Von den Seebädern im Allgemeinen und den Eigenschaften des Meeres

Der Gebrauch der Seebäder für Kranke und Gesunde ist uralt; die großartigen und kostbaren Bade-Einrichtungen der Griechen und Römer sind von den ältesten Schriftstellern beschrieben, und noch jetzt sieht man die ausgedehnten Überreste der Bäder von Bajae. In richtiger Erkenntnis der wohltätigen durch nichts zu ersetzenden stärkenden und heilenden Wirkung des Seebades rühmte dessen Anwendung schon 357 Jahre vor Christi Geburt Aëtius. Vom Beginn der christlichen Zeitrechnung an bis zur Erfindung der Buchdruckerkunst hat man fast gar keine Nachrichten von der Anwendung der Seebäder; erst später erhoben sich einzelne Stimmen, welche die Aufmerksamkeit der Ärzte wieder auf dies große Heilmittel zu lenken bemüht waren, so Boerhave und van Swieten. Bis zur Mitte des verflossenen Jahrhunderts indessen wurden die Seebäder nur sehr selten als Heilmittel verordnet, bis endlich in England zweckmäßige Anstalten zu deren bequemeren Gebrauch errichtet wurden. Die Engländer waren es auch, die in neuerer Zeit genaue Beobachtungen über das Wesentliche der Seebäder anstellten, während vor ihnen die meisten Schriftsteller die Seebäder nur als kalte Bäder betrachteten. In Deutschland suchte zuerst Lichtenberg, nachdem er in England die größeren Badeanstalten besucht hatte, den Seebädern Eingang zu verschaffen, und durch ihn angeregt war es das Jahr 1793, in welchem Deutschland die erste Einrichtung zum Gebrauch der Seebäder entstehen sah. Am Heiligen Damm bei Doberan ließ in dem erwähnten Jahre der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin Friedrich Franz I. unter Leitung des Prof. S. G. v. Vogel die nötigen Bauten errichten, und hier lernte man in Deutschland zuerst aus eigner Erfahrung und Beobachtung den hohen Wert des Seebades kennen. In der neuesten Zeit finden Badekuren, sowohl bei Ärzten, als auch bei dem größeren Publikum, einen immer ausgedehnteren Anklang, wie es die alljährlich wachsende Anzahl der Kurgäste in den verschiedenen Bädern und das Entstehen neuer Etablissements beweisen. Es wird nicht ohne Interesse sein, hier dem Leser die älteren und daher bekannteren Bäder der Nord- und Ostsee in Deutschland nebst dem Jahre der Gründung aufzuzählen:

Doberan 1793,
Norderney 1797,
Travemünde 1800,
Colberg 1802,
Wangeroog 1804,
Appenrade 1813,
Rügenwalde 1815,
Cuxhaven 1816,
Putbus 1816,
Wyk auf Föhr 1819,
Ragast 1820,
Zoppot 1821,
Warnemünde 1822,
Kiel 1822,
Swinemünde 1825,
Helgoland 1826.


Das Baltische Meer, mare Balticum, die Ostsee, hat einen Umfang von etwa 7.000 Quadratmeilen, ist circa 200 deutsche Meilen lang und 24—48 Meilen breit; durch den Sund und die Belte steht sie mit dem großen Weltmeere in Verbindung.

Das Seewasser erhält vorzüglich durch seinen Gehalt an Kochsalz die Heilkraft; doch auch noch andere Bestandteile müssen hier berücksichtigt werden, indem eine Menge Fossilien im Meerwasser ausgelaugt und ebenso tierische Stoffe darin aufgelöst werden. Ebenso wenig ist zu vergessen, dass auf dem Meeresgrunde Mineralquellen sich vorfinden, welche zur allgemeinen Mischung beitragen. Der überwiegende Bestandteil im Meereswasser nächst dem Kochsalz ist eine Verbindung von jodhaltigen Chlormetallen mit einigen Sulphaten.

Jedes Pfund des Wassers enthält nach den Versuchen, welche von Link an den Ufern der Ostsee und des Atlantischen Meeres angestellt worden sind, 125 bis 300 Gran fester oder salziger Bestandteile, woraus sich ergibt, dass in der Kubik-Meile Meerwasser über 200 Billionen Pfund Salze enthalten sind; auch ist dieses Mischungsverhältnis auf allen Teilen der Erde in verhältnismäßig unbedeutender Abweichung ziemlich gleichmäßig. Früher wurde angenommen, dass der Salzgehalt des Meeres mit seiner Tiefe zunehme; doch haben neuere Wägungen von Marzet und Irwing bewiesen, dass das Gewicht des Seewassers bis zu 4.000 Zoll Tiefe nicht merklich zunimmt. Der beträchtliche Salzgehalt bedingt jedoch nicht allein die heilkräftige Wirkung des Seewassers, vielmehr kommen hier noch andere wichtige Momente in Betracht. Der Gehalt an Jod namentlich, eben so noch der Gehalt an Brom, welche beide in den verschiedenen Tangarten enthalten sind, und an den Küsten durch ihre Zersetzung der Atmosphäre eine charakteristische, durch die Sinne sehr deutlich wahrnehmbare Eigenschaft mittheilen; man riecht das Meer schon eine bedeutende Strecke vom Strande, zumal da, wo viel Tang angeschwemmt wird. Das Seewasser ist schwerer als das Quellwasser und sein spezifisches Gewicht wird desto grösser, je mehr feste Teile es enthält. Zwischen dem 15. und 25. Breitegrade beträgt das spezifische Gewicht 1.0282 und nimmt mit dem Gehalt an Salzen ab. In größerer Menge als alle andere Bestandteile des Meerwassers finden wir jedoch überall das Kochsalz, Chlorcalcium und Bittersalz.

Von großer Bedeutung für die Heilwirkung des Meerwassers ist der mechanisch-dynamische Moment, das bewegte Meer, der sogenannte Wellenschlag.

Die Oberfläche des Meeres, der Spiegel, welcher gewöhnlich für gleich gehalten wird bei den verschiedenen Meeren, bietet dennoch große Verschiedenheiten dar. So ist auch der Spiegel der Ostsee etwa um 8 Fuß höher als der der Nordsee, wofür wir den Grund darin finden, dass die große Wassermenge, welche aus den weiten sie umgebenden Ländergebieten einströmt, nicht schnell durch den schmalen Weg des Sundes und des großen und kleinen Belt hindurch dringen kann. Der Meeresgrund ist uneben, und wäre es möglich, von irgend einem Meere die Wasser abfließen zu machen, wir würden Berge und Täler mit Ebenen, wie auf dem Boden des Festlandes erblicken. In den Klippen und Sandbänken erkennen wir die Gipfel von Bergen und Hochebenen.

Die Tiefe der verschiedenen Meere ist vielfach Gegenstand von Untersuchungen gewesen, ohne jedoch zu bestimmten Resultaten zu gelangen; doch haben Nachforschungen mit ziemlicher Bestimmtheit ergeben, dass z. B. die Ostsee eine Tiefe von 150 bis 360 Fuß darbietet. In der Regel ist über sandigem Grunde die Tiefe nicht bedeutend und nicht sehr abwechselnd, woraus es sich erklärt, dass auch an der Ostseeküste und daher auch bei Heringsdorf der Meeresboden die für die Badenden so große Annehmlichkeit hat, eine fast unmerklich nach dem Meeresmittelpunkt sich abflachende, schiefe und glatte Ebene zu bilden.

Interessant ist es, dass bei einer sehr bedeutenden Tiefe die Anwendung des Senkbleies nicht stattfinden kann und zwar wegen des bedeutenden Wasserdruckes. So ließ 1819 der Befehlshaber des Linienschiffes „Süperb“ im Atlantischen Meere unter 4° nördlicher Breite einen Senker herab, dessen Last aus vier Fässern Ballast und zwei schweren Senkbleien, im Gewicht von 6 Zentnern, bestand. Das Tau lief anfangs sehr schnell, dann aber langsamer herab, und als 2.000 Klafter abgelaufen waren, zog man es wieder herauf, wozu die ganze Kraft des Schiffes erforderlich war, und als etwa der vierte Teil des Taues aufgewunden, riss es entzwei.

Andere Versuche haben ergeben, dass bereits in einer Tiefe von eintausend Fuß die Poren der Hölzer durch den Wasserdruck ganz ausgefüllt werden, indem sich ihre Wandungen berühren, so dass die Hölzer eine größere Schwere als das Wasser erlangen und untersinken.

Das tierische Leben im Meere ist ein ungemein mannigfaltiges, und wenn auch auf der Erdoberfläche eine noch größere Verschiedenheit der Arten der Tiere und auch der Pflanzen sich vorfindet, so dürfte die Zahl lebender Wesen dennoch im Meere eine viel bedeutendere sein. Man denke nur an die meilenlangen Züge der Heringe, an jene Millionen kleiner Infusorien, die dem bloßen Auge nicht erkennbar, man betrachte die Masse kleiner Muscheln, die tagtäglich an den Strand angeschwemmt werden. Bemerkenswert ist, dass dieses rege tierische Leben nur bis zu einer gewissen Tiefe stattfindet und endlich ganz erlischt.

Die Temperatur des Meeres, welche weniger wie die der Luft mit den Jahres- und Tageszeiten wechselt, nimmt zu nach dem Äquator hin und ist gewöhnlich um ein Geringes wärmer. In den meisten Bädern werden genaue Beobachtungen über die Temperaturverhältnisse notiert; so wurden z. B. in Doberan seit dem Jahre 1813 regelmäßige Untersuchungen angestellt und zwar in den Sommermonaten zweimal täglich: um 7 Uhr Morgens und um 4 Uhr Nachmittags.

In 20 Jahren blieb die Temperatur des Meeres in der Badezeit beschränkt: Morgens zwischen + 8° und 17,33° R., Nachm. zwischen + 8,89° und +20,44° R.

Der höchste Temperaturgrad der Ostsee von + 20,44° R. ist nur einmal in dem Zeitraum von 20 Jahren (d. 6. Juli 18l9) beobachtet worden. Der niedrigste Temperaturgrad, nämlich + 8° R., ist auch nur zweimal vorgekommen (in den Jahren 1814 und 1830 im Juni).

Im Allgemeinen lässt sich annehmen, dass der gewöhnliche Grad der Temperatur der Ostsee von der Mitte des Monats Juli bis zu Ende des Monates August, ja bis Mitte des September, in der beständigeren Sommerwitterung unseres Klimas in den Morgenstunden zwischen + 13,33° R. und + 15,11° R., in den Nachmittagsstunden zwischen + 14,22° R. und + 16,0° R. sich hält.

Zu Swinemünde und Travemünde angestellte Beobachtungen ergaben ein gleiches Verhältnis, so dass die obigen Angaben für die Bäder der Ostsee und somit auch für Heringsdorf als gültig betrachtet werden können.

Das Meerleuchten ist eine der merkwürdigsten Erscheinungen im Meere. Nach Ehrenberg und Michaelis rührt es in der Ostsee von lebenden Infusorien her. In den Tropenmeeren, bei anderen klimatischen Verhältnissen, mögen noch andere Körper, wie faulende Mollusken, diese Eigenschaft besitzen. Aus den gründlichen und verschiedenen Beobachtungen dieses Phänomens geht jedoch hervor, dass die Ursachen noch bei weitem nicht genügend erkannt sind. Diese interessante Erscheinung beobachtet man in der Nord- und Ostsee am stärksten im Sommer.

Wie mächtig der Eindruck dieses Schauspieles auf den Menschen wirkt, ersehen wir aus den Worten A. von Humboldts (Ansichten der Natur, 2. Band, S. 66):

„Das Leuchten des Ozeans gehört zu den prachtvollen Naturerscheinungen, die Bewunderung erregen, wenn man sie auch Monate lang mit jeder Nacht wiederkehren sieht. Unter allen Zonen phosphoresziert das Meer; wer aber das Phänomen nicht unter den Wendekreisen (besonders in der Südsee) gesehen, hat nur eine unvollkommene Vorstellung von der Majestät dieses großen Schauspieles. Wenn ein Kriegsschiff bei frischem Winde die schäumende Flut durchschneidet, so kann man sich, auf einer Seitengalerie stehend, an dem Anblick nicht sättigen, den der nahe Wellenschlag gewährt. So oft die entblößte Seite des Schiffes sich umlegt, scheinen rötliche Flammen blitzähnlich vom Kiel aufwärts zu schießen. Unbeschreiblich prachtvoll ist auch das Schauspiel in den Meeren der Tropenwelt, das bei finsterer Nacht eine Schar von sich wälzenden Delphinen darbietet. —„ Derselbe sagt weiterhin, Seite 67: „Vielleicht ist über wenige Gegenstände der Naturbeobachtung so viel und so lange gestritten worden, als über das Leuchten des Meeres. Was man bisher mit Bestimmtheit davon weiß, reduziert sich auf folgende einfache Tatsachen: Es gibt mehrere leuchtende Mollusken, welche bei ihrem Leben nach Willkür ein schwaches Phosphorlicht verbreiten; ein Licht, das meist ins Bläuliche fällt, wie bei Nereis noctiluca, Medusa pelagica var. und bei der, auf der Baudin'schen Expedition entdeckten, schlauchartigen Monophora noctiluca.

Das Leuchten des Meerwassers wird teils durch lebendige Lichtträger, teils durch organische Fasern und Membranen bewirkt, die ihren Ursprung der Zerstörung jener lebendigen Lichtträger verdanken. Die zuerst genannte Ursache der Phosphoreszenz des Ozeans ist unstreitig die gewöhnlichste und verbreitetste.“

Seite 68: „Meinem berühmten Freunde“, fährt Humboldt fort, „und sibirischem Reisegefährten, Ehrenberg, ist es geglückt, Leuchtinfusorien der Ostsee fast zwei Monate lang in Berlin lebend zu erhalten. Ich habe sie bei ihm, im Jahre 1832, in einem finsteren Raume unter dem Mikroskop in einem Tropfen Seewasser aufblitzen sehen. Durch mehrmaliges Filtrieren von frisch geschöpftem Seewasser ist es Ehrenberg gelungen; sich eine Flüssigkeit zu verschaffen, in der eine größere Zahl von Leuchttierchen konzentriert waren. Bisweilen erkennt man selbst durch starke Vergrößerung keine Tiere im leuchtenden Wasser; und doch überall, wo die Welle an einen harten Körper anschlägt und sich schäumend bricht, glimmt ein blitzähnliches Licht auf. Der Grund davon liegt dann wahrscheinlich in faulenden Fäserchen abgestorbener Mollusken, die in zahlloser Menge im Wasser zerstreut sind. Filtriert man leuchtendes Wasser durch enggewebte Tücher, so werden diese Fäserchen und Membranen als leuchtende Punkte abgesondert.“

Vor Fäulnis wird das Meerwasser durch die immerwährende Bewegung geschützt, indem die bewegten Teile der Wassermasse stets mit der frischen Luft in Berührung kommen, und eben so werden durch diese Bewegung jene Gasarten entfernt, welche sich aus den faulenden tierischen und vegetabilischen Stoffen entwickeln.

Die Bewegung des Meeres ist eine dreifache: die Strömungen, die Ebbe und Flut und die Wellenbewegung.

Vetter sagt in seinem Handbuch der Heilquellenlehre, Teil 2., Seite 464, über die Wellenbewegung Folgendes:

„Die Untersuchungen des berühmten Ingenieurs Russel haben gezeigt, dass die Bewegung der Wellen, abgesehen von dem Einfluss der Luft, derjenigen Schnelligkeit und Fallgeschwindigkeit gleichkommt, welche ein Körper in der halben Tiefe der Welle erlangt; d. h., dass die Welle so geschwind läuft, als ein Körper Zeit braucht, um durch einen Raum zu fallen, der halb so lang ist, als die Linie von der Spitze der Welle bis auf den Grund des Wassers. Derselbe hat ferner gezeigt, dass wenn die Höhe der Welle ihre Tiefe um das Doppelte übertrifft, dieselbe brandet und zwar nach demjenigen Teile hin, wo die Tiefe am geringsten ist, so dass sie dann nach der Küste dasjenige bildet, was man Schwallwoge nennt. Arago und viele andere Physiker, welche diesem Gegenstande ihre Aufmerksamkeit zugewendet haben, haben die Abhängigkeit der Ebbe und Flut von allgemeinen kosmischen Einflüssen und den dadurch veränderten Schwereverhältnissen genau dargetan; sie haben gezeigt, dass die auf solche Weise unter dem Äquator erregte Flutwelle sich mit größerer Geschwindigkeit als eine Kanonenkugel bewegt, in allen freien Meeren ausdehnt und den Raum vom Vorgebirge der guten Hoffnung bis nach Bristol in zwölf Stunden durchläuft. Eine solche Bewegung und das Steigen des Wassers, welches an ozeanischen Küsten bis zu fünfzig Fuß und darüber beträgt, ist das Extrem desjenigen mechanischen Momentes, welches sich in den geschützteren Binnenmeeren schwächer und schwächer werdend wiederholt. Andere lokale Ursachen, namentlich Winde und Barometerdruck, bringen dann ähnliche Erscheinungen der Bewegung auf allen größeren Wasserflächen hervor; aber aus dem Angegebenen erhellt, dass sowohl Flut als Welle dort am stärksten und schwächsten sind, wo das Meer am freiesten und tiefsten ist und dass dort die mechanischen Momente der Bewegung größer werden, als für irgend einen Heilzweck wünschenswert sein kann.“

Begrenzt wird das Meer zunächst durch den Strand, der natürlich, je nachdem die See landeinwärts oder seewärts hochgeht, veränderlich ist. Merkwürdig ist die Tatsache, dass seit einer langen Reihe von Jahren ein Zurücktreten der Ostsee beobachtet wird, welches die Dünenbildung in ausgedehntem Maße begünstigt. Es bildet sich nämlich die Düne nur durch den Flugsand; bei einigermaßen starkem Winde setzt sich die ganze trockne Sandfläche der von Wasser verlassenen Strecken in Bewegung und fliegt so lange fort, bis sie auf irgend ein Hindernis stößt. Erreicht der Flugsand etwas Strandhafer oder andere Gramineen, welche im trocknen Sande wachsen und oft eine Höhe von zwei Fuß erreichen, so häuft er sich an und bildet den Kern einer Düne, die in dem Maße zunimmt, als das Gras Zeit gewonnen hat, sich über den aufgeschichteten Sand zu erheben. Auch pflanzt man den Strandhafer an, um die Dünenbildung zu begünstigen und endlich einen Boden zu gewinnen, der sich zum Anbau anderer Gewächse eignet; so sehen wir an dem nördlichen Stadtteile von Swinemünde jetzt eine fast 10 Minuten lange Anpflanzung von Laubhölzern, Anlagen von Getreide, Kartoffeln, selbst Gemüsefeldern, wo sich noch vor 50 Jahren die Wogen des Meeres brachen. Die reiche Vegetation des Küstenstriches von Heringsdorf und weiterhin, der erfrischende Aufenthalt unter den schattigen Buchen während der heißen Sommermonate sind ein Vorzug, den unser Badeort vor den meisten bekannten andern Seebädern hat. Ja selbst der Botaniker von Fach, wie nicht minder der Mineraloge, haben hier Gelegenheit, ihre Sammlungen zu bereichern, und sind es besonders jene Formationen und Abdrücke, die im Kalk und dessen Übergängen vorkommen, die hier gefunden werden. So besitzt der Königliche Hafenbauinspektor Borchardt in Starkenhorst bei Swinemünde eine treffliche und reichhaltige Sammlung derartiger Gegenstände, die derselbe mit Bereitwilligkeit jedem sich dafür Interessierenden zur Ansicht stellt.

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen über die Eigenschaften des Meeres liegt es sehr nahe, die einzelnen Seebäder nach den verschiedenen Verhältnissen der Örtlichkeit zu unterscheiden und dem einen oder dem anderen eine größere oder geringere Heilkraft zuzuschreiben. So will man besonders bei den Bädern im Atlantischen Ozean, in der Nord- und in der Ostsee, welche sowohl im Salzgehalt, als besonders in ihrem Wellenschlag Verschiedenheiten darbieten, auch verschiedene Heilwirkungen wahrgenommen haben. In der Tat haben auch die Bäder der Nordsee, des Mittelmeeres und der Ostsee usw. in Klima und Örtlichkeit charakteristische Unterschiede doch ist man in diesem Punkt offenbar zu weit gegangen und hört es noch jetzt alle Tage, dass die Nordsee unter allen Umständen heil kräftiger sei, als die Ostsee; allein wenn auch wie nicht zu leugnen ist, in dem geschlossenen Meere, wie die Ostsee, und dem offenen wie dem großen Ozean, mancherlei Verschiedenheiten, insbesondere geringere Tiefe, daher geringere Kraft der Wellen, größere Menge von Süßwasser und daher größere Abhängigkeit von dem Wechsel der Temperatur des Kontinents, stattfinden, so ist es doch außer Zweifel, dass es nicht sowohl auf das Mehr oder Minder dieser Verhältnisse, sondern hauptsächlich darauf ankommt, ob diese Verhältnisse, nämlich: der Wellenschlag, der Salzgehalt usw., in solcher Kräftigkeit vorhanden sind, dass überhaupt eine Heilwirkung dadurch erzielt wird.

Dass dies aber bei allen Seebädern wirklich der Fall ist, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Auch ist der menschliche Organismus nur bis zu einem gewissen Grade befähigt, jene Wirkungen aufzunehmen und auf jene Reize zu reagieren. Es ist sehr richtig, wenn Dr. Hanmann in seiner Beschreibung von Warnemünde sagt: „Der Ostsee Armut an Salzgehalt im Vergleich zu anderen Meeren hat, vielen umsichtig angestellten Versuchen nach, ihrer Wirksamkeit keinen Abbruch getan; gerade die eigentümliche Mischung und der höhere Grad von Verdünnung ihrer Bestandteile sind es, welche der Ostsee ihren Wert gaben und den großen Ruf erwarben. Die Ostsee verdankt ihre Vorzüge und eigentümliche Wirksamkeit der Subtilität ihrer Bestandteile, wodurch eine leichtere Aufnahme in die absorbierenden Gefäße, vorzugsweise der Oberhaut, jedoch auch in die der Schleimmembran des Ernährungsweges, mithin eine durchgreifende Einwirkung auf den Gesamtorganismus begünstigt wird.“

In Berücksichtigung der Individualität des Kranken wird die Wahl eines Seebades daher nicht nach jenen Momenten allein zu treffen sein: nicht die leidenschaftliche Laune, nicht die Mode entscheiden über die Wahl des Kurortes bei Kranken. Die Einsicht des bewährten, von dergleichen Anstalten hinlänglich unterrichteten Hausarztes soll den Ausschlag geben. Bei der Wahl wird es ankommen auf die Eigenschaften, welche der Arzt vom Seebade fordert, um günstige Heilerfolge zu gewinnen. Diese Eigenschaften beziehen sich auf das Seewasser, auf den Strand, auf die Atmosphäre und die nächste Umgebung. Das Wasser soll alle charakteristischen Bestandteile des Seewassers haben, außerdem Reinheit von Schlamm oder anderen Unreinlichkeiten und Wellenschlag. Der Strand bestehe aus sandigem, aber festen Boden, ohne Steine; das Ufer senke sich allmählich, ohne Untiefen, also sei gefahrlos für die Badenden. Die Atmosphäre sei rein, ungemischt und frei von dem Geruch, den faulender Seetang hervorbringt. Die Temperatur sei milde und nicht zu rau, noch zu heiß. Die nächste Umgebung endlich sei so beschaffen, dass sie sich zu den nötigen Promenaden in freier Luft eignet.

Heringsdorf genügt diesen in gedrängter Kürze angeführten Erfordernissen in hohem Maße, und es wird bei zweckmäßiger Anleitung das Vertrauen, welches man in seine Heilkraft als Seebad setzt, rechtfertigen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Seebad Heringsdorf auf Usedom