Erster Reisetag

Wenn man nach 5 Uhr Morgens von Swinemünde ausgefahren, so kann man, ohne den Pferden zu viel zuzumuten, gegen 9 Uhr am Fuße des Streckelbergs sein. Gewöhnlich fährt man bis hierher den Strand entlang. Rechts hat man das Meer, links mit Laub- und Nadelholz bewachsene Gestade, die an einigen Stellen, z. B. bei Heringsdorf, von nicht unbeträchtlicher Höhe sind. Nur wenn der Strand sehr schlecht, d. h. sehr locker ist, ziehen die Kutscher, zur Schonung der Pferde, den etwas weitern und unebeneren Weg durch die Heide vor.
Dieser führt über Ahlbeck, Bansin, Ueckeritz und Loddin, ist schattig, und bietet manche hübsche Aussicht auf bewachsene Anhöhen, bebaute Felder, freundliche Dörfer und Landseen, die durch kleine Fischerboote belebt sind. Etwa eine Achtelmeile, ehe man an den Streckelberg gelangt, dessen höchster Punkt sich durch eine Baake (eine hohe, dreiseitige Pyramide, auf deren Spitze eine große Tonne angebracht ist) auszeichnet, fuhrt links ein Weg landeinwärts nach dem Dorfe Koserow. Man passiert die hier gelegene Heringspackerei, und wendet sich dann alsbald nach rechts, um auf den Weg zu gelangen, der nach dem Streckelberg führt. Diesen verfolgt man bis dahin, wo von ihm rechts ein Fußweg abgeht, der sogleich zu den Treppen führt, die man zu ersteigen hat, um auf den Streckelberg zu gelangen. Von hier aus schickt man den Wagen nach dem Dorfe Koserow, weil die Pferde gefüttert und getränkt werden müssen; nach einem Stündchen muss er sich wieder an derselben Stelle einfinden. Man ersteigt jetzt den Streckelberg, was nicht eben beschwerlich ist, und befindet sich sehr bald auf dessen Spitze, von wo aus man eine herrliche Aussicht hat. Vor und unter sich die immer bewegte See, deren Anblick hier noch viel imposanter ist, als von der Heringsdorfer Höhe aus. Am Fuße dieses Berges soll die Stadt Vineta oder Wineta gestanden haben, welche nach Einigen von den Wenden ums Jahr 778 erbaut worden, nach Andern hingegen schon 900 Jahre vor Christi Geburt erbaut und 769 oder 830 nach Christi Geburt teils durch Kriege zerstört, teils von der Ostsee überschwemmt und versunken, und eine mächtige und reiche Handelsstadt gewesen sein soll. Etwas nach links sieht man die Insel die sich aus dem Meere erheben, und entfernter noch etwas mehr nach links einen Teil der Insel Rügen. Rechts erblickt man die Wollin'schen Berge und den Hafen von Swinemünde; wendet man sich um, so übersieht man einen beträchtlichen Teil der Insel Usedom, zunächst das freundliche Dorf Koserow, hinter dem Dorfe Koserow das Achterwasser mit der kleinen Halbinsel, der Lieper Winkel genannt, dann die Peene, und jenseits derselben die Türme der Städte Lassan und Anklam, weiter nach rechts die Türme der Stadt Wolgast.
Nach dem Genuss dieses Anblicks ruhe man noch ein wenig auf diesem schönen Punkte. Ein einfacher hölzerner, mit Bänken umgebener Tisch steht neben der Baake, deren Bestimmung schon früher angegeben worden ist. Hier verzehre man ein von Swinemünde mitgenommenes Frühstück, und kehre dann zu der Stelle zurück, wo man vom Wagen abstieg, der sich nun wieder eingefunden haben wird.
Der Weg von hier bis zur Wolgaster Fähre, welcher über die Dörfer Zinnowitz und Bannemin führt, bietet gar nichts Interessantes dar, und kann doch leider nicht durchflogen werden, weil ein tiefer Sand das schnelle Fortkommen hindert. Wer jedoch angenehme und unterhaltende Reisegefährten und selbst gute Laune hat, der verliert diese auch nicht auf dem Wege von Koserow bis Wolgast. — Wenn man nach 10 Uhr von Koserow wegfuhr, so kommt man gegen 1 Uhr an der Wolgaster Fähre an; man übergebe dem Kutscher die Aufsicht auf das Gepäck, und lasse sich in einem kleinen Boot über die Peene setzen, weil das Übersetzen des Wagens immer ein wenig aufhält. Man durchwandere die freundliche Vorstadt und noch freundlichere Stadt, und nehme in einem der dortigen Gasthäuser, unter welchen die Stadt Berlin besonders zu empfehlen ist, auf einige Stunden Quartier. Hier finden die Fremden ein gutes Mittagsessen und Stallung für die Pferde, welche, nun auch übergesetzt, ihnen alsbald folgen.
Die Stadt Wolgast selbst ist sehr alt, hatte eine Burg der Wenden und eine Kastellanei, und war schon im zwölften Jahrhundert eine Festung. Zur Zeit der heidnischen Bewohner wurden hier die Götzen Barovit und Herovit verehrt. 1105 wurde die Stadt von dem Fürsten Heinrich von Mecklenburg, 1161 vom Könige Waldemar von Dänemark vergeblich belagert, aber späterhin von den Dänen zerstört und 1191 von neuem aufgebaut. Der Herzog Barnim III. baute 1330 an die Stelle des alten Schlosses ein neues, das von der Peene umgeben war. 1551 erbaute der Herzog Philipp ein anderes Schloss, das die Residenz der Herzöge von der Wolgaster Linie war, 1575 von den Brandenburgischen Truppen beschossen und zerstört wurde, so dass nur noch wenige Überbleibsel davon vorhanden sind. 1628 wurde von den Dänen der Ciseberg bei der Stadt befestigt. Nach einem für die Dänen unglücklichen Gefechte wurde die Stadt von ihnen zum Teil in Brand gesteckt, sie zum Rückzuge genötigt, und die Stadt hierauf von den Kaiserlichen besetzt, 1630 aber Stadt und Schloss von den Schweden erobert. 1675 wurde die Stadt vom großen Kurfürsten erobert und 1713 von den Russen geplündert und eingeäschert; 1715 aber von den Schweden wieder erobert. So merkwürdig auch diese Stadt in historischer Hinsicht ist, wie aus der Schilderung der Drangsale hervorgeht, die sie in verschiedenen Kriegen erduldet, so wenig bietet sie den Fremden Sehenswertes, Darum ist diesen zu raten, sobald als möglich wieder aufzubrechen, damit sie nicht zu spät Abends in Greifswald eintreffen. Der Weg von Wolgast nach Greifswald führt durch mehrere freundliche Dörfer, ist nicht unangenehm, hat aber auch nichts besonders Interessantes. Ausgezeichnet gute Aufnahme finden Fremde bei Hrn. Witte im deutschen Hause in der Burgstraße und bei Hrn. Engel im Kronprinzen. Die Einrichtung beider Gasthäuser entspricht ihrem Zwecke vollkommen, und ihre Besitzer sorgen für die Wünsche der bei ihnen Quartier nehmenden Fremden auf das Beste und zu möglichst billigen Preisen. Da unsere Reisenden erst gegen 8 Uhr Abends in Greifswald ankommen, so wird ihnen kaum Zeit bleiben, einige Straßen zu durchwandern, und da Diejenigen, welche von Rügen wieder nach Swinemünde zurückkommen, Greifswald noch einmal passieren, so ist ihnen zu raten, die Besichtigung der Salzsiederei, den Besuch des Mineralien-Kabinetts, der Sternwarte, des botanischen Gartens, des zoologischen und anatomischen Museums, bis dahin zu verschieben; vorausgesetzt, dass sie überhaupt diese Anstalten besuchen wollen. — Wer die Salzwerke zu Kösen und Dürrenberg, oder die Museen Berlins gesehen u. s. w., wird, wenn ihn nicht besondere Gründe dazu bestimmen, die zu Greifswald unbesucht lassen. Wer dergleichen aber noch nicht anderwärts gesehen, versäume ja diese Gelegenheit nicht, sich von dergleichen Anstalten hier einen Begriff zu verschaffen, was auch ganz besonders von der Salzsiederei gilt. Nur empfehle ich beim Ersteigen der Gradierhäuser die größte Vorsicht. —
Übrigens gehört die Stadt Greifswald (ehedem Gripeswold, Gripheswald) zu den interessantesten Städten des nördlichen Deutschlands. Sie wurde 1231 oder 1233 vom Kloster und Abt von Eldena erbaut, 1249 dem Herzog Wratislav III. zum Lehn gegeben. Durch Handel und manche Begünstigungen kam sie bald zu hohem Ansehen und ward mit in den Hansebund aufgenommen. 1456 stiftete Herzog Wratislav IX. die Universität, welche von ihm und mehreren seiner Nachfolger sehr reichlich ausgestattet, verhältnismäßig aber nur wenig besucht ist. Die Anzahl der Studierenden erreicht selten die von 150 in einem Semester. — Im 30jährigen Kriege hat die Stadt ungemein viel gelitten, so dass sie sich seitdem nie wieder zu ihrem früheren Flor und Wohlstande hat erheben können. Anfangs wurde sie von den Kaiserlichen besetzt, 1631 aber von den Schweden erobert. Sie war die letzte Pommersche Stadt, die sich dem Könige Gustav Adolph ergab. 1678 wurde sie vom großen Kurfürsten nach einem heftigen Bombardement eingenommen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Seebad zu Swinemünde