Das Nasenfest in St. Jakob

Aus: Deutsche Volksfeste im 19. Jahrhundert
Autor: Reimann, Friedrich August (?) Herausgeber, Erscheinungsjahr: 1839
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Schweiz, St. Jakob, Volksfest,
Hekatomben verdient, wer für das Vaterland blutet
Und des Bürgers Pflicht selbst mit dem Tode bezahlt.
Kaps.

Kein Volk unter den neueren hat so merkwürdige Denkmäler von Tapferkeit der Vorfahren aufzuweisen, als die Schweiz. Einzig in seiner Art war das nun zerstörte Beinhaus bei Murten, welches die Schädel und Gebeine der Burgundischen Ritter aufbewahrte. Wie viele geweihte Orte gibt es nicht sonst bei Sempach, am Vierwaldstädter See und anderwärts! Wären die Eidgenossen immer treu und einig unter einander gewesen, sie wären unüberwindlich geblieben und man hätte sie nicht einmal gereizt, weil die Nachbarn mehr Gewinn davon hatten, wenn dies Alpenland eine ruhige Vormauer blieb, als wenn sie es mit großen Opfern erkämpften. Aber durch Eifersucht und geteiltes Interesse erschlaffte nach und nach das Band, was sie umschlang, und auch die neuere Zeit hat ihren Stüssi und ihren Graf.

Aus jener Zeit, wo diese Männer Unglück und Verderben über die Eidgenossen brachten, glänzt ein Denkmal ihrer Tapferkeit hervor, das bloß in der Schlacht bei Thermopylä ein würdiges Gegenstück findet. Schade, dass die Nemesis, von Greifensee her, sie zu ihrem Verderben mit törichtem Übermut erfüllte! Aber sie büßten dafür, jedoch mit einem Glanze, den keine Zeit verwischen kann; denn ihr Sühnopfer ward durch ewigen Ruhm gekrönt.

Es war im Angesichte von Basel, bei St. Jakob an der Birs (die aus der Felsenwand, durch welche Julius Cäsar sich den Weg ins Münstertal brach, wie aus einer Röhre entspringt und in Röhren aufgefangen, durch ihren Fall nahe dabei schon eine Mühle treibt und dann oberhalb Basel in den Rhein fällt), wo zwölfhundert Eidgenossen von Uri, Schwyz, Unterwalden, Bern, Solothurn, Glarus den tollen Mut hatten, sich gegen ein Heer von dreißigtausend Armagnacs, Engländern und Deutschen Reitern zu wehren, ein Hilfsheer, was der Kaiser, jedoch nur in weit minderer Zahl, gegen die Eidgenossen herbeigerufen hatte. Ein Sieg über eine große Anzahl dieser Feinde hatte sie so übermütig gemacht, dass sie weder des klugen Rats ihrer Anführer, noch der Hilfe achteten, die ihnen Basel, um sie in ihre Stadt aufzunehmen, durch Ausrückung von dreitausend Mann vergeblich anbot. Es war daher kein Wunder, dass sie durch das Französische Geschütz, achttausend Mann schwere Kavallerie und die ganze Macht der Armagnaken in ihren Gliedern durchbrochen und in Unordnung gebracht wurden. Die größere Hälfte suchte sich, von allen Seiten abgeschnitten, einen Weg nach Basel zu bahnen, aber umsonst. Fünfhundert jedoch bemächtigten sich des Gartens und Hospitals bei St. Jakob, Jene waren bald umringt und niedergemacht; diese schlugen den drei Mal erneuerten Sturm drei Mal ab und richteten durch Ausfälle unter den Feinden eine große Niederlage an. Aber die Französische Artillerie warf endlich die Mauern des Gartens nieder; die Deutschen Ritter und Armagnacs drangen von allen Seiten ein, und die Kapelle und das Hospital wurden in Brand gesteckt.

„Neunundneunzig Eidgenossen, von ihren Brüdern durch die Flamme getrennt, wurden in dem Gewölbe des Kellers nach vielen Wochen erstickt und ausgedörrt, an Mauern stehend angetroffen. Alle übrigen, in der Todesnot Löwen, gefühllos für den Schmerz der Wunden, für die Schwere der an ihnen hängenden Pfeile, lang selbst die Entkräftung der Verblutung besiegend, stachen, schlugen, schossen, rechts, links, mit Pfeilen aus ihren eignen Wunden, der mit nur noch Einer Hand, der nur noch auf die Knie, der auf den Arm gestützt, also dass keiner, ohne die Gesellschaft fünf oder sechs tot herumliegender Feinde sich dem Tod unterwarf, und um den halbentseelten Leichnam anderer, die weit voraus bei dem Feind gefallen, der selbst verwundete Freund, welcher ihn zurücktrug, wie eine Gasse von Erschlagenen machte*). Die sämtlichen bei St. Jakob und in der Aue gestandenen Eidgenossen, elfhundert und neunzig an der Zahl, blieben auf der Wahlstatt, nur zehn Mann, welche der Zufall von ihnen getrennt hatte, waren gerettet, aber sie wurden verachtet und ihrer Ehren entsetzt.“ —

*) Johannes von Müller 4. Bd. S. 87.

Darf man sich wundern, dass die Schweiz den Reisenden fesselt? Überall spricht ihn eine erhabene Naturszene oder ein idyllischer Reiz, überall ein heiliger Boden der Vaterlandsliebe oder ein Denkmal der alten Tapferkeit an. Nirgends ist eine merkwürdige Stätte, die nicht jedes Kind zu bestimmen weiß und wovon es nicht den Inhalt der Geschichte kennt. Die berühmten Namen erben von Munde zu Munde fort und nur Untreue an eigenen altertümlichen Sitten hat dieses Heldengeschlecht, hier mehr, dort weniger, schwächen können.

Die berühmte Schlacht bei St. Jakob wird von den Einwohnern von Basel noch jährlich durch eine Art von Volksfest gefeiert. Der ehemalige Zweck hat sich zwar verwischt, aber die Gewohnheit hat sich erhalten. Der Gartenraum, innerhalb welchem die fünfhundert Eidgenossen den ruhmvollen Tod fürs Vaterland starben, ist mit Mauern umgeben und der Boden, den ihr Blut gedüngt hat, mit blauen Reben bepflanzt, deren Trauben für dieses Jahresfest allein gekeltert werden. Gerade im Monat August, wo diese Schlacht (1444) vorfiel, treten aus dem Rheine ganze Heere von Fischen in die Birs, an deren daselbst befindlichem Wehr sie sich in solchem Gedränge einfinden, dass man sie oft mit bloßen Händen ergreifen kann. Sie recken gewöhnlich die Köpfe ein wenig aus dem Wasser hervor, wovon sie wahrscheinlich den Namen Nasen erhalten haben. Man liebt sie gebacken und wegen ihrer fast regelmäßigen Ankunft dauern die Wallfahrten nach St. Jakob, von Vornehmen und Niedrigen, alten und jungen Leuten, gewöhnlich drei Wochen hindurch, um gebackene Nasen zu essen und — Schweizerblut zu trinken. So benennt man den roten Wein, der auf diesem Campo san to erzeugt wird.

Dieses Volksfest dient jetzt bloß noch zu Veranlassung einer geselligen Unterhaltung, die im Sommer seltener ist, als im Winter. Besonders willkommen ist sie den jungen Leuten beiderlei Geschlechts, die dadurch Gelegenheit bekommen, sich zu sehen und zu sprechen. Wiewohl nun aber die Nasen eigentlich bloß zum Essen bestimmt sind, so soll es doch vorkommen, dass dabei mitunter auch ungebackene Nasen gespendet und Nasen gedreht und aufgeheftet werden.

Darstellung der Schlacht bei St. Jakob an der Birs 1444. Tschachtlanchronik 1470

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Basel - Das Spalentor (1370) gehörte früher zur Stadtbefestigung

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Basel - Das Münster aus rotem Sandstein; die ältesten Teile aus dem 12. Jahrhundert

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