Edelmut eines Türken

Wir stellen uns die Türken immer gar zu gern als übermütig, stolz, als fanatisch, als gefühllos, als grausam gegen Christen vor, und allerdings mag auch im Allgemeinen diese Ansicht die richtige sein. Die Religion ward auch hier eine Quelle des Hasses, der Verachtung, der Verfolgung, der Bedrückung, wie es nur zu oft leider! die christliche in Bezug auf die Juden unter uns ist. Nichtsdestoweniger gibt es unter ihnen ebenso viele Ausnahmen wie Gottlob! unter uns, und eins der trefflichsten Beispiele hiervon wollen wir mitteilen:

Der französische Konsul zu Beirut wurde 1814 plötzlich abberufen, mit dem Befehle, nach Frankreich zu kommen. Er hatte die dreifarbige Flagge auf seinem Konsulatgebäude nicht eher abnehmen wollen, bis er offiziell die Weisung aus Paris dazu erhielt, und dies vergab ihm die damalige französische Regierung nicht, so sehr es auch in der Ordnung war. Vermögen besaß der Konsul nicht, und woher er das Geld zur Reise nehmen sollte, wusste er ebenso wenig; denn alle seine europäischen Freunde zogen sich zurück, sobald seine Abberufung kund geworden. Ganz sorgenvoll begab er sich zum türkischen Generalsteuereinnehmer, mit welchem er Jahre lang im besten Einverständnisse gelebt hatte, um von ihm Abschied zu nehmen. Der Türke empfing ihn mit dem tiefsten Bedauern über die Ungerechtigkeit, welche er erfahren und sprach dies offen aus. Jetzt wollte sich der Konsul empfehlen.


Hast du denn aber auch Geld zur Reise? fragte der Türke schüchtern.

Nicht minder verlegen zögerte der Franzose, sich darüber auszusprechen, bis er gestand, dass er nur wenig habe, und endlich einräumte, dass er ganz von Mitteln entblößt sei.

Wie viel brauchst du denn? fragte nun der Türke wieder.

Mit 300 Piastern hoffe ich auszukommen.

Dreihundert Piaster? Wo denkst du hin? Was wirst du mit einer so unbedeutenden Summe anfangen können? Nimm! Hier sind 1.500, welche du mir wiedergeben wirst, wenn du glücklicher bist! Und mit diesen Worten gab er ihm eine Börse.

Der Konsul war aufs tiefste gerührt, lehnte aber das Anerbieten ab; dann wollte er es, indem der Türke weiter in ihn drang, nur gegen eine Bescheinigung annehmen. Es kostete ihm viele Worte, ehe der Türke sich solche ausstellen ließ; denn, sagte er, wozu habe ich deinen Schein nötig? Glaubst du, dass ich dir einen einzigen Para gegeben hätte, wenn ich dich nicht für einen ehrlichen Mann hielte? Lass es sein! Ein Schuldbrief ist immer eine unnötige Sache; hat man mit einem ehrlichen Manne zu tun, so ist sein Versprechen genug; ist man aber an einen Schurken geraten: was nützen dann alle Papiere der Welt? Mit Mühe gab er endlich nach. Der Konsul reiste zwei Tage nachher ab, aber auf dem Wege nach Europa ereilte ihn der Tod. Einer seiner scheinbar wärmsten ehemaligen Freunde war der Erste, welcher dem Türken die Nachricht davon überbrachte und sich erbot, die Schuld von den Verwandten des Konsuls beizutreiben. Aber wie brauste der edle Türke hierbei auf!

Was du mir zu sagen wagst! rief er; ich sehe daraus, dass du nie sein Freund warst! Was? Ich soll seine Familie, um mich wieder bezahlt zu machen, in dem Augenblicke quälen, wo sie ein solches Unglück betroffen hat? Ist es nicht schon genug, ihn verloren zu haben? Weit entfernt, durch die Wiederfoderung ihren Kummer zu mehren, würde ich zehn mal so viel geben, sein Leben wieder zu erkaufen, das sie beweinen wird!

Und alsbald holte der Türke den Schuldschein, welchen er vor dem beschämten Christen mit den Worten zerriss: „Er ist bezahlt!“