Allgemeine Fragen im Semstwo

. . . die kleinere Semstwozelle und die bäuerliche Selbstverwaltung. Die konstitutionellen Bestrebungen der Landschaften in den siebziger und achtziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts. Das Jahr 1881. Die Reaktion. Der Rückgang der Semstwowirksamkeit in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre.

Im Obigen war darauf hingewiesen, dass die erste Grundeinheit der landschaftlichen Selbstverwaltung der Kreis war, der zuweilen 150.000 — 200.000 Einwohner umfasst und demnach eine Einheit von ziemlich großen Dimensionen darstellt. Der Umfang des Territoriums mit der Zahl der Einwohner dieser verhältnismäßig großen Einheit erschwerten der Landschaft sehr oft die Durchführung vieler ihrer Maßnahmen. Das Kreissemstwo, dessen vollziehendes Organ das aus höchstens 4 Personen bestehende Kreislandschaftsamt war, und das viele Angestellte, Lehrer, Ärzte, Straßenbautechniker, unterhielt, die, über verschiedene Punkte des Kreises verstreut, ohne Unterstützung der Landschaft vorgehen mussten und darum sehr oft zur Hilfe der bäuerlichen administrativen Organe oder der Polizei ihre Zuflucht zu nehmen genötigt waren, stieß in seiner praktischen Tätigkeit auf viele Schwierigkeiten, um so mehr, als es, wie oben gezeigt wurde, über Zwangsgewalt nicht verfügte. Wendet sich z. B. das Semstwo bei Ausbesserungen, Beaufsichtigungen oder Instandhaltungen von Straßen notgedrungen an die Mitwirkung der Polizei oder Dorfgemeindeverwaltung, so kann ihm die Hilfe dieser ihm nach keiner Richtung hin untergeordneten Organe gewährt oder versagt werden. Ist doch die Landschaft an und für sich mit so geringen Machtmitteln ausgestattet, dass sie, selbst wenn sie die Bevölkerung über die Bedingungen für die Gewährung von Unterstützungen zur Errichtung von Schulen aufklären will, zur Vermittlung der Wolostverwaltung greifen muss. Wir vermissen überhaupt das Vorhandensein eines engen und nahen Zusammenhangs zwischen dem Semstwo und der lokalen Bevölkerung, und eine solche Annäherung war kaum herbeizuführen ohne die Schaffung einer kleineren als die durch den Kreis repräsentierte Landschaftsgemeinschaft. So begann denn das Semstwo gleich mit seinem ersten Auftreten Pläne für die Organisation solcher kleinen Semstwozellen aufzustellen und zu diesem Behufe Petitionen an die Regierung zu richten. Dieser Gedanke wurde ursprünglich Ende der sechziger Jahre aus der Mitte des Adels, in der Petersburger Adelsversammlung, in Verbindung mit dem Vorschlag der Gründung einer "allständischen Wolost“ angeregt, fand indes nicht nur in den radikalen Kreisen der Gesellschaft und der Literatur, sondern selbst bei den Liberalen keinen Anklang. Denn die Gesellschaft und die literarische Welt argwöhnten mit Recht, dass der Adel vom Wunsche geleitet werde, die Bauern aufs neue zu versklaven, da die Gutsbesitzer in der geplanten allständischen Wolost mit Leichtigkeit einen übermäßigen Einfluß hätten gewinnen und sich die Bauern hätten unterordnen können.


Besondere Aktualität gewann die Frage der Errichtung einer allständischen Wolost und einer kleineren Semstwoeinheit in den Jahren 1880 und 1883, als die Regierung in einem Schreiben vom 22. Dezember 1880 alle Landschaften um ihr Gutachten betreffs einer Reform der für die bäuerlichen Angelegenheiten bestimmten lokalen Institutionen ersucht hatte. Die Gestaltung der bäuerlichen Selbstverwaltung und der für die ständischen Angelegenheiten der Bauern zuständigen Institute litt nämlich an sehr ernsten Mängeln und entsprach weder den Wünschen der Regierung noch denen der Bevölkerung. Die Frage einer Reform der Bauernverwaltung fand darum bei allen Landschaftsversammlungen das regste Interesse; war ja mit ihr aufs engste verflochten die gesamte Tätigkeit der Semstwos, die auf Schritt und Tritt bei allen Maßnahmen und Anordnungen mit der ständisch-bäuerlichen Verwaltung in Berührung kamen. Andererseits diente auch gerade der Umstand, dass die Regierung in einer so wichtigen Sache das Semstwo um seine, wenn auch nur teilweise Mitwirkung anzugehen für geboten hielt, als Ansporn für die Landschaften. Sie stürzten sich auf die Arbeit, verallgemeinerten die ihnen gestellte partielle Frage und legten eine Reihe interessanter und tief durchdachter Entwürfe einer Reform der ganzen ständisch-bäuerlichen Verwaltung vor. Viele dieser Entwürfe beruhten auf einem allständischen Prinzip, sie erstrebten die Aufhebung des ständischen Grundsatzes in der Bauernverwaltung und die Vereinigung dieser mit dem Semstwo. Die Landschaften gingen von der Ansicht aus, dass die Bauernverwaltung in Form der Wolost sowohl ungerecht als zur regelmäßigen und weitergehenden Befriedigung der gesellschaftlichen und staatlichen Bedürfnisse ungeeignet sei. Die Ungerechtigkeit bestehe hauptsächlich darin, dass die ständische Organisation und Verwaltung den Bauern eine Menge überflüssiger Lasten aufgebürdet habe, die zur Erfüllung von Bedürfnissen dienten, welche allen anderen Ständen und dem Staate selbst zugute kämen. Aus der gesonderten ständischen Bauernverwaltung ergäben sich außerdem beträchtliche Unbequemlichkeiten und Umständlichkeiten; als einziges niederes Lokalorgan sei die Wolost zu einem Punkt geworden, an den sich alle anderen ständischen und Semstwoinstitute und selbst Staatsbehörden (bis zum Ministerium des Auswärtigen hinauf) um Auskünfte, Daten, Mitwirkung usw. zu wenden pflegen. Aus ständischen Bauerninstituten zu rein administrativen geworden, seien die Wolosten aber gar nicht in der Lage, die ihnen durch Gesetz und Lebenspraxis auferlegten mannigfaltigen Funktionen in hinreichendem Maße zu erfüllen, zumal da sowohl die von den Bauern gewählten Vertreter als auch die von ihnen besoldeten Beamten infolge des niedrigen Kulturniveaus und der Armut der bäuerlichen Massen bei weiten nicht auf der Höhe ihrer Bestimmung stünden. So forderten denn die Landschaftsversammlungen in den Jahren 1880 — 1881 die Umgestaltung der Bauernorganisation und -Verwaltung mittels Einrichtung der allständischen Wolost und der kleineren Semstwozelle. Beiläufig streiften sie auch die allgemeinere Frage des Ständeprinzips überhaupt, die Mängel der Semstwoordnung von 1864 und die Beziehungen der Landschaftsinstitute zur Zentralregierung. Von den Entwürfen befaßten sich außerordentlich viele mit der Erweiterung der Semstwovertretung und Vorschlägen einer Ermäßigung des landschaftlichen Wahlzensus. Mehrere Landschaftsversammlungen sprachen sich zugleich für die von der Petersburger Gouvernementssemstwo Versammlung im Jahre 1867 aufgestellte Forderung einer Zuziehung von Semstwo Vertretern zu irgend welcher Beteiligung an der gesetzgebenden Arbeit aus.

Die Aufrollung dieser Frage war eine natürliche Folge bestimmter Tatsachen. Die an die Landschaften gerichtete Anfrage seitens der Regierung bewies, dass diese selbst ihre Unzulänglichkeit in Fragen einsah, deren richtige Lösung die Kenntnis der lokalen Real Verhältnisse voraussetzt; andererseits aber hatte das Semstwo überhaupt kein Vertrauen zur Bureaukratie. Gerade zu dieser Zeit, namentlich im Jahre 1880, erreichte die Wirksamkeit der revolutionären Terroristen ihren Höhepunkt, und die Anschläge auf das Leben Alexanders II. folgten einer nach dem anderen. Zu gleicher Zeit wuchs auch die liberale Bewegung, teilweise gerade durch das Streben, dem Wachstum des Terrors entgegenzuwirken und ihn zu schwächen, bedingt. Unter den Semstwomännern entstand am Ende der siebziger Jahre ein Bund von Liberalen, der den Zusammenschluss der Landschaften und die Herbeiführung solidarischer Tätigkeit sowohl im allgemeinen, als spezell behufs Erreichung einer verfassungsmäßigen Regierungsform bezweckte. Auf einer der Zusammenkünfte dieses Bundes, im Jahre 1878 in Kiew, wurde der Beschluss gefaßt, mit den Revolutionären Beziehungen anzuknüpfen, um sie zur Aufgabe des terroristischen Systems zu veranlassen, da sonst eine Stärkung der Regierungsreaktion zu befürchten wäre. Einige Mitglieder des "Semstwobundes“ führten in der Tat Unterredungen mit den Terroristen, ohne jedoch zu einem Ergebnis zu gelangen, da beide Parteien es nicht zu einer Verständigung zu bringen vermochten. Von da ab setzte es sich der Semstwobund zur Aufgabe, die Semstwokräfte zur Erlangung einer Verfassung auf friedlichem Wege zu organisieren. 1878 wandte sich Kaiser Alexander II. in Moskau an die Ständevertreter mit dem Ersuchen, an der Unterdrückung des Terrors mitzuarbeiten. "Ich hoffe auf Ihre Mitwirkung,“ sagte er, "damit die verirrte Jugend von dem verhängnisvollen Wege abgelenkt werde, auf welchen sie übelgesinnte Menschen zu verlocken suchen. Möge Uns Gott darin beistehen und Uns den Trost gewähren. Unser teueres Vaterland auf der Bahn stetiger friedlicher und legaler Entwicklung zu sehen. Nur auf diese Weise kann Russlands Macht, die Ihnen ebenso wie Mir am Herzen liegt, gesichert bleiben.“ Auf diesen Ruf antworteten fünf Semstwo Versammlungen mit konstitutionellen Kundgebungen in Form von alleruntertänigsten Adressen an den Kaiser. In der Eingabe der Charkower Gouvernementslandschaftsversammlung hieß es, dass das Semstwo, indem es "für die Gesellschaftsordnung, für das Eigentum, die Familie und den Glauben“ zu kämpfen sich bereit erkläre, zugleich betonen müsse, dass "unter den herrschenden Verhältnissen die Semstwokräfte über eine Organisation nicht verfügen“. Die Adresse schloss mit den Worten: "Allergnädigster Herr! Gewähre Deinem treuen Volke, was Du den Bulgaren gegeben hast.“ Diese Worte wurden ja kurz nach dem russisch-türkischen Kriege geschrieben, nach welchem Bulgarien dank dem Einfluß Russlands eine konstitutionelle Ordnung erhalten hatte. Desgleichen erbot sich die Gouvernementssemstwoversammlung von Poltawa, den Geist des Aufruhrs zu bekämpfen, aber unter der Bedingung, dass die Regierung zur Regelung der Staatsordnung Volksvertreter einberufe. Die Adresse des Tschernigower Semstwo enthielt ein ganzes Programm politischer Forderungen. Die betreffende Landschaftsversammlung wies auf die schlechte Organisation der Mittel- und Hochschulen, auf das Fehlen der Rede- und Preßfreiheit, auf den Mangel des Sinnes für Gesetzlichkeit in der russischen Gesellschaft, auf die Unselbständigkeit der lokalen Selbstverwaltung und meinte zum Schluss, dass, solange eine Umgestaltung der bestehenden russischen bürgerlichen und staatlichen Ordnung nicht vorgenommen worden sei, der Kampf gegen die inneren Wirren erfolglos sein werde. Die Landschaftsversammlung von Twer schloß ihre Adresse mit folgender Bitte: "In seiner Fürsorge für das Wohll des vom türkischen Joch befreiten Bulgarenvolkes hat der Kaiser es für notwendig erachtet, diesem Volke eine wahre Selbstverwaltung, Unantastbarkeit der Rechte der Persönlichkeit, Unabhängigkeit des Gerichts und Preßfreiheit zu gewähren. Das Semstwo des Gouvernements Twer wagt es zu hoffen, dass das russische Volk, welches mit solcher Bereitwilligkeit, mit solcher hingebenden Liebe zu seinem Zaren-Befreier alle Lasten des Krieges getragen hat, die gleichen Güter wird genießen dürfen, da es nur dadurch die Möglichkeit erlangen kann, dem kaiserlichen Worte gemäß den Weg stetiger friedlicher und gesetzlicher Entwicklung zu gehen.“

Sobald aber die Regierung eingesehen hatte, dass die Erörterung der Frage, wie den inneren Unruhen beizukommen sei, in vielen Versammlungen zur Abfassung solcher und ähnlicher Adressen führe, beeilte sie sich, Maßnahmen zu treffen, um diesen Vorgängen eine Schranke zu setzen. Die Vorsitzenden der Gouvernementsversammlungen, d. h. die Gouvernementsadelsmarschälle, wurden angewiesen, die Beratung derartiger Fragen, geschweige denn die Einreichung entsprechender Adressen zu untersagen. Daneben ließ die Regierung einige der Semstwoliberalen festnehmen und verbannen.

Allein die liberale Bewegung wurde dadurch nicht hintangehalten. Mit der Ernennung des Grafen Loris-Melikow zum Minister des Inneren schienen einige Maßnahmen der Regierung der Absicht einer Schwächung der Reaktion zu gelten und von größerem Vertrauen zu den gesellschaftlichen Instituten zu zeugen. Diese eigentlich ganz unbestimmten Versprechungen suchten nun die Semstowliberalen sofort auszunutzen, und von allen Seiten wurde die Regierung mit Kundgebungen, Gesuchen, Resolutionen und dgl. überschüttet, die alle auf die Tendenz gestimmt waren, dass die herrschende Staatsform umgestaltet werden müsse, dass es notwendig sei, Vertreter des Volkes zur Gesetzgebung heranzuziehen. Völlig klare und entschiedene Kundgebungen für eine Verfassung gab es verhältnismäßig wenige, aber die Proteststimmung ist in den zahlreichen Semstwogesuchen und -Resolutionen durchwegs vernehmbar, wie auch die Forderung irgendwelcher Reformen in denselben immer wiederkehrt. In diese Zeit fällt auch die Diskussion über eine Reform der Bauerninstitute, die Gründung einer allständischen Wolost und einer kleineren Semstwozelle, wovon am Anfang des Kapitels Erwähnung getan wurde.

Die liberale Bewegung der Landschaften in den Jahren 1879 und 1880 erinnert, wie wir später sehen werden, lebhaft an die liberale Bewegung unserer Zeit, die unter ganz analogen Umständen vor sich geht. Damals war jedoch das Ergebnis der Semstwobewegung, sowie überhaupt der liberalen und revolutionären Strömungen in den Jahren 1880 und 1881 ein recht trauriges. Am letzten Ende triumphierte die Reaktion, und zwar für die Dauer von zwei ganzen Jahrzehnten.

Mit dem Beginn des Jahres 1881 tauchten in der Gesellschaft Gerüchte auf, dass die Regierung die Absicht hege, in Bälde zur Einführung von Reformen zu schreiten. Der Gesellschaft bemächtigte sich eine immer wachsende Aufregung, die Presse begann eine freiere Sprache zu führen. Da kam der 1. März. Von einer Bombe der Revolutionäre getroffen, stirbt Alexander II. In der ersten Zeit, die auf dieses schreckliche Ereignis folgte, schien sich nichts geändert zu haben. Einige Semstwo Versammlungen nahmen sofort nach dem I. März zugleich mit den an den neuen Kaiser Alexander III. gerichteten Beileidsbezeugungen ebensolche im konstitutionellen Sinne gehaltene Erklärungen, wie die dem Ereignis vorangegangenen, an. So sagt die Gouvernementslandschaftsversammlung von Nowgorod in ihrer alleruntertänigsten Adresse: "Wir flehen um die Schaffung eines Status, unter welchem es uns möglich sein soll, uns an der Bekämpfung der Feinde des russischen Volkes zu beteiligen, und legen Eurer Majestät die Bitte zu Füßen, die freie Stimme des russischen Volkes zu erhören, welches dem geliebten Zaren schon so viele Beweise seiner grenzenlosen Ergebenheit geliefert und das Vaterland von den erlittenen Schicksalsschlägen so oft errettet hat.“ Die Semstwo Versammlung des Gouvernements Twer erklärte die Einberufung des Semski Sobor für unbedingt notwendig. Der Vorsitzende des Taurischen Semstwo, W. K. Winberg, stellte mit einigen Semstwo verordneten den Antrag, eine Adresse betreffend die Einberufung einer Volksvertretung einzureichen, wofür er seines Amtes enthoben und in die Verbannung geschickt wurde. Dasselbe war bei der Landschaft des Gouvernements Samara der Fall.

Die Regierung Alexanders III. hielt an der Unerschütterlichkeit des Selbstherrschaftsprinzips fest, sie bekundete jedoch in den ersten zwei Jahren nach dem Ereignis vom 1. März eine verhältnismäßig liberale Haltung dem Semstwo gegenüber und entschloß sich sogar, in die damals eingesetzte Kommission zur Ermäßigung der Ablösungszahlungen (für das bei der Emanzipation den Bauern zugewiesene Land), in die Kommissionen zur Durchsicht der Bestimmungen über den Branntweinhandel, zur Regelung der Auswanderung und schließlich zur Ausarbeitung von Entwürfen der Lokal Verwaltung Sachverständige aus den Semstwokreisen heranzuziehen. Außerdem holte die Regierung in allen diesen Fragen Gutachten von den Landschaften ein. Die Semstwos jedoch waren weder durch die Heranziehung ihrer Vertreter als Sachverständiger noch durch die an sie gerichteten Anfragen zufriedengestellt.

Zwölf Landschaftsversammlungen (von Chersson, Wladimir, Nowgorod, Pskow, Charkow, Kasan, Poltawa, Kostroma, St. Petersburg, Kaluga, Bessarabien und Smolensk) erklärten, dass sie nicht um eine in einzelnen Fällen gesetzgeberischer Arbeit zu geschehende Zuziehung von Semstwovertretern, die noch dazu von der Regierung ernannt würden, sondern um eine von den Landschaften selbst zu wählende Vertretung ersuchen. Die Äußerungen der Landschaften über den Wert der an sie gerichteten Anfragen fielen oft noch härter aus. So meinte der Vorsitzende der Saratower Gouvernementssemstwobehörde Fedorowski in einem offiziellen Berichte, dass man in jenen ein "geschicktes Manöver der bureaukratischen Partei zu erblicken habe,“ welches geeignet sei, "die Kurzsichtigen auf abseitige Bahnen zu leiten.“ *)

*) ,,Saratower Semstwowoche“ 1904, No. 9: „Aus der Geschichte der Semstwoäußerungen in der Bauernfrage“.

Alle diese Erklärungen und Gesuche führten jedoch zu keinem praktischen Ergebnis. Am 30. Mai 1882 wurde Graf D. H. Tolstoi, ein überzeugter Konservativer, ein Mann von großer Energie und starkem Charakter, Minister des Inneren. Seitdem erfährt die Politik der Regierung sowohl überhaupt in allen inneren Fragen als auch im Verhalten zum Semstwo eine schroffe Wendung. Alle Erklärungen der Landschaftsversammlungen, die auch nur die geringste Anspielung auf eine etwaige Beteiligung des Semstwo an der Gesetzgebung verrieten, wurden systematisch abgewiesen, ja, solche Fragen wurden nicht einmal zur Beratung zugelassen. Die Tätigkeit der Landschaft erlischt unter dem administrativen Druck immer mehr und mehr. Und wenn schon früher, Ende der sechziger und siebziger Jahre, aus der Mitte des Semstwo nicht selten Klagen erhoben wurden über Apathie, über indifferentes Verhalten der Landschaftsverordneten zu ihrer eigenen Sache, was sicherlich eine Folge systematischer Unterdrückung der Semstwoselbständigkeit war, wenn schon damals die besten Männer sich gezwungen sahen, die Tätigkeit in den Landschaften aufzugeben, da sie statt ruhiger Betätigung ihrer Schaffenskraft sich auf einen ewigen Selbsterhaltungskampf beschränken mussten, so kamen jetzt, nach einem zeitweiligen Aufheben des Semstwo am Ende der siebziger und im ersten Drittel der achtziger Jahre, diese Apathie, dieser Indifferentismus um so stärker zum Vorschein. Auf der Semstwoarena erschienen neue Kräfte aus der Kategorie der "Stützen“, denen an der Selbständigkeit der Landschaftsverwaltung nichts lag, die nur die Grundsätze der Sparsamkeit und möglichst geringer Aufwendung von Arbeit anerkannten. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre werden die politischen und kulturellen Leistungen der Semstwos minimale. Schulen und sonstige Semstwoanstalten sind in diesem Zeitabschnitte weniger als je errichtet worden. Besonders fühlbar war der Rückschritt im Volksunterrichtswesen, worin sich von nun an die von der Regierung begünstigte Geistlichkeit breit machte. Allerdings waren schon früher Versuche gemacht worden, die Bauernmasse mit kirchlichen Schulen zu versehen, aber jetzt erst beginnt eine systematische Wirksamkeit der Geistlichkeit und der Regierung nach dieser Richtung hin. Die weltliche Landschaftsschule ist verpönt, die kirchliche wird gefördert und bekommt mit den "Bestimmungen von 1884“ eine bestimmte Organisation. Die Regierung empfahl den Semstwos dringend, ihre Schulen der Geistlichkeit zu überlassen, und es fanden sich in der Tat solche, die sich dazu hergaben, und sich sogar verpflichteten, diesen klerikalisierten Volksschulen aus eigenen Mitteln bedeutende jährliche Unterstützungen zu gewähren. Ja, die Tendenz der Semstwos, die Bürden der Arbeit für die kulturelle Hebung des Volkes von sich abzuwälzen, trat um diese Zeit nicht nur im Unterrichtswesen, sondern auch in allen anderen Zweigen hervor.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Semstwo