Fortsetzung 61 bis 80

61.
Dies Problem ist nicht neu. Der angegebene Gedankengang, welcher darauf führt, ist einfach genug, um sich jedem darauf Aufmerksamen darzubieten. Schon im Altertum kam man an denselben, indem man die Änderungen der geographischen Lagen wahrnahm, und danach besondere Veranstaltungen traf, sie zu bestimmen. Dasselbe geschah im Mittelalter und in neuerer Zeit, bis, der astronomischen Theorie wegen, die Unveränderlichkeit des Erdumschwungs zu einem unantastbaren Dogma gemacht wurde. Außerdem trugen verschiedene Umstände dazu bei, die bisherigen Versuche erfolglos zu machen.


62.
Solche Probleme überhaupt tauchen von Zeit zu Zeit aus der Gedankenwelt auf, wie Meteore aus der Tiefe des Himmels. Sie kommen, verschwinden und kommen den Gesetzen der geistigen Sphäre gemäß, wieder, bis sie früher oder später ihre Lösung finden. Wann die Zeit dazu da ist, kann Keiner im Voraus wissen, nur der Erfolg zeigt es.



63.
Zudem ist es eine eigne Sache, sich an die Lösung eines solchen Problems zu wagen. Wir wissen, wie es Allen erging, welche dergleichen unternahmen; es versuchten den Schleier zu heben, welcher die Geheimnisse der alten Mutter Erde verhüllt. Es ist auf dem wissenschaftlichen Gebiete, wie es im bürgerlichen Leben sein würde, wenn es keine Instanzen gäbe, welche dem Rechte Prüfung und Schutz gewähren, in Rechtsstreitigkeiten ein begründetes Urteil abgeben müssten. Für wissenschaftliche Fragen gibt es keine solche Instanz. Niemand ist gehalten, darüber eine Entscheidung abzugeben und sich der Wahrheit anzunehmen; sie ist allein angewiesen auf die schwankende, öffentliche Meinung, die jedenfalls nur schwierig und langsam zu gewinnen ist für neue, den Autoritäten und herkömmlichen Ansichten widersprechende Dinge.


64.
Wir möchten nun nicht gern das Verhängnis herausfordern, doch aber eine Lösung des Problems und ein einfaches Mittel dazu in Vorschlag zu bringen, damit Andere es prüfen und erörtern mögen, um so dazu beizutragen, das Richtige in dieser wichtigen Angelegenheit zu ermitteln. Wie man in einer noch unerforschten Gegend zuerst rekognosziert, einige Punkte aufzusuchen pflegt, welche einen möglichst freien Überblick gestatten, so wollen wir hier einige Annahmen aufstellen, welche als die einfachsten die sichersten zu sein scheinen, verschiedene Tatsachen anführen, welche damit übereinstimmen, und schließlich dann ein Mittel, sie durch leichte Beobachtung zu prüfen, angeben.

65.
Das Fortrücken oder die Lageänderung der geographischen Pole geschieht in einem Meridian oder größten Kreise, den wir die Pollinie nennen.


66.
Dies ist der Meridian 130° O. und 50° W. von dem jetzigen Meridian von Ferro entfernt; welcher, wie auf jedem Erdglobus ersichtlich ist, folgenden Verlauf hat: vom Nordpol an durch das Eismeer, östliche Sibirien, China, Borneo, an dem Westende Neuhollands vorüber, durch das australische Meer zum Südpol, dann durch das Feuerland an der Westküste Südamerikas entlang, das westindische und atlantische Meer, Oberkanada, Labrador, Hudsonstraße, Smithsund zum Nordpol zurück.


67.
In diesem Meridian rücken die Pole in der Richtung fort, dass der Nordpol Sibirien, der Südpol dem Feuerlande sich nähert.


68.
Und dieses Fortrücken beträgt nahezu 1/5 geogr. Meilen jährlich, mithin in einem Jahrhundert 20 geogr. Meilen oder 1 1/3 Meridiangrad; in 26.000 Jahren 5.400 Meilen, d. i. den ganzen Erdumfang, in 13.000 Jahren den halben, in 6.500 Jahren den viertel Erdumfang oder einen Meridianquadranten.


69.
Auf der Oberfläche einer Kugel ist der Kreis die einfachste Linie, jede andere darauf hat mehrfache Krümmungen und das Fortrücken der Pole im größten Kreise gibt die einfachste Kombination der Achsendrehung.


70.
Die wirkliche Umdrehung der Erde zerlegt sich so in Gedanken in 2 einfache Umdrehungen um 2 auf einander senkrechte Achsen: Die schnellere tägliche Umdrehung um die Polarachse - den Erddurchmesser zwischen den geogr. Polen - und die viel langsamere periodische Umdrehung um die Äquatorialachse deren Endpunkte in dem geographischen Äquator 90° von der Pollinie entfernt liegen, der eine in Afrika 40° O. von Ferro; der andere gerade gegenüber im stillen Ozean 140° W. von Ferro. Da der Äquator sich um diese allein unveränderlichen Punkte gleichsam wendet, neuen wir sie Wendepunkte.


71.
Es ist nicht schwierig, eine Kugel in solche kombinierte Umdrehung zu versetzen, nur ist zu bemerken, dass es so geschehen muss, dass die Richtung der Polarachse, um welche die schnellere Umdrehung geschieht, dabei dieselbe bleibt.


72.
Es veranschaulicht dies die in nebenstehender Zeichnung (Fig. 2) angedeutete mechanische Vorrichtung. Die Kugel W. N. O. S. dreht sich in dem Ringe langsam um Stifte bei W. u. O. und die dazwischen gedachte Äquatorialachse; zugleich aber schnell mit samt dem, im festen Gestell beweglichen Ringe um die Polarachse, deren Richtung dabei dieselbe bleibt und folglich durch immer andere Punkte der Kugel fällt. Alle Punkte in denen sie sukzessive die Kugeloberfläche trifft, liegen im größten Kreise, so dass hierdurch also angezeigt wird: die beständige Richtung der Polarachse im Weltraum (Fig.1), ihre Veränderlichkeit in der Erde, und das Fortrücken ihrer Endpunkte, der geogr. Pole, in der Pollinie.

Fig. 1

Fig. 2


74.
Man bezeichne nun auf einem gewöhnlichen Globus die Pollinie, den eben (66) angegebenen Meridian, und die Wendepunkte des Äquators (70), so kann man für jede gegebene Zeit die Lage der Pole und des Äquators danach leicht bestimmen. Für jede 75 Jahre verrückt man den Pol um 1 Grad in der Pollinie und den Äquator um denselben Winkel.


75.
Vor zirca 6.600 Jahren lagen demnach die Pole um 90° rückwärts, also da, wo die Pollinie den jetzigen Äquator schneidet; der Nordpol in Südamerika, der Südpol in Borneo. Der Äquator aber ging durch die jetzigen Pole, Skandinavien, Europa, Afrika, den afrikanischen Wendepunkt usw. Die jetzigen Polargegenden nebst Europa hatten also der Zeit ein tropisches Klima, unter welchem die tropischen Pflanzen- und Tierarten existierten, deren Überreste jetzt dort gefunden werden. Die Ebenen Europas waren von der Äquatorialflut bedeckt und der Äquatorialstrom, der vom jetzigen Eismeer über Skandinavien ging, führte die, als erratische Blöcke bekannten, von den skandinavischen Gebirgen abgerissenen Gesteinsmassen auf unsere norddeutschen Ebenen, auf denen sie jetzt zerstreut liegen.


75.
Südamerika und das jetzige Ostindien hatten derzeit ein Polarklima; Asien und Nordamerika ein gemäßigtes Klima, was sich nun mit dem allmählichen Fortrücken der Pole und des Äquators sukzessive änderte, so dass Asien ein tropisches, Nordamerika aber ein Polarklima erhielt, unter welchem hier die frühere Organisation und Bevölkerung, von der sich gleichfalls noch zahllose Überreste finden, zu Grunde gingen, oder fortgetrieben wurden, während in Asien umgekehrt die tropische Organisation sich mehr und mehr verbreitete.

76.
In Afrika, welches immer ein tropisches Klima behielt, da es immer unter dem Äquator bleibt, leben auch die älteren Pflanzen- und Tierarten: Rhinozerosse, Elefanten, Flusspferde, Krokodile u. a. bis jetzt und ferner ungestört fort. Der physische Charakter dieses Erdteils ist eben deshalb so eigentümlich, demjenigen Amerikas und Ostindiens entgegengesetzt. Unter der tropischen Hitze ist es im Laufe der Jahrtausende ausgedörrt und wüste geworden, während in Amerika alles neu und gleichsam verjüngt ist. Ebenso in Ostindien, nur mit dem Unterschiede, dass dahin die frühere Organisation sich verbreitete, während solche in Amerika, welches seiner ganzen Ausdehnung nach ein Polarklima erhielt, keinen Zufluchtsort mehr fand.


77.
Vor 3.000 Jahren, 1200 vor dem Anfange unserer Zeitrechnung, also um die Zeit, mit welcher die mythische Periode unserer Geschichte beginnt, lag der Nordpol im jetzigen Kanada, und der Äquator verlief von seinem afrikanischen Wendepunkte durch Südarabien, Persien, Mongolei, China usw. Die klimatische Beschaffenheit war eine dem entsprechende und die Tiefländer Asiens, jetzige Salzsteppen und Wüsteneien, aller Wahrscheinlichkeit nach, von der Äquatorialflut bedeckt. Griechenland. Kleinasien hatten noch ein tropisches Klima und beherbergten noch Löwen, Affen, Flusspferde u. a. tropische Tierarten, deren in den alten Sagen Erwähnung geschieht.


78.
Vor 2.000 Jahren, im 2. Jahrhundert vor Anfang unserer Zeitrechnung, lag der Nordpol in der Hudsonstraße und der Äquator verlief von seinem afrikanischen Wendepunkte eben nördlich an der Ostecke Afrikas (Gardafui, damals Cap Prason genannt) unter Arabien längs, durch Vorderindien, eben südlich der Ausmündung des Indus an usw. Aus dieser Zeit finden sich schon hiermit übereinstimmende, hinlänglich sichere. Nachrichten und Ortsangaben, von denen wir einige anführen wollen.


79.
Die ebengedachte äußerste Ostecke Afrikas, im Altertum Cap Prason benannt, gibt der alte Geograph Ptolemaeus 130 Jahr nach Chr. - der sicherste Gewährsmann seiner Zeit. unter 19° 20’ nördlicher Breite an. Da nun die Lokalität keine Verwechslung zulässt. Afrika keine östlichere Ecke in der Nähe des jetzigen Äquators hat, so ist die darin liegende Bestätigung deutlich genug.


80.
Zu Zeiten des Plinius kam eine Gesandtschaft nach Rom von der Insel Ceylon, damals Taprobane benannt, worüber er als Zeuge authentischen Bericht gibt, und darin unter anderem auch Folgendes mitteilt; Die fremden Gesandten wunderten sich nicht wenig darüber, dass im Sonnenschein ihr Schatten in entgegengesetzter Richtung fiel, als in ihrer Heimat, indem die Sonne, wenn jene sich mit dem Gesichte gen Mittag (dem Äquator zu) kehrten, zu ihrer Linken auf- und zu ihrer Rechten untergehe, umgekehrt, wie in ihrer Heimat, wo sie mit dem Gesichte gen Mittag gewandt, den Aufgang der Sonne rechts, den Untergang links hätten. Vornehmlich aber wunderten sie sich über den Anblick der ihnen ganz unbekannten nördlichen Zirkumpolarsterne, des großen Bären, der Kassiopeia u. a. - Da nun hier weder die Authentizität der Mitteilung irgend wie zweifelhaft, noch auch die Lokalität (da an Madagaskar, die einzige jetzt so weit südlich vom Äquator gelegene Insel nicht zu denken ist) verwechselt sein kann, so wird damit hinlänglich konstatiert, dass Ceylon der Zeit südlich vom Äquator lag, und zwar so weit südlich, dass die 15-20° vom Nordpol entfernten Gestirne daselbst nicht mehr sichtbar waren, unter dem Horizont blieben.