Von den geselligen Verhältnissen unter den Badegästen

Wer die geselligen Verhältnisse der Menschen überhaupt aus Erfahrung kennt, und die der irgend einen Badeort besuchenden Fremden insbesondere einige Jahre hinter einander als unbeteiligter Zuschauer beobachtet hat, wird mir zugeben, dass die Frage nach dem an einem Badeorte herrschenden Tone zu den Fragen gehört, welche sich im Allgemeinen nicht beantworten lassen.
Unzählige, im Voraus nicht zu bestimmende Umstände, vorzüglich die Stimmung, die Bildungsstufe, die Verhältnisse, die Denkungsart der Gäste, vorzüglich der im Anfange der Badezeit angekommenen, die Meinungen, Talente, der Geschmack, die Kenntnisse und gesellschaftlichen Anlagen der Tonangeber unter ihnen, von denen sich immer einige in jeder Gesellschaft finden, sind von Einfluss auf die Bildung des geselligen Tones unter den Badegästen.
Dieser kann daher so verschieden sich gestalten, als die Stimmung, die Verhältnisse, die Bildungsstufe, die Denkungsart, der Geschmack, die Kenntnisse und gesellschaftlichen Talente der Menschen verschieden sind.
Je mehr gebildete, muntere, angenehme, vorurteilsfreie Menschen, die gesellige Talent mit Geschmack und Gewandtheit der Sitten verbinden, sich an einem Badeorte einfinden, desto besser wird der daselbst herrschende Ton sein, und wir können zum Ruhme der Badegesellschaft, die bisher das hiesige Seebad besuchte, der Wahrheit gemäß bezeugen, dass der gesellige Ton, der hier herrschte, wenn auch in jedem Jahre anders, doch immer gut genannt werden konnte. Dass es unter mehreren hundert Menschen immer einige Unzufriedene gibt, ist natürlich und unvermeidlich, vorzüglich aber kann es an einem Badeorte, wo Menschen von so verschiedenen Ständen, Gesinnungen und Ansprüchen, Kränkliche mit Gesunden, Heitere und Lebenslustige mit Verstimmten und Übelgelaunten, Natürliche mit Verschrobenen zusammenkommen, nicht fehlen, dass bei so verschiedenen Anklängen nicht auch bisweilen Misstöne entstehen sollten. Überwiegend ist aber in diesem Falle das Unrecht auf Seiten der Kläger. Denn, wie in der ganzen Welt, so findet auch an einem Badeorte, und an diesem aus leicht begreiflichen Gründen leichter als sonst irgendwo, ein jeder Gesellschaft, — wenn er sie sucht, — Umgang und freundliches Entgegenkommen, — wenn er überhaupt zum Umgange taugt, liebenswürdige Eigenschaften besitzt und keine albernen Prätensionen macht. — Keine Forderung aber ist lächerlicher, — wird jedoch an Badeorten nicht so selten gemacht, als man glauben sollte, — als die, dass man von Leuten, denen man fremd ist, und denen man sich nicht nähert und angenehm zu machen sucht, verlangt, sie sollen kommen und uns auffordern, an ihren geselligen Vergnügungen, für die wir keinen Sinn gezeigt haben, Teil zu nehmen, uns in ihre Unterhaltung mit verwickeln, die wir nicht verstehen, oder zu der wir nichts beizutragen vermögen.
Diese Art von Klägern sollte bedenken, dass am Badeorte, wo keine Nebenrücksichten die Unabhängigkeit des Einzelnen stören, jeder nur so viel gilt, als er als tätiges Mitglied des geselligen Vereins zu leisten vermag und wirklich leistet. Der gute Gesellschafter, der angenehme, liebenswürdige, geistreiche und dabei bescheidene Mann, die artige, muntere, interessante Frau, das feingesittete, lebhafte junge Mädchen, sind überall gesucht und verehrt, werden von Allen berücksichtigt und zur Teilnahme an allen geselligen Freuden aufgefordert. Unangenehme, übellaunige, langweilige, geistesarme Menschen werden vernachlässigt und bleiben unaufgefordert, wenn nicht der Zufall sie der Gesellschaft der Übrigen zuführt, oder das Mitleiden wohlwollender und zartfühlender Menschen, die dem geselligen Vereine angehören, es ihnen erleichtert, sich diesem anzuschließen, — ein undankbares Geschäft, dem sich nur wenige Menschen zu unterziehen verstehen und unterziehen mögen.
Menschen, die im geselligen Vereine ganz untergeordnete Rollen spielen, können übrigens höchst achtungswert und verdienstvoll sein; hier aber kennt Niemand ihre Verdienste, und sollten sie ja von Einigen gekannt sein, so findet sich hier Niemand, der Lust hat, auf andere Verdienste viel Rücksicht zu nehmen, als auf solche, die ihm eben und allein Nutzen und Vergnügen bringen, d. h. auf gesellige Talente und persönliche Liebenswürdigkeit, welche zu entwickeln es aber auch fast nirgends mehr Gelegenheit gibt und nirgends dankbarer ist, als an einem Badeorte. An den liebenswürdigen Mann drängt sich Jedermann, jung und alt, vornehm und gering, und vergisst gern die sonst gehegten Standesvorurteile.
Dass sich endlich an Badeorten, wie dies in der ganzen übrigen Welt geschieht, einige Menschen, die vielleicht gesellige Talente genug besitzen, aus Gründen, über die sie schweigen, ganz von der größeren Gesellschaft zurückziehen, und dass sich im Gegenteil Menschen, die mit einander viele Berührungspunkte haben, leichter an einander anschließen, ist eben so wenig zu verwundern, als zu tadeln. Eigentlicher Kastengeist kann in einigen Monaten sich nicht ausbilden, und ist, sollte er wirklich entstehen, überwiegend von denen herbeigeführt, welche ihn schon glaubten und sich über ihn beklagten, ehe er sich noch wirklich gezeigt hatte. Das alte deutsche Sprichwort, welches den Teufel an die Wand zu malen verbietet, möchte hier nicht unangebracht sein. — Darum kein Wort weiter von dem geselligen Tone. — Sehe Jeder, wie er's treibe!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Seebad zu Swinemünde