Die Seide in China

China ist das Vaterland der Seide, denn von dorther ward sie in Europa eingeführt. Die ältesten Überlieferungen erwähnen schon dieses reichen Stoffes und bezeugen die Verehrung, welche sich in China an diese Industrie knüpft. Die Zucht der Seidenwürmer und die Fabrikation der Seidenzeuche stehen in demselben Range wie der Ackerbau. Während an den großen Festen der Kaiser den Pflug führt und die erste Furche zieht, leitet die Kaiserin in ihren Zimmern eine kleine Seidenzucht, wo sie eine Anzahl Würmer mit den aus den kaiserlichen Gärten selbst gesammelten Maulbeerbaumblättern füttert.

Frankreich ist in Europa das Land, dessen Seidenzeuge den höchsten Ruf erworben haben; eine große Anzahl lyoneser Erzeugnisse, welche ein Reisender als Proben mit sich genommen hatte, erweckten die Bewunderung der chinesischen Fabrikanten und Würdenträger. Diese Bewunderung ist nicht sehr verdächtig, denn es gibt kein auf sich selbst und seine Erzeugnisse stolzeres Volk, namentlich den Barbaren gegenüber, als die Bewohner des himmlischen Reichs. Dass man ihnen seidene Gewebe vorlegte, die vollkommener und schöner sein sollten als die ihrigen, das war eine Anmaßung, die im ersten Augenblick ihnen im höchsten Grade lächerlich erschien, sie kamen indes, nahmen die Sache in Augenschein, und mussten wohl oder übel sich als besiegt erkennen.


Wenn indes die französischen Gewebe durch ihre Appretur, ihre Stärke, den Glanz und die Festigkeit der Farben alle andern übertreffen, so behauptet doch China für gewisse Artikel, namentlich Krepp, ein unbestreitbares Übergewicht, seine Seide ist bei gleichen, Preis reicher als die französische, und in der Art, die Maulbeerbäume zu ziehen und die Würmer zu pflegen, hat es den ersten Rang nicht verloren. Bemerkenswert ist, dass die meisten Provinzen, selbst die unter hohen Breiten, Seide erzeugen. In Europa hat sich die Seidenzucht über eine gewisse Zone hinaus bisher unausführbar gezeigt, es wäre somit interessant zu erfahren, durch welches Verfahren die Chinesen bei der zarten Natur der Seidenwürmer der Kälte Trotz bieten.

Die berühmtesten Seidenarten in China sind die aus den Provinzen Schu-kiang und Kiang-su. Man unterscheidet drei Hauptqualitäten, die auf den Märkten Europas seit langer Zeit gekannt und geschätzt sind, nämlich: 1) Tsatli (von 7 Cotons abgesponnen), bemerkenswert durch ihre Weiße und ihren metallischen Glanz; sie wird zu den reichsten Geweben verwendet; 2) die Jun-faseide, etwas geringer als die vorhergehende, und 3) die Fay-samseide (großer Wurm), zur Fabrikation aller derjenigen Stoffe, die einen starken Faden erfordern, mit Nutzen verwendet.

Zu Kanton, Ningpo und Schanghai gibt es zahlreiche Seidenwebereien, auch findet man in diesen Städten die berühmten Seidenzeuche aus Nanking, Han-scheu und Su-tschu. Letzteres ist das Paris Chinas, seine Erzeugnisse haben den größten Ruf, und seine Frauen geben selbst in Peking die Gesetze des Geschmacks und der Mode. Das scheint nichtssagend, da die Moden in China ziemlich unwandelbar sind und Form und Schnitt der Kleider und Hüte allen Klassen durch die strengen Vorschriften des Buchs der Gebräuche vorgezeichnet ist; indes mögen wohl die Damen des himmlischen Reichs, obwohl in den Hintergrund des Hauses verwiesen, in der Sorge für ihren Putz eine Zerstreuung suchen, und manchmal die Stellung und Farbe der vorgeschriebenen Stickereien ihrer Kleider ändern. Von Su-tschu gehen nun diese Abänderungen aus, die sich denn nach und nach über alle Provinzen verbreiten. Es war für unseren Erzähler sehr interessant, diese berühmte Werkstätte der chinesischen Moden zu besuchen, darum machte er sich, in einen Chinesen maskiert, mit geschorenem Kopf und falschem Zopf von sehr ansehnlicher Länge, rüstig mit Sonnenschirm und Fächer versehen, auf den Weg und sammelte während eines zweitägigen Ausflugs seltsame Bemerkungen über die Fabriken von Su-tschu.

Die Webstühle der Chinesen sind von mannigfacher Form, im Allgemeinen aber unterscheiden sie sich wenig von den europäischen vor der Vervollkommnung durch Jacquard und seine Nachfolger. Die Fabriken, die man zu Kanton besuchen kann, enthalten selten über 6—8 Stühle; reiche Manufakturisten haben aber mehre Werkstätten in der Stadt und in den Vorstädten. Die Arbeiten werden bald nach dem Stück, bald nach Zeit bezahlt, aber immerhin sehr gering, denn ein geschickter Arbeiter verdient nur 8—12 Thlr. monatlich, was um so mäßiger erscheinen muss, da die Arbeiter 14, ja 16 Stunden des Tages arbeiten und Fest- und Feiertage in China unbekannt sind.

Die Ausfuhr von Seide und Seidenwaren aus China beträgt jährlich etwa 20 Mill. Thlr.; davon betrug die Rohseide im Jahre 1845 ungefähr 15 Mill. und die Gewebe 5 Mill. Thlr.