Das Residenzmuseum in München - Die Reichen Zimmer

Autor: Feulner, Adolf Dr. (1884-1945) Kunsthistoriker. Konservator des Residenzmuseums. In seinem Spätwerk ist der Einfluss nationalsozialistischer Ideologie erkennbar, Erscheinungsjahr: 1922
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Bayern, München, Residenzmuseum, Architektur
Die Reichen Zimmer sind mit der Amalienburg im Nymphenburger Park der Höhepunkt des frühen Rokoko, ein Höhepunkt deutscher Kunst überhaupt. Der Satz mag zunächst etwas seltsam erscheinen, da man im allgemeinen immer noch dazu neigt, das deutsche Rokoko als Ableger französischer Kunst zu betrachten, die Architekten dieser Räume, Effner und Cuvilliés, nur als Schüler französischer Meister einzuschätzen. Es ist richtig, dass seit den Zeiten des Kurfürsten Max Emanuel die französische Kunst in München Boden gefasst hatte. Die verwandtschaftliche Verbindung des Kurfürsten mit dem französischen Königshaus, sein Aufenthalt im Ausland während der Zeit seiner Verbannung, die durch beide Umstände bedingte Geschmacksrichtung des Kurfürsten, alles das öffnete der französischen Kunst die Tore, leitete sogar den direkten Import französischer Kunst in die Wege. Ebenso ist es richtig, dass die beiden Architekten der Reichen Zimmer in Paris gelernt haben. Joseph Effner, ein geborener Dachauer, war um 1710 dort und ist Schüler Boffrands geworden. François Cuvilliés, der Wallone aus Soignies im Hennegau, der seit seiner Jugend im Dienste Max Emanuels stand, der in München lernte, seine ersten künstlerischen Eindrücke bekam, wurde zum Studium der Architektur 1720 nach Paris in die Lehre François Blondels geschickt. Die hohe Schule der Pariser Akademie hat beiden gleichsam das Vokabularium und das metrische Schema für den neuen, eigenen Inhalt gegeben, sie hat nicht die künstlerische Selbständigkeit unterdrückt. Wenn auch die architektonische Gliederung dieser Räume dem französischen, richtiger gesagt, dem internationalen Vorbild nachempfunden ist, die deutsche Eigenart drängt sich mit Macht vor, so sehr, dass die Räume in Frankreich unmöglich wären, dass sie in dem Reichtum der Erfindungen, in der Überfülle der Phantasie, in der freien Folgerichtigkeit der leitenden Ideen von französischen Kritikern nicht mehr verstanden wurden. Wie der Stil des italienischen Barock in Deutschland, in den süddeutschen Bauten der Asam und in österreichischen Kirchen, seine letzte Erfüllung gefunden hat, so wurde auch das französische Rokoko in Deutschland zur letzten Ausdrucksfähigkeit getrieben. Dafür bilden die Reichen Zimmer mit die wirkungsvollsten Beispiele.

1725 wurden auf Befehl Max Emanuels die Reichen Zimmer durch Effner begonnen. Kaum waren sie vollendet, zerstörte der Residenzbrand von 1729, dem eine Reihe berühmter Kunstwerke zum Opfer fiel, den südlichen Teil der Zimmer. Nur drei, Empfangssaal, Audienzsaal und Thronsaal sind aus dieser ersten Bauperiode erhalten geblieben. Der Ausbau der zerstörten Räume wurde nach Max Emanuels Tod von Kurfürst Karl Albert nicht mehr Effner anvertraut, der damals in Nymphenburg und Schleißheim tätig war, sondern Cuvilliés, der ihn in den Jahren von 1729—1737 zu Ende führte. Die stärkere Begabung, die größere Modernität des jüngeren Meisters mögen die ausschlaggebenden Gründe gewesen sein. Die frischere Kraft und die modernere Gesinnung, trotz der geringen Zeitdifferenz, sind auch in den Räumen deutlich erkennbar, obwohl die ausführenden Handwerker die gleichen geblieben sind. Dieser wichtige Umstand darf nicht übersehen werden. Es sind einheimische Handwerker, Handwerker von Gottes Gnaden möchte man sie nennen diese Kistler und Bildhauer Adam Pichler, Joachim Dietrich, Wenzeslaus Miroffsky, den Stukkator Johann Baptist Zimmermann, die hier unter Oberleitung der Architekten tätig waren. Künstler, die an anderen Orten, vor allem in altbayerischen Kirchen auch selbstschöpferisch tätig waren. Trotz der Bestimmung, dass „alles nach verfasstem Riss und nach Anordnung des Baumeisters zu schnitzen" sei, darf man annehmen, dass in den Panneaux, in den Stukkaturen nicht eine sklavische Wiedergabe vorgeschriebener Gedanken des Architekten gegeben ist. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um eine getreue Interpretation mehr im allgemeinen vorgezeichneter Erfindungen handelt, die gelegentlich auch eine Variation erlaubte. Und diese kleinen Abweichungen von der Regel, für die gerade die Fülle ornamentaler Gedanken Raum bot, bestimmen schließlich doch das Gesamtbild. Die Hauptkennzeichen der Effnerschen Zimmer gegenüber den späteren Räumen Cuvilliés liegen in der größeren Einfachheit, Gebundenheit, Strenge. Die Horizontalgliederung (durch Lambrissockel und Hohlkehle) ist in den ersten Räumen klar durchgeführt, in ruhigem Gleichmaß zu den Spiegelfeldern und Paneelen. Aus Symmetriegründen sind den eigentlichen Türen entsprechende Blendtüren angebracht, die Öfen von Antonio Chanovese und Härtel in den Rundnischen erhalten ein Pendant, oder wie im Audienzsaal, als Gegenstücke eine Uhr in einem großen Holzgehäuse, das die Reiterfigur Ludwigs XIV. von Gobert krönt. Die stehenden Flächen dominieren durch die Vertikalgliederung, die bedingt ist durch die bereits vorhandenen Fensterachsen. Die Hohlkehle wölbt sich in leichtem Schwung zur Decke, deren helle unbemalte Fläche trotz der dunkelroten Wandbespannung und der Vergoldung den Eindruck lichter Feierlichkeit bestimmt. Die Vermittlung der Decke mit der Wand stellen die Eckfüllungen her, luftige Gebilde, die in einzelnen Dekorationsmotiven über das Kranzgesims herabgreifen, die in der Diagonale nach der Mitte zu aufstreben; sie sind für den Gesamteindruck wichtig, weil sie die aufstrebende Bewegung der Wand unmittelbar in die Decke überleiten. Diese Bewegung, die hier mehr angedeutet ist, die vor allem im Zug der azentrisch angelegten, nach oben sich aufrankenden Panneaudekoration ausgedrückt ist, bekommt im Thronsaal schon bestimmten Fluss. Die Wandfelder sind durch die architektonische Disposition schmäler geworden, sie streben in die Höhe; die breite Hohlkehle ist verschwunden, nur eine dünne Leiste bildet das architektonisch notwendige Trennungsglied, und auch diese rollt sich in den Mittelachsen auf, richtet sich empor und zieht sich unmittelbar in die viel reichere Stuckdekoration der Decke hinein. Es ist wahrscheinlich, dass Cuvilliés, der nachweisbar diesen Raum veränderte, die Stuckdekoration entworfen hat, wenn er auch die Effnersche Disposition der Wände beibehalten hat. Die architektonischen Gedanken, die in den folgenden Räumen, vor allem in dem zeitlich am nächsten stehenden Schlafzimmer von 1731 in viel reicherer Fülle, vielleicht in prononciert deutlicher Fassung zur Darstellung gebracht sind, sind hier zurückhaltend ausgesprochen. In diesem ganz von Cuvilliés angelegten Schlafzimmer ist alle tektonische Strenge geschwunden. Von den tektonischen Elementargesetzen sind nur noch Symmetrie und Rhythmus in der Gruppierung beibehalten. Die Türen und Blendtüren mit den darüberstehenden Supraporten, sowie die Spiegelpanneaux geben die festen Markierungspunkte. Die Wandfelder treten als solche gar nicht mehr in Erscheinung. In der Dekoration sind die abstrakt linearen Motive zurückgedrängt, das vegetabilische Ornament tritt mit größerem Eigenwert auf, die sprossenden, nach oben sich rankenden Blüten, Zweige, Palmen, die auch die geraden Linien der architektonisch unentbehrlichen Randleisten umspielen. Sie sind in Akzenten verteilt, auf die Ecken und die Mittelpunkte der Seiten, die Achspunkte, in Motiven, die achsial emporstrebend Verbindung mit der zentralen Deckenrosette suchen, sie sind nicht in dichten Massen aufgetragen, sondern luftig, aufgelöst, fast wie zufällig angeflogen. Ein Gegensatz von Stütze und Last, von aufstrebenden Wandfeldern und Decke besteht nicht mehr. Mühelos, wie frei gewachsen, steigt die zarte Vegetation in straffen Kurven empor; die Gesimse am Kämpfer werden nicht als trennende Linien empfunden, da sie selbst an den betonten Zentralstellen, die dem architektonischen Gefüge Halt geben, in die Bewegung hineingezogen werden. Die Hohlkehle ist überwuchert von dem leichten Gerank, in das hier, mehr als in den anderen Zimmern, Figurales verflochten ist, Putten, die sich tummeln, Nymphen mit Emblemen, mythologische Gestalten mit allegorischer Bedeutung, Tiere und Fabelwesen; auch Draperien sind verwendet und selbst die unfassbarsten aller Formen, Wolken, Dunst und blinkende Sterne. Die Vorliebe für das Vegetabilische, für das Objekt an sich, steht im ausgesprochenen Gegensatz zur strengeren Tektonik französischer Rokokoarchitektur. Zwar bleiben auch hier alle Motive im Zug des Ornamentalen, sie bekommen keinen direkten Eigenwert als unabhängige Plastik, aber sie sind doch soweit selbständig, dass sie sich von der Fläche lösen. Die dritte Dimension spricht schon mit, am meisten im Spiegelkabinett (1732), das durch die unregelmäßige, zentrale Grundrissfiguration, durch den Alkoveneinbau an sich schon aufgelöst ist. Die Wandfelder sind hier in ein Gerüst zusammengeschrumpft, durch dessen Öffnungen der unendliche Raum ungehemmt hereinflutet. Alle fassbaren Grenzen sind verschwunden, die Wand hat ihren schließenden Charakter vollständig verloren, überall täuscht der Spiegel eine unendliche Flucht weiter Räume vor. Die naturalistische Dekoration mit den kleinen chinesischen Vasen verhindert vollends die Möglichkeit, die raumschließende Fläche sich ins Gedächtnis zurückzurufen. Wie im Ovalsaal der Amalienburg ist hier mit anderen Mitteln eine letzte Möglichkeit der Raumgestaltung erreicht. Es ist aber nur eine Möglichkeit, gleichsam ein Ausdrucksmittel, nicht die letzte Folgerung aus einer festgelegten Entwicklung. In den späteren Zimmern, im Miniaturenkabinett von 1732, sind die Wandflächen mit dem filigranfeinen Schnitzwerk Joachim Dietrichs übersponnen, die begrenzten Flächen sind schon durch die Abtönung des Grundes in pompejanischrotem Lack zum Bewusstsein gebracht; nur die Decke ist durch die Malerei aufgelöst, und durch das goldene Gitterwerk der Ornamentik fliegen die naturalistisch gemalten Vögel lustig aus und ein. Das Wohnzimmer von 1733, in der schönen alten Wandbespannung mit rotem, sogenanntem Genueser Samt, einer der edelsten Räume der ganzen Folge, schließt sich in der strengen Gehaltenheit der Disposition an die vorhergehenden Effnerschen Säle an. Wo fürstliche Repräsentation und die Zweckbestimmung des Raumes wieder eine andere Art des Ausdrucks forderten, griff Cuvillies unbedenklich auf ältere Normen zurück. In der Grünen Galerie (1733 — 1734), die durch die Wegschneidung des zweiten Querflügels bei der Errichtung des Königsbaues unter Ludwig I. viel vom Raumrhythmus verloren hat, bringt die Bestimmung als Gemäldegalerie mit den nach alter Gewohnheit plakatmäßig übereinander gehängten Bildern eine Flächendekoration mit sich, die über die Anschauungen des 18. Jahrhunderts viele Aufschlüsse bringt, aber künstlerisch keine Lösung bedeutet.

In allen Zimmern beruht die Wirkung auf der intakten Originalität. Das Mobiliar stammt zum größten Teil aus der Erbauungszeit. Die Konsoltische gehen auf den Entwurf Cuvilliés zurück, sie sind in München geschnitzt von den Meistern der einzelnen Zimmer, wie die einfachen Stühle, die Taburetts, das Sofa im Salon. Künstlerische Absicht ist die unbedingte Einheitlichkeit. Die Möbel wollen schon durch die gleichen Bezüge mit der Wandbespannung zusammen gesehen werden. Sie sind auch durch den Aufbau unmittelbar mit der Wand verschmolzen. Man betrachte das Sofa im Salon. Die kurvierte Abschlusslinie der Lehne ist eingefügt in den unteren Rand des Spiegels, die Drachen des Wandfeldes ringeln ihre Schwänze über die obere Leiste der Lehne; nach der Abbildung ist es fast unmöglich zu erkennen, dass das seitliche Abschlussstück der Lehne zum Sofa und nicht zur Dekoration des Wandfeldes gehört. Aus der Werkstätte Groffs in München ist die Spiegelkommode im Spiegelkabinett, mit dem schweren, sorgfältig bearbeiteten Bronzebeschläg, das die gleiche Form und Technik aufweist wie die Beschläge an den Marmorkaminen, die Johann Baptist Zimmermann entworfen hat. Von Groff sind auch die schönen Feuerhunde modelliert. Die prachtvollen Kommoden im Salon mit dem reichen, eleganten Beschlag, das frei die Vorderwand überspielt, ohne Rücksicht auf die einzelnen Schubfächer, mit den Eckputten, die an andere Arbeiten des berühmten Ebenisten Cressent erinnern, sind französische Arbeiten um Mitte des 18. Jahrhunderts, sicher aus Cressents Atelier. Dass sie nicht signiert sind, wie die meisten französischen Möbel, die wie andere Kunstwerke, wie Bilder und Figuren den Namen des Meisters tragen, ist kein Beweis dagegen. Bei bestellten Möbeln ist die Signatur oft weggeblieben. Prachtvoll sind auch die Lackkommoden im Schlafzimmer und Spiegelkabinett, besonders hervorragend in der Qualität der Bronze. Ich möchte sie als Arbeiten des Meisters B. V. R. B. bezeichnen, von dem wir nur die Anfangsbuchstaben seines Namens kennen, der nach der Qualität seiner Arbeiten einer der besten Pariser Ebenisten genannt werden darf. In den Kurfürstenzimmern stehen auch signierte Möbel. Nicht alle Möbel sind ursprünglich in den Reichen Zimmern gestanden, aber alle fügen sich dem Gesamtbild vollständig ein. Die hohe Qualität der künstlerischen Leistung an sich, ohne Rücksicht auf die zeitlichen Unterschiede des Stiles bildet das bindende Element. Darum scheinen auch die Girandolen, die Armleuchter, die Kamingarnituren mit dem chinesischen Porzellan in ausgezeichneter französischer Bronzemontierung wie ursprünglich für die Reichen Zimmer gefertigt zu sein. Auch unter diesen Nippsachen und Vasen sind Kunstwerke von hohem Range.

Von den Gemälden sind hervorzuheben: Kurfürst Max Emanuel, ein Pastell von Vivien, im Empfangssaal, der hl. Jakobus von Ribera im zweiten Audienzzimmer und das großfigurige, barocke Werk von Abraham Janssens „Polyphem erschlägt den Akis", das mit dem noch nicht bestimmten Gegenstücke, „Joseph und Potiphar" schon im 18. Jahrhundert im Thronsaal hing und deshalb neuerdings wieder aufgehängt wurde. Die wichtigsten Bilder der Grünen Galerie, in der Originale von Rubens, Snyders, Aart de Gelder, Jan Lys, Roland Savery, Amberger und anderen sich befinden, verzeichnet der kleine Führer.

028 Uhr aus Chinaporzellan mit französischer Bronze

028 Uhr aus Chinaporzellan mit französischer Bronze

030 Reiche Zimmer Kommode

030 Reiche Zimmer Kommode

031 Kurfürstenzimmer. Speisesaal

031 Kurfürstenzimmer. Speisesaal

033 Kurfürstenzimmer. Aus dem Schlafzimmer

033 Kurfürstenzimmer. Aus dem Schlafzimmer

034 Kurfürstenzimmer. Schlafzimmer

034 Kurfürstenzimmer. Schlafzimmer

035 Kurfürstenzimmer. Schlafzimmer

035 Kurfürstenzimmer. Schlafzimmer

036 Kurfürstenzimmer. Kommode im Schlafzimmer

036 Kurfürstenzimmer. Kommode im Schlafzimmer

037 Kurfürstenzimmer. Schlafzimmer. Schreibtisch mit Lackarbeit

037 Kurfürstenzimmer. Schlafzimmer. Schreibtisch mit Lackarbeit

038 Kurfürstenzimmer. Ofen im Schlafzimmer

038 Kurfürstenzimmer. Ofen im Schlafzimmer

039 Kurfürstenzimmer. Aus der Bibliothek

039 Kurfürstenzimmer. Aus der Bibliothek