Das Seebad

Beschaffenheit des Strandufers. – Bestandteile des Ostseewassers. – Die spezifischen Wirkungen des Bades durch Temperatur, Druck und Wellenschlag des Wassers. – Warnung vor Missbrauch der Seebäder. – Die Luftbäder. – Badediät. – Der Badeapparat. – Badeszenen. – Kosten des Bades. – Sage von der Bernsteinjungfrau im hohen Stein.

Der Weg von der Treppe nach dem Herrenbade geht rechts, nach dem Damenbade links am Strande entlang. Das Gestade senkt sich allmählich ins Meer und ist dabei hart und fest wie eine Tenne. In geringer Entfernung vom Strande und mit demselben gleichlaufend zieht sich eine Sandbank mit sehr geringer Wasserfläche hin, auf welche in größerer Entfernung eine ähnliche mehr unterbrochene, zuweilen selbst noch eine dritte Bank folgt. Diese Sandbänke heißen Riffe. Sie werden von Weitem daran erkannt, dass sich wegen der geringen Wassertiefe die Meereswogen mit Ungestüm über ihnen brechen und die Küste mit einem glänzend weißen Schaumkranze umgürten. Der Boden ist aus grobkörnigem Sande gebildet, und man kann, beim Baden sich ihm sorglos anvertrauen und nackten Fußes, ohne Furcht die Sohlen zu verletzen, sicher darauf umherwandeln.


Würde der Strand von groben Kieselsteinen bedeckt oder mit faulenden Tangmassen verunreinigt sein, wie man ihn in manchen andern Badeorten findet, so würde sich schwerlich die von Zeit zu Zeit im Wachsen begriffene Zahl von Badegästen vermehren.

Ein Remedium [Heilmittel] von mehr ausgebreiteter und weltumfassenderer Wirksamkeit als das Seebad, von Ärzten und Laien gleich hoch geschätzt, dürfte wohl nicht aufzufinden sein; mit Recht kann man es daher wohl die größte aller Heilquellen nennen, und in dem allgemein anerkannten Rufe desselben liegt der Grund, dass namentlich in dem nördlichen Deutschland mit jedem Frühjahre neue Seebäder errichtet werden. Reines Wasser enthält bekanntlich bloß die beiden Elementarstoffe Sauerstoff und Wasserstoff, ein Volumen vom ersteren und zwei vom letzteren, chemisch verbunden. Reines Wasser ist geschmacklos, indem es aber in der Natur mit einer großen Anzahl von Stoffen in Berührung kommt, die in ihm auflöslich sind, sich in ihm auslaugen und ihm beimischen, so erhält es durch diese mancherlei besondere Geschmäcke und Eigenschaften. Das Meerwasser enthält außer den Bestandteilen des reinen Wassers auch noch Salze und andere organische aufgelöste Stoffe, ist daher der allgemeine Repräsentant der Mineralwässer. Eine vor zirka 30 Jahren von dem bereits verstorbenen Herrn Geheimrat Hermbstädt vorgenommene chemische Analyse des Ostseewassers hat ergeben, dass 5 Pfund Seewasser, von der Oberfläche geschöpft, durch Verdunstung zur Trockene geliefert haben:

Trockene Salzmasse: 502 Gran*)
Wässrigkeit: 37,898
38,400 Gran = 5 Pfund = 80 Unzen.

Jene 502 Gran Salzmasse haben an Bestandteilen geliefert:
363,588 Gran Salzsaures Natrum,
117,500 Gran Salzsaure Talkerde.
16,105 Gran Schwefelsauren Kalk,
2,807 Gran Schweselsaure Talkerde,
0,750 Gran Extraktivstoff,
500.750 Gran.
1,250 Gran Verlust.
502,000 Gran


*) = 2 11/120 Loth; 100 Gran sind 5 Scrupel oder 5/12 Loth, und 1 Unze ist 2 Loth.

Bei Hautkrankheiten übt der Salzgehalt des Seewassers oft die heilkräftigsten, wohltätigsten Wirkungen aus, indem er die Haut abhärtet, ihre Tätigkeit kräftig anregt, krankhafte Reizungen mildert und verhärtete Drüsen erweicht und auflöst. Zuweilen ruft das salzige Seewasser bei Personen sehr reizbarer Haut das sogenannte Badefrießel, eine durch ihr Jucken etwas lästige, sonst aber unbedeutende und in ihren Folgen sehr heilsame Krankheit, hervor. Dass sonst aber von dem besondern Inhalte des Badewassers so gut als nichts in den Körper gelangt und dass derselbe direkt nur die Haut trifft, darüber ist die Wissenschaft längst im Klaren.

Eine größere heilkräftige Wirkung als die mineralischen Bestandteile des Seewassers üben die Erschütterungen durch die Wellen, der Druck des Wassers und seine Temperatur auf den Körper des Badenden aus. Diese Momente setzen nämlich den ganzen Organismus in eine erhöhte, normwidrige Erregung aller Organe der Ernährungs- und Empfindungssphäre. Solche Erregungen haben oft die wohltätigsten Folgen auf den kranken Organismus. Die meisten Krankheiten nämlich entstehen dadurch, dass eins oder mehrere Organe der Ernährungssphäre in ihren Funktionsleistungen hinter der Norm zurückbleiben, oder sie überschreiten. Diese Unterlassungs- oder Überschreitungssünden addieren sich mit der Zeit zu empfindlichen Summen mit vom Gepräge eines bestimmten Krankheitscharakters. Insofern nun die ungewohnte, oft und anhaltend wiederholte Erregung des Ernährungs- und Empfindungssystems nicht selten die sündigenden Organe wieder auf ihre normale Tätigkeit zurückführt, die entstandenen Fehlersummen tilgt und damit die Gesundheit wieder erlangt wird, ist das Baden als ein kräftiges allgemeines Heilmittel bei einer großen Anzahl von Krankheiten erkannt worden. Nichts fördert die Reinigung des Körpers von unbrauchbaren, durch ihre widernatürliche Anhäufung im Blute sogar gefahrbringenden Stoffen (Organenschlacken) mehr, als das Baden, verbunden mit zweckmäßiger Bewegung in reiner Luft, passender Kost und erquickender Ruhe (des Geistes, Gemütes und Körpers), Durch die Entfernung jener Gewebsschlacken aus den Organen und dem Blute, die sich in Folge der Lebenstätigkeiten durch Abnutzen der tätigen Organe bilden, kann sich sodann das gereinigte Blut bei Aufnahme passender Nahrungsstoffe und hinreichender Lebenslust recht ordentlich mit dem Neubau (der Verjüngung) der Körpergebilde beschäftigen, vorausgesetzt natürlich, dass man seinen Lauf durch alle Teile des Körpers nicht nur nicht erschwert, sondern so viel als möglich fördert. Man könnte das Baden, die absichtliche Hervorrufung von Erregungen zu Heilungen von Krankheiten oder zur Verhütung solcher, das Turnen des Ernährungs- und Empfindungssystems nennen, wie dasselbe gemeinhin auf eine erhöhte Tätigkeit des Bewegungssystems gerichtet ist. Temperatur und Druck des Meerwassers, sowie der Wellenschlag, als die beim Baden wirksamsten Turnmittel, machen eine kurze Besprechung nötig.

Die Temperatur der Ostsee pflegt von der Mitte des Monats Juni bis gegen das Ende des September zwischen 10 und 20 Grad Réaumur zu haben, meistenteils 14 bis 16 Grad. Wenn nun der Körper, der eine Temperatur von 30 Grad hat, plötzlich in dies Medium von beträchtlich niedrigerer Temperatur kommt, so werden alle seine procentischen Verhältnisse normwidrig abgeändert. Die Kälte übt einen scharfen Reiz auf die Nerven aus, veranlasst ein plötzliches Zusammenziehen der Gefäße der äußeren Körperiheile und einen stärkeren Blut» andrang nach den inneren; die Thätigkeit der Lunge, Assimilationsorgane und Nerven wird mit einem Male lebhafter und intensiver. Man atmet im Bade rascher, verdaut geschwinder und bewegt sich schneller! nicht der Kälte allein ist diese Erregung und Beschleunigung der Respiration zuzuschreiben, sondern auch dem Drucke des Meerwassers auf die Brust und den Körper überhaupt. — Bald aber kämpft die Temperatur des Organismus gegen den Eindruck der Kälte an und bemüht sich gegen die entstandenen Missverhältnisse zu reagieren und sie auszugleichen; die Hautgefäße dehnen sich wieder aus, der Blutandrang nach dem Herzen lässt nach, die Empfindung der Kälte hört auf, der Körper entwickelt Wärme, die Haut rötet sich und es tritt ein Gefühl von Behaglichkeit und Erfrischung ein. Diese angenehme Empfindung dauert aber so lange, als der Körper mittelst seiner Reaktionskraft den errungenen Sieg zu halten vermag. Dass bei verschiedenen Menschen auch die Reaktionskraft verschieden sein muss, ist selbstverständlich. Wenn ein gesunder Mensch eine viertel, ja eine halbe Stunde ohne nachteilige Folgen im Wasser verweilen kann, wird einem Nervenkranken mit geringer Reaktionskraft schon der Aufenthalt von drei bis fünf Minuten in der See nachteilig. Der tägliche Gebrauch des Seebades auf eine, ja nur auf eine halbe Minute tut oft da Wunder, wo der Gebrauch desselben auf fünf Minuten krank macht.

Die Dauer des Bades richtet sich ganz nach der Wärme des Wassers und nach der Leibesbeschaffenheit und Bewegung des Badenden. Die einzige allgemein gültige Regel dafür ist, so lange im Wasser zu bleiben, als man sich behaglich und wohl darin befindet, es hingegen gleich zu verlassen, wenn man ein Frösteln verspürt. Drei bis fünf Minuten sind für die krästigsten Individuen ausreichend.

Der Wellenschlag, der Heros des Seebades, verleiht diesem natürlichen Heil- und Stärkungsmittel die ausgezeichnetste Wirkung. Die Erfahrung hat gelehrt, dass die, freilich von der Laune des Windes abhängige Bewegung der unermesslichen Wassermasse, der Wellenschlag in der Brandung, auf den Organismus den eigentümlichsten, vorteilhaftesten Einfluss, das Gefühl der Neubelebung und Verjüngung, hervorruft. Ein Seebad ohne Wellenschlag ist nur ein halbes zu nennen, darin stimmen Alle überein, die jemals dies eigentümliche Vergnügen genossen. Wer aus Erfahrung diese angenehme Empfindung nicht kennt, kann sich auch keine Vorstellung davon machen: einer Schilderung ist es nicht fähig. Je tobender die See, je reißender und rascher aufeinander folgend die hohen spritzenden Wellen beim Bade waren, desto gestärkter fühlt sich, wer sich mutig dem aufgeregten Elemente hingab. Die beste und bei den alten Praktikern beliebteste Stellung einer ankommenden Welle gegenüber ist die, dass man ihr den Rücken zukehrt, sich etwas bückt, die Hände auf die Knie stemmt und so den Schlag der Welle auf den Körperteil fallen lässt der für Schläge einmal bestimmt zu sein scheint. Die Woge stürzt dann wie ein brausender Wasserfall über den Kopf weg, und man kommt auf der andern Seite unversehrt wieder zum Vorschein. Unter Umständen geschieht es zuweilen, das man plötzlich von einer mannshohen Welle überfallen, zu Boden geworfen und mit den Beinen in der Luft an den Strand geworfen wird. Glücklicherweise macht der weiche Sandgrund eine solche Fahrt weniger unangenehm, als dies auf steinigem Boden der Fall sein würde. Man kriecht nun mit geschlossenen Augen auf allen Vieren ein Stück landeinwärts, um erst wieder auf die Beine zu kommen und dann von neuem den Wellen entgegen zu gehen. Mancher dürfte glauben, dass so ein Bad bei Wellenschlag mehr angreife, mehr ermüde, als das Bad bei ruhiger See. Aber gerade das Gegenteil lehrt die Erfahrung. Nie fühlen sich sonst schwächliche Menschen kräftiger, als nach solch einem Kampfe mit der tobenden See.

An Tagen kräftigen Wellenschlages finden sich nicht selten Leute unter den Badegästen, die von einem Missbrauche des Vergnügens, von dem zu langen Verweilen in der See und der zu häufigen Wiederholung des Badens, kaum abzuhalten sind. Wenn von den Seebadeärzten zur ordentlichen Absolvierung einer Badekur gewöhnlich 40 bis 60 Bäder gerechnet werden, denn viel weniger Bäder können den Absichten eines Gesunden oder Kranken, der seinen Zweck, nämlich die Kräftigung oder Wieder-Herstellung seiner Gesundheit erreichen will, nicht helfen, so lassen sich diese doch nicht in zu rascher Aufeinanderfolge und möglichst kurzer Zeit als eine Aufgabe abarbeiten. Wenigstens gehört ein sechswöchentlicher Aufenthalt im Seebadeorte dazu. Das Vorurteil sehr vieler Badegäste, dass sie ihren Zweek dadurch am besten zu erreichen meinen, wenn sie nur recht viele Bäder nehmen, ohne Rücksicht auf die Zeit, in welcher, und die Lebensweise, bei welcher sie baden (man könnte diesem Eifer den Namen: die Badewut geben), bedarf sehr ernstlicher Rüge. Der Gebrauch des Seebades fordert von dem Körper einen Kampf, welcher Anstrengung kostet, wenn der Körper Sieger bleiben soll; mäßige Anstrengung der Kräfte stärkt diese, unmäßige und zu häufige erschöpft sie.

Die Erfahrungen vieler Ärzte und Laien, die mit sich selbst und den organischen Vorgängen ihres Körpers vollkommen im Klaren waren, lehren, dass das Seebad um so kräftiger wirkte, wenn es von Zeit zu Zeit einen oder zwei Tage ausgesetzt bleibt. Man bade daher im Allgemeinen täglich nur ein mal, setze das Bad auch zuweilen aus, wenigstens dann, wenn Unlust dazu, Indigestionen u. s. w. davon abraten.

Ob das Bad heilsam und zuträglich war, kann man gleich nach dem Bade merken. Verbreitet sich nämlich nach dem Bade, nachdem man sich abgetrocknet und das Hemd übergeworfen hat, eine angenehme Wärme über den ganzen Körper, empfindet man eine Behaglichkeit und Erfrischung, so war das Bad heilsam und gesund; empfindet man aber Frost, Übelbehagen, Kopfweh, so hat man beim Baden einen Fehler begangen, indem man entweder mit erhitztem Körper in das Wasser gegangen, Schläfe und Brust vor dem Bade nicht gehörig annetzte oder zu lange im Wasser verblieb; oder es liegt endlich die Ursache in der Schwäche oder Kränklichkeit des Körpers selbst.

Nicht selten ziehen sich Badende auch dadurch ein Kopfweh zu, dass sie den Kopf nicht durch Untertauchen und Übergießen nass machten. Die Befürchtungen einiger Damen, dass das Seewasser der Schönheit des Haares Eintrag tun möchte, sind grundlos. Der Schaden, welchen es anrichtet, reduziert sich auf eine Verminderung der Fettigkeit und Geschmeidigkeit des Haares, sonst aber greift es dasselbe nicht an. Die Anwendung guter Haaröle und Pomaden gibt dem Haare seinen Glanz und seine Geschmeidigkeit wieder. Die Unannehmlichkeiten, die sonst das Nasswerden des Haares für Damen hat, sind unbedeutender als sie zu sein scheinen. Mit groben Handtüchern und Löschpapier gut abgerieben, trocknet das Haar sehr bald und fügt sich dann leicht dem ordnenden Finger. Der ländliche, ungezwungene Umgang, wie er sich in Koserow kundgibt, lässt auch die Damen von hohem Stande, mit einem Hute auf den Kopf, unter dem hinten das Haar weit über die Schultern herabhängt, vom Bade zurückkehren. Niemand findet etwas Unpassendes oder Anstößiges darin.

In den Luftbädern besitzen wir einen Schatz von Heilmitteln, der bisher so gut als gar nicht mit Bewusstsein in Gebrauch gezogen worden ist; wie mächtig und wie verschieden aber die Erregungen sind, die hier als Heilmittel zur Anwendung kommen können, begreift Jeder, der von dem Einfluss der Atmosphäre auf das organische Leben der gesamten organischen Natur eine klare Vorstellung hat, wenn er sich in der einzuatmenden Luft den Sauerstoff vermehrt oder vermindert oder die einzuatmende Luft komprimiert oder expandiert denkt.

Gute, reine Luft ist zum Gesund- und Krästig-Sein und Werden unentbehrlich. Die Seeluft erregt ein höchst behagliches Gefühl über den ganzen Körper, in ihr atmet man leichter und fühlt sich durch sie wunderbar gekräftigt. Tausende flüchten alljährlich während des Sommers nach der See, weniger wegen des Bades, als wegen der stets fächelnden, kühlenden und stärkenden Seeluft. Sie ist als ein wichtiges Kurmittel für manche Arten der Lungentuberkulose erkannt und mit den besten Erfolgen gebraucht worden. Bei einer Atmungskur geschehe das Einatmen behutsam (nicht eilig und gewaltsam) und werde durch Übung allmälig immer tiefer; die eingeatmete reine Luft werde so lange, als es ohne Anstrengung und Beschwerden möglich ist, in den Lungen zurückbehalten und dann ganz langsam wieder ausgeatmet. Alles, was das Atmen sehr beschleunigt und Herzklopfen veranlasst, schadet. Die Kräftigung dieser Kur wird natürlich am besten durch gute nahrhafte Kost besorgt.

So wie sich die Seebäder Koserows durch kräftigen Wellenschlag vor allen andern Badeörtern an der baltischen Küste, in ihrer Lage an der Spitze des Streckelberges, auszeichnen, zeichnen sich auch seine Luftbäder wegen der eigentümlichen insularischen Lage des Ortes, auf der schmalen Landenge zwischen dem 1 ¾ Q.-M. großen Achterwasser und der Ostsee, vorteilhaft aus. Das Festland liegtl dem Orte zu fern, als dass die dort häufig sich findenden irrespirablen Gasarten hierher dringen sollten. Die schädlichen Beimischungen der Luft, wie sie sich in großen Städten finden, die schwachen und kranken Lungen lästig und verderblich sind, fehlen; auch von Staub wird man nicht belästigt, denn der Strand ist kieselig und fest.- Besonders rein ist die Seeluft nach einem Sturme, bei welchem die untere Schicht der Atmosphäre durch und durch mit der Oberfläche der See sich vermischt hat. Ein Spaziergang am Strande pflegt ebenso wie das Seebad den Appetit auf unglaubliche Weise anzuregen und die Verdauungswerkzeuge zu stärken. Manche Erholungsbadende pflegen deshalb, um den anwandelnden Appetit sogleich zu stillen, stets etwas Eßssware: Semmel, ein Würstchen, eine Tafel Schokolade etc. bei sich zu führen; andere ein kleines Fläschchen mit geistigem Getränk, wie Wein, Boonekamp etc., um nach genommenem Bade, teils gegen ein Frösteln, teils gegen anwandelnde Schwäche davon zu trinken. Des Sprichworts: „Die See zehrt,“ womit der gemeine Küstenbewohner seinen Appetit, andern gegenüber, zu rechtfertigen sucht, pflegt sich auch der Badegast zu gleichem Zwecke zu bedienen.

Einer besonderen Diät bedarf es während der Badekur nicht, außer dass man konsequent alles das tut und lässt, was sonst sein Zustand verlangt oder vermieden wissen will. Versteht man unter Diät die ganze Summe von Pflichten, die zur Erhaltung, der Gesundheit oder zur Wiedererlangung derselben ausgeübt werden müssen, so ist die Ausübung derselben in den meisten Villen, allein schon ausreichend, das große Heer der Krankheiten aus dem Felde zu schlagen oder fern zu halten. Die Diät umfasst nicht bloß die Wahl der Nahrungsmittel und Getränke in Qualität und Quantität, sondern auch die Wahl der Kleidung zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten und der Temperatur, der Wohnung, die Reinlichkeitspflege, die Bewegung, die Gemütsstimmung, Verbote der Laster und Ausschweifungen etc. Unter ihr ist ein Gegenstand begriffen, dessen genaue Erörterung schon zu einem umfangreichen Werke führen würde, was hier nicht in unserer Absicht liegt.

Vor allen Dingen ist bei einer Kur, die außer dem Hause geschieht, eine behagliche Gemütsruhe das wichtigste Erfordernis. Alle Arten von Grillen und Sorgen, Wehen und Suchten sind bei Badekuren dem Mauserungs- und Verjüngungsprozesse innerhalb unseres Körpers hindernd. Ja, fast stets werden Badekuren erfolglos oder sogar schlecht ablaufen, sobald dabei Etwas getan wird, was jenen Prozessen störend in den Weg tritt. Sollen Badereisen für Gesundheit und Vernichtung von Krankheitsanlagen wirksamen Nutzen schaffen, dann mache man sich von Sorgen und Grillen, Wehen und Suchten frei. Immer bewahre man seine Gemütsruhe, was auch vorfällt, beim Erdulden wie beim Ausführen. Man verliere nicht den Gleichmut, wenn nicht Alles so klappt und stimmt, wie man es vielleicht im Voraus berechnet oder gewünscht hatte, oder wie man es zu Hause gewohnt war. Man bleibe bei guter Laune, wenn Wetter und Wind, Menschen und Tiere etc. unseren Plänen nicht entsprechen. Wer über Alles nörgelt, sich über die kleinsten Hindernisse ereifert, dem nützt eine Badekur nichts, und er täte besser, wenn er zu Hause bliebe.

Da das Baden vorzüglich in den Morgenstunden stattfindet, wo es kühler ist als in den späteren Tagesstunden, so versehe man sich mit Kleidern, die nach Umständen an- und abgelegt werden können. Nach Sonnenuntergang pflegt an allen Orten in der Nähe der See die Luft viel Feuchtigkeit zu enthalten und bei leichter Kleidung nicht selten zu Erkältungen zu führen. Man führe daher außer dünnen Sommerkleidern auch dickere und einige Paar Wollstrümpfe bei sich.

Bei den Promenaden erhitze man sich nicht, da das Schwitzen während der Seebadekur aus sanitätischen Rücksichten möglichst zu vermeiden ist.

In Bezug auf zu genießende Speisen halte man sich an nahrhafte Stoffe und genieße nicht weniger als zum Bestehen erforderlich und der Appetit verlangt. Nirgends kann ein verwöhnter Magen leichter an derbe Kost gewöhnt werden, als während der Seebadekur. Schon nach kurzem Aufenthalte im Bade pflegen Leute, denen zu Hause der mäßigste Genuss der leichtesten Speisen Verdauungsbeschwerden bereitete, eine tüchtige Portion gewöhnlicher Kost ohne alle Nachteile vertragen zu können. Für Kraftlose ist von animalischer Kost der häufige Genuss von Milch, als des dem Blute ähnlichsten, zu empfehlen. Nach der Milch haben die Eier (natürlich Weißes und Gelbes zusammen) den meisten Nahrungswert. Fleisch wird nur dann leicht verdaut und nährt gut, wenn es saftig, zart und weich ist. Unter der vegetabilischen Kost eignen sich für Geschwächte alle süßen, saftigen, nicht holzigen, lederartigen Gemüse und Früchte.

Dass Excesse [maßlose Handlungen] in Bezug aus den Genuß geistiger Getränke und anderer sinnlichen Genüsse vermieden werden müssen, ist etwas, was sich von selbst versteht.

Wem es Bedürfnis ist, ein Mittagsschläfchen zu nehmen, der entziehe es sich während der Kräftigungskur nicht und genieße es ohne Bedenken. Die Befangenheit nicht weniger Badeärzte in dem Verbote der Mittagsruhe könnte man in vielen Fällen eine Gewissenlosigkeit ohne Gleichen nennen, da gerade die Ruhe, welche sich mit mäßigem, allmälig steigernden Tätigsein abwechselt, geschwächten Personen am ersten wieder auf die Beine hilft. Der Schaden, welchen die Mittagsruhe anrichten könnte, ist ein illusorischer. Für schwächliche, zarte Naturen pflegt während des Badens ganz besonders ein ruhiger Schlaf (Vormittags- und Nachmittagsschläfchen) stärkend und erquickend zu sein.

Nach dieser allgemeinen Vorbemerkung über das Baden schreite ich am Strande entlang, den Bade-Hütten zu. Die Badeplätze sind durch eine entsprechende Entfernung, so wie es der Anstand erheischt, getrennt, und um Unglücksfälle, die durch zu weites Hineingehen in die See entstehen könnten, zu verhüten, mit Pfählen ausgeprickt, zugleich für Schwächliche noch Stricke zum Halten angebracht. In den von Brettern errichteten, verschließbaren Badehütten, die Vormittags, während der gewöhnlichen Badestunden geöffnet stehen, kleidet man sich aus und an. Ein kleiner Sitz, Tisch und Spiegel, ein Stiefelknecht, eine Waschwanne und ein Riechel zum Aufhängen der Kleider sind das Gerät dieser kleinen Gebäude. Der Bademeister im Herrenbade und die Badefrau im Damenbade haben die Bedienung zu verrichten, die Badewäsche zu trocknen und aufzubewahren, solchen aber, die nicht damit versehen sind, Wäsche gegen eine mäßige Taxe zu vermieten. Am besten und jedenfalls am billigsten wird man dabei fortkommen, wenn man sich die Badewäsche selber hält, die aus einem weiten wollenen Bademantel und einigen groben Handtüchern besteht, deren rauhes Gewebe die wohltätige Reaktion sehr befördert. Manche erfahrene Hydropathen bringen auch große leinene Tücher mit, die nicht wenig zum Komfort des Bades beitragen. Der Bademantel, gefertigt aus grobem Flanell, ohne Ärmel, den man sich nach dem Auskleiden und wenn man aus dem Wasser kommt, überwirft, muss so weit und faltig sein, dass er vorne weit übergeschlagen werden kann. Am Halse muss er mit einem großen Knopfe, nicht mit Bändern zugemacht werden können. In Ermangelung eines Bademantels bedient man sich statt dessen auch wohl eines leinenen Lakens. Das Baden in Kleidern ist durchaus schädlich, vermindert den Wellenschlag, verhindert ein schnelles Abtrocknen und Ankleiden und gibt sehr leicht zu Erkältungen Anlass. Gewiß geschieht kein Verstoß gegen die Sittlichkeit, wenn Männer von Männern, Frauen von Frauen beim Baden, wo jeder mit sich selbst und den Wellen zu beschäftigt ist, als dass er nach Andern zu schauen Zeit und Lust hätte, Kopf und Schultern zu sehen bekommen, denn der übrige Körper ist vom Wasser bedeckt. Es hat weit mehr Annehmlichkeiten, sich frei und ungehindert in dem Ozean bewegen zu können, und die züchtigsten Frauen haben bald, nachdem sie andere Damen auf diese Weise baden sahen, keinen Anstoß darin gefunden, sich ganz entkleidet der See hinzugeben.

Ein buntes Leben und Treiben entfaltet sich in den Vormittagsstunden auf den Badeplätzen. Hier wird eine junge Anfängerin von der Badefrau in die See getragen und trotz ihres ängstlichen Hilferufens unbarmherzig geduckt. Ehe sie die Zeit hat, sich von dem verschluckten Salzwasser zu erholen und das in der Nase befindliche Wasser auszuschnaufen, kommt schon eine zweite Welle und eine dritte. Man bedaure sie nicht, denn der erste Schreck ist vielleicht überwunden, und morgen wird sie dann kaum ihre Badezeit abwarten können. Auch das erbärmlich schreiende Kind beklage man nicht, welches die Badesrau am Arm fasst und durch freundliches Zureden der salzigen See entgegenführt. Es schlägt mit Händen und Füßen um sich und will zur Mutter zurück, die am Ufer steht und von da aus die ganze wichtige Operation leitet; vergebens, denn der Arzt hat es befohlen, und die Mutter weiß, dass die Thetis ihren Achill in den Styr, tauchte, und dass dies, in schlechte Prosa übersetzt, nichts anderes bedeutet, als dass sie ihn frühzeitig im Meer badete und so zu einem rechten Helden erzog. Dort sieht man einen muntern Kreis junger Mädchen in übersprudelnder Lebenslust Nixen- und Tritonentänze aufführen oder sich gegenseitig mit Wasser bespritzen. Andere jubeln laut auf, so wie eine Welle sie mit schäumendem Gischt überschüttet, oder schlagen mit den Armen im Wasser um sich herum, als ob sie mit hundert unsichtbaren Feinden kämpsten.

Wie eine Bombe ins Wasser fallend, sieht man im Herrenbade Einzelne sich den Wellen durch einen kühnen Sprung hingeben. Hier schwimmt und taucht ein geübter Schwimmer wie eine Ente, dort schlägt Jemand Rad und peitscht mit Händen und Füßen das Wasser, gewissenhaft die Baderegel befolgend, dass man sich im Wasser rühren und regen soll. Manche laufen auf dem Riffe hastig hin, und her, jede Welle aufsuchend und ihnen den Rücken hinhaltend; andere machen gymnastische Übungen oder schießen wie Seiltänzer über die Leine, um die Aufmerksamkeit Anderer auf sich zu ziehen, aber im Meere hat jeder mit sich selbst zu, tun, keine Seele bekümmert sich um sie.

Für die Benutzung des Badeapparats und seine Bequemlichkeiten, für die Dienste des Bademeister- oder der Badefrau zahlt man an die Badekasse für ein einzelnes Bad den mäßigen Preis von 1 ½ Sgr., mit Verabreichung von Badewäsche 1 Sgr. mehr, im Abonnement auf die ganze Saison, exklusive Badewäsche. 2 Thlr. Wer also die Saison durchbaden will, welche vom 20. Juni bis zum 20. September währt, tut am vorteilhaftestenr, wenn er im Abonnement badet und seinen Betrag mit einem Male zahlt. Will indes Jemand die Badeanstalt nicht benutzen und wohlfeiler und einfacher baden, der steckt sich ein Handtuch in die Hasche, geht etwas weiter, östlich am Strande hinaus, benutzt den Strand als Toilettenzimmer und zahlt dafür – nichts.

Nach genommenem Bade erklettert man wieder den jähen Strandberg und geht im Gehölze des Streckelberges spazieren, denn einige Bewegung nach dem Bade ist zur Übung und Stärkung der Reaktionskraft unbedingt nötig. Die reine Waldluft pflegt den Blutlauf zu fördern und die Kräftigung des Körpers in auffallender Weise zu unterstützen, weil hier die Bäume, zumal bei Sonnenschein, Lebensluft (Sauerstoff) aushauchen. Bald aber pflegt der Magen bei den Meisten mit seiner Forderung, zu frühstücken, so ungestüm aufzutreten, dass man den Weg zum Dorfe einschlägt. Um dieses dringende Bedürfnis zu befriedigen, eilte ich bald der „Stadt Vineta“ zu, wo man für einen bescheidenen Preis recht gut dejeunirt, besah mir aber vorher den neben dem Herrenbade im Anschlage der Wellen liegenden Stein, woran der Volksmund die Sage von der verzauberten Bernsteinjungfrau knüpft. Ein pommerscher Skalde hat diese Sage in einem Gedicht besungen, das hier statt der Erzählung seinen Platz finden mag.


Der breite Stein beim Streckelberge.

Es geht eine dunkle Sage
Duch’s Usedomerland,
Wohl von der Bernsteinjungfrau
Im breiten Stein gebannt.

Nur alle hundert Jahre
Kommt sie daraus hervor
Und blickt mit feuchtem Auge
Zum Himmelsdom empor.

Dann steigt sie in die Ostsee,
Wohl in das Wasser klar,
Und wäscht mit ihren Händen
Das lange goldne Haar.

Dann wäscht sie auch den Nacken
Der ist, wie Schnee, so rein,
Und um ihn schlingt sich blitzend
Ein Kranz von Bernenstein.

Jüngst kam zur selben Stunde
Ein schmucker Fischersmann,
Der traf die Bernsteinjungfrau
In ihrem Bade an.

Da lächelte die Jungfrau
So wonnig, wundermild,
Er stand ganz wie bezaubert
Vor diesem schönen Bild.

Und d’rauf zur Jungfrau sprach er:
„Ich grüß Dich, holde Maid,
Du hast mich hingerissen,
Bin Dein in Ewigkeit.“

Da seufzete die Jungfrau
Und blickt kummervoll,
Und aus dem blauen Auge
Ein Strom von Tränen quoll.

„O weh mir! schöner Jüngling,
Was sprichst Du für ein Wort,
Nun muss ich wieder trauern
Einsam im Steine dort.

Ach! hättest Du gesprochen:
Gott grüß Dich, holde Maid,
So wär' ich frei gewesen
Und Dein in Ewigkeit.“

Und ihm vor seinen Augen
Verschwand die Maid so schön.
Nun wird man sie erst wieder
In hundert Jahren sehn.

O. Bock.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Seebad Koserow auf Usedom
Badenixe 1930

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