Das Mönchtum. Seine Ideale und seine Geschichte

Aus: Reden und Aufsätze
Autor: Harnack, Adolf von (1851-1930) protestantischer Theologe und Kirchenhistoriker, Erscheinungsjahr: 1903
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Gesellschaft, Renaissance, Humanismus, Reformation, Bildung, Volksbildung, Erkenntnis, Literaturgeschichte, Statistik, Erscheinung, Wortgeschichte, Sprache, Weltbedeutung, Bewusstsein, Historiker, Carl Neumann, Walther Götz, Brandi, Fester, Wernle, Hermelink, Jakob Burckhardt, Michelet, Aufschwung, Künste, Rudolf Hildebrand, Forschung, Weltgeschichte, Constantin, Silvester, Altertum, Vasari, Reformatoren, Luther,
Eine kirchenhistorische Vorlesung erschienen in 6. Aufl. 1903 bei Alfred Topelmann (vormals J. Kicker’sche Verlagsbuchhandlung) in Giessen.

Die christlichen Konfessionen, so verschieden sie untereinander sein mögen, stimmen in der Grundforderung überein, dass sich der Glaube darstellen müsse in einem christlichen Leben, dass das Christentum nur dort zu seinem Rechte komme, wo es ein eigentümliches Leben erzeuge. Wahrhaft christliches Leben ist das gemeinsame Ideal der Christenheit. Aber wie soll es geartet sein? Hier scheiden sich die Wege. Dass es unter uns verschiedene Konfessionen gibt, ist im letzten Grande bedingt sowohl durch die Verschiedenheit des Glaubens, als auch des Lebensideals, welches der Glaube vorhält. Alle übrigen Unterschiede sind religiös betrachtet unwesentliche oder erhalten doch von hier aus erst ihr Gewicht und ihre Bedeutung. Nicht theologischer Zank oder priesterliche Herrschsucht oder nationale Gegensatz haben allein die Spaltung der Kirche herbeigeführt sie waren an ihr beteiligt und konservieren sie heute noch , sondern die verschiedene Beantwortung der Lebensfrage nach dem Ideal des Lebens hat getrennt und der Trennung Dauer gegeben. Es ist in den Verhältnissen ganzer Gruppen nicht anders wie in den der Einzelnen. Nicht theoretische Meinungen, sondern Gesinnungen und Willensrichtungen scheiden und vereinen.

Fragen wir nun die römisch- oder die griechisch-katholische Kirche, worin besteht das vollkommenste christliche Leben, so antworten sie beide: in dem Dienste Gottes unter Verzicht auf alle Güter des Lebens, auf Eigentum, Ehe, persönlichen Willen und persönliche Ehre, kurz in der religiösen Weltflucht, in dem Mönchtum. Der wahre Mönch ist der wahre, vollkommenste Christ. Das Mönchtum ist also nicht eine mehr oder weniger zufällige Erscheinung in den katholischen Kirchen neben anderen, sondern, wie die Kirchen heute sind und wie sie schon seit Jahrhunderten das Evangelium verstanden haben, ist es eine in ihrem Wesen begründete Institution: es ist das christliche Leben. Wir werden deshalb erwarten dürfen, dass in den Idealen des Mönchtums sich auch die Ideale der Kirche, in der Geschichte des Mönchtums sich die Geschichte der Kirche darstellen werden.

Aber kann das Mönchtum überhaupt wechselnde Ideale, kann es eine Geschichte haben? Ist es nicht verurteilt, in großartiger Einförmigkeit tausendfacher Wiederholung durch die Geschichte zu schreiten? Welch’ einer Veränderung sind die Ideale der Armut, der Ehelosigkeit, der entschlossenen Weltflucht fähig? Welch’ eine Geschichte können die erleben oder herbeiführen, welche mit der Welt auch ihren wechselnden Gestalten, d. h. ihrer Geschichte, den Rücken gekehrt? Ist nicht Weltentsagung zugleich Verzicht auf alle Entwicklung und alle Geschichte? Oder, wenn sie das in Wirklichkeit nicht gewesen ist, ist nicht eine Geschichte der Ideale des Mönchtums schon ein Protest gegen den Gedanken des Mönchtums überhaupt? Es scheint so, und vielleicht scheint es nicht bloß so. Aber das lehrt die Geschichte des Abendlandes auch dem flüchtigsten Beobachter: das Mönchtum hat seine Geschichte gehabt, nicht nur eine äußere, sondern auch eine innere, voll von gewaltigsten Veränderungen und gewaltigsten Wirkungen. Welch’ eine Kluft trennt den schweigsamen Büßer der Wüste, der ein Menschenleben hindurch in keines Menschen Auge geblickt hat, von dem Mönche, der einer Welt Befehle gab! Und dazwischen die Hunderte von Gestalten, eigentümlich und verschieden, und doch Mönche, alle begeistert und beherrscht von der Idee, der Welt zu entsagen. Aber noch mehr: alle Regungen des Gemütes, die leidenschaftlichsten und die zartesten, kommen uns ans jener Welt der Weltentsagung entgegen. Kunst, Poesie und Wissenschaft haben dort ihre Pflege gefunden, ja die Anfange der Zivilisation unseres Vaterlandes sind ein Kapitel aus der Geschichte des Mönchtums. Hat das Mönchtum dieses alles nur leisten können, indem es seine Ideale verließ, oder lassen seine eigensten Ideale solche Wirkungen zu? Setzt die Weltentsagung eine zweite Welt und eine zweite Geschichte, der gemeinen ähnlich, nur reiner und größer, oder muss sie die Welt zur Wüste werden lassen? Ist das das wahre Mönchtum, welches in der Welt den Tempel Gottes sieht und auch in der schweigsamen Natur entzückt das Wehen göttlichen Geistes vernimmt, oder ist das das wahre Mönchtum, welches behauptet, die Welt mitsamt ihrer Natur und ihrer Geschichte sei des Teufels? Beide Lösungen tönen zu uns herüber aus dem Reiche der Weltentsagung: welche von ihnen ist authentisch und hat das geschichtliche Recht für sich? In dem Mönchtum ist das Individuum gerettet worden aus den Banden der Gesellschaft und der gemeinen Gewohnheit, ist befreit und erhoben worden zu edler Selbständigkeit und Menschlichkeit, und in demselben Mönchtum ist es geknechtet worden in Engherzigkeit, geistloser Ode und sklavischer Abhängigkeit. Hat das ursprüngliche Ideal dieses verschuldet oder jenes hervorgebracht?

Solche und ähnliche Fragen tauchen hier auf. Der evangelische Christ hat nicht bloß ein historisches Interesse an ihrer richtigen Beantwortung. Ist es ihm auch gewiss, dass die christliche Vollkommenheit nicht in den Formen des Mönchtums zu suchen ist, so hat er es doch zu prüfen und seine Lichtgestalt festzustellen. Nur dann ist es in Wahrheit überwunden, wenn dem Besten, was es hat, ein Besseres übergeordnet werden kann. Wer es abschätzig beiseite schiebt, kennt es nicht. Wer es kennt, der wird bekennen, wie viel von ihm zu lernen ist. Ja er wird hier nicht nur wie von einem Gegner, er wird wie von einem Freunde lernen können, unbeschadet seines evangelischen Standpunktes, vielmehr zu Nutz desselben. Suchen wir uns durch einen geschichtlichen Überblick über das Mönchtum zu orientieren.

Fra Bartolommeo, Heilige Familie, Sammlung des Earl Cowper in Panshanger

Fra Bartolommeo, Heilige Familie, Sammlung des Earl Cowper in Panshanger

Fra Bartolommeo, Pieà, Galerie Pitti zu Florenz

Fra Bartolommeo, Pieà, Galerie Pitti zu Florenz

Sarto Andrea del, Caritas, Galerie des Louvre

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Sarto Andrea del, Figur aus dem Abendmahl, Wandgemälde im Refectorium des Klosters S. Salvi

Sarto Andrea del, Figur aus dem Abendmahl, Wandgemälde im Refectorium des Klosters S. Salvi

Sarto Andrea del, Geburt der Maria, Wandgemälde im Servitenkloster zu Florenz

Sarto Andrea del, Geburt der Maria, Wandgemälde im Servitenkloster zu Florenz

Sarto Andrea del, Grablegung, Galerie Pitti in Florenz

Sarto Andrea del, Grablegung, Galerie Pitti in Florenz

Sarto Andrea del, Gruppe aus dem Abendmahl, Wandgemälde im Refectorium des Klosters S. Salvi

Sarto Andrea del, Gruppe aus dem Abendmahl, Wandgemälde im Refectorium des Klosters S. Salvi

Sarto Andrea del, Madonna del Sacco, Wandgemälde im Kreuzgang des Servitenklosters

Sarto Andrea del, Madonna del Sacco, Wandgemälde im Kreuzgang des Servitenklosters

Vinci Lionardo da (1452-1519) italienischer Maler und Erfinder. Das Porträt ist nach der Zeichnung Lionardos in der Ambrosiana gefertigt

Vinci Lionardo da (1452-1519) italienischer Maler und Erfinder. Das Porträt ist nach der Zeichnung Lionardos in der Ambrosiana gefertigt

Vinci Lionardo da, Anbetung der Magier, Skizze nach dem Bilde in den Uffizien zu Florenz

Vinci Lionardo da, Anbetung der Magier, Skizze nach dem Bilde in den Uffizien zu Florenz