Wasser. Sie sind sein Werk und seine Gegner zugleich; seine Umrahmung und sein Widerspiel.

An großen Strömen und an der See ist das Ufer genötigt, mit dem Wasser einen beständigen Existenzkampf zu führen. Dabei ist das Wasser der angreifende Teil, das Land im Verteidigungszustande. Die völlige Niederlage der Erdveste in diesem Kampfe, die Sintflut, hat oft genug Künstlern von Gottes Gnaden zum Vorwurfe gedient. Die Fortsetzung dieses vieltausendjährigen Kampfes hat unter den deutschen Landschaftmalern vor Allen der Meisterblick A. Achenbach's erfasst. Es ist ein Grundzug seiner Seelandschaften, dass so häufig auf ihnen die wilde Woge als das gefräßige Ungeheuer erscheint, welches, wenn es nicht wirklich verschlingt, doch die Zähne so fletscht, dass man seine Gefräßigkeit ahnt und fürchtet. Er lässt uns sehen, wie die Dämme und Molen flutüberschäumt in die brüllende See hinaus trotzen, wie die gierigen Wasserzungen mit ihren weißen Schaumspitzen in die Gassen der Seestädte hereinlecken, und über die Dämme springen bis auf die Dächer zitternder und ächzender Hütten. Dabei zeigt er eine besondere Vorliebe für die bewegliche Kammlinie der Welle, für jene schlangenartigen Schwingungen, welche die stürzenden Schaumkronen beschreiben.

Wasser ohne alles Ufer sehen wir nicht gerne, weil nur das Ufer unseren erdwohnenden Gedanken Halt und Heimatgefühl verleiht, und weil das uferlose Wasser stets einen sintflutlichen Eindruck macht. Trotzdem ist es einer Reihe von Marinemalern gelungen, auch das uferlose Meer zum Gegenstande vollendeter Meisterwerke zu machen. Dann ist es entweder der Gegensatz von Luft und Wasser, der uns fesselt, oder das meisterhafte Studium der Welle, oder das in der Wasserwüste kämpfende oder in ihr vergehende Menschenwerk: das Schiff. Das Schiff bei hoffnungsfroher Ausfahrt oder bei siegesfreudiger Heimkehr; das Schiff in der Ruhe und in der brüllenden Todesgefahr; liebkosend gewiegt von der rauschenden Welle oder zerschmettert und verschlungen von ihr.

Lang ehe es eine Landschaftsmalerei gab, die es vermochte, die Schönheit und Schrecklichkeit der Wasserwelt wiederzugeben, konnte die Poesie uralter Völkermythen schon die Eindrücke des Wassers auf das menschliche Gemüt und auf das Schönheitsgefühl des Menschen spiegeln, in jener Welt von wundersamen Lebewesen, mit welchen sie die Gewässer der Erde bevölkert. Diese Welt von Wassergeistern ist nicht bloß der märchenlustigen Menschenseele entsprungen, sondern wirklich den Wassern, aus deren Bildern und rauschenden klingenden Tönen sie zuerst in die Volksseele sich hinüber stahl, um dann immer mehr zu anmutvollem Kunstwerk sich auszugestalten.

Darum hat jedes Gewässer seine eigenartigen Lebewesen aus dem Reiche der Geister und Ungeheuer. Unübertroffen aber sind hierin jene Meeresteile, deren zephyrne Wellen an die Küsten und Inseln der hellenischen Länder schlagen. Da tummelt sich jene sonnenleuchtende tropfensprühende Welt von Najaden, Tritonen, Sirenen, Nymphen und Nereiden, jene Fischmenschgebilde und Schaumgeister, die bald grimmig und schreckhaft, bald süß und betörend, immer aber voll von Anmut und rastlosem feuchtem Leben sind. Wie anders sind diesen lichtdurchtränkten Gestalten gegenüber jene düstren und grauenvollen Phantasien, die an den Ufern der nordischen Meere erwuchsen: die finstre Seegöttin Ran, die hinter öden Klippeninseln lauernden Kraken, das Todtenschiff Naglfar und die weltumringelnde Midgartschlange!

In unübertroffener Meisterschaft hat bekanntlich Böcklin die Mythengebilde der See benützt, um sie mit dem Landschaftsbilde zu einem harmonischen Ganzen zu einen. Er darf seine Wellen mit solchen Erscheinungen beleben; denn seine Auffassung des Wassers im Landschaftsbilde gibt ja vor Allem das fremde, unendliche Meergeheimnis, die grenzenlose Öde, die unbezähmbare Freiheit der rollenden Woge. Nach ihm haben noch Andre mit Glück diese Mythen, die ewigjung sind seit der Odyssee, wieder körperlich gemacht. Wir führen auch eines dieser neueren Seemärchen vor: eine Strandszene von Knüpfer. Das ist das Ägeische Meer mit seinen lichten Wogen, seinen balsamischen Lüften und seinem Sonnenglanz! Aus der sanft spielenden Brandung ist ein fischschwänziges Meermädchen getaucht, um mit einer Muschel voll Korallen ein paar junge Faune an sich zu locken, die noch eine berechtigte Scheu hegen, ob sie sich mit einer derartigen Gespielin einlassen dürfen. In den affenhaften Gebärden der Faunbübchen spricht sich das ganze Misstrauen der Landratte aus, gegenüber der feuchtschimmernden Lockung, welche die See hier in den knirschenden Sand gespielt hat.

Sie wissen sehr wohl , dass mit den glatten Kindern der Flut keine dauernde Freundschaft sein kann, dass dieses liebreizende Gebild sich selber und den Gespielen mit einem Schlage des Fischschweifs zurückschnellen kann in die rollende klatschende Flut.

Aber nicht bloß die See ist das Heim von Götter und Geister-Gestalten; auch in den kleineren Binnenwassern wohnen dieselben. Man glaubt ja längst nicht mehr an diese Mythen; aber man sieht sie nicht ungerne von Zeit zu Zeit. Und wo man sie nicht sieht, liebt man ihr Wesen doch wenigstens zu ahnen; man liebt es, wenn einem der Künstler zu verstehen gibt: Spürt Ihr's, dass in den Tiefen meiner Wasser etwas lebt, dass in ihren Wirbeln und Strudeln ein Naturgeheimnis plätschert und rauscht?

So zeigt er uns einen heimlichen, waldumfangenen Felsenkessel.

Durch das Blättergrün spielen die Sonnenstrahlen herein; ein krystallklarer Waldbach sprudelt über das Gestein herab und bildet einen durchsichtigen Tümpel.

Und in diesem so entzückenden Felsenbade steht eine weiße nackte Frauengestalt und freut sich hier der Weilchen, die um ihre Füße gaukeln. Man weiß nicht, ist's ein Irdisches oder ist es die Nymphe dieses waldverlorenen Wassers, die hier der Waldeinsamkeit ihre reine Schönheit zeigt.

Märchenzauber und liebliche Naturwahrheit gehen hier völlig ineinander über.

Das ist noch lange nicht Alles, war uns das Wasser im Landschaftsbilde bieten kann.

Aber wir wollen nur eines noch herausgreifen: Das im Winterfrost erstarrte Wasser, das Wasser als Baumaterial, aus welchem die Natur so hübsche krystallne Wunder schafft, Bauwerke, welche Felsen zermalmen und Brückenpfeiler stürzen können und welche doch im Sonnenstrahl hinschmelzen müssen.

Eis allein wirkt erkältend, erstarrend nicht bloß in der Natur, auch im Bilde. Weit interessanter wird es für den Blick und für den Gedanken, wenn es mit seiner krystallenen Starrheit in Gegensatz tritt zu einem andren Faktor landschaftlichen Eindrucks; entweder zu lebendigem Wasser oder zur Pflanzenwelt.

Die Pracht eines zerklüfteten Gletschers wird doppelt schön, wenn im Vordergrunde des Landschaftsbildes, durch welches er herabsteigt, noch Krummholz und moosüberwachsene Felsblöcke mit ihren warmen Farben sichtbar sind; eine Schneelandschaft des Flachlandes gewinnt durch dunkles Nadelholz, der gefrorne Strom oder Wasserfall durch dunkle fließende Wasserwellen.

Einen sprechenden Beleg hiefür mag eine „Gebirgsschlucht“ von Andersen-Lundby bieten. Seine ganze Eispracht hat der tiefe Winter über dieses Bild ausgestreut; schwere Schneelast liegt auf den Alpenfichten und überkleidet die Kanten der Felsen; schimmernde gefrorne Kaskaden hangen vom Rande der Schlucht in deren dämmernde Tiefe.

Aber in dieser Tiefe drunten flutet zwischen Schnee und Eis ein schmales Band von tiefgrünem Wasser, als käme es aus wärmeren Erdschlünden hervor, um mit leisem Murmeln und Gurgeln von einem Frühling zu raunen, zu welchem die Schöpfung aus ihrer Todesstarre wieder erwachen muss.

023 J. G. Steffan – Am Klönthalersee
024 Hans Dahl - Frische Brise
025 R. Knüpfer - Meeresidylle
025 J. G. Stefan - Gebirgswasserfall
027 A. Achenback. Ostende
028 F. Possart. Unbelauscht.
028 A. Andersen-Lundby. Winterlandschaft

J. G. Steffan – Am Klönthalersee

J. G. Steffan – Am Klönthalersee

Hans Dahl - Frische Brise

Hans Dahl - Frische Brise

J. G. Stefan - Gebirgswasserfall

J. G. Stefan - Gebirgswasserfall

R. Knüpfer - Meeresidylle

R. Knüpfer - Meeresidylle

A. Achenback. Ostende

A. Achenback. Ostende

F. Possart. Unbelauscht

F. Possart. Unbelauscht

A. Andersen-Lundby. Winterlandschaft

A. Andersen-Lundby. Winterlandschaft

Albert Rieger – Der Wildbach

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Albert Riegert – Im Gesäuse

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