Einige Züge aus der Regierungszeit Alexanders III

. . . Die Semstwoordnung vom Jahre 1890. Die wichtigsten Abweichungen in derselben von der Semstwoordnung von 1864. Einige Angaben über die Zusammensetzung der Landschaft nach der Ordnung von 1890.

Die Regierungszeit Alexanders III. (1881 — 1894) zeichnet sich durch die Stärkung des Selbstherrschaftsprinzips in Russland aus, dessen Macht die Regierung auf den Grundlagen ständischer Vorrechte und bureaukratischer Bevormundung des Volkes zu stützen suchte. Das ständische Prinzip wurde während dieser ganzen Epoche mit außerordentlicher Folgerichtigkeit durchgeführt, und der höchste russische Stand, der Adel, bekam eine Reihe solcher Privilegien, die ihm eine absolute Sonderstellung verschufen. Er wurde nicht nur der erste Stand im Reiche, als welcher er auch bis dahin anerkannt war, sondern auch eine Stütze der herrschenden Staatsordnung. Als wichtigste Mittel zur Stärkung des Adels dienten einerseits ökonomische Maßnahmen, andererseits Dienstvorrechte. War ja gerade zu jener Zeit der Adel als Grundbesitzerklasse im Rückgang begriffen: das adelige Grundeigentum war allmählich in den Besitz anderer Stände übergegangen, während der Staatsdienst im Beamtenberuf und die durch Wahl bestimmte Beteiligung an den Semstwoarbeiten bei weitem nicht alle die Elemente des Adels zu absorbieren vermochte, zu deren Unterhalt ihre eigene Wirtschaft nicht mehr ausreichte. Auf Grund dieser Verhältnisse wurde, namentlich von dem bekannten konservativen Publizisten Katkow, mit großer Beharrlichkeit die Theorie verfochten, dass ,,die ursprünglichen Grundlagen des russischen Staatswesens, dessen Basis als Eckstein immer der höchste Stand, der dem Selbstherrschaftsprinzip am stärksten ergebene Adel, gebildet hat, zu festigen seien.“ Während der Krönungsfeierlichkeiten zu Moskau im Jahre 1884 sagte Kaiser Alexander III. den Wolostältesten, die sich ihm vorstellten, dass sie vor allem den Adelsmarschällen zu gehorchen haben, wodurch die Unterordnung des Bauernstandes unter den Adel mit großer Schärfe ausgesprochen wurde. Im Laufe der achtziger Jahre erhielt der Adel eine ganze Anzahl wichtiger Privilegien ökonomischer und politischer Natur. Unter den ersteren ist die wesentlichste die Gründung der Adelslandesbank. Nach dem kaiserlichen Erlaß vom 21. April 1885, durch den dem Adel das neue Werk bekanntgegeben wurde, hatte die Errichtung der Bank, wie es unter anderem hieß, den Zweck, dass ,,die Adligen noch mehr zum ständigen Aufenthalt auf ihren Gütern veranlaßt werden, wo sie ihre Kräfte hauptsächlich einer Tätigkeit zu widmen haben, die die Pflicht ihres Standes ihnen auferlegt.“ Der Erlaß erkennt es für gut und nützlich, ,,dass der russische Adel in der Heeresleitung, in der Lokalverwaltung, im Gericht, in Verbreitung von Lehren des Glaubens und der Treue durch das eigene Vorbild und gesunder Grundsätze der Volksbildung, wie ehemals, auch heuer seinen ersten Platz bewahre.“ In Übereinstimmung mit diesem Programm folgten auf die ökonomischen Privilegien solche politischer Natur, von denen das Gesetz vom 12. Juli 1889 über die Bezirkslandhauptmänner und die Semstwoordnung vom 12. Juni 1890 von ganz besonderer Bedeutung sind.


Die Einführung des Instituts der Landhauptmänner (der Semskije Natschalniki) bedeutete die Unterwerfung der Bauernschaft unter eine besondere Gewalt des Adels, sie bezweckte die Schaffung ,,einer dem Volke nahestehenden festen Regierungsgewalt, welche die vormundschaftliche Fürsorge für die Landbewohner mit der Aufgabe, die begonnene Neuorganisierung der Bauernangelegenheiten bis zu Ende auszugestalten, und mit der Pflicht, auf dem platten Lande Anstand, Sicherheit und öffentliche Ordnung zu wahren und die Rechte von Privatpersonen zu schützen, in sich vereinigen sollte.“ Die Landhauptmänner, die nur aus Adligen sich rekrutieren sollten, waren mit gerichtlichadministrativer Gewalt über die auf dem Lande wohnhaften steuerpflichtigen Klassen (der Bauern, Kleinbürger und Zunfthandwerker) ausgestattet und mit den verschiedensten Aufgaben der Beaufsichtigung des ländlichen Volkslebens (der Volksverpflegung, der Wohltätigkeit, des Volksunterrichtswesens usw.) und der Bauernselbstverwaltung betraut, wobei in ihren Händen die administrative Gewalt mit der gerichtlichen verbunden war; so besitzt der Landhauptmann das Recht, amtliche Personen der Dorf- und Wolostverwaltung, bezw. des Gerichts, und auch jeden anderen Bewohner für geringfügige Vergehen ohne „formelle Verhandlung“ mit kleineren Geld- und selbst Haftstrafen zu belegen. Diese Reform bezweckte, wie erwähnt, erstens die Schaffung einer dem Volke nahestehenden festen und starken Regierungsgewalt, die, dem priviligierten Adelsstande anvertraut, zum Schutze der adeligen Grundeigentümer und ihres Besitzes vor angeblich durch die revolutionäre Propaganda demoralisierten Bauern und dem Zwecke ihrer Unterordnung unter die Großgrundbesitzer dienen sollte. Daneben lag es in der Absicht der Regierung, für die Adligen, welche kein Grundeigentum mehr besaßen oder deren Wirtschaften ohne anderweitige Nebenverdienste für eine standesgemäße Existenz nicht ausreichten, eine große Anzahl freier Ämter zu eröffnen. Überhaupt sollte diese Reform zur Stärkung der Standesvorrechte beitragen und den Adel in eine ehrenvolle Sonderstellung versetzen.

Dieselben ständischen Grundsätze wurden auch die Grundlage der neuen Semstwoordnung.

Die politische Bedeutung und die Wirksamkeit der Landschaften am Ende der siebziger und am Anfang der achtziger Jahre hatte ohne Zweifel der Regierung Alexanders III. Furcht eingeflößt. So erklärte es sich, dass sie zugleich mit der schonungslosen Verfolgung der revolutionären Gruppen auch die liberale Bewegung, in welcher das Semstwo eine hervorragende Rolle spielte, zu erdrücken suchte. Die vom Grafen D. A. Tolstoi inaugurierte Politik, der jegliche Selbstverwaltungstendenz schnurstracks entgegenlief, war eigentlich dazu angetan, das Semstwo zu vernichten. Die von Tolstoi ursprünglich geplante Reform beabsichtigte geradezu, die Selbständigkeit der Landschaftsinstitutionen völlig aufzuheben und alle Beschlüsse der Semstwoversammlungen von der Bestätigung der Regierungsorgane abhängig zu machen, d. h. die Semstwo Versammlungen zu beratenden Organen herabzuwürdigen, die gewählten Vollzugsorgane des Semstwo, die Landschaftsbehörden, durch Ämter zu ersetzen, welche aus von der Regierung zu ernennenden Personen bestehen sollten, die Semstwo Vertretung auf ständischer Grundlage umzugestalten und ihr den Charakter einer Zwangs-, nicht Ehrenpflicht, wie es in der Ordnung von 1864 bestimmt war. zu geben.

Der Entwurf des Grafen Tolstoi stützte sich angeblich auf der Staatstherorie, nach welcher die lokale Selbstverwaltung nicht als etwas vom Staate Geschiedenes, sondern als dessen Organ zu betrachten sei, auf das der Staat seine Gewalt für eine bestimmte Gegend überträgt. Die Ordnung von 1864 enthielt in der Tat einen wesentlichen Fehler: die völlige Trennung des Semstwo vom Staate, die es einer Privatwirtschaft ohne Zwangsgewalt ähnlich machte. Im Gegensatze hierzu war das Tolstoi'sche Projekt so abgefaßt, dass es das Semstwo schon zu einer Kanzleiabteilung des Ministeriums des Innern herabgesetzt und jede Spur einer Selbstverwaltung verwischt hätte. Allein so düster auch die Zeiten waren, so sehr auch die Reaktion überall herrschte, fand doch ein derartiger Entwurf selbst in Regierungskreisen keine Sympathien und stieß sowohl bei den anderen Ministern als auch im Reichsrat auf eine Reihe von Einwendungen. Der Staatskontrolleur kennzeichnete die Grundmängel des Tolstoi'schen Vorschlags folgendermaßen: ,,Wenn schon die jetzige Zuständigkeit der Semstwoinstitutionen das Interesse der Bevölkerung nicht in einem Maße erweckt, um die besten Männer am Orte an die Landschaftstätigkeit zu fesseln, wie vermag man da zu hoffen, dass solche Männer den Landschaften bei den ihnen zugedachten Beschränkungen ihre Arbeitskraft zu widmen bereit sein werden? Man kann natürlich die Leute mittelst Geldstrafen und Ahndungen zwingen, die Wahlversammlungen und Sitzungen zu besuchen, Wahlkugeln hineinzulegen und Journale zu unterschreiben, aber unmöglich ist es, sie durch Zwang zu veranlassen, dass sie der Sache Liebe entgegenbringen, dass sie vernünftig und gewissenhaft beschließen und handeln. Da die Landschaftsversammlungen zwar, wie früher, alljährlich eine bestimmte Zeit tagen, aber ihre Initiative und Macht sowie ihren Einfluß auf ihre Ausführungsorgane eingebüßt haben und sich von jeder Verantwortlichkeit für den Gang der Semstwosache frei wissen werden, so werden sich schwerlich beide extremen Resultate, die möglich sind, vermeiden lassen. Entweder werden die Semstwo Versammlungen zu bloßen Vollzieherinnen einer leblosen Form und somit zu einem ganz überflüssigen Glied in der Verwaltung herabsinken, oder sie werden zum Mittelpunkt einer unfruchtbaren Kritik und müßigen Agitation gegen die Gouvernementsbehörden und die Regierung ausarten.“

So wurde denn der Entwurf des Grafen D. A. Tolstoi verworfen, und an seiner Stelle die jetzt geltende Ordnung von 1890 ausgearbeitet, die immer noch das Gepräge der damals herrschenden bureaukratisch-ständischen Politik in außerordentlich starkem Maße bewahrt hat. Angeblich sei diese Reform im Gegensatz zur früheren, die auf einer gesellschaftlichen Theorie gefußt habe, auf der Grundlage der Staatstheorie aufgebaut worden, in Wirklichkeit jedoch fand diese Staatstheorie nur im Sinne einer ständischen Gestaltung der Vertretung, einer größeren Abhängigkeit von der Verwaltung, einer Unterordnung namentlich der Ausführungsorgane unter die Gewalt der Gouverneure und des Ministeriums des Innern, nicht aber in der Richtung größerer Selbständigkeit oder der Verleihung von Zwangsgewalt zur Durchführung der gefaßten Beschlüsse Anwendung.

War die Vertretung im Semstwo früher, wenn auch nicht ganz, so doch in einem gewissen Sinne eine ,,allständische“, im wesentlichen auf der Verschiedenheit der Vermögensarten (bäuerlicher Gemeindebesitz, städtische Gemeinschaften und Gewerbe) begründete gewesen, so wurden jetzt die Wähler nicht nur nach den Vermögensarten, sondern auch nach den Ständen eingeteilt. Abgesehen von unbedeutenderen Änderungen, z. B. einer geringen Herabsetzung der Norm für den Vollzensus (in einigen Kreisen von 200 — 250 Dessjatin auf 175 — 200), der Festsetzung, dass Kleinbesitzer nicht mehr 1/10 des Vollzensus, sondern 1/20 zur Wahl von Bevollmächtigten (Wahlmännern) berechtigt usw., lief die neue Reform, was die Wahlmodalitäten anbetrifft, hauptsächlich auf die Verschärfung der Standesdifferenzen hinaus. So bestehen die erste Wahlversammlung und die erste Wahlzusammenkunft ausschließlich aus Vertretern des Adels, gleichviel ob diese über Grundbesitz oder Eigentum anderer Art verfügen, so dass hier zu Verordneten selbstverständlich auch nur Adelige gewählt werden können. Die zweite Wahlversammlung und -Zusammenkunft setzt sich aus den Wählern aller anderen Stände, der Kaufleute, Kleinbürger, bäuerlicher Privateigentümer usw. zusammen. Ein besonderes Wahlkollegium bilden die Gemeindebauern, sie wählen jedoch nicht mehr wie früher Verordnete, sondern nur eine größere Anzahl von ,,Kandidaten“, aus denen dann der Gouverneur nach eigenem Ermessen Verordnete für die Landschaftsversammlung ernennt. Diese Entrechtung ist andererseits noch dadurch verstärkt worden, dass die Adligen über mehr Vertreter als die beiden anderen Wahlkollegien in den Semstwos verfügen.

Um die Richtigkeit des Gesagten an einem Beispiel darzutun, wollen wir die betreffenden Angaben für das Gouvernement Saratow anführen: *)

*) Es ist hier angezeigt, daran zu erinnern, dass die Gesamtzahl der Verordneten in den Semstwoversammlungen laut der Ordnung von 1890 im Vergleiche zur früheren bedeutend verringert worden ist.

Die Verordneten in den Kreisversammlungen setzten sich zusammen:

Die Kreise:
A: aus Vertretern der ersten Wahlversammlung, d. h. der Adligen
B: aus Vertretern der zweiten Wahlversammlg., d. h. der Nichtadeligen
C: aus Mitgliedern der Dorfgemeinden
D: insgesamt
E: davon in der Gouvemementsversammlung

Atkar: A 22, B 6, C11, D 39, E 7,
Balaschow: A 22, B 7, C 11, D 40, E 7
Wolsk: A 15, B 3, C 8, D 26, E 5
Kamyschin: A 8, B 6, C 12, E 7
Kusnetzk: A 20, B 3, C 10, E 5
Petrowsk: A 22, B 4, C 11, E 7
Saratow: A 22, B 7, C 11, E 7
Serdobsk: A 22, B 3, C 11, E 6
Chwalynsk: A 15, B 3, C 8, E 4
Zarytzin: A 13, B 5, C 7, D 25, E 3

Die besonders privilegierte Stellung des Adels trat noch nach einer anderen Seite, nämlich in einer gewissen Unterordnung der Bauern unter die Autorität des Adels, hervor. So genießen die Landhauptmänner, obwohl sie Vertreter der Verwaltung und zwar der den Bauern besonders nahestehenden Verwaltung sind, das Recht, falls sie über den erforderlichen Eigentumszensus verfügen, selbst zu Semstwoverordneten gewählt zu werden, während die Bauernverordneten meistenteils Dorfbeamte, nämlich den Landhauptmännern unmittelbar untergeordnete Wolostälteste, sind. Man kann sich leicht die Situation vorstellen, in welche solche Bauernvertreter geraten, wenn sie in der Landschafts-Versammlung direkt neben ihren Oberen, den Landhauptmännern, als Verordnete dasitzen. Dazu kommt noch, dass auch der Vorsitzende der Landschafts-Versammlung, der Kreisadelsmarschall, gemäß den ihm verliehenen Rechten genau so wie die Landhauptmänner oberste Behörde über die bürgerlichen Vertreter ist. So sind diese Verordneten weder freigewählte Vertreter ihres Standes noch völlig unabhängig von anderen Verordneten. Das ist es ja, worauf die gesamte russische fortschrittliche Presse stets von neuem hinweist, dass die Bauernverordneten in dem Semstwo eine klägliche Rolle spielen, und auf Schritt und Tritt einzig und allein ein gehorsames Werkzeug in den Händen der reaktionärsten Edelleute abgeben.

Nicht weniger einschneidend ist die durch die Reform von 1890 getroffene Kürzung jenes Anteils an Selbständigkeit, welchen die alte Ordnung den Landschaftsinstituten eingeräumt hatte, und die Unterordnung der betreffenden Anstalten unter die administrative Gewalt. Nur die wichtigsten Beschränkungen mögen kurz aufgezählt werden.

Nach der Neuordnung wurden weit mehr Punkte vorgesehen, in denen die Beschlüsse der Semstwo Versammlungen einer Genehmigung des Gouverneurs, bezw. des Ministers bedürfen. Diese Bestimmung ist nicht nur an und für sich von großer grundsätzlicher Bedeutung, sondern auch gerade deswegen von Wichtigkeit, weil die Ordnung von 1890 nach einer gewissen Richtung hin die Zuständigkeit des Semstwo erweitert hat. Die Gouvernementslandschaftsversammlung erhielt nämlich die Befugnis, in verschiedenen Angelegenheiten für die Ortseinwohner obligatorische Bestimmungen herauszugeben, so Maßnahmen zur Verhütung von Feuersgefahr, sanitäre Maßregeln, Bestimmungen betreffs Errichtung, Instandhaltung und Benutzung von Verkehrsstraßen usw., aber bei allen diesen Anordnungen ist das Semstwo auf die vorherige Genehmigung des Gouverneurs oder des Ministers des Innern angewiesen. Zweitens wurde der Gouverneur mit der Befugnis ausgestattet, die Landschaftsbeschlüsse nicht nur im Hinblick auf deren Gesetzlichkeit und Übereinstimmung mit dem Gesamtwohl und den Bedürfnissen des Reiches, sondern auch im Hinblick auf die Interessen der Ortsbewohner zu prüfen und zu beaufsichtigen. Damit wurde das Recht der Gouverneure auf Beanstandung von Semstwobeschlüssen in hohem Maße erweitert.

Früher, nach der Ordnung von 1864, pflegten die Semstwoversammlungen selbst die Beanstandungen ihrer Beschlüsse seitens der Gouverneure zu revidieren, und, wenn sie sich mit ihnen nicht zu einigen vermochten, ging die Sache direkt an den Senat als höchste Reichsinstanz zur Wahrung der Gesetze. Durch die Ordnung von 1890 wurde die Revision der Beanstandungen einem gemischten Verwaltungskollegium, einer zur Verwaltung von Semstwo- und städtischen Geschäften bestehenden Gouvernementsbehörde, überlassen; dieser Verwaltungskörper aber hat den Gouverneur als Vorsitzenden und setzt sich außerdem aus dem Vizegouverneur, dem Verwalter der Kronskammer, dem Staatsanwalt des Kreisgerichts, dem Gouvernementsadelsmarschall, dem Vorsitzenden des Gouvernementslandschaftsamtes, einem Gouvernementssemstwo verordneten und dem städtischen Bürgermeister als Mitgliedern zusammen. Zunächst sind nun die Entscheidungen dieses Kollegiums für das Semstwo maßgebend. Falls indes eine Landschaftsversammlung mit diesen Entscheidungen nicht einverstanden ist, kann sie an den Senat appellieren.

Die vollziehenden Organe der Landschaften, nämlich die Semstwoämter, wurden vom Gouverneur, bezw. vom Ministerium des Innern abhängig. Die Mitglieder dieser Landschaftsbehörden müssen vom Gouverneur, der Präses der Gouvernementslandschaftsbehörde sogar vom Minister des Innern bestätigt werden. Die gewählten Beamten der Landschaftsbehörden werden als im Staatsdienst befindlich betrachtet, d. h. dem Ministerium des Innern zugezählt, und sind demnach bis zu einem gewissen Grade von ihrer Obrigkeit, dem Minister und dem Gouverneur, abhängige Tschinowniks. Nach der alten Ordnung war die Kontrolle über die Handlungen der Semstwoämter, sei es bei vorkommenden Beschwerden, sei es bei der Revision der Rechnungsablegung, mitsamt der gerichtlichen Verfolgung derselben einzig und allein der Semstwoversammlung überlassen, die mit Einverständnis des Gouverneurs die betreffenden Beamten ihrer Ämter entheben konnte. Seit 1890 stehen auch diese Befugnisse der Verwaltung zu. Die Mitglieder der Kreissemstwoämter mit Ausnahme des Vorsitzenden können jetzt von den genannten über dem Semstwo stehenden Gouvernementsverwaltungskörpern, die Mitglieder der Gouvernementssemstwoämter samt ihren Vorsitzenden sowie die Vorsitzenden der Kreissemstwoämter vom Ministerrate disziplinarisch bestraft, bezw. ihrer Ämter entsetzt werden. Ferner ist der Gouverneur befugt, auf eigene Faust hin zu veranlassen, dass Semstwobeamte durch Einleitung einer Untersuchung zur Verantwortung gezogen werden, sowie die Landschaftsämter und sonstige vollziehende Organe des Semstwo zu kontrollieren.

Aus den weiteren, in der alten Ordnung vorgenommenen Änderungen verdienen noch folgende Erwähnung. Die mittlere Anzahl der Abgeordneten in den Gouvernementssemstwoversammlungen wurde von 67 auf 46 herabgesetzt. Andererseits wurden die Kreisadelsmarschälle, ohne gewählt zu sein, schon ob ihres Amtes zu Mitgliedern dieser Versammlungen erhoben, desgleichen einige Jahre später die Vorsitzenden der Kreissemstwoämter. So ist es geschehen, dass unter den Gouvernementssemstwo verordneten etwa 1/3, in einzelnen Gouvernements selbst die Hälfte nicht gewählte Personen, sondern Teilnehmer ex officio sein können. Eine andere wesentliche Änderung bestand darin, dass die Prüfung von Semstwoverordnetenwahlen auf ihre Richtigkeit, die früher von den Landschaftsversammlungen selbst vorgenommen zu werden pflegte, nunmehr dem gemischten Gouvernementsverwaltungskörper überlassen wurde. Von der administrativen Gewalt also hängt jetzt sowohl die Ersetzung einzelner, unrichtig gewählter Semstwoverordneter durch ihre Stellvertreter als die Aufhebung der Wahlen überhaupt ab.

So schuf die Semstwo Verordnung von 1890 die privilegierte Lage des Adels, erniedrigte und entrechtete noch mehr die Bauern, versetzte die vollziehenden Organe der Landschaften in noch größere Abhängigkeit von den Gouverneuren usw. Als die Regierung eine solche Reform vornahm, hoffte sie, dass das Semstwo von nun an nicht mehr einen Staat im Staate bilden, sondern ihr gehorsames Werkzeug sein würde. Allein sie ist, wie wir sehen werden, arg enttäuscht worden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Semstwo