Der Streckelberg

Weg nach dem Streckelberg. – Fernsichten vom Streckelberg. – Das Streckelbergstammbuch. – Kultur des Berges. – Eine Sage von seinen Gnomen. – Weg nach dem Strande.

Es war Morgens 5 Uhr. Die Sonne schien so klar gegen die Fenster; draußen auf den Bäumen hüpften die Finken und schlugen nach Herzenslust; die Stare auf den hohen Weiden übten die neuen Weisen, die sie im Winter in der Ferne bei ihren Vettern gelernt hatten; die Sperlinge hüpften zwitschernd auf dem Boden umher und jagten einander in neckischem Spiel, und hoch oben in der Luft wirbelten die Lerchen, dass es eine Lust war. Im Bette wollte es mich nicht mehr leiden. Ich stand auf, zündete mir eine Zigarre an und trat ans Fenster, öffnete es und schaute hinaus. „Wer könnte da noch im Bette liegen und schlafen,“ sagte ich zu mir selbst, es ist so schön draußen. Draußen war es wirklich schön. Die drei alten Weiden neben dem Hause verbreiteten einen süßen Duft, zwischen den jungen Blättern guckten neugierig ihre Kätzchen oder Lämmchen, wie sie die Kinder nennen, hervor, während Hummeln und Bienen summend durch die Luft strichen, um von dem süßen Getränke zu naschen.


Unten im Gasthofe herrschte ein reges Leben. Die bei dem Wirt des Dorfhotels während der Saison eingemieteten Badegäste waren schon alle auf den Beinen, traten so eben aus der Tür und schritten langsam, die schöne Morgenlust in vollen Zügen schlürfend, dem Strande zu. Das hübsche Hausmädchen bringt mir auf Verlangen den Kaffee, hat jetzt aber kaum Zeit, mir zu antworten, als ich sie nach meinem Koffer und der mir vom Wirt während der Saison zur Miete vorgeschlagenen Wohnung frage. Ehe ich mich aber nach einem Quartier während der Badezeit umsehe, will ich erst den Streckelberg besuchen und ein Seebad nehmen. Meine werten Nachreisenden werden wohltun, wenn sie mir hierin folgen. Mancher dürfte vielleicht zu hohe Erwartungen über die Schönheit und Anmut Koserows und seiner Seebadeanstalt mitbringen, und würde, falls er sich hierin getäuscht fühlte, durch voreilige Mietung einer Wohnung zu einem unfreiwilligen Aufenthalt gezwungen sein. Ich schlage daher vor, zuerst einen Spaziergang nach dem Streckelberge und von da nach dem Strande zu machen, dort ein nasses oder trockenes Bad zu nehmen und sich dann erst nach einer Privatwohnung umzusehen.

Mein Plan für heute ist gemacht und das Frühstück während des Arrangements verzehrt, als ich mit dem Schlage der Betglocke, vom Turme der Dorfkirche herab, aus dem Gasthose gehe und dem oberhalb des Dorfes gelegenen waldumkränzten Streckelberg zuschreite. Der Weg dahin führt an Häusern und Gärten vorbei, in welchen Männer unter schattigen Bäumen sitzend, die Sensen durch klingende Hammerschläge auf dem kleinen in die Sitzbank eingetriebenen Ambos, zu der morgen beginnenden Heuernte, schärfen, schwenkt sich dann vom Zentrum des Dorfes, in Form eines rechten Winkels, und führt von hier in gerader Linie, durch Getreide und Brachfelder, aus den Streckelberg zu. Aus den kleinen hie und da zwischen dem Getreide liegenden Brachstreifen stehen die milchtragenden Ziegen der Fischer angepflockt, die sich von den dort wachsenden grünen saftigen Kräutern ernähren, während auf einem großen Brachstücke, an der Lisiére [Saum] des Waldes, der Schäfer treulich seine Herde weidet.

Nun war ich dem Saume des Buchenwaldes nahe. Der Hauch erfrischender Kühle strömte mir aus ihm entgegen, und ich eilte dem belebenden Schatten zu. Eine dunkle, schöngewölbte Allee nahm mich auf, rechts und links unter dichten Buchen das liebliche Walddunkel, in welchem Spaziergänge sich ausbreiteten; kein Blättchen regte sich. Wahrlich, ein Heiligtum des Friedens und der Stille! — Langsam wanderte ich tiefer in den Wald hinein; der Weg erhob sich, und bald stand ich vor einer steilen mit Kiefernwald bedeckten Sandwand. Eine daselbst angebrachte Steintreppe erleichtert die Besteigung derselben, so dass man ohne sonderliche Beschwerden rasch hinauf gelangt. Wenige Schritte noch, und ich hatte den Gipfel des Berges erreicht. Des Meeres wird man nicht eher ansichtig, bis man auf der Höhe des Berges angekommen ist. Man kann nicht sagen, dass das Meeresufer Hier besonders romantisch wäre — aber zum ersten mal im Leben das in unbeschränkter Weite sich ausdehnende Meer sehen. — ist doch etwas über alle Beschreibung Erhabenes: oben wölbt sich der klare blaue Himmel, unten wogt das sich in unabsehbarer Herne ausdehnende blaugrüne Wasserfeld. Die Feder des Schriftstellers und der Pinsel des Malers würden sich vergebens bemühen, die überwältigende Größe und Majestät dieser Fläche, welche Homer mit Recht das eherne Meer nennt, darstellen zu wollen. Ich weiß nicht, was interessanter ist, der Anblick der Gergmasse des Brockens, des, Häusermeeres von Paris oder der des Ozeans; die meisten, Touristen, vermögen nicht zwischen, der Majestät und imposanten Größe des, Meeres und den Eindrücken jener so verschiedenartigen Gegenstände irgend welche Parallele zu ziehen. Großartig ist, die, Aussicht aufs Meer, das sich hier in mannigfacher Färbung zu unsern Füßen ausdehnt, als die anschaulichste Vorstellung von der Unendlichkeit. Ein lauer, Wind wehet von dem glatten Spiegel der Ostsee, kleine Wellen an den, dunklen bernsteinreichen Strand hintreibend. Stattliche Seeschiffe mit bunten Wimpeln und Flaggen strichen stolz wie Schwäne dahin. Meine, eilig hin- und herrudernde Fischerboote und das emsige Treiben der Fischer am Ufer gewähren dem Binnenländer, der sonst so wenig, Wasser sieht, ein Schauspiel, von dem man sich kaum trennen kann. In dämmernder Ferne des äußersten Nordwestens erscheint das Hochland von Jasmund auf Rügen, von welchem der prächtige 125 Fuß hohe Wartturm des fürstlichen Jagdschlosses herüber schaut. Weiter links erblickt man den hohen Turm der Kirche zu Bergen, welcher weithin als Seemarke sichtbar ist. Deutlicher tritt hervor, die sich daran reihende, lange, flache Erdzunge des Peenemünderhakens auf Usedom, dessen Strand mit seinem grotesken Föhrenwalde von den Wellen bespült wird, während sie in der Nähe des Berges die Stätte des untergegangenen Vineta umrauschen. In dieser Richtung, etwa 4 Meilen entfernt, taucht aus dem Meere ein kleines Eiland auf, mit einem Leuchtturm daraus, die Greifswalder Oie. In der Nähe der Oie tritt die eben so große, 125 Morgen enthaltende Insel Ruden, deren Bewohner sich kümmerlich von Lootsendienst und Fischfang ernähren, deutlich hervor. Gen Ost verschwimmen, hinter der Rhede von Swinemünde, mit ihren Segeln und rauchenden Dampfböten, die Berge aus Wollin im blauen Duft des Gesichtskreises und bilden hier die Endpunkte des Halbkreises, oder sie leuchten, wenn das Tagesgestirn seit mehreren Stunden kulminiert, als helle Küsten, indes südöstlich über Swinemünde hinweg höhere, bewaldete Berge den Blick auf das große Haff versperren, so der Pösterberg bei Lebbin. Landeinwärts erschließt sich am Rande des von Eichen und Buchen in bewundernswerter Vegetation neben üppigen Kiefernschonungen umgürteten Streckelberges ein ansprechendes Landschaftsgemälde, im Gegensatz zu dem ruhelosen Meere ein Stillleben, auf dem der Blick gerne weilt. An freundliche Baumgruppen mit dem nahen Kirchhofe Koserow und dem Ackerwerk Damerow im Vordergrunde, dessen weiße Häuser auf grünem Grunde in dem rosigen Licht des Tages funkelten, wie Tautropfen im Grase an einem duftigen Sommermorgen, schließt sich Feld und Wald mit der Aussicht aufs Achterwasser mit seinen Buchten, aus das von Rohrfeldern umgürtete Eiland Grömitz und die romantische Halb-Insel Gnitz, so wie aus die wechselnden Ufer der Neuvorpommerschen Küste an der Peene. Aus dem Hintergrunde aber treten die Kirchtürme der Städte Usedom, Lassan und Wolgast hervor, über Lassan hinaus die von Anklam, über Wolgast hinaus die des 6 Meilen entfernten Greifswald. Im Südwesten aber wird über dem kleinen Haff und dem meeresgrundähnlichen Unter-Ukralande der Gesichtskreis in der Entfernung von 10 Meilen durch die blauen Helpter Berge zwischen Friedland und Woldegk im Mecklenburger Lande geschlossen. Misst man den Raum, dessen Winkel Jasmund, Greifswald, Helpte, Ückermünde und die Dievenow sind, so hat man vom Streckelberg aus ein Panorama von nah an 150 Geviertmeilen, und zwar in solcher Mannigfaltigkeit, dass sich an norddeutschen Küsten nichts Ähnliches nachweisen lässt.

Der Rahmen dieses weiten glänzenden Gesichtskreises prangt wie Rubinen und Smaragd in den verschiedenartigsten Farben. Aus der dunkelgrünen Färbung des südlichen Halbkreises erscheinen die weißen Häuser von Dörfern und Städten wie weiße Perlen, während dazwischen der blinkende und blitzende Spiegel des Achterwassers, wie ein Diamant funkelt, gegen Norden umgürtet er in stahlblauer, smaragdgrüner Farbe, bis an den lichten Horizont,, die Unendlichkeit des Meeres. Der Rahmen blinkt und blitzt, wie die Stahlrahmen um die alten venezianischen goldenen und silbernen Spiegel, oft in blaues, oft in grünes Licht getaucht, schimmernd, schillernd; Nebelwolken steigen aus ihm auf, wie Geister der Tiefe, sie erheben sich und steigen und dehnen sich aus, sie werfen flüchtige Schatten über alle die Diamanten, Rubinen und Smaragde, sie hüllen alle die Wälder, die Berge und die Seen da drunten in dunkle Schleier, die Schleier zerreißen und das ganze Bild schimmert wieder in dem farbigen, glänzenden Lichtmeer. Lange stand ich oben; ich konnte nicht müde werden, meinen Blick in dies wundervolle Landschaftsbild zu tauchen, in seiner Art eben so großartig wie das Bild, welches sich vom Gipfel des Rigi oder des Pilatus ausrollt, durch die Unendlichkeit des Meeres noch weit fesselloser und mächtiger.

Die Höhe des Streckelberges wurde bisher gewöhnlich auf 200 Fuß und darüber angegeben, doch bei Gelegenheit der vom Generalstabe durch Baeyer und seine Mitarbeiter ausgeführten Preußisch-Pommerschen Küstenvermessung ist die Höhe auch des Streckelberges durch gegenseitig und gleichzeitig beobachtete Scheitelabstände mit großer Genauigkeit bestimmt worden. Hiernach erhebt er sich 189,41 Fuß über die Meeresfläche. Diese Höhe genügt, jene weite Rundsicht zu ermöglichen,

Der Streckelberg, ein in Gestalt eines Vorgebirges in die See hinausgeschobener Punkt, ist durch seine Massenhastigkeit und seine zum Meere hoch und steil hinabstürzende Sandwand ein weithin sichtbares wichtiges Tageszeichen für die Seefahrer. Ihretwegen ist er auch mit einer Landmarke, sogenannten Bake versehen, bestehend aus einer hölzernen, dreiseitigen Pyramide, 35 Fuß hoch und schwarz angestrichen, mit einer Tonne auf der Spitze. Früher, als der Berg noch kahl war und sein Gipfel weiß erschien, pflegten ihn die Schiffer wohl den Wittenberg (weißen Berg) zu nennen. Im Jahre 1848, als die Dänen die Küste von Usedom feindlich recognoscirten, wurde der Berg zu einem Wachtposten an der Küste benutzt. Eine auf dem Gipfel des Berges errichtete hohe Stange trug auf ihrer Spitze eine mit Brenn- und Leuchtstoff gefüllte Tonne, die im Falle einer Landung der Dänen angezündet werden sollte, um damit die militairischen Streitkräfte in Swinemünde und der Peenemünder Schanze zu signalisieren. Als Wachtstube diente die Bake und ein neben derselben von Rohr und Stroh errichtetes Zelt. In dem letzten Kriege gegen Dänemark, in welchem unsere junge Preußische Marine sich mit der Dänischen zu messen ruhmreich begonnen hat, und den Gegner aufsuchte und angriff, wo er sich zeigte, war eine feindliche Landung nicht zu befürchten und die Errichtung von Fanalen aus dem Streckelberge und den höchst gelegenen Punkten der Küste von den Strategikern für nicht nötig erachtet worden. Der Streckelberg kann übrigens von der See aus mit Schiffsgeschütz bestrichen werden.

Ein einfacher, hölzerner, mit Bänken umgebener Tisch neben der Bake, diesem hochgelegenen Monument, ist über und über mit tausend und abertausend Namenszügen besät, früher auch die drei Wände der Bake. Jeder Besucher pflegte sich hier in dieser Weise zu verewigen, so dass mit der Zeit auf den Seiten dieses eigentümlichen Fremdenbuches kaum noch ein Plätzchen leer blieb, wo man seine paar Buchstaben schicklich hätte hinbringen können. Bei einer vor wenigen Jahren stattgehabten neuen Umkleidung der Bake sind aber diesem merkwürdigen Stammbuche alle Namen entrissen worden. Herr Beyer, der Gasthofsbesitzer in Koserow, machte es darauf den Streckelbergbesuchenden leichter, indem er während der Sommermonate, im Innern der Bake, ein papiernes „Streckelbergstammbuch“ nebst Tinte und Feder zur freundlichen Benutzung des reisenden Publikums auslegte. In wenigen Jahren sammelten sich in diesem Buche eine Menge Namen, denn der Streckelberg wird alljährlich von vielen Hunderten besucht, nebst guten Späßen und Versen, die demjenigen, der Zeit und Lust hatte, das Buch durchzusehen, gewiss vielen Spaß machten. Nicht ohne Bedeutung aber war es, in diesen verschiedenen Herzensergüssen den Zeitströmungen zu folgen, wie sie in den letzten Jahren sich gestalteten. Da wechselte sehnsüchtiges Hoffen, freudiges Ergreifen und wehmütiges Erinnern, wie nun eben die Zeit Gedanken weckte. Auch verliebte Seufzer, lustige Gedanken und allerlei Schwänke kamen zu Tage. Stürmte Bruder Studio seinen Jubel dithyrambisch aus, so versuchte der Schüler seine Verslein und selbst der schlichte Alltagsmensch, den eine fabelhaft billige Wasserextrafahrt auf einen oder zwei Tage vom Ofen, der Werkbank und dem Bierkruge hinweglockte und hierher verschlug, schwang sich einmal auf den Pegasus und krähte darauf wie das Hähnlein, das sich zum ersten Male erkühnte, den Gipfel seines Hausdachs zu erfliegen, ein lustiges Stücklein. Leider ist dies interessante Buch bei der am 7. Oktober 1862 in Koserow wütenden Feuersbrunst, bei welcher auch der „Gasthof zum Streckelberge“ in Schutt und Asche gelegt wurde, verloren gegangen. Vor Kurzem nun hat Herr Beyer ein neues Stammbuch angelegt, das aber nicht auf dem Streckelberge, sondern in seinem Gasthose, zu Jedermanns Ansicht und freundlicher Benutzung ausliegt.

Der Streckelberg und überhaupt die Strandberge vom Streckelberg bis nach Heringsdorf liegen in Abbruch, und zwar nicht unbedeutend. In stetem Kampfe mit Sturm und Meereswellen büßt dieser mannhafte Berg von Jahr zu Jahr an seinem Umfange ein. Da indes seine Basis, von ansehnlichem Breite ist und seine Wand aus Tonschichten mit Steinen untermischt besteht, so ist er mehr widerstandsfähig als die andern Strandberge. Die ziemlich starken Küstenströmungen nehmen den abgespülten Sand von Osten wie von Westen bis, in die Bucht von Swinemünde und lassen ihn dort fallen, daher die bedeutende Zunahme des Strandes bei Swinemünde und die Bildung der im Westen der Rhede liegenden Sandbank. Durch diesen sichtbaren Landverlust war vor etwa 20 Jahren die Bake dem drohenden Herabsturz in die See aus 8 Fuß nahe gekommen; sie wurde in Folge dessen mehr denn 30 Fuß landeinwärts gerückt. Noch aber war kein Jahrzehnt verstrichen, als eine zweite Weiterrückung notwendig wurde; heute 1864 beträgt die Entfernung von der Bake bis zum Abhange genau 30 Fuß. So rückt denn die Ostsee, in welcher schon ganze Dörfer und Städte begraben liegen immer näher. Seit Ausgang des vorigen Jahrhunderts hat die Regierung zu verschiedenen Malen zum Schutz des Ufers Versuche mit Faschinenbedeckungen angestellt, die sich aber immer als Völlig nutz- und zwecklos erwiesen; alle Uferbefestigungen wurden fast immer in dem ersten Seesturme hinweggerissen. Seit dem Jahre 1860 befestigt man die sogenannte blaue Ecke des Streckelberges aber durch ein kostspieliges Packwerk von Steinen, Faschinen und eingerammtem starken Holzwerk, das sich zu halten und einigen Nutzen zu gewähren scheint.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts war der Streckelberg unbewaldet. Bei dieser Offenheit des Landes machten die Seewinde den Sand des Berges flüchtig und treibend und überschütteten damit die Feldmark von Koserow und Loddin. Gleich einem rauchenden Vulkan trieb der Wind den Sand in die Höhe und jagte ihn eine halbe Meile weit, bis ins Achterwasser. Oft waren die daselbst liegenden Boote zolldick mit Sand bedeckt, wenn der Wind dahin stand. In den Jahren 1818 und 1819 begann Man mit der Bedeckung und Bepflanzung des Streckelberges auf seiner Kuppe und der Landseite. Mit nicht geringen Schwierigkeiten wurde diese Arbeit unter der Leitung des sachkundigen Dünenplanteurs Schrödter zu Pudagla glücklich ausgeführt. Früher schon soll der Berg bewaldet gewesen, aber während des nordischen und 7jährigen Krieges entholzt worden sein. Jetzt wurzeln in dem Flugsand auf seinem Plateau Kiefern und Kriechweiden. Erstere haben außer dem Windbruch vornehmlich von dem aufgewirbelten Sand zu leiden, welcher sich auf die Nadeln der Bäume, also auf ihre Atmungswerkzeuge setzt. Auf dem in die Fugen der Rinde gepeitschten Sand bildet sich sehr bald Moos, das in kurzem den ganzen Stamm überkleidet und den Baum vollends tötet. Ist die vordere Reihe abgestorben, so kommt die nächste in den Kampf, um ebenfalls zu erliegen, und fast unmöglich ist es, diesen Verheerungen Einhalt zu tun. Die Kriechweide aber grünt und wurzelt, auch wenn sie vom Sande beschüttet wird, fort, ist daher ein schätzbares Befestigungsmittel des Flugsandes.

Dass auch die Sage den Streckelberg mit in ihr Reich gezogen, ist in Pommern, dem so sagenreichen, kein Wunder. Die Inselbewohner behandeln diesen Stoff aber gewöhnlich mit einer geheimnisvollen Scheu und müssen mit einem Fremden schon auf ziemlich vertrautem Fuße stehen, bevor sie mit einer sachbezüglichen Erzählung herausrücken. So was zu besprechen, hat seine Gefahren und gehört zu den Geheimnissen des Herdfeuers. Ich lasse daher nur eine der Streckelbergsagen, wie ich sie unter den Badegästen in Koserow habe erzählen hören, folgen.

Die Gnomen des Streckelberges.

Oberhalb des Dorfes Koserow aus Usedom erhebt sich am Strande des Meeres der Streckelberg. In diesem halten sich viele unterirdische Erdgeister auf, von den Leuten gewöhnlich Zwerge genannt, Es gibt deren drei verschiedene Arten, weiße, braune und schwarze, die weißen und braunen sind gut und dem Menschen freundlich, während die schwarzen Tausendkünstler und voller Trug und Schalkheit sind. Alle halten sich im Berge auf und kommen nur kurze Zeit im Jahre auf die Oberwelt. Die Koserower Fischer und Badegäste, welche sie zuweilen gesehen, erzählen sich absonderliche Geschichten von ihnen, wie sie gegen diesen wohlwollend, gegen jenen schabernäckisch gehandelt.

Vor noch nicht vielen Jahren sah ein fremder junger Mann, der sich als Badegast in Koserow aufhielt, einen dieser Zwerge. Es war ein recht warmer Tag, als er sich nach genommenem Bade am Streckelberg unter dem grünen Blätterhimmel schöner Buchen im Moose auf seinen Plaid [Wolldecke] ein wenig hinstreckte. Kaum aber hatte er sich niedergesetzt, als sich im Walde von ungefähr ein kleines weißhaariges Männlein zu ihm gesellte, das ihm Folgendes anvertraute:

An einem kühlen Abend vor so und so vielen Jahren — erzählte das kleine Männchen — waren sämmtliche Fliegen, Mücken und andere Störenfriede auffallend früh zu Bett gegangen, so dass die ganze Gnomenschaar nichts Besseres zu tun hatte, als einmal die Köpfe hinauszustecken und sich von oben herab die Gegend zu beschauen, was sie seit Jahrhunderten nicht getan hatten. Sie wussten selber nicht, wie es kam, alle ihre Blicke ruhten auf dem freundlich lieben Dörfchen da unten am Fuße des Berges. Urplötzlich kannten sie den Grund ihrer ungewöhnlichen Teilnahme für den Ort. Es war ihnen nicht unbekannt geblieben, wie vielen harten Schicksalsschlägen und Prüfungen das Örtchen ausgesetzt war, sie meinten, ein böser Berggeist, der drüben auf Rügen hauste, habe all' dies Leid über das Dorf gebracht. Tiefes Mitgefühl regte sich im Herzen der Gnomen, sie beschlossen, das freundlich liebe Dörfchen mit seiner wirklich schönen Lage berühmt zu machen, sie beschlossen es Alle gegen einige wenige Stimmen, welche den verdrießlichen, schwarzen, bösen Gnomen angehörten; sie tanzten vor Freude und führten ihren Plan aus. Zunächst zerstreuten sie sich in alle Winde und setzten sich an verschiedenen Orten fest; an jedem Haltepunkt mussten sich die Einzelnen als Alp den Menschen auf die Brust setzen und so tüchtig drücken, dass den armen Geplagten die Luft verging und sie alle in ihrer Herzensangst zu dem berühmtesten Arzt hinliefen. Diesem nun zauberten die Berggeister im Traume das schöne Koserow mit seinen Umgebungen vor, sie ließen ihn die erquickende frische Seeluft atmen, die dort weht, dass sich seine Lungen dehnten und er beschloß, allen Leidenden nur ein Rezept zu verschreiben: Koserow. Nun kamen aber Leute von allen Wegenden zu dem berühmten Arzt, und Alle, die er nach Koserow sendete, bezauberten die kleinen Gnomen vom Streckelberge, Alle waren entzückt von der Gegend, von dem Einfluss der Luft, dem kräftigen Wellenschlag der See und wovon sonst noch; dann aber machten die Gnomen auch die Koserower Einwohner speculativ, sie errichteten Badezellen am Strande, legten Spaziergänge an und machten ihren Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich: Koserow wurde weiter hinaus bekannt und immer stärker frequentiert. Ganz besonders ist dies dem Umstande zuzuschreiben, dass die Gnomen in Rapport mit ihren Brüdern, den Gnomen der Erdwälle von Anklam, getreten sind, denn seinen Hauptruf verdankt der Ort den Anklamer Ärzten und dem Anklamer Publikum, das immer und immer wieder zu dem Bade zurückkehrt, wie viel es auch daran auszusetzen hat. Auch sind jetzt die Gnomen mit ihren Kollegen des Kreuz- und Windmühlenberges in Verbindung getreten, welche herniederschauen auf die gesegnete Hauptstadt des preußischen Staates, auf Berlin.

So erzählte das graue Männlein jenem Badegaste. Als dieser nun erwiderte, dass doch Vieles noch recht mangelhaft in dem Bade sei und man sich wundern müsse, dass die Gnomen auf halbem Wege stehen geblieben und nichts weiter für das Emporkommen des Ortes täten, da erwiderte das graue Männlein, sie hätten das Möglichste getan, weiter reiche ihre Macht nicht das Übrige müssten die Leute in Koserow machen, und überdies seien die schwarzen Gnomen, welche gegen den Aufschwung und die Berühmtheit des Ortes gestimmt hätten, sehr ergrimmt und hemmten sein Emporkommen. Bald verbänden sie sich mit dem Neptun des Meeres und zerstörten die Badeanstalt, bald hängten sie sich wie ein Bleigewicht an die Rührigkeit der Einwohner, bald beschränkten sie den Gesichtskreis der Leute, welche mit den Einrichtungen und Verwaltungen des Seebades betraut wären, bald verderben sie das Essen. — Das Essen! rief der Kurgast dem grauen Männlein zu, entsetzlicher Gedanke, das Essen! wovon sprichst Du mir, Du selbst bist gewiss der dissertierende Gnom, der Kobold, der die Hindernisse aufschüttet auf das paradiesische Leben hier, gestehe! rief er und wollte das graue Männlein ergreifen, — doch fort war es, verschwunden unter seinen Händen.

Noch stand ich oben, schweigend in die See schauend, wie sich die Wellen in der Ferne bäumten, stolz heranstürmten und sich dann wie aufs Haupt geschlagen senkten und ermattet zurücksielen. Der Wellenschlag war heute sehr einladend zum Baden: ich wäre das steile Sandufer hinabgelaufen, wenn ich nicht befürchtet hätte, dass dies polizeiwidrig sein möchte. Den Weg, welchen ich genommen, und der sich unten im Walde links nach dem Bade schwenkte, wollte ich nicht gehen, sondern schlug den nächsten, wenn auch schlecht gebahnten, längs des Ufers im Kieferwalde gehenden Steig nach dem Strande ein. Die am Ende desselben von Brettern und Holzpfählen erbaute Treppe führte mich das abschüssige Strandufer hinab.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Seebad Koserow auf Usedom
Ostseebda Koserow, Abstieg zum Strand

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Ostseebad Koserow, Damenbad

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Osteebad Koserow auf Usedom

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Ostseebad Koserow, Fischerhütten

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00 Ostseebad Koserow, Packhütten

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Ostseebad Koserow, Blick auf den Streckelberg

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Badenixe 1930

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