Koserow

Wohnungen und Beköstigungsarten. – Die Dorfkirche. – Wilhelm Meinhold. – Die Gründung der Seebadeanstalt und ihre Schicksale. – Geschichte des Dorfes.

Das erste nun ist, uns eine Wohnung zu mieten, die man bei den in Menge vorhandenen Privatlogis bald findet. Die Architektur dieser Landhäuser ist eine höchst einfache. Sie sind mit Ausnahme des Gasthofes zur Stadt Vineta alle einstöckig, zum größten Teil von Fachwerk, mit ausgelehmten und mit Kalk übertünchten Wänden erbaut und durch Gärten und Hofräume von einander getrennt. Das gefällige, im schweizerischen Villastyl erbaute Gasthaus, am Ende des Dorfes belegen, blickt freundlich in die beiden Hauptstraßen des Dorfes hinein. In den kleinen Blumengärtchen vor mehreren Häusern prangen Tulpen, Ringelblumen und Goldlack, aus dem die freundlichen Wirtsleute ihrem Badegaste täglich ein Sträuschen pflücken und in die Stube zu stellen pflegen; jedes der Häuschen enthält gewöhnlich vier Zimmerchen, zwei größere nach vorn, und zwei kleinere nach hinten belegen. Die Möbel sind patriarchalisch einfach. Eine Bettstelle (die Betten pflegt sich jeder Badegast selber mitzubringen), ein harter Sopha, ein Tisch, zwei bis drei Stühle, ein Spiegel, ein kolossaler Ofen, das ist Alles, und wenn man will, auch genug, wenn man bedenkt, dass man in seinem Logis eigentlich nichts weiter zu tun hat, als zu schlafen und sich anzukleiden. Für diese Bequemlichkeit zahlt man wöchentlich nur einen, höchstens zwei Thaler. Komfortablere Wohnungen steigen verhältnißmäßig im Preise. Nicht Alle suchen sich bei ihrer Ankunst persönlich ein Logis aus, sondern lassen sich dies im Voraus durch den Gastwirt Herrn Beyer besorgen, welcher die Beschaffenheit der Quartiere kennt und aus jedwede briefliche Anfrage bereitwilligst Auskunft erteilt. Diese Vorausbestellung einer Wohnung ist namentlich allen denen anzuraten, die mit Familie das Bad besuchen wollen und ein größeres Quartier zu haben wünschen, weil sie sonst leicht durch den Andrang der Besuchenden genötigt sein könnten, mit einem schlechteren Quartier sich begnügen zu müssen; für den Garyon macht sich die Sache etwas anders. Auch hat man dann die Freude, in seinem Quartier Alles sauber vorbereitet zu finden, denn so bald wie vermietet ist, werden die vom Sturm und Regen beschmutzten und verblichenen Häuserfaçaden neu übertüncht, Türen und Fenster zum Teil neu gestrichen. Seife, Bürsten und Besen sind Gegenstände, die viel gebraucht werden; ganze Wasserfluten werden längs Fenster und Fußböden ausgeschüttet, damit Alles von der wohltuenden Reinlichkeit und Sauberkeit schimmere und glänze. Frisch gestreueter Sand und dustender Kalmus oder gehacktes Grün (das nie fehlende Symbol der Bewillkommnung) verkünden am Empfangstage vor der Tür bis auf die Straße hinaus, welche Freude dem Hause zu Teil werden wird. Man späht ostmals hinaus, ob sich noch nicht fremde Physiognomien wollen blicken lassen, denen das Wort „Badegast!“ auf der Stirn geschrieben steht. Erscheinen dann endlich die ersehnten Gäste, so werden sie mit freundlich lachenden Blicken und einem „Willkommen! tausendmal willkommen, glücklich angekommen?“ treuherzig und ehrerbietigst empfangen, und wenn noch der Fremdenverkehr matt ist, im Dorfe und am Strande fast auf Händen getragen.


Besucht man Koserow en famille, so geschieht es ost von den Hausmüttern, denen Robotshände zu Gebote stehen, dass sie selbst den Küchenstand besorgen. In dieser Absicht pflegt man steh das notwendigste Küchengerät von Hause mitzubringen, während man das Brennholz den Wirtsleuten vergütet. Die erforderlichen Einkäufe macht man alsdann bei den Eigentümern und Bauern, Fischern und Materialhändlern, dem Fleischer und Bäcker des Dorfes. In wiefern nun diese Ökonomie zusagend ist, kann man sehr bald erproben, wenn man eine Zeit lang im Gasthofe speist, oder sich das Essen von dort schicken lässt, und dann die eigene Bereitung desselben selbst besorgt. Das Geratenste für kleine Familien möchte jedoch sein, das Mittagbrod im Gasthofe a l Carte oder Table d’hôte zu speisen, dagegen das Abendbrod einfach und leicht sich selbst zuzubereiten.

Ehe ich ausgehe, mir eine Wohnung zu suchen, speise ich erst im Gesellschaftssaal des Gasthoses Table d’hôte, denn es ist bereits 12 Uhr, und die Gäste der diesjährigen Saison beginnen sich zu versammeln.

Der Tisch ist höchst einfach besetzt. Man träume nicht von jenen Mahlzeiten, wie sie Baden-Baden, Homburg oder Wiesbaden gibt, wo man einen Dukaten für das Couvert an der Table d’hôte des Kursaales zahlt, denn die nordische Kochkunst ist noch nicht so weit vorgerückt, und bezahlt man daher hier bescheidener Weise auch nur 7 ½ Sgr. für das Couvert. Die Speisekarte zeigt nicht die lange Reihe der seltensten Gerichte, welche nur Ost- und Westindien im Verein mit den gastronomischen Bestrebungen Englands und Frankreichs zu liefern vermögen, man findet keine hundertjährigen Weine ausgesetzt, aber so einfach das Mahl ist, so ist doch Alles mit Geschmack arrangiert und mit Geschmack präpariert. Die Suppe ist wohlschmeckend, der Braten frisch, die Gemüse sind gut gekocht, und die Fische aus der Schüssel befinden sich nicht im alttestamentarischen Zustande, sondern sonnten heute noch ihre Häupter in den ersten Strahlen der Morgensonne, die heute früh auf den Wellenspitzen des Meeres funkelten.

Da tritt unser Reisegenosse, der Berliner Sekretär mit seiner in Gaze und Barége gekleideten Familie, mit der ich schon auf der Eisenbahn Bekanntschaft gemacht und mich lang und breit unterhalten, in den Saal ein. Ich rief dem Sekretär einen guten Tag zu und begrüßte die Seinen freundlich, während sich die übrige Gesellschaft in buntester Reihe zu Tische setzte; weder Rang noch Ansehen, noch das heilige Recht des Alters kam zur Geltung. Wir warteten bescheiden, bis für uns ein Platz übrig blieb, und so gerieten wir auch an das Ende der Tafel. Das Gespräch drehte sich in verschiedenen Gruppen in buntester Weise um Tagesfragen, über Anekdoten aus der Koserower Badesaison, über gemachte und noch zu machende Exkursionen. Verschiedene Extraweine in großbäuchigen Flaschen werden dort auf die Tafel gesetzt und ziemlich rasch in die Unterwelt befördert. Einige Herren trinken unter sich mit wenigen Worten die Gesundheit; Alles war sehr vergnügt, und es wurde sonst auch recht viel gelacht. In meiner Nähe saßen mehrere Anklamer und Stettiner Geschäftsleute; sie sprachen von politischen Angelegenheiten und von den Großtaten der Preußischen Marine in der Ostsee, als plötzlich ihre Konversation eine andere Richtung nimmt. Sie blättern in der so eben angekommenen Zeitung, um daraus die Course der Berliner und Stettiner Börse zu sehen, und lassen darüber das Essen kalt werden. Ihre uns gegenüber sitzenden Damen schweigen, und interessieren sich für die Gerichte. Von Allem ist reichlich vorhanden, und die Frugalität ist vollständig zusrieden gestellt. Das Diner ist zu Ende, die meisten Gäste verlassen den Saal, auch ich entfernte mich, nur die Herren Kaufleute blieben zurück, in ernstes Gespräch über die oben erwähnte Angelegenheit vertieft.

Ich ging ins Dorf, nach einer Wohnung bei den Ortsbewohnern einsprechend. Ich finde gleich ein mir zusagendes Logis, klein in seiner Art, aber komfortabel eingerichtet und bequem gelegen. Bald bin ich mit der Wirthin Handels einig, für 14 Thlr. räumt sie mir ihr halbes Haus, bestehend aus Stube, Schlafkabinet und Küche, die ich aber nicht benutze, auf sechs Wochen ein. Den natürlichen Baldachin einer Kirschbaumlaube vor der Tür und einer reichbeladenen Apfelbaumlaube im Hausgarten, bei deren Anblick ich unwillkürlich an Ludwig Uhlands Einkehrlied:

Bei einem Wirte wundermild
Da war ich jüngst zu Gaste,
ein goldner Apfel war sein Schild
an einem langen Aste.

Es war der gute Apfelbaum,
bei dem ich eingekehrt,
mit süßer Kost und frischem Schaum
hat er mich wohl genähret.

Es kamen in sein grünes Haus
Viel leicht beschwingte Gäste,
sie sprangen frei und hielten Schmaus
und sangen auf das beste.

Ich fand ein Bett zu süßer Ruh
Auf weichen grünen Matten.
Der Wirt, er deckte selbst mich zu
Mit seinem grünen Schatten.

Nun fragt’ ich nach der Schuldigkeit,
da schüttelt er den Wipfel.
Gesegnet sei er alle Zeit
Von der Wurzel bis zum Gipfel.


erinnert wurde, stellte sie mir außerdem noch zur freien Benutzung. Ich gab ihr das Versprechen, bei gutem Wetter Morgens stets in einer derselben meinen Kaffee einnehmen zu wollen. Meine Wirtin ist die Wittwe Mölhusen; ich erwähne ihren Namen, weil sie freundlich, gefällig und bescheiden ist, ohne zudringlich zu sein, und kann ich dies gemütliche und trauliche Quartier sowohl dem Garçon, als kleinen Familien, die mein Skizzenbuch als Ratgeber benutzen, bestens empfehlen.

In der Nähe meiner Wohnung liegt die Dorfpfarrkirche, ein altehrwürdiges, schmuckloses Gebäude, umgeben von dem Kirchhofe. Der Lehrer des Ortes, welcher auch zugleich Küster ist, öffnet mir auf mein Ansuchen bereitwilligst die Pforte des Kirchhofes und der Kirche. Er spricht von der schönen Sitte der Alten, die um das Gotteshaus herum den Gottesacker anlegten, da ein Gang an Grabhügeln und Grabsteinen vorüber bei Christen stets ernste Gedanken wecke. Wir treten durch die kleine niedrige Tür in die Kirche, deren Inneres ziemlich kahl ist. Der kleine Altar ist mit Bildwerken einfachster Art (Holzskulpturen, Szenen aus der heiligen Geschichte darstellend), geschmückt. Die plastischen Figuren dieses Bilderaltars besitzen zwar keine hohe künstlerische Schönheit, auch nicht den gewaltigen Umfang und Reichtum des Inhaltes, wie die Bilderaltäre der pommerschen Kirchen zu Gützkow, Triebsees und Greifswald, aber sie geben doch eine Anschauung jener in Deutschland einst so viel geübten und beliebten Holzskulptur mit ihrem Gold- und Farbenglanz, von der in den wenigen alten Kirchen Berlins kein einziger alter Überrest erhalten ist. Auch enthalten sie für den Archäologen manche interessante Einzelheiten und sind jedenfalls dadurch wichtig, dass sie in Pommern mutmaßlich gearbeitet wurden und zu den spärlichen Überresten der Vorzeit gehören. Der Altar ist ein Flügelaltar einfachster Art, so eingerichtet, dass auch die Flügel nicht Gemälde, sondern eben so wie der Mittelschrein Statuetten aus vergoldetem tapetenartig gemustertem Hintergrunde, jedoch in zwei Reihen, wo dort nur eine ist, und mithin natürlich in kleiner Dimension, enthalten. Der Mittelschrein stellt die Kreuzigung mit Maria und Johannes dar, während die Seitenflügel einzeln stehende Gestalten, zum Teil selbander und selbdritt, d. h. auf den Armen und neben sich kleine Figuren haltend, zeigen. Es sind derbe Gestalten, ohne große Feinheit des Ausdruckes oder der Formbildung, aber doch von gesundem Gefühl, in richtiger Haltung und mit guter Gewandbehandlung; sie erinnern an die zarte gedankenvolle Auffassung des 14. Jahrhunderts.

Ein Pendant zu den Altarbildwerken befindet sich in dem hintern Teile der Kirche; es ist ein lebensgroßes Kruzifix von dem die Legende berichtet, dass es von Vineta stamme. Die Geschichte dieses Gebildes ist eben so eigentümlich als seine Herkunft sagenhaft ist. Als sich nämlich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Vorstellung in Deutschland allgemein verbreitete, dass ein protestantisches Gotteshaus kahl, hell, blank sein müsse und eine frischgetünchte Kirche mit neu gestrichenen Bänken die Normalkirche sei, kündigte man den plastischen Bildern überall den Krieg an. In Koserow gönnte man dem kruzifix hinfort keine Stelle mehr in der Kirche, es wurde ausquartiert und nach dem Kirchenboden gebracht. Man schwelgte in dem Gefühl, ganz „antikatholisch“ zu sein; selbst bei den liebsten und besten Leuten herrschte dieser barbarische Gedanke. Aber noch war kein Jahr vergangen, da hing es wieder in der Kirche, aber nicht in seinem alten farbigen Anstriche, sondern weiß übertüncht; die bäuerliche Apathie hatte es gerettet. In dem letzten halben Jahrhundert ist man aber, wie überall, so auch hier, zu der bessern Einsicht gelangt, dass man sich der alten Bilder nicht zu schämen brauche, sondern sie als Monumente unserer Vorfahren und als Zeugnisse für die Kontinuität christlicher Frömmigkeit erhalten müsse. Vor einigen Jahren ist das Kruzifix restauriert und ihm sein alter fleischfarbener Anstrich wieder gegeben worden.

Außer diesen Heiligenbildern befindet sich in der Kirche noch das Wappen und Schwert eines schwedischen Kriegsobersten, Namens Ratecke. Dasselbe führt in blauem Felde einen schwimmenden Schwan, umgeben von mancherlei Zierraten. In einem ovalen Kreise, von kriegerischen Emblemen umkränzt, steht unten in Lapidarschrift zu lesen:

Seiner königl. May. zu Schweden treuer man und Obrister zu Fuss, der wolgeborne Herr, Jochim von Ratecke, auff Möltskou, Crummin, Loddin und Nebeng Erbher, ist geboren d. 18. Juny 1605 und im hern selig verschieden d. 12. July Ao. 1687.

Um über diese mystische Person und ihre Grabschrift etwas Aufklärendes zu hören, ist ein kleiner historischer Rückblick nötig. Durch den westphälischen Frieden war nämlich die Insel Usedom und ganz Vorpommern Eigentum der Krone von Schweden geworden. Als dann die Königin Christine von Schwedden (Tochter Gustav Adolphs) der Regierung entsagte und ins bürgerliche Leben getreten war, behielt sie sich in Pommern eine Menge Krongüter vor, über welche ein Oberamtmann, der seinen Sitz in Pudagla auf Usedom hatte, die gesamte Verwaltung führte. Die Güter Crummin, Mölschow, Neeberg und Loddin gehörten mit zu den Domainen der Königin, waren aber in der Folge, man weiß nicht seit wann, in den Besitz Joachims von Ratecke übergegangen, entweder als Pfandstücke oder als Schenkung. Nach dem Tode Rateckes ist von seiner Familie auf der Insel Nichts verlautet, woraus sich schließen läßt, selbige habe sich gleich danach aus hiesiger Gegend entfernt. Von dem Kriegsobersten selbst, noch von irgend einem sonstigen Berichterstatter, ist über seine Person Nichts bekannt geworden.

Da Rateckes Epitaphium in der Kirche zu Koserow hängt, so lässt sich annehmen, dass er auf seinem zu Koserow eingepfarrten Gute Loddin verstorben ist. Loddin wurde später ein Preuß. landesfürstliches Domainenvorwerk und gehörte, als die Domainen durch Ausspruch des Königs Friedrich Wilhelm III. Staatseigentum geworden waren, zu denjenigen Vorwerken, welche, weil sie klein und wenig einträglich waren, zugleich aber auch um bare Mittel zur Tilgung der dem Könige vom Kaiser der Franzosen in Folge des Tilsiter Friedens auferlegten Kriegsentschädigungsgelder zu gewinnen, im Jahre 1810 durch Verkauf in den Privatbesitz übergingen.

Die Erbauung der Kirche mag sich aus dem 12. Jahrhundert, bald nach 1128, in welchem Jahre Bischof Otto von Bamberg das Christentum nach der Insel brachte, datieren; Urkunden darüber sind im Pfarrarchive nicht vorhanden.

Der Küster sah mir während der Besichtigung der Kirche aufmerksam ins Gesicht, um zu beobachten, welchen Eindruck seine Herrlichkeiten auf mich machten. Ich weiß gewiss, dass er keinen ketzerischen Zug von Lächeln darin bemerkt haben wird; er war meinem Herzen zu ehrwürdig geworden, als dass ich in seine kleinen Liebhabereien nicht gerne hätte eingehen sollen. Wir traten aus der Kirche, gegenseitig mit einander wohl zufrieden, und während wir über den Kirchhof schritten, erzählte er mir noch einiges von Wilhelm Meinhold und seinen Schriften, ehemaligem Pastor von Koserow. Dann drückte ich ihm dankend die Hand und ging.

In unserm Skizzenbuche darf ein kurzes Lebensbild jenes verdienstvollen Mannes nicht fehlen. Johannes Wilhelm Meinhold wurde geboren den 27. Februar 179? zu Netzelkow auf Usedom und war ein Sohn des dortigen Pfarrers Georg Weinhold. Im Jahre 1822, nach beendigten Studien und nach kurzer Beschäftigung im Schulamte, erst 25 Jahr alt, wurde er als Pfarrer in Koserow angestellt. Er war durch die Laune der Natur mit dem kleinen Hausrat der Dichtkunst reich beschenkt, auch war er daneben ein Prosaikus, der seines Gleichen suchte. Koserow, den Naturfreunden bis dahin ein fast unbekannter Ort, ist, seitdem Wilhelm Meinhold seine Natur als Dichter und Schriftsteller zu verherrlichen anfing, ein von Touristen vielfach aufgesuchter Ausflugsort geworden. Die alte Sage und Ruine von Vineta, der Wurm am Meer, der Sturm an der Ostsee, die Inseln, die Fata morgana, der Streckelberg mit seinen Fernsichten, der Sonnenaufgang und Sonnenuntergang vom Streckelberge gesehen, ein Abend auf dem Anstande, der Dohnensteig, die Blume, der kraftstrotzende Baum, und über alle diesem ein lachender Himmel mit weißen Wanderwolken besät, boten seinem Genius reichen Stoff zum Schaffen. Wie kein Zweiter hat er an der Natur und an dieser Natur sich geschult und groß gezogen. Wie warm und innig der edle Mann den Zauber dieser ländlich stillen Gegend mit seiner einfachen Anmut auffasste, davon redet fast jedes Blatt seines Erstlingswerkes, das im Frühjahr 1824, im Selbstverlage des Herausgebers (in Commission der Universitätsbuchhandlung von C. A. Koch in Greifswald) unter dem Titel: „Vermischte Gedichte“ erschien.*) Die Originalität, welche diese Dichtungen in sich tragen, das Fremde, das Ungewohnte des Gebietes, auf dem sie sich bewegen, verfehlten ihren Reflex nicht und rissen zu lautester Bewunderung hin. Ein größeres Aufsehen noch, als seine Dichtungen, machte sein Buch: „Maria Schweidler“ oder: „die Bernsteinhexe“ (Berlin, bei Duncker & Humblodt), welches er als ein in der Kirche zu Koserom aufgefundenes Schriftstück aus dem 30 jährigen Kriege herausgab. Nachdem es sich aber als sein eigenes Geistesprodukt erwiesen, machte die Schrift seinen Namen in Deutschland berühmt. Die Bernsteinhexe ist gut erfunden und der Ton der Darstellung so glücklich getroffen, dass das Buch in diesen Beziehungen von Sachverständigen absolut als ein Meisterstück bezeichnet wird. Wir zweifeln daher nicht, dass es speziell unsern Lesern, welche Koserow auf einige Wochen besuchen wollen, eine ansprechende Lektüre sein wird.

*) Sie sind im Jahre 1835 in zwei Teilen bei F. A. Brockhaus in Leipzig in zweiter verbesserter (auch ganz veränderter) Auflage erschienen. Preis 1 Thlr. 15 Sgr.

Sechs Jahre des reinsten harmlosesten Glückes hatte Meinhold in Koserow verlebt, als er 1828 auf die Pfarre zu Crummin berufen wurde. Von dort ließ er sich auf eine Pfarre in Hinterpommern versetzen, legte aber daselbst nach kurzem Aufenthalte im Jahre 1849 sein Seelsorgeramt nieder und zog sich als Emeritus nach Charlottenburg zurück, wo er am 30. November 1851 verstorben ist.

Koserow, ein Bauern- und Fischerdorf, seit einem Jahrzehnt auch Badeort, mit fast dreihundertfünfzig Einwohnern, bietet als solcher nichts von dem Komfort unserer modernen Welt, ja es legt dem Besucher manche Entbehrungen auf. Die feineren Genüsse des Raffinements, mit denen man gewöhnlich die traurige Wahrheit der Seelen- und Körperleiden zu verschleiern pflegt, die den Badegast aus seinem gewohnten Lebenskreise auf einige Wochen forttreiben, fehlen hier ganz, und der Besucher Koserows ist genötigt, gerade auf sein Ziel, auf die Kur nämlich, loszugehen. Koserow ist ein Wohltätigkeitsbad, aufgesucht von den Bewohnern der Umgegend, ein Asyl der Ruhe, allen Denjenigen anzuraten, die sich vom Geräusch des Geschäftslebens nicht bloß zum Schein, sondern in der Wahrheit zurückziehen wollen. Die Zahl seiner Besucher wird nicht nach Hunderten ober Tausenden, sondern nach Zehnern gezählt. Nach den uns vorliegenden Badelisten der letzten fünf Jahre variierte die Zahl der Kurgäste zwischen 20 und 90. Die Anlage der Seebadeanstalt stammt aus dem Jahre 1851. Schon im Jahre 1846 wurde Koserow, ohne alles Zutun seiner Bewohner, von einigen Anklamern und Stettinern als Badeort aufgesucht, denn Putbus, Heringsdorf, Swinemünde und Misdroy waren ihnen schon zu großstädtisch und darum unbequem geworden. Es gefiel ihnen hier der kräftige Wellenschlag und die romantische Lage des Ortes so, dass sie in den folgenden Jahren wiederkehrten und noch Andere mitbrachten. Dadurch entwickelte sich bei vier einsichtsvollen, gemeinnützigen, aufopferungslustigen Koserowern (es waren Lehrer und Küster Koch, Gastwirth Beyer, Gastwirt Schohl und Eigentümer Mölhusen) der Plan, bei sich eine Seebadeanstalt einzurichten, in der Hoffnung, dass sich durch den Fremdenverkehr einer Badesaison das anmutig stillgelegene Fischerdörfchen höher verwerten lassen möchte, als es bis dahin in der Kultur der mageren Sandschollen und des Heringsfanges auf dem nassen Elemente geschah. Sie gaben jeder 10 Thaler her und erbaueten dafür Badezellen und suchten ihren Gästen den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen. Nach einem Jahre erwachte auch bei den meisten kleinen Hausbesitzern der Assoziationsgeist, sie beteiligten sich mit an diesem Unternehmen und suchten es je durch einen Geldbeitrag von 5 Thalern und durch Handdienste zu fördern; in ärztlicher Hinsicht suchte Herr Dr. Schmidt in Anklam etwas für das Emporkommen des jungen Bades zu tun. Die guten Gnomen vom Streckelberge waren auch nicht müßig, und bald wurde Koserow das Rendezvous von kleinen Herren aus den verschiedensten Teilen Pommerns und der Mark Brandenburg. Der Mangel an Komfort war eine Art Reiz für den Ort, man halte ja nicht nötig, dem Zwang der Etikette seinen Tribut zu zollen, und wie gering waren die Ansprüche der Leute an den Geldbeutel der Badegäste! Bei so enorm billigen Preisen konnte man keine höheren Forderungen stellen. Aber so wie die guten Gnomen für das Emporkommen des Ortes sorgten und sich darüber freuten, härmten sich die bösen darüber. Sie verbanden sich mit dem tobenden Neptun, der in einer gewaltigen Sturmflut mit seinem Dreizack an die Fundamente der Badeanstalt pochte und sie bis af den letzten Stumpf mit sich fortriss. Die junge Badeanstalt hatte vollständig Fiasko gemacht. Das Schlimmste aber, was die bösen Gegenpartner angerichtet, war, dass sie den Leuten den Mut genommen, ja es schien so, als ob in jeden Einzelnen ein böser Gnom gefahren sei, der sie wie ein Bleigewicht drücke. Die Meisten gaben den Plan, von neuem Badezellen zu errichten, aus, von den Führern des Unternehmens waren einige inzwischen verstorben, ohne dass die Andern durch die kräftig helfende Hand eminenter Geister einen Zuwachs erhalten hätten. Die Corporation löste sich auf und ließ den Plan, reformatorisch weiter zu wirken, fallen, nur Einer, der Gastwirt Beyer, nicht. Dieser betriebsame, unermüdlich eifrige Mann erbauete sodann auf eigene Rechnung mehrere Badehütten und suchte das begonnene Unternehmen nach allen Seiten, so viel er vermochte, zu fördern, allein es sind auch ihm in dem Ausschwunge des Bades entschieden die bösen Gnomen hemmend entgegengetreten. Heute nun befindet sich noch Alles in dem Zustande der ersten Entstehung, aber der Besucher Koserows wird eingestehen, dass für die Anfänge dieser Anstalt, als das Privatunternehmen eines Einzelnen, das irgend Mögliche geschehen und die Hoffnung begründet ist, es werde der für die Erholung und Stärkung der durch anstrengende, besonders geistige Arbeit geschwächten Menschheit in jeder Hinsicht zu empfehlende Sommerkurort durch reiche Frequenz zur Blüte emporgehoben werden.

Werfen wir nun noch einen Blick auf die alte Geschichte des Ortes. Koserow, von den Slaven oder Wenden etwa im neunten Jahrhundert angelegt und von ihnen nach der Bodenbeschaffenheit sehr bezeichnend benannt (Koserow von dem slavisch-wendischen Worte Koze, d. i. die Ziege, abgeleitet, besitzt zum guten Teil eine so sandige Feldmark, woraus nur Ziegen Nahrung finden), hat in seinen frühesten Zeiten manche Misère durchmachen müssen. In seiner Nähe, auf einem sich ehemals in die Ostsee hineinziehenden Landstriche, lag die in der mittelalterlichen Geschichte mit so viel Bewunderung genannte Stadt Vineta, die im Jahre 830 in einer großen Sturmflut vom Meere verschlungen worden, ingleichen die um 970 von dänischen Abenteurern angelegte Feste Jomsburg.*) Die Normänner oder Normannen, welcher Name den skandinavischen Völkerschaften gemeinsam zukommt, waren die damaligen am Ufer erscheinenden Gäste; sie bildeten die Saisons. Ihre Wirte bezahlten sie auf die böseste Art, indem sie ihnen das Haus über dem Kopf abbrannten oder ihnen gar die Hirnschale einschlugen. Auf abenteuerliche Seefahrt, auf erbarmungslosen Kampf, auf Raub und Beute war all ihr Sinnen gestellt. Die dänische Besatzung der Jomsburg, dieser so berühmten Seefeste, bildete den Vikingerbund, eine Art ritterlicher Seeräubergesellschaft.**) deren Mitglieder die Schifffahrt von hier aus beherrschten und die auf den Raubzügen gewonnene Beute gleich unter sich verteilten. In jede zur Landung ladende Bucht, zu jeder Strommündung schwammen die schrecklichen Wikinger mit ihren „Drachen“ heran, und weit ins Binnenland hinein trugen dann ihre Insassen Mord und Brand. Im Laufe des 11. Jahrhunderts aber wurden die Piratenzüge der Dänen von der Jomsburg aus so arg betrieben, dass König Magnus von Dänemark den Entschluss fassen musste, ihnen ein Ende zu machen. Er zog ums Jahr 1042 vor diese Feste, eroberte und zerstörte sie. Der kleine Ort hatte sich trotz allen Elends und Jammers erhalten. Ruhigere und bessere Zeiten traten ein; der Heringsfang und das Einsalzen der Heringe, jene bescheidene, aber um so nützlichere Kunst, gaben den Einwohnern hinreichende Nahrung. Nach Erzählung des dänischen Geschichtsschreibers Saxo, welcher im Jahre 1173 auf der zwischen Rügen und Usedom liegenden Flotte seines Königs Waldemar sich befand, der einen Rachezug gegen Greifswald ausführte, war die Fülle der Heringe, welche damals an die Küste und in alle Buchten eindrang, ungeheuer. Auf Befehl Waldemars durften die Fischer beim Fange nicht gestört werden: zu ihrem Schutze ließ er den dritten Teil seiner Flotte aufstellen, an welche die Fischer nur den täglichen Bedarf an frischen Heringen zu liefern hatten.

*) Es ist vielfach behauptet, aber von Niemand erwiesen worden, dass die Jomsburg irgendwo anders gestanden habe. Einige vermuten, sie habe an der Swine gelegen, dort wo das heutige Ostswine steht. Andere an der Lieben Seele unweit des Badeortes Misdroy, noch Andere haben sie sogar im Innern der Insel Wollin, in der Nähe des Dorfes Dannenberg gesucht. Wir aber sind mit Ferdinand Gadebusch der Meinung, dass die Jomsburg nur hier gelegen haben kann.

**) Viking, von Vik, Busen, Meer. Ein Viking, also eigentlich ein „Meermann“, Seefahrer. Den wahren Sinn des Wortes trifft aber besser unser „Seeräuber“.


Mit der Einführung des Christentums, durch Bischos Otto von Bamberg. 1128, ließen sich viele Deutsche, Braunschweiger, Sachsen, Westphalen auf der Insel nieder. Auf die besondern Vorzüge, welche den Deutschen vor den Wenden eingeräumt wurden, verließen letztere nach und nach ihre Wohnsitze und siedelten sich an der preußischen Grenze an. So verschwand das Heidentum mit dem Wendentum fast zugleich. Koserow war germanisiert, und wird der Slaven Andenken jetzt noch in dem Ortsnamen und einigen Familiennamen*) bewahrt.

*) Ein Familienname wendischen Ursprungs ist z. B.: der im Orte vorkommende „Labahn“; im Slavischen lautet er Labanow.

Die Drangsale des 30jährigen Krieges trafen den kleinen Ort außerordentlich; kaiserliche Kriegsvölker und Dänen wechselten sich in der ersten Periode desselben auf der Insel ab. Koserow wurde im Jahre 1629 von einem Haufen Kroaten gar arg mitgenommen. Diese wilde Soldateska gab ihre Rohheit in der grausamsten Weise kund, sie misshandelten die Einwohner, welche, aus ihren Wohnungen vertrieben, obdachlos in den Wäldern umherirrten. Das zum Kirchspiel Koserow gehörige Dorf Kölpin, welches der Tradition nach an dem gleichnamigen See gelegen haben soll, ist, von den Flammen verzehrt, in dieser Zeit spurlos verschwunden. In dieser Zeit der schwersten Noch erschien Gustav Adolph, der Schwedenkönig, als ein Retter mit seiner Flotte vor der Insel Usedom. Um 24. Juni 1630 ging er auf der Rhede des Dorfes Peenemünde vor Anker, woselbst er Tags darauf Deutschlands Boden betrat. Alle Durchmärsche der Kaiserlichen und der Schweden, von der Peenemünder Schanze nach der Schanze an der Swine, zwei in der Kriegsgeschichte sehr geläufige Namen, gingen über Koserow. Ein in der Nähe des Dorfes, etwa 200 Schritt hinter der alten Dorfmühle belegener Fleck Landes führt den Ramen „Schwedenlager“, welche Benennung wohl aus dieser Zeit herrühren mag. Spuren darüber, dass hier ein Kriegsvolk längere Zeit gelagert hat, sind reichlich vorhanden, so hat man dort, noch in der neuesten Zeit, verschiedene, zum größten Teil ganz verrostete Waffenstücke, alte Geldmünzen und dergl. gefunden, die den Kindern dann zum Spielen gegeben, leider wieder verloren gingen. Die Gräuel dieser Zeit sind schreckenerregend. Brand, Seuche, Teuerung, Hungersnot, Angst und Gefahr des Leibes und des Lebens wechselten mit einander ab. In die dunkelsten Farben müsste man die Feder tauchen, wenn man ein Bild jener Zeit zeichnen wollte, und wie weit würde es dennoch hinter die Tragik der Wirklichkeit zurücktreten müssen!

Der Pfarrer Johannes Schweidler, welcher im Jahre 1662 die Pfarre zu Koserow antrat, hat über die „elende Beschaffenheit“ seines Kirchspiels handschriftliche Aufsätze hinterlassen, die Entsetzen erregen können.

Durch die Kriegsflamme des 30jährigen Krieges, so wie des nordischen Krieges, war Koserow sehr herabgekommen. In dem Stockholmer Frieden, 1720, der dem nordischen Kriege ein Ende machte, gelangte Koserow in den Besitz des Herzog Friedrich Wilhelm I., Königs in Preußen. Es verstrichen einige Jahre des Friedens. Beim Ausbruche des 7jährigen Krieges benahmen sich die Schweden feindlich gegen die Insel und besetzten sie mit einer nicht geringen Anzahl Landtruppen und drückten die Bewohner mit allerlei harten Lieferungen. Koserow hatte in dieser Zeit durch gewaltsame Erpressungen so gelitten, dass seinen Einwohnern zu ihrer Existenz nicht bloß auf längere Zeit die Abgaben erlassen, sondern noch besondere Unterstützungen gereicht werden mussten.

Kaum hatte sich der Ort unter der landesväterlichen Regierung Friedrichs des Großen und seiner Nachfolger etwas erholt, als auch er die üblen Folgen des Friedens von Tilsit, 1807, mittragen musste. Nach der unglücklichen Niederlage von Jena und Auerstädt drangen die Franzosen und Rheinbündler bis in die entlegensten Gegenden des deutschen Nordens. Koserow erhielt eine französische Besatzung. Außer der Truppenverpflegung fanden mancherlei Requisitionen statt, Naturalien und andere Bedürfnisse für die Truppen mussten unweigerlich beschafft werden. Daneben begann die Aufbringung der dem Lande von dem Sieger zu Jena und Auerstädt auferlegten unerschwinglichen Kriegssteuer. Solche drückende Lasten dauerten nicht allein im folgenden Jahre fort, sondern wurden durch häufige Durchmärsche noch erhöht. Die Bauern mussten Fuhren, Vorspannungen, Vorlegepferde und reitende Boten nach den nächsten Etappenplätzen geben, die nicht jedesmal wieder heimkehrten.

Als der französische Marschall Mortier im Wärz 1807 die Belagerung Stralsunds aufgab und auf dem Strandwege über Koserow zur Belagerung Colbergs marschierte, zeichneten sich hier die Franzosen, welche auch Holländische, Baiersche, Hessische, Sächsische, Badensche und Italienische Kriegsvölker mit sich führten, durch Rohheit und Ungenügsamkeit so aus, wie nirgendswo. Den Bürgern und Bauern setzten sie aufs Ärgste zu, und den von seiner Gemeinde allgemein geachteten und geliebten Pfarrer Tamms brachten die Baiern sogar schmählich ums Leben. Das Koserower Kirchenbuch berichtet darüber wörtlich Folgendes: „J. Tamms, Pastor von 1769—1807, † 10. September 1807, an der Ruhr, in Folge grausamer Behandlung bairischer Soldaten.“ Als nun nach Russlands rosigem Morgen, im Winter 1812, auch für Preußen der Frühling gekommen war, welcher die eisigen Bande des langen harten Winters sprengte, kann man sich denken, wie unser elend herabgesunkenes Dörfchen ausatmete. Die letzten 50 Friedensjahre haben die klaffenden Wunden ziemlich zuheilen und vernarben lassen. Die alten räucherigen Fischerhütten verschwinden immer mehr und neue wohnliche Häuser treten an ihre Stelle; insonderheit ist seit Anlage des Seebades eine Baulust und ein Verschönerungssinn im Orte sichtlich an den Tag getreten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Seebad Koserow auf Usedom