Aureng-Zeb, Herrscher der Mongolen

Im 13. Jahrhundert überschwemmten die Mongolen den größten Teil von Asien und Europa und erfüllten die alte Welt mit dem Schrecken ihrer Waffen. Ihr kühner Anführer Dschingis - Khan, ein Eroberer, wie die Welt seit Cäsar keinen gesehen, hatte im Jahre 1206 den Plan entworfen, die ganze Erde zu erobern; nachdem er fast ganz Asien bezwungen, starb er 1227; seine Söhne setzten seine Eroberungen fort. Nicht zufrieden, China und das Khalifat zu Bagdad unterworfen zu haben, überwältigten sie auch Russland und ihre Horden drangen 1241 bis Deutschland vor, das sie glücklicherweise bald räumten, ohne erfolgreichen bewaffneten Widerstand getroffen zu haben. Am Ende des 13. Jahrhunderts stand das mongolische Reich, das sich vom chinesischen Meere bis an die polnische Grenze erstreckte, auf dem Gipfel seiner Macht, geriet aber durch Teilungen im 14. Jahrhundert in Verfall. Da trat im Jahre 1360 ein zweiter nicht minder furchtbarer Eroberer auf, Timur, gewöhnlich Tamerlan genannt, der 1369 die Stadt Samarkand zum Sitze seiner Herrschaft wählte und in Indien das starke Delhi eroberte. Nach seinem Tode im Jahr 1405 zerfiel die mongolische Monarchie abermals in mehre Staaten. Mächtiger als alle wurde das Reich des Großmoguls, das ein Abkömmling Timurs, Babur oder Baber, im Jahr 1519 in Hindostan gründete und das Jahrhunderte lang glorreich bestand.

Unter den Nachfolgern Baburs, eines in vielen Hinsichten lobenswerten Fürsten, dessen Sohn und Enkel Humaiun und Akbar seine Herrschaft erweiterten, stand nur ein großer Mann auf, Aureng-Zeb (d. h. Zierde des Thrones), ein Urenkel Akbars, während alle andern nur Abscheu oder Verachtung verdienten. Noch bei Lebzeiten seines Vaters Jehan setzte sich Aureng-Zeb auf den Thron. Als nämlich Jener, schon alt und schwach, auf das Krankenlager geworfen wurde, empörte sich der zweite seiner vier Söhne, Dara, Sujah, Aureng-Zeb und Morad, und marschierte gegen die Hauptstadt unter dem Vorwande, dass der Vater von seinem ältern Bruder Dara umgebracht worden sei; er wurde zwar von Daras Sohn Soliman geschlagen, aber bald folgten Aureng-Zeb und Morad seinem Beispiele. Jener hatte bisher eine tiefe Religiosität und einen lebhaften Eifer an den Tag gelegt, die Reinheit und Strenge des mohammedanischen Glaubens, von der die mongolischen Herrscher aus Klugheit vielfach abgewichen waren, um gegen die Sitten und Vorurteile der eingeborenen Hindus so wenig als möglich zu verstoßen, wiederherzustellen; hierdurch allein war es ihm gelungen, seine weitaussehenden herrschsüchtigen Pläne zu verbergen. Er ließ sich sogar unter die Fakirs oder Bettelmönche aufnehmen und legte ihre Kleidung an, als hätte seine fürstliche Herkunft für ihn nicht den mindesten Wert. Seinen jüngern Bruder Morad hatte er durch das Versprechen gewonnen, ihm den Thron zu überlassen und für sich selbst allen Ansprüchen zu entsagen, sodass Jener willig seine ganze Macht zu seiner Verfügung stellte. Der älteste Bruder Dara, der bei dem Vater geblieben war, rückte ihnen entgegen und beide Heere trafen sich bei Fateabad. Daras Armee war ohne Vergleich zahlreicher, aber Verrat war in seinem Lager und nur auf den kleinsten Teil konnte er sich verlassen. Tapfer, aber unbesonnen wagte er den Kampf, ohne die Ankunft von Verstärkungen unter seinem Sohne Soliman abzuwarten, war indes anfangs sehr glücklich. Eben wollte er Aureng-Zeb selbst und die kleine noch unbesiegt gebliebene Heeresabteilung desselben angreifen, als ein Zwischenfall der Schlacht eine andere Wendung gab und dem Dara Thron und Sieg entriss. Der Anführer von seinem 30.000 Mann starken rechten Flügel, der es insgeheim mit Aureng-Zeb hielt und nur auf eine günstige Gelegenheit zum Abfall lauerte, ritt mit verhängtem Zügel auf Dara zu und rief: „Mögt Ihr lange leben und glücklich regieren! Der Sieg ist unser! Aber warum reitet Ihr noch immer auf diesem hohen Elefanten? Seid Ihr nicht lange genug der Gefahr ausgesetzt gewesen?“ Seinem Zureden, den Elefanten mit dem Pferde zu vertauschen und die Flüchtigen nachdrücklich zu verfolgen, gab Dara Gehör; er stieg vom Elefanten und damit zugleich vom Throne. Als die entfernteren Truppen ihn nicht mehr wie früher auf dem Elefanten erblickten, kamen sie auf die Meinung, er sei getötet worden; das ganze Heer befiel ein panischer Schrecken, den Aureng-Zeb klug benutzte und so den Sieg davon trug. Dara floh; der Sieger bemächtigte sich erst der Hauptstadt, dann der Person des Vaters. Nun warf er die Maske der Heiligkeit ab, die er so lange getragen, und der leichtgläubige Morad sah sich in hilf- und hoffnungsloser Gefangenschaft. Sujah und Dara blieben noch übrig; Jener wurde zur Flucht genötigt, Dieser von einem Verräter dem Aureng-Zeb überliefert und sogleich hingerichtet, ein Schicksal, das später auch dem Morad zu Teil wurde.


So sicherte sich Aureng-Zeb im Jahre 1659 den Thron von Indien, unbekümmert um die Verwünschungen des Volkes, ließ sich zum Kaiser ausrufen und nahm den Namen Alemgir, d. h. Weltüberwinder, an, aber von dieser Zeit an erscheint sein Charakter in hellerem Lichte. Er regierte mit vieler Weisheit und Milde, wenigstens nach orientalischen Begriffen, und niemals ist das mongolisch-indische Reich mächtiger und blühender gewesen, als während seiner langen und meist friedlichen Regierung (1659 —1707). Seinem von ihm entthronten Vater, der den Verlust, der Herrschaft um sieben Jahre überlebte und erst 1666 starb, bewies er die größte Aufmerksamkeit und Verehrung. Sein Land beglückte er durch kluge Verwaltung, übte strenge Gerechtigkeit, beförderte den Wohlstand seines Volkes und bekämpfte siegreich die Vasallenkönige, die sich gegen ihn empörten, insbesondere die Könige von Visapur und Golkonda und die Mahrattenfürsten Sewagi und Sembagi. Ein halb komisches, aber keineswegs geringfügiges Ereignis war das Erscheinen einer rebellischen Armee von 20.000 Fakirs oder Bettelmönchen, die von einer alten Frau angeführt wurden. Sie verheerten das Land, schlugen die Einwohner, die sich in Masse gegen sie erhoben, sodass diese allgemein ihrem weiblichen Anführer übernatürliche Macht zuschrieben, und marschierten endlich gegen die Hauptstadt selbst, um das Reich zu stürzen. Aureng-Zebs Soldaten zitterten und nur Klugheit konnte hier zum Ziele führen. Der Kaiser begegnete den Angreifern mit gleichen Waffen, denn da er gleichfalls im Geruche der Heiligkeit stand, wurde es ihm leicht, seine Soldaten glauben zu machen, er habe einen Zauberspruch entdeckt, der über den Zauber der Feinde siegen werde. Diesen Spruch schrieb er eigenhändig auf Papierstreifen, die an die Spitzen von Lanzen befestigt und vor den Heeresabteilungen her getragen wurden. Dies begeisterte die Soldaten dermaßen, dass die Fakirs in kurzer Zeit in Stücke gehauen wurden. Mehr Sorge verursachte dem Kaiser in der letzten Zeit seiner Regierung die Rebellion seines Sohnes Akbar, der freilich nur das von seinem Vater gegebene Beispiel befolgte; ihn sowohl als einen jüngern in des Bruders Plan verwickelten Sohn ließ er gefangen setzen und durch schleichendes Gift hinrichten. Nach einer 48jährigen Regierung starb Aureng-Zeb im Lager zu Ahmed-nuggar am 21. Februar 1707, 94 oder nach Andern 88 Jahre alt. Ihm folgte sein Sohn Schah Alem, unter dem das Reich bald wieder in Verfall geriet. Ein prächtiges Denkmal Aureng-Zebs steht in geringer Entfernung von Aurengabad, der Residenzstadt des Großmoguls, welche von ihm befestigt und verschönert und deshalb nach ihm benannt wurde.

001 Aureng-Zeb