Fortsetzung 41 bis 60

Die Größe der Niveauunterschiede der Erdoberfläche überhaupt, bei gegebener Schnelligkeit des Umschwungs, hängt ab von dem Grade der Nachgiebigkeit der Erdrinde.


42.
War die Erdrinde einst nachgiebiger, so waren ihre Niveauunterschiede, außer der Abplattung, geringer; mithin die Festländer flacher und kleiner.



43.
Wird sie mit der Zeit durch Verdickung und Verfestigung unnachgiebiger, so werden auch jene Unterschiede bedeutender; die Festländer höher und größer, die Meere tiefer und kleiner; es nimmt alsdann auch ihre Wassermenge ab, weil das Wasser auf den größeren Festländern auch in größerer Menge von verschiedenen Stoffen gebunden und zurückgehalten wird.


44.
Auch würde mit der Größe der Meere die Verdunstung, also auch die atmosphärische Wassermenge und ihre Niederschläge abnehmen, der Luftkreis weniger feucht und lichter werden.


45.
Dass solche Änderungen vor sich gehen, ist aus verschiedenen Gründen nicht unwahrscheinlich und entspricht dem Bildungsgange in der Natur überhaupt, da alle Bildungen im Flüssigen zu beginnen, an Festigkeit nach und nach zuzunehmen, und mit teilweiser Erstarrung aufzuhören pflegen.


46.
Dass ähnliche Bildungsstufen auch an den Himmelskörpern möglich sind, ist zu schließen einesteils aus dem flüssigen Zustande der Kometen, andernteils aus der Beschaffenheit unseres Mondes, bei welchem das Feste überwiegt und die Niveauunterschiede der Oberfläche bei weitem größer sind als auf der Erde.


47.
Auf dieser betragen sie bekanntlich gegenwärtig ein paar Meilen, ungefähr l/6 - 900 des Erddurchmessers. Die halbe Abplattung wird auf 2 1/2-3 Meilen geschätzt, während das Festland sich aufs höchste eine Meile übers Meer erhebt und sich eben
so tief unter das Niveau desselben senkt.


48.
Im Vergleich zur Größe der Erde sind diese Niveauunterschiede nur sehr klein; auf einer Kugel von 14 Fuß Durchmesser (dem Rauminhalt einer kleinen Stube) würden sie nach demselben Verhältnis nur 1/10 - 1/5 Zoll betragen.


49.
Dennoch sind ihre Änderungen hinreichend, alle die großartigen Wirkungen hervorzubringen, welche von dem Wechsel der Festländer und Meere abhängen; zu bewirken, dass der tiefe Meeresboden trocken gelegt und die höchsten Festländer überflutet werden. Ja für den größten Teil der Erdoberfläche sind sie mehr als hinreichend zu jenem Wechsel, da die Erhebung der Flachländer, wie auch die Tiefe großer Meeresflächen lange nicht so beträchtlich sind.


50.
Niveau- und Klima-Wechsel, wie die Existenz der Festländer bedingende Niveau-Unterschiede zwischen der Erdrinde und dem Meer sind also, wie gezeigt, die nächsten unmittelbaren Folgen der veränderlichen Achsendrehung; sie bedingen ihrerseits wieder, um bei vielfacher Kombination ihrer Wirkungen alle besonderen Umgestaltungen, Verhältnisse und Zustände der Erdoberfläche, die in ihrer Verschiedenheit und unendlichen Mannigfaltigkeit im geraden Gegensatz stehen zu der naturwidrigen, alle Bedingungen zur Tätigkeit der Naturkräfte vernichtenden Einförmigkeit und Gleichheit, welche die notwendige Folge der Beständigkeit der Pole und der Zonen sein würde.


51.
Unaufhörlich ändert die Erdrinde ihre Gestalt, ist in stets wechselnder Bewegung; indem bald diese, bald jene Teile ihrer Oberfläche sich senken und heben; unaufhörlich ändern sich die Richtungen, in welchen das Meer und, die Luft die Erde umströmen, unaufhörlich wechseln Festland und Meer und die Lage der Gegenden, indem bald diese, bald jene überflutet oder ausgetrocknet, mit Schnee und Eis bedeckt oder der belebenden Einwirkung der Sonne ausgesetzt werden.


52.
Dadurch und nur dadurch werden die Bedingungen zur stetigen und stets erneuerten Tätigkeit der irdischen Kräfte und Agentien erfüllt. Von der tropischen Sonne ausgedörrte Gegenden werden wieder abgekühlt, sie erhalten nach und nach ein gemäßigtes, oder ein Polarklima. Unter Schnee und Eis ruhen sie gleichsam aus, wie unser Ackerboden im Winter, und wenn dann wieder der Frühling des großen Erdenjahrs anbricht, so erwacht ihre Triebkraft erneuert und verjüngt.


53.
Oder die erschöpften, der Verödung nahen Erdteile werden vom Meere überflutet, und sammeln unter den kühlen Wogen frische Kräfte und Säfte; tauchen sie dann nach einigen Jahrtausenden wieder hervor, so prangen sie alsbald, von der Sonne bebrütet, in jugendlicher Üppigkeit und Fülle neuer Pflanzen- und Tierarten.


54.
Oder auch das aus dem Meere aufgetauchte Festland erhebt sich durch fernere Niveauveränderungen nach und nach in die Wolkenregion; es schüttelt gleichsam die lockeren und oberen Erdschichten von seinem Felsengerippe ab, so dass diese kahl und nackt in den Himmelsdom emporragen, umkreist von Geiern und Adlern, anstatt dass früher die Tiere des Meeres darin versanken und versteinerten. Diese Felsen, diese Erzeugnisse der im dunkeln Schoße der Erde wirkenden und treibenden Mächte, nun sind sie alle ihnen feindlichen Einflüssen der lichten Luftregion ausgesetzt, welche sie wieder zernagen und zertrümmern und ihre Bestandteile zu fruchtbarem Erdreiche bereiten.


55.
Es ist unmöglich, in wenig Worten diese so sehr mannigfaltigen Vorgänge anzudeuten. Sie beruhen in der Hauptsache alle darauf, dass ein unaufhörlicher Wechsel stattfindet, in der Wasser- und Wärme-Zerteilung, sowie in der Mengung der festen Bestandteile der Erdrinde. Diese letzteren werden durch die mit den Niveauänderungen verbundenen Verschiebungen und Verwerfungen der Erdschichten, die Verwitterung und Zertrümmerung der Gesteine, die Gewalt der Meeresströmungen, immer von neuem getrennt und wieder anders gemengt und damit den unorganischen, chemischen und organischen Kräften fortwährend Stoff zu erneuerter Tätigkeit geliefert, ähnlich, wie dies von uns im Kleinen beim Ackerbau bewerkstelligt wird. Wasser und Luft sind bei allen Prozessen die Vermittler, die Hauptträger der chemischen und dynamischen Tätigkeiten, die Wärme das mächtigste Agens.


56.
So werden die Bedingungen zur ununterbrochenen Tätigkeit der Naturkräfte erfüllt und zwar überall nach Zeit, Ort und Umständen verschieden, wodurch wiederum eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit ermöglicht und unter andern bewirkt wird, dass selbst diejenigen Gegenden der Erdoberfläche, welche zeitweilig ganz gleichen physischen Einflüssen ausgesetzt sind, als: unter derselben geographischen Breite, in derselben Entfernung vom Meer, denselben Niveauverhältnissen liegen etc., dennoch ganz verschiedene organische und unorganische Beschaffenheiten haben, weil sie früher ganz verschiedenen Einwirkungen ausgesetzt waren.


57.
Denn es hatte z. B. eine Gegend vor 1000. die andere vor 5- oder 10.000 Jahren, ein Polar-, ein tropisches oder ein gemäßigtes Klima; diese war eine Zeitlang vom Meere überflutet, jene nicht, oder auch vom süßen Wasser bedeckt; hier setzten die Fluten diese, dort andere Bestandteile ab; die eine hatte früher eine größere, die andere eine geringere Erhebung; diese war ein Teil eines größeren Festlandes, jene eine isolierte Insel; hier herrschten wärmere, dort kältere Luft- und Meeresströmungen; hier gingen einstens alle höheren Pflanzen und Tiere zu Grunde, oder wanderten, durch die Verschlechterung des Klimas fortgetrieben, aus, dort traf nur ein Teil derselben solches Schicksal: nach diesem Lande wurden Pflanzen und Tiere aus andern entfernteren Gegenden übersiedelt, dort entwickelte sich eine ganz selbstständige Organisation etc. etc.


58.
Es ist einleuchtend, dass hier unendlich viele Kombinationen gegeben sind und damit eben so viele Momente zu der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit, wie sie in der Tat in den früheren und jetzigen Verhältnissen und Zuständen der Erdoberfläche sich zeigt und aufs deutlichste hervortritt in den so verschiedenen Beschaffenheiten der einzelnen Festländer und ihrer gleichliegenden Gegenden.


59.
Diese bestehenden Zustände sind mithin das zeitweilige Resultat aller früher vorgegangenen Änderungen und finden also auch in diesen ihre Erklärung bei richtiger Berücksichtigung der wirklichen Lage der Pollinie, wie der Richtung und Schnelligkeit des Fortrückens der Pole darin; sowie andererseits auch wiederum die Richtigkeit der Bestimmung der letzteren, aus der, mit den Tatsachen übereinstimmenden Erklärung ihre Bestätigung erhält.

60.
Wenn diesem nach aus allgemeinen und besonderen Gründen die Veränderlichkeit der Erdumdrehung nicht zu bezweifeln ist, so ist es Aufgabe der Forschung, sie näher zu ermitteln, insonderheit zu bestimmen: in welcher Linie die Pole auf der Erdoberfläche fortrücken, in welcher Richtung und mit welcher Schnelligkeit.