Am 3. März 1841 ging ich von London nach Liverpool ab

Am 3. März 1841 ging ich von London nach Liverpool ab. Außer meinem Sekretär begleiteten mich noch vier Beamte der Hudsonsbai-Compagnie und ein Beamter der Russisch-Amerikanischen Compagnie, den seine Vorgesetzten diese Route von St. Petersburg nach Sitka machen ließen, weil sie um 30 Längengrade kürzer ist als der Weg durch Russland. Binnen zehn Stunden hatten wir unsern Abfahrtshafen erreicht und am folgenden Tage brachte uns ein Dampfboot an Bord der Caledonia, eines Dampfschiffs von 1.300 Tonnen(l Tonne = 2.000 Pfund) mit Maschinen von 430 Pferdekraft. Um 6 Uhr kamen die letzten Passagiere, im Ganzen 44, mit dem Postfelleisen an, worauf das melancholische Abschiedsläuten sogleich alle Freunde vom Schiffe vertrieb, und ehe zehn Minuten vergingen, begannen die Räder in den Fluten des Mersey zu arbeiten.

Der erste Vorfall, welcher in die gewöhnliche Einförmigkeit der Seekrankheit und Unbehaglichkeit einige Abwechselung brachte, war der Anblick eines Walfisches am sechsten Tage unserer Fahrt. Es fehlte wenig, so wären wir auf dem Ungeheuer festgefahren, da es nur einige Fuß weit von den Rädern an der Oberfläche des Wassers lag. Wir schienen ihm nicht zu gefallen, denn es tauchte sogleich unter und ließ sich nicht wieder sehen. Der folgende Tag gab uns noch mehr Stoff zur Unterhaltung. Während wir selbst so wenig Wind hatten, dass unsere sämtlichen Segel beigesetzt waren, kam uns in einiger Entfernung ein Schiff entgegen, das bloß schmalgereffte Toppsegel führte. Einige unter uns trugen kein Bedenken, über die Furchtsamkeit des unbekannten Kapitäns zu spotten, unsere wetterkundigen Genossen zogen aber den Schluss daraus, dass derselbe eben einen Sturm bestanden habe, mit dem wir wahrscheinlich auch noch zu tun bekommen würden. Binnen 48 Stunden traf ihre Prophezeiung mehr als gut war ein.


Am neunten Tage gewahrte unser Kapitän, dass das Barometer während der Nacht über zwei Zoll gefallen sei und auf 26‘ 9? stehe, dem niedrigsten Punkte, den es nach seiner Erfahrung noch jemals erreicht. Der Wind wurde allmählich immer heftiger, bis er Nachmittags zu einem wahren Orkan geworden, sodass die Mannschaft, statt ins Takelwerk zu klettern, kaum auf dem Verdeck sich zu halten vermochte. Eins unserer Boote wurde über Bord geschleudert, unsere Segel zerrissen; einige Matrosen erlitten schwere Beschädigungen. Die See bildete Wogenberge, deren weißschäumender Kamm, sobald er entstanden war, auch schon abgerissen und gleich Schneeflocken vom Winde entführt wurde, während die Wassermasse in Sturzwellen über uns zusammenbrach. Die Wolken schienen mit ihrem trüben Saume bis ans Meer herabzureichen; es war nächtlich dunkel, der Regen goss in Strömen herab und unser Schiff rang und stöhnte wie im Todeskampfe.

War dieser Zustand draußen schon schauerlich, so war er drinnen doch noch nervenerschütternder. Matrosen wie Passagiere schienen sich verloren zu geben, und da die Erfahrenern die Größe unserer Gefahr um so klarer einsahen, hatten auch gerade sie die größte Besorgnis. Der Sturm wütete nach und nach aus allen Strichen der Windrose. Diese Eigentümlichkeit des Orkans veranlasste aber einen solchen Wogenschwall, dass, als gegen Morgen der Sturm nachließ, das Schiff seine Fahrt noch keineswegs fortsetzen konnte, sondern mehre Stunden still liegen musste.

Am zweiten Tage darauf, während die See noch immer hoch ging, verlor unser Schiff sein Bugspriet; 24 Stunden später zeigte das Senkblei, dass wir bei den Sandbänken Neufundlands waren. Hätte der Orkan uns hier zwischen den kurzen Wellen des seichten Wassers getroffen, so würden wir aller Wahrscheinlichkeit nach dasselbe traurige Schicksal gehabt haben, welches unter ziemlich gleichen Umständen in eben diesem Sturme das Dampfschiff „Präsident“ betraf, von dem man bekanntlich nie wieder etwas hörte.

Als wir am folgenden Tage zu Tische saßen, trieb der Ruf: Land! auch den Hungrigsten aufs Verdeck. Es ergab sich jedoch, dass das vermeintliche Land nur ein fast unabsehbares Eisfeld war, das durch seine Unebenheiten und durch das Zurückprallen der Sonnenstrahlen das Ansehen eines waldigen Landstrichs hatte. Da diese schwimmende Insel gerade vor uns lag, so waren wir genötigt, um sie herum zu fahren, was aber erst um Mitternacht geschah, wonach man ihre Größe einigermaßen bemessen kann.

Während wir an diesem vermeintlichen Lande entlang fuhren, veranlasste ein noch seltsamerer Irrtum den Ruf: Vorn ein Licht! Da wir uns nun mehre Hundert Meilen seitwärts von der Isle des Sables befanden, so erregte jene Meldung das größte Erstaunen. Man konnte sich jedoch mit eigenen Augen von ihrer Richtigkeit überzeugen, und alle Sachverständigen erkannten ganz deutlich ein prachtvolles Drehlicht, obwohl sie über den Grund dieser Erscheinung durchaus im Unklaren waren. Die Maschine wurde dem gemäß angehalten und das Senkblei ausgeworfen, während jedes Fernrohr an Bord dem Lichte zugewandt blieb. Bald erwies es sich jedoch als ein eben aufgegangener Stern. Diese Täuschung hing ohne Zweifel mit der Nähe des Eisfeldes zusammen. Um dieselbe Zeit sahen wir auch noch einige Eisberge, und ein Nordlicht glänzte in dieser Nacht mehre Stunden lang ungemein hell.

Am 18. März gewahrten wir die trübseligen Küsten Neuschottlands, bedeckt mit Schnee und umgeben von Eis; gegen Abend liefen wir nach einer Fahrt von 14 Tagen unter dem herzlichen Zurufe einer großen Schar Matrosen in den Hafen von Halifax ein. Gleich darauf lief noch ein Dampfschiff auf der Rückfahrt von Boston nach England zur Aufnahme der Postfelleisen ein, und diese gleichzeitige Anwesenheit zweier großen Dampfschiffe bewirkte eine bedeutende Lebhaftigkeit in der Stadt und vielen Lärm, zumal da ein jedes derselben in möglichst kurzer Zeit seine Geschäfte abzumachen wünschte.

Wir fuhren nach einem Aufenthalte von nur fünf Stunden nach Boston wieder ab, einige Passagiere hatten uns hier verlassen, aber noch weit mehr waren hinzugekommen.

Am 20. März liefen wir in die Bostonbai ein und um Mittag lagen wir sicher geankert, nachdem wir von Halifax aus eine Strecke von 390 Seemeilen (1 Seemeile = 4/5 geogr. Meile) in 36 Stunden zurückgelegt hatten. Da die Zollbeamten unser Gepäck ohne Untersuchung landen ließen, befanden wir uns bald in der Stadt voller Leben und Verkehr. Boston hat ein beinahe noch völlig europäisches, namentlich englisches Ansehen. In seinem schönen Stadthause wurde der Plan zur Trennung vom Mutterlande gefasst; von seinen Quais wurden die Einfuhrartikel, welche das Mutterland besteuerte, ins Wasser geworfen, und durch seine Bürger wurde auf Bankers Hill die erste Freiheitsschlacht geschlagen.

Auf der Eisenbahn fuhren wir noch denselben Nachmittag nach Lowell, dem Manchester Neuenglands. Von hier in gleicher Art weiterreifend, trafen wir Abends 35Miles*) von Boston in Nashua ein. Diese Stadt war noch im Jahre 1819 ein bloßes Dorf von nur ungefähr 20 Häusern, jetzt hat es mit seinen Fabriken 19.000 Einwohner nebst Kirchen, Schulhäusern, Gasthöfen, Gefängnissen, Banken u. s. w. Die Umgegend ist sorgfältig angebaut und gut bevölkert.

*) 4 ¼ Miles = 1 geogra. Meile

Da unsere Gesellschaft durch den Anschluss einiger Reisegefährten von der Caledonia auf 14 Personen angewachsen war, so teilten wir uns bei der Abreise aus Nashua am folgenden Morgen in zwei Abteilungen, die verschiedene Wege einschlugen. Die eine Schar flog in einem sechsspännigen Schlitten davon, während der zweite Trupp, dem ich angehörte, in einer vierspännigen Kutsche dahinrollte.

Concord, die Hauptstadt dieses Staats, erreichten wir so ziemlich um Frühstückszeit, nachdem eine Fahrt von 35 Miles unsern Appetit gehörig geschärft hatte. Das Unglück wollte, dass wir hier unsere Kutsche mit einem Schlitten vertauschten. Einige Miles weit dachten wir uns bedeutend verbessert zu haben; allein die Sonne stieg immer höher und der Schnee schmolz immer mehr, bis wir am Ende in einem tiefen Talgrunde wiederholt aussteigen, oft bis an die Knie im weichen Schnee waten und zuweilen selbst den Schlitten mit Hebebäumen losmachen mussten. Endlich blieben wir ganz stecken, trotz all unsers Hebens, Ziehens und Schiebens. Wir und die Pferde mühten uns vergebens ab.

Nachdem uns dadurch geholfen wurde, dass unser Gepäck auf einen andern Schlitten gelegt ward, schossen wir bald seitwärts, bald vorwärts, bis gegen Mitternacht unser Schlitten zerbrach. In Libanon, einem Quäkerdorfe, das wir endlich um 2 Uhr Nachts erreichten, vertauschten wir unser unbrauchbar gewordenes Fahrzeug mit einem bessern Schlitten und erquickten uns selbst durch ein gutes Nachtessen.

Unser Weg lief auf dem Abhange einer Reihe von steilen Hügeln hin, von denen man auf den Fluss Connecticut hinabsah. Als wir bei Sonnenaufgang das Dorf Royalton erreichten, vertauschten wir unsern Schlitten mit dem Wagen, worin unsere Gefährten der andern Abteilung die vorige Station zurückgelegt hatten, und obwohl wir zum Nachteil der neuen Equipage missvergnügte Vergleichungen anstellten, kamen wir doch bald in eine bessere Stimmung, da wir in einer der Taschen des Wagens das Geld und die Papiere eines der Reisegefährten fanden, der zu jener Abteilung gehörte, und wurden so Retter seines Vermögens.

Wir befanden uns jetzt in Vermont, dem Staate der grünen Hügel. Das Land schien uns seinen Namen mit Recht zu führen, und insbesondere war diejenige Strecke unsers Weges sehr schön, welche durch ein schmales Tal, „the George“ (die Kehle) zwischen steilen Hügeln hindurchführt. Montpellier, wo wir anhielten, glich eher einem Wohnsitze angestammter Wohlhabenheit als der Hauptstadt einer jungen Republik betriebsamer Viehzüchter. Es war in der Tat eine Zusammenstellung von Villas. Die breiten Straßen liefen zwischen schattigen Baumreihen hin; jedes Haus lag in einem kleinen Garten. Gegen Mitternacht trafen wir zu Burlington am Chaplainsee wieder mit unsern Genossen zusammen. Nach dem Abendessen, bei dem eine Gesellschaft der andern die Fährlichkeiten und Begebenheiten ihrer Reise erzählte, gingen wir schlafen, um nach einem 42stündigen Herumschütteln auszuruhen, ordneten aber vorsichtig an, dass man um 5 Uhr Morgens wecken sollte.

Vier Stunden Schlaf war nicht viel für zwei Tage, und ich wunderte mich daher auch keineswegs, dass ich noch nicht ausgeschlafen hatte, als ich durch ein wiederholtes Klopfen an meine Tür geweckt wurde. Trotz aller Müdigkeit und ungeachtet des kalten Morgens war ich dennoch bei Kerzenschein soeben fertig und griff nach Hut und Handschuhen, um zu meinen Reisegefährten zu gehen, da trat grinsend der Aufwärter in mein Zimmer.

Ich vermute, sagte er, ich habe etwas angerichtet. Sind Sie der Herr, der um 2 Uhr geweckt sein wollte?

Nein, war meine Antwort.

Dann denke ich, sagte er, dass ich den Unrechten getroffen, und Sie tun am besten, wieder zu Bette zu gehen.

Nachdem er mir diesen freundschaftlichen Rat erteilt, ging er hin und weckte meinen Nachbar, der diese ganze Zeit hindurch in aller Ruhe den Schlaf genossen hatte, der eigentlich mir gebührte. Statt dem Anraten des Burschen zu folgen, blieb ich auf, da mir eine Stunde Schlaf kaum der Unlust wert schien, mich ein zweites mal demselben entwinden zu müssen.

Etwa eine Stunde über Highgate hinaus sahen wir an den englischen Vorposten, die in einem dunkeln Walde aufgestellt waren, dass wir die Grenze zwischen der Union und Canada überschritten hatten. Am andern Morgen vor Sonnenaufgang kamen wir auf einer hölzernen Brücke über den Richelieu, durch den der Chaplainsee in den St.-Lorenzstrom abfließt.

Nach Mitternacht erreichten wir das Dorf St.-Johannes, und Einige gingen voraus, um vorläufig im Wirtshause uns anzukündigen. Da alles Klopfen und Rufen vor demselben unbeantwortet blieb, gaben wir unserer lärmenden Ansprache dadurch Nachdruck, dass wir ankündigten, es würde noch eine ganze Schar von Reisenden nachkommen. Als wir nun endlich in das Haus gelangt waren und dringend eine warme Stube und Essen beanspruchten, fiel es uns auf, dass der Wirt sich noch immer nicht sehen ließ. Endlich kam mit dem freundlichsten Lächeln der Hausherr zum Vorschein und nun erklärte sich Alles bald. Am vorigen Tage hatte hier nämlich eine Wahl stattgefunden, bei der es zu einer heftigen Schlägerei gekommen war. Da der Wirt nun mit Eifer für den glücklichen Bewerber Partei genommen, war er von dem unterliegenden Teile mit jeder möglichen Rache bedroht worden und der arme Mann hatte deshalb uns, zumal nach der Ankündigung unserer Zahl, für die zorn- und whiskyerfüllten Vollstrecker jener Strafandrohung gehalten und sich, zur Rettung seines lieben Lebens, in irgend einen Winkel verkrochen.

Dieses kleine Abenteuer und unser guter Appetit ließen uns bei einer tüchtigen Mahlzeit unsere Müdigkeit vergessen, und da wir alle Betten schon belegt fanden, setzten wir unsere Fahrt nach La Prairie und von dort über das Eis des St.-Lorenz nach Montreal, der Hauptstadt von Canada, sogleich fort.
(Fortsetzung folgt.)