Fortsetzung 21 bis 40


21.
Auch geschichtliche Überlieferungen und Merkmale. z. B. zahllose Trümmer und Grabhügel beweisen, dass die nördlichsten Gegenden Europas und Asiens einst vor Jahrhunderten viel bewohnter und fruchtbarer waren, dass sie mit zunehmender Verschlechterung des Klimas mehr und mehr verödeten und von ihrer zum Teil südwärts wandernden Bevölkerung verlassen wurden.


22.
Im geraden Gegensatz dazu wurde Nordamerika erst im Laufe der letzten Jahrhunderte mehr bevölkert und angebaut. Noch vor etlichen Jahrhunderten war die südliche Hälfte Nordamerikas, zwischen den großen Seen und dem mexikanischen Meerbusen, dieser jetzt so fruchtbare und bevölkerte Erdstrich, nur noch von einigen halbwilden Indianerstämmen bewohnt.


23.
In ähnlichem Zustande befindet sich jetzt noch die nördlichere Hälfte dieses Erdteils. Von diesem ausgedehnten Flächenraum ist nur noch Kanada einigermaßen kulturfähig und angebaut. Überall herrscht in demselben ein viel kälteres Klima, als in den unter gleicher Breite liegenden Gegenden Europas, was seine natürliche Erklärung darin findet, dass jene Flächen lange einem Polarklima ausgesetzt waren.


24.
Über die Ausgleichung verschiedener Temperaturen vergeht bekanntlich je nach Umständen längere Zeit. In Luft und Wasser gleichen sie sich durch Strömungen dieser Flüssigkeiten schneller aus, im festen Erdboden aber viel langsamer. Daher fällt das Maximum der Winterkälte und Sommerhitze bei weitem nicht mit dem kürzesten und längsten Tage zusammen, sondern Monate später. Aus demselben Grunde vergehen Jahrhunderte darüber, ehe ein ganzer Erdteil, welcher Jahrtausende hindurch einem Polarklima ausgesetzt gewesen, sich wieder bis zu einem, der geographischen Breite entsprechenden Grade erwärmt.


25.
Die Klimaänderung erfolgt aus dem sich stetig ändernden täglichen Umschwunge der Erde. Mit der Lage der geographischen Pole ist auch die Lage des geographischen Äquators und seiner, die einzelnen Zonen begrenzenden, Parallele gegeben. Die geographischen Pole sind die Endpunkte der Achse, um welche die tägliche Umdrehung geschieht, und mit der Lage der Pole ändert sich daher auch die Lage der Achse in der Erde und die der Zonen und Klimate auf derselben,

26.
Nicht allein die Klimaänderung aber wird dadurch bewirkt, sondern auch die Gestaltung und Umgestaltung der Erdoberfläche, der Wechsel zwischen Festland und Meer. Hierzu wie zu jener ist es nötig, dass der tägliche Umschwung der Erde sich stetig ändere, so dass die Achse dieses Umschwungs durch immer andere Punkte der Erde trifft.

27.
Die, von der genau sphäroidischen Form abweichende Gestaltung der Erdoberfläche ist die notwendige Bedingung des Daseins der Festländer.


28.
Dreht man eine nachgiebige, mit irgend einem tropfbar oder elastisch flüssigen Inhalt gefüllte Kugelschale beständig um eine und dieselbe Achse, so nimmt sie nach bekannten Grundsätzen der Mechanik, eine, um die Pole. - die Endpunkte der Achse - im Verhältnis der Umdrehungsgeschwindigkeit – abgeplattete, sonst aber genau sphäroidische von gleichmäßig gekrümmten Kugelzonen begrenzte Gestalt an.


29.
Eine solche nachgiebige Kugelschale ist nun aber auch die Erdrinde. Dies geht unzweifelhaft aus ihren Bewegungen hervor; sie bewegt sich bei Erdbeben in Wellenschwingungen auf und ab, über viele tausend von Geviertmeilen; was sie nicht könnte, wenn der Erdkörper, den sie umgibt, durchweg fest wäre. Wie verschiedene Meinungen daher auch über die sonstige Beschaffenheit des Erdinnern aufgestellt sind, so kommen doch alle darin überein, dass dieses in einem flüssigen Zustande befindlich sei.


30.
Ebenso gewiss ist es, dass alle Teile der Erdrinde schwer sind, ein Bestreben nach dem gemeinschaftlichen Mittelpunkte haben, und zwar im Allgemeinen die festen unorganischen mehr, als die flüssigen, das Wasser und die Luft.


31.
Drehte sich nun also die so beschaffene Erde beständig um dieselbe Achse, so müsste auch ihre oberflächliche Rinde eine, zwar, wie jetzt, um die Pole abgeplattete, sonst aber genau sphäroidische Gestalt haben und folglich - da ihre Teile die schwereren sind - überall ganz gleichmäßig vom Meer bedeckt sein. Es könnten keine Festländer existieren, es fehlte die notwendige Bedingung dazu, die Abweichung der Erdrinde von der sphäroidischen Gestalt.

32.
Durch den täglichen Umschwung, die dadurch in Tätigkeit gesetzten Schwungkräfte, wird die nachgiebige Erdrinde an den Polen abgeplattet, indem die von den Schwungkräften am stärksten affizierten Teile der Äquatorzone sich heben. Denken wir uns nun, dass dieser tägliche Umschwung der Erde aufhörte, so würde auch die Wirkung davon verschwinden; alle Teile der Erde, innere wie äußere, würden sich sofort bestreben, eine vollkommene Kugelgestalt zu bilden. Die davon abweichenden Massen der Äquator- wie Polargegenden würden von allen übrigen einen Druck oder Zug erleiden, bis sie in der Oberfläche einer Kugel lägen; jene sich so weit gesenkt, diese sich gehoben hätten. Bei dem Meere würde seiner absoluten Nachgiebigkeit wegen, die entsprechende Lageveränderung schnell geschehen, es würde augenblicklich vom Äquator den Polen zustürzen, die festen Teile aber würden ihrer nur relativen Nachgiebigkeit wegen erst nach und nach, etwas langsamer nachgeben.


33.
Änderte sich nun die Richtung des Umschwungs nicht, so würden ebenso alle Teile der Erde, innere wie äußere, sich sofort bestreben, eine genau sphäroidische, nur an den Polen abgeplattete Gestalt zu bilden. Die davon abweichenden, zu sehr gehobenen oder gesenkten Massen würden von allen übrigen einen Druck oder Zug erleiden, bis sie in der Oberfläche eines solchen Sphäroids lägen. Denn nur bei einer solchen Lagerung wären alle Teile in demjenigen Zustande des Gleichgewichts, welchen die durch den Umschwung der Erde in Tätigkeit gesetzten mechanischen Kräfte herbeizuführen unaufhörlich bestrebt sind, und eben deshalb herbeiführen würden, wenn sie bei beständiger Umschwungrichtung stets in derselben Richtung wirkten. Diejenigen Teile, welche den resultierenden Bestrebungen aller, Widerstand entgegensetzen, erleiden vor allen übrigen einen Druck oder Zug. Bei der unendlich weit überwiegenden Masse der letzteren und der entsprechenden Größe der in ihnen tätigen Kräfte würde der Widerstand jener bald überwunden werden, wenn der Druck oder Zug auf sie stets in derselben Richtung ausgeübt würde; die widerstrebenden Teile würden dann fortbewegt werden, bis ihr Widerstand aufhörte, sie mit allen übrigen im Gleichgewicht wären, die Bestrebungen aller sich gegenseitig aufhöben.


34.
Keine, nur momentan oder nur zeitweilig wirkende Kraft könnte dies auf die Dauer verhindern; die dadurch etwa hervorgebrachten Niveauänderungen, Hebungen oder Senkungen würden unter der ungeheuren Gewalt jenes von allen Teilen des ganzen Erdkörpers auf sie wirkenden Zugs oder Drucks ebenso schnell wieder verschwinden, als sie entstanden, ja unter dann immer nach verschiedenen Richtungen gehenden Strömungen des Meeres würden selbst die kleinsten Ungleichheiten ausgeglichen. Alles vollständig geebnet werden.


35.
Überhaupt: keine momentane (nur zeitweilig wirkende) Kraft vermag einer kontinuierlichen (beständig wirkenden) auf die Dauer Widerstand zu leisten, sondern dies vermag nur eine ebenfalls kontinuierliche. Nur die unaufhörliche Änderung der Umschwungrichtung vermag jenes zu verhindern, denn dadurch wird auch die Richtung des Drucks oder Zugs jeden Augenblick geändert, dadurch erhalten alle Teile jeden Augenblick andere Bestrebungen, drücken oder ziehen sich gegenseitig nach anderen Richtungen und können so nie ins Gleichgewicht kommen, eine dem entsprechende Lagerung annehmen.


36.
Deswegen ist die Erdrinde in unaufhörlicher, teils auf-, teils abgehender Bewegung; die unter den Äquator kommenden Teile derselben heben sich, die den Polen sich nähernden senken sich.


37.
Dabei ergeben sich wiederum besondere Niveauunterschiede. wegen der ungleichen Nachgiebigkeit der festen Erdrinde und des Meeres.


38.
Das Meer gibt den veränderten Schwungkräften augenblicklich nach, es behauptet stets die sphäroidische Form seiner Oberfläche, nur seine Strömungen werden dabei verändert, namentlich der Äquatorialstrom, der auf die Küstengestaltung der Festländer von beträchtlichem Einfluss ist.


39.
Die feste Erdrinde dagegen gibt den veränderten Schwungkräften nur allmählich nach; ihre Hebungen und Senkungen geschehen langsamer; die vom Äquator verlassenen Gegenden behalten noch eine Zeitlang eine größere Erhebung, die von den Polen verlassenen noch eine Zeitlang eine größere Senkung.


40.
Daher hat die Erdoberfläche in den einander gegenüber liegenden Vierteln, Südasien und Südamerika einesteils, das australische und atlantische Meer andernteils, respektive die größten Erhebungen und Senkungen.