Dritte Fortsetzung

Der erste Versuch wurde durch den Chevalier de Valcroissant gemacht, welcher jedoch nichts weiter erreichte, ab dass er in Riga arretiert wurde. Unter dem Vorwande, er sei ein französischer Spion, transportierte man ihn nach St. Petersburg und schickte ihn von dort aus, nach einer sehr genauen und eingehenden Untersuchung, nach Frankreich zurück.

Das geschah im Anfang des Jahres 1756, zu einer Zeit, wo Prinz Conti, dessen Verhältnisse sehr derangiert waren, nichts Besseres tun zu können glaubte, als die Kaiserin zu überreden, ihm an ihrer Seite einen Platz auf dem Throne Russlands einzuräumen. Damit dieser romantische Plan reussire, brauchte man einen gewandten und kühnen Unterhändler, welchen der Prinz in der Person eines Schotten, Namens Douglas, fand. Bald darauf wurde ihm der junge Ritter d’Eon beigesellt.


Gleichzeitig mit geheimen Aufträgen des Ministeriums des Äußeren betraut, reiste Douglas zuerst ab. Nach seiner Ankunft in St. Petersburg gab er sich für einen Kaufmann aus und nahm bei einem französischen Bankier Wohnung, durch dessen Vermittlung er dem Vize-Kanzler, Grafen Woronzow, die ersten Eröffnungen machte. Dieser war eben so sehr für eine Alliance mit Frankreich eingenommen, als der Kanzler Bestushew ihr feindlich gegenüberstand, und so nahm er denn die Mitteilungen Douglas’ mit großem Eifer auf. Bald darauf langte Ritter d'Eon an und wurde durch Douglas dem Vize-Kanzler vorgestellt.

Obschon die beiden Agenten gar bald es aufgaben, sich mit den Träumen Contis zu beschäftigen, so wussten sie doch andererseits Terrain zu gewinnen. Auch beeilte sich Douglas, seinen Akolythen nach Frankreich zu schicken, damit er über den Erfolg seiner diplomatischen Mission Bericht erstatte.

D’Eon reiste nach Versailles und kehrte nach St. Petersburg mit dem Titel eines Gesandtschafts-Sekretärs zurück, da Douglas inzwischen öffentlich als bevollmächtigter Minister Sr. Majestät des Königs von Frankreich anerkannt worden war. Im folgenden Jahre (1757) ging d’Eon noch einmal nach Frankreich, um den Akt über den Beitritt Elisabeths zum Versailler Traktat zu überbringen. Es war also gelungen, den englischen Einfluss zu besiegen, denn Russland verpflichtete sich in jenem Traktate, am Kriege gegen Preußen Teil zu nehmen. In demselben Jahre wurde der Ritter Douglas durch den Marquis de Hôpital ersetzt, welcher zum Gesandten am russischen Hof ernannt worden war. Der Marquis langte in St. Petersburg mit einer zahlreichen Suite an; Ritter d'Eon behielt die Funktionen eines ersten Gesandtschafts-Sekretärs und übte dieselben aus bis zum Jahre 1760, wo ihn seine zerrüttete Gesundheit zwang, Russland zu verlassen.

Wie de la Fortelle behauptet, war Ritter d'Eon, während seines fünfjährigen Aufenthalts in St. Petersburg, mit der Führung der geheimen Korrespondenz zwischen der Kaiserin und dem Könige von Frankreich betraut, und wechselte selbst mit dem Letzteren noch geheimere Briefe.

Es scheint, dass der Ritter damit den Höhepunkt der Position, welche man ihm geschaffen, erreicht und dass er sich beim Hofe zu St. Petersburg beliebt zu machen verstanden hatte, denn man ging so weit, ihm den Übertritt in russische Dienste anzutragen. Und dennoch wird die Rolle, welche er hier gespielt, nicht so außergewöhnlich und bedeutend gewesen sein, als Gaillardet es versichert. Denn wenn dem so gewesen wäre, wie lässt sich's dann erklären, dass kein Chronist jener Zeit seiner hervorragenden Stellung bei Hofe erwähnt?

Die drei oben zitierten Werke sprechen mit keinem Worte von dieser außerordentlichen Stellung, und in den „Mémoires de l'impératrice Cathérine II., welche so viele Details über das intime Leben am russischen Hof, gerade in dieser Epoche, bringen, begegnet man nicht einmal dem Namen des Ritters d'Eon. Abgesehen von der abenteuerlichen Art, auf welche er nach Russland kam, ist nichts Ungewöhnliches in seiner Stellung als Gesandtschafts-Sekretär zu finden, welche, aller Wahrscheinlichkeit nach, sich innerhalb der Grenzen einer gewöhnlichen politischen Intrige bewegte, und erst später, nach seiner Metamorphose zum Weibe, bekam seine Existenz einen romantischen Anstrich und richtete sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn.

Gaillardet erzählt natürlich den Hergang ganz anders. Nach ihm ist Ritter d'Eon schon bei seiner ersten Ankunft in Russland, in Gesellschaft Douglas', als Weib verkleidet gewesen. König Ludwig XV selbst soll diese Inszenierung eines Melodrams ersonnen, und Elisabeth „diesen Ausweg ihres viellieben Bruders Ludwig XV würdig gefunden und herzlich darüber gelacht haben“, als ihr der verkleidete junge Mann den Betrug aufdeckte. Darauf wurde der Chevalier der Person der Kaiserin als lectrice (sic!) attachiert und fand Mittel und Wege, sich nicht bloß „gänzlich unbehinderten Forschungen in den allergeheimsten Archiven“, sondern manchen anderen Dingen hinzugeben, über welche wir vorziehen zu schweigen, die Gaillardet aber, mit der ihm eigenen Vorliebe für bedenkliche Szenen, wohlgefällig beschreibt.

Um diese Märchen zu widerlegen, genügt die Bemerkung, dass die Kaiserin Elisabeth nur mit geringer Fertigkeit französisch gesprochen, dass sie sich überhaupt wenig für Lektüre interessierte und dass während ihrer Regierung nie der Posten eines Vorlesers oder einer Vorleserin bei Hofe existiert hat.

Unter den Werken, welche sich mit dem Ritter d'Eon beschäftigen, gibt es zwei, die älter sind, als das Buch Gaillardets, und von welchen das eine versichert, Ritter d'Eon sei Vorleser der Kaiserin gewesen, das andere aber behauptet, er selbst habe geäußert, dass er von seiner ersten Ankunft in St. Petersburg ab Frauenkleider getragen hätte. Aus einer Kombination dieser beiden Versionen ist die „Vorleserin“ Gaillardets hervorgegangen. Übrigens bezweifelt, gelegentlich der Wiedergabe dessen, was man über die Frauenkleider d'Eons erzählte, der Verfasser des zweiten der zitierten Werke selbst die Authentizität dieses Faktums. Er sagt nämlich: „Es musste in der Tat dem Ritter weit schwerer fallen, sich als Weib bei Hofe einzuführen und einzuschleichen, insbesondere aber riskierte er durch ein linkisches Wesen, welches er immer besaß und das bei einer ihm fremden Kleidung noch mehr hervortreten musste, sich sehr verdächtig zu machen.“

Wie wenig man den, teils vom eitlen Ritter selbst, teils von dritten Personen verbreiteten abenteuerlichen Erzählungen Glauben schenken darf, das geht aus einem weit älteren Buche, als die von uns erwähnten, hervor. Wir meinen die „Mémoires secrets de Bachaumont“, in denen der Verfasser (Band I, pag. 364) unterm 21. Dezember 1763 schreibt: „Die Geschichte, welche Hrn. d'Eon de Beaumont in England passierte, veranlasste uns in Bezug auf ihn einige Recherchen vorzunehmen, wobei sich Folgendes herausstellte:

Man nimmt an, d’Eon sei mehr auf dem Wege der Intrige, als durch wirkliche Wahl des Ministeriums bei den Friedensunterhandlungen benutzt worden. Das erste Mal wurde er nach Russland als Fechtmeister entsandt. Als der Großfürst eines Fechtlehrers bedurfte, fiel die Wahl auf Hrn. d'Eon, welcher Talent dazu besaß, und man hoffte, er würde dabei die Rückkehr eines französischen Gesandten nach St. Petersburg ermöglichen. Was man vorausgesehen, traf ein; d'Eon schmeichelte sich beim Großfürsten ein, nahm an seinen Vergnügungen Teil und ließ durchblicken, dass Frankreich gerne einen Gesandten schicken würde.“

Gewiss ist ein Fechtmeister schon etwas ganz Anderes, als eine Vorleserin, und doch scheint uns die Version Bachaumonts, obschon von einem Zeitgenossen stammend, nicht genug begründet. Der Großfürst und nachmalige Kaiser Peter III. war der eifrigste Anhänger eines englisch-preußischen Bündnisses, und ein französischer Agent konnte somit schwerlich darauf verfallen, sich gerade an diesen zu wenden, wenn er sein Ziel erreichen wollte. Wohl ist es möglich, dass das außerordentliche Fechttalent des Ritters d’Eon für Diejenigen, welche ihn nach Russland sandten, um eine politische Intrige einzufädeln, als Ausgangspunkt gedient haben mag, aber dieser Operationsplan musste aufgegeben werden, sobald man sich von der wahren Lage der Dinge hatte überzeugen können. Vielleicht auch hat es sich wirklich so zugetragen, denn einige Stellen in einer Douglas’schen Depesche vom Jahre 1756 könnten zu Gunsten dieser Version gedeutet werden“.